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Hesses Siddharta im Schauspiel Frankfurt
Wer bin ich?
Mit „Siddharta“ begab sich Hermann Hesse auf die Suche nach nichts weniger als dem Sinn des Lebens. Fast 100 Jahre nach Veröffentlichung bringt Lisa Nielebock die Erzählung von der Heldenreise des Brahmanen Siddharta auf die Bühne des Schauspiel Frankfurt.
Sind wir nicht alle irgendwie auf der Suche? Unentwegt strömen Informationen auf uns ein, neue Technologien entwickeln sich rasant – wir sind digitalisiert, lassen uns kontrollieren durch soziale Medien, Mails, News. Höher, schneller, weiter – aber was kommt danach? Das digitale Zeitalter gilt auch als das Zeitalter der Depression. Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen, es gibt Statistiken, die zeigen, dass seit der Markteinführung des iPhone Schlafmangel und das Gefühl von Einsamkeit rapide zugenommen haben. Gleichzeitig begeben sich immer mehr Menschen auf die Suche. Es muss doch mehr geben, mehr Tiefe, mehr Sinn. „Digital-Detox-Seminare“ boomen, ebenso Meditations- und Achtsamkeitskurse. Zwischen all den Möglichkeiten, die sich uns in jedem denkbaren Bereich bieten, scheint doch eine Frage immer drängender zu werden: Wer bin ich?
Diese Frage wurde schon etliche Male gestellt, von Menschen, die vermutlich weit klüger waren als die meisten von uns. Auch Hermann Hesse war nicht der erste, den diese quälende und doch wichtige Frage umtrieb. Seine Erzählung „Siddharta“, geschrieben kurz nach dem Ersten Weltkrieg, während einer tiefen Lebenskrise Hesses, beschreibt die Suche eines jungen Brahmanen nach dem Atman – das All-Sein, das absolute Selbst. Um die Erleuchtung zu erlangen, muss Siddharta viele Jahre reisen, zahlreiche Schicksalsschläge hinnehmen und einen ständigen Kampf mit dem eigenen Selbst führen. Am Ende erreicht der Suchende, wonach er sich so lange gesehnt hat. Er hört auf zu kämpfen, kommt zur Ruhe und erkennt die wahre Natur der Dinge.
Es ist ein ganzes Leben, das Hesse in seinem umfangreichen Werk niedergeschrieben hat. Kaum vorstellbar, dass eine solche Erzählung in ein weniger als zwei Stunden dauerndes Theaterstück passt. Doch Lisa Nielebock ist genau das gelungen. Ihre Inszenierung von Hesses komplexer Erzählung ist weder esoterisch noch angestaubt, sondern eine moderne Interpretation, die, wenn auch stark komprimiert, den Siddharta Hesses zu einem Siddharta unserer Zeit macht. Die Bühne zeigt nichts von der opulenten indischen Flora, in der das Original spielt. Stattdessen sehen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer einem schwarzen, nach hinten spitz zulaufenden Kasten gegenüber. Diese Enge wird im Laufe des Stücks die Enge und Angst, die eine menschliche Seele erfüllen können, unangenehm spürbar machen. Es gibt keine Dekoration, keine Kostümwechsel. Die Darstellerinnen und Darsteller, die zwischendurch ihre Rollen wechseln, tragen unspektakuläre Alltagskleidung, wie sie in jedem H&M zu finden ist. Nichts soll von der eigentlichen Geschichte ablenken.
Dass diese reduzierte Inszenierung funktioniert, ist dem leidenschaftlichen Spiel der Darstellerinnen und Darsteller zu verdanken. Insbesondere Jana Schulz brilliert in der Rolle des Siddharta, macht seine Wünsche, Zweifel und Erkenntnisse für das Publikum greifbar. Rastlos streift sie über die Bühne, lässt den Emotionen freien Lauf, kehrt ihr Innerstes nach außen. Ihr Spiel ist sehr körperlich, die feinen Gesichtszüge verzerren sich abwechselnd in Schmerz und Lust, die Haut läuft rot an, die Adern treten hervor. Dann wieder wirkt sie vollkommen entspannt, der Erleuchtung einen Schritt näher. Ihre Kolleginnen und Kollegen passen sich dem an, sie umkreisen Siddharta, hängen an seinen (ihren) Lippen und orientieren ihr Spiel jeweils an dem von Jana Schulz.
Uwe Zerwer, Wolfgang Vogler, Anna Kubin und Torsten Flassig überzeugen durchgehend in ihren Rollen. Mit viel Hingabe unterstützen sie Jana Schulz bei ihrer Suche nach dem Selbst. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass wir alle die gleichen Kämpfe ausfechten und wahre Erfüllung nicht im Außen – in Statussymbolen, Smartphones oder Überstunden – zu finden ist, sondern nur in uns selbst. Die eine entscheidende Frage scheint damit nach zwei Stunden noch drängender: Wer bin ich? Die Antwort, sie findet sich vielleicht nach einem langen Kampf mit dem Leben selbst.
Sämtliche Folgeaufführungen sind bereits ausverkauft. Eventuell gibt es Restkarten an der Abendkasse. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.
Diese Frage wurde schon etliche Male gestellt, von Menschen, die vermutlich weit klüger waren als die meisten von uns. Auch Hermann Hesse war nicht der erste, den diese quälende und doch wichtige Frage umtrieb. Seine Erzählung „Siddharta“, geschrieben kurz nach dem Ersten Weltkrieg, während einer tiefen Lebenskrise Hesses, beschreibt die Suche eines jungen Brahmanen nach dem Atman – das All-Sein, das absolute Selbst. Um die Erleuchtung zu erlangen, muss Siddharta viele Jahre reisen, zahlreiche Schicksalsschläge hinnehmen und einen ständigen Kampf mit dem eigenen Selbst führen. Am Ende erreicht der Suchende, wonach er sich so lange gesehnt hat. Er hört auf zu kämpfen, kommt zur Ruhe und erkennt die wahre Natur der Dinge.
Es ist ein ganzes Leben, das Hesse in seinem umfangreichen Werk niedergeschrieben hat. Kaum vorstellbar, dass eine solche Erzählung in ein weniger als zwei Stunden dauerndes Theaterstück passt. Doch Lisa Nielebock ist genau das gelungen. Ihre Inszenierung von Hesses komplexer Erzählung ist weder esoterisch noch angestaubt, sondern eine moderne Interpretation, die, wenn auch stark komprimiert, den Siddharta Hesses zu einem Siddharta unserer Zeit macht. Die Bühne zeigt nichts von der opulenten indischen Flora, in der das Original spielt. Stattdessen sehen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer einem schwarzen, nach hinten spitz zulaufenden Kasten gegenüber. Diese Enge wird im Laufe des Stücks die Enge und Angst, die eine menschliche Seele erfüllen können, unangenehm spürbar machen. Es gibt keine Dekoration, keine Kostümwechsel. Die Darstellerinnen und Darsteller, die zwischendurch ihre Rollen wechseln, tragen unspektakuläre Alltagskleidung, wie sie in jedem H&M zu finden ist. Nichts soll von der eigentlichen Geschichte ablenken.
Dass diese reduzierte Inszenierung funktioniert, ist dem leidenschaftlichen Spiel der Darstellerinnen und Darsteller zu verdanken. Insbesondere Jana Schulz brilliert in der Rolle des Siddharta, macht seine Wünsche, Zweifel und Erkenntnisse für das Publikum greifbar. Rastlos streift sie über die Bühne, lässt den Emotionen freien Lauf, kehrt ihr Innerstes nach außen. Ihr Spiel ist sehr körperlich, die feinen Gesichtszüge verzerren sich abwechselnd in Schmerz und Lust, die Haut läuft rot an, die Adern treten hervor. Dann wieder wirkt sie vollkommen entspannt, der Erleuchtung einen Schritt näher. Ihre Kolleginnen und Kollegen passen sich dem an, sie umkreisen Siddharta, hängen an seinen (ihren) Lippen und orientieren ihr Spiel jeweils an dem von Jana Schulz.
Uwe Zerwer, Wolfgang Vogler, Anna Kubin und Torsten Flassig überzeugen durchgehend in ihren Rollen. Mit viel Hingabe unterstützen sie Jana Schulz bei ihrer Suche nach dem Selbst. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass wir alle die gleichen Kämpfe ausfechten und wahre Erfüllung nicht im Außen – in Statussymbolen, Smartphones oder Überstunden – zu finden ist, sondern nur in uns selbst. Die eine entscheidende Frage scheint damit nach zwei Stunden noch drängender: Wer bin ich? Die Antwort, sie findet sich vielleicht nach einem langen Kampf mit dem Leben selbst.
Sämtliche Folgeaufführungen sind bereits ausverkauft. Eventuell gibt es Restkarten an der Abendkasse. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.
7. Juni 2019, 13.05 Uhr
Ronja Merkel
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. Mehr von Ronja
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