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Hans Nieswandt in Town
„Die Clubkultur hier ist brutal gut“
Hans Nieswandt sorgt am Samstag im Eros49 mit jeder Menge Disco-Sound für Stimmung. Dem JOURNAL FRANKFURT hat der bekannte DJ, Produzent und Autor erzählt, wieso ihm das Auflegen auch nach über 30 Jahren nicht raushängt.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Nieswandt, schön, dass Sie am Samstag wieder hier sind. Sie legen ja seit 1992 mehrmals jährlich in Frankfurt auf.
Hans Nieswandt: Ich bin immer sehr gerne hier und komme mit der Mentalität gut klar – sehr am Boden geblieben. Ich mag auch das internationale Flair, Frankfurt funktioniert mit dem Einzugsgebiet wie eine richtige Großstadt. In der Clubszene mischen alle mit, Türken, Italiener, Deutsche. Letztens babbelte mein Taxifahrer mit afghanischen Wurzeln Hessisch mit mir. Da lacht mir das Herz. Irgendwann sagte er: „Und deswegen is´ die Clubkultur hier brutal gut, weil da isses egal wo du herkommst.“ Das fand ich ganz köstlich. Und wahr.
Clubkultur als positives Gesellschaftsmodell.
Genau. Es ist ein Miteinander. Einmal in der Woche kannst du sein, wer du willst, ohne ausgegrenzt zu werden. Ich hab das mal gelesen, das fand ich ganz schön: „Clubs sind Orte, wo Utopien für eine gewisse Zeit Wirklichkeit werden können.“ Das glaube ich auch. Die Utopie muss aber auch wieder enden, die ist ja nicht alltagstauglich.
Gilt das nur für das Publikum oder auch für Sie als DJ: einmal in der Woche sein, wer man will?
Ich genieße die gleiche Freiheit wie das Publikum. In Köln fing ich an, an Veranstaltungen aufzulegen, wo ich ausschließlich und hardcore nur das gespielt habe, was ich für richtig halte. Keinen Kommerz, keine Hits. Somit ist der Club ein Ort, wo auch ich der sein kann, der ich will. Ich freue mich als DJ auch immer sehr, in merkwürdige Situationen reingeworfen zu werden. Man hat dann immer was zu erzählen. Im April spiele ich im sagenumwobenen KitKatClub in Berlin, einem Fetischladen. Da muss ich mir noch ein passendes Outfit einfallen lassen ...
Sie sind DJ seit … naja, ewig schon.
Ich bin 55. Nicht mehr der jüngste DJ, und auch mein Publikum ist älter geworden. Wenn ich auflege, kommen Leuten zwischen 25 und 30, dann gibt es da eine Lücke wegen der Elternzeit, und dann sind die Leute ab 45 bis 60 wieder am Start. Die waren in den 1980ern um die 20 und haben die Clubkultur mitgeprägt. Und wollen immer weitermachen.
Was hat sich verändert im Vergleich zu früher?
Ich fange nicht mehr um zwei Uhr morgens an aufzulegen. Das ist mir zu spät. Ich beginne oft um elf oder um Mitternacht und spiele dann drei Stunden, das ist für ältere Leute niederschwelliger. Die haben immer noch Bock auf Nachtleben, aber halt nicht mehr bis acht Uhr morgens.
Und Ihnen geht es gleich?
Ich habe seit fünf Jahren einen verantwortungsvollen Führungsjob an der Uni. Das bedeutet, dass ich mich am Wochenende nicht mehr so kaputtfeiern kann. Das kommende Wochenende ist zur Abwechslung aber wieder mal verschärft, da lege ich am Freitagabend in Köln und am Samstagabend in Frankfurt auf.
Hängt Ihnen das Auflegen nicht irgendwann zum Hals raus?
Das ist schwer vorstellbar. Heute finde ich dreimal im Monat aufzulegen ganz nice, im Gegensatz zu 12 Mal monatlich wie früher. Ich befinde mich aber gerade in einer Übergangsphase, die Vinyl-Schallplatten werden immer weniger bei mir. Für viele stehe ich ja noch für den „DJ, der mit Schallplatten auflegt“, das hat mir immer viel Lob und Respekt eingebracht. In den dunklen Jahren fand ich Vinyl extrem cool, da habe ich die Tradition hochgehalten. Das war in den 1990ern, als alle auf CDs umstiegen. Aber seit einigen Jahren gibt es diesen Retrotrend zurück zu Vinyl. Das ist alles so Manufactum-mäßig, damit habe ich nichts zu tun. Ich habe das Gefühl, dass jetzt der Zeitpunkt ist, wo ich mich nach vorne orientieren möchte. Abgesehen davon ist meine rechte Schulter inzwischen durch.
Sie haben wohl zu viele Platten geschleppt.
So ist es, gute 30 Jahre lang. Das erste Mal habe ich 1983 Geld bekommen fürs Platten auflegen, spätestens ab 1993 war das meine zentrale Einnahmequelle. Kollegen sagen zwar: „Aber du warst doch immer der Mann mit der Plattenkiste.“ Dann sage ich: Ja, und jetzt bin ich der Mann mit dem Ministick. So sieht´s aus. Und ich finde auch, dass man mit zunehmendem Alter vernünftig sein darf. Jetzt regeneriere ich mal meine Schulter.
Auch verständlich.
Technisch bin ich zwar nach wie vor besser mit Schallplatten, ich mixe schneller und sauberer. Und es ist halt cool, die Platte mit der Hand zu manipulieren. Aber USB ist schon nicht schlecht: Wiegt nichts, musst du nicht anschließen im Club. Seit etwa acht Jahren mache ich viel eigenes Material. Das sind Bearbeitungen, die es nicht auf Platte gibt, nur auf dem Stick. Wer den Sound mag, muss in den Club kommen, um sich das anzuhören. Das finde ich ganz nice.
Platten wollen Sie keine mehr veröffentlichen?
Doch, dieses Jahr sind noch ein paar Releases geplant. Ich versuche gerade ein neues Genre zu prägen, ich nenne es „Protestdisco“. Disco ist ja eine sehr positive Kraft, die verbindet und nicht trennt. Gerade in diesen dystopischen, paranoiden Zeiten möchte ich daran erinnern und in diesem Geist Musik machen. In einem Song, den ich gemacht habe, heißt es: „No more hating and trashing“. Das ist eine bescheidene kleine und doch große Message, die ich mit dem DJ Eric D. Clark als Platte droppen werde. Zwei Songs und zwei Remixes werden darauf sein.
Wann erscheint sie?
Im Frühling, wenn es wärmer wird und die Lebensgeister wach werden. Ich freue mich ganz schön drauf. Die Songs spiele ich ja schon eine ganze Weile in meinen Sets. Der totale Burner. Die Leute feiern sie, auch die Message.
Hans Nieswandt wurde 1964 in Mannheim geboren. Er ist DJ, Musikproduzent, Journalist und Buchautor und legt seit den 1990ern in Clubs in ganz Deutschland auf. Seit Januar 2014 ist er künstlerischer Leiter des Master-Studiengangs Popmusik am Institut für Populäre Musik der Folkwang Universität der Künste in Bochum. Er lebt in Köln und London.
Chocolat Spezial w/ Hans Nieswandt, 2. Februar 2019, 22 Uhr bis 5 Uhr, Eros49, Elbestraße 49.
Hans Nieswandt: Ich bin immer sehr gerne hier und komme mit der Mentalität gut klar – sehr am Boden geblieben. Ich mag auch das internationale Flair, Frankfurt funktioniert mit dem Einzugsgebiet wie eine richtige Großstadt. In der Clubszene mischen alle mit, Türken, Italiener, Deutsche. Letztens babbelte mein Taxifahrer mit afghanischen Wurzeln Hessisch mit mir. Da lacht mir das Herz. Irgendwann sagte er: „Und deswegen is´ die Clubkultur hier brutal gut, weil da isses egal wo du herkommst.“ Das fand ich ganz köstlich. Und wahr.
Clubkultur als positives Gesellschaftsmodell.
Genau. Es ist ein Miteinander. Einmal in der Woche kannst du sein, wer du willst, ohne ausgegrenzt zu werden. Ich hab das mal gelesen, das fand ich ganz schön: „Clubs sind Orte, wo Utopien für eine gewisse Zeit Wirklichkeit werden können.“ Das glaube ich auch. Die Utopie muss aber auch wieder enden, die ist ja nicht alltagstauglich.
Gilt das nur für das Publikum oder auch für Sie als DJ: einmal in der Woche sein, wer man will?
Ich genieße die gleiche Freiheit wie das Publikum. In Köln fing ich an, an Veranstaltungen aufzulegen, wo ich ausschließlich und hardcore nur das gespielt habe, was ich für richtig halte. Keinen Kommerz, keine Hits. Somit ist der Club ein Ort, wo auch ich der sein kann, der ich will. Ich freue mich als DJ auch immer sehr, in merkwürdige Situationen reingeworfen zu werden. Man hat dann immer was zu erzählen. Im April spiele ich im sagenumwobenen KitKatClub in Berlin, einem Fetischladen. Da muss ich mir noch ein passendes Outfit einfallen lassen ...
Sie sind DJ seit … naja, ewig schon.
Ich bin 55. Nicht mehr der jüngste DJ, und auch mein Publikum ist älter geworden. Wenn ich auflege, kommen Leuten zwischen 25 und 30, dann gibt es da eine Lücke wegen der Elternzeit, und dann sind die Leute ab 45 bis 60 wieder am Start. Die waren in den 1980ern um die 20 und haben die Clubkultur mitgeprägt. Und wollen immer weitermachen.
Was hat sich verändert im Vergleich zu früher?
Ich fange nicht mehr um zwei Uhr morgens an aufzulegen. Das ist mir zu spät. Ich beginne oft um elf oder um Mitternacht und spiele dann drei Stunden, das ist für ältere Leute niederschwelliger. Die haben immer noch Bock auf Nachtleben, aber halt nicht mehr bis acht Uhr morgens.
Und Ihnen geht es gleich?
Ich habe seit fünf Jahren einen verantwortungsvollen Führungsjob an der Uni. Das bedeutet, dass ich mich am Wochenende nicht mehr so kaputtfeiern kann. Das kommende Wochenende ist zur Abwechslung aber wieder mal verschärft, da lege ich am Freitagabend in Köln und am Samstagabend in Frankfurt auf.
Hängt Ihnen das Auflegen nicht irgendwann zum Hals raus?
Das ist schwer vorstellbar. Heute finde ich dreimal im Monat aufzulegen ganz nice, im Gegensatz zu 12 Mal monatlich wie früher. Ich befinde mich aber gerade in einer Übergangsphase, die Vinyl-Schallplatten werden immer weniger bei mir. Für viele stehe ich ja noch für den „DJ, der mit Schallplatten auflegt“, das hat mir immer viel Lob und Respekt eingebracht. In den dunklen Jahren fand ich Vinyl extrem cool, da habe ich die Tradition hochgehalten. Das war in den 1990ern, als alle auf CDs umstiegen. Aber seit einigen Jahren gibt es diesen Retrotrend zurück zu Vinyl. Das ist alles so Manufactum-mäßig, damit habe ich nichts zu tun. Ich habe das Gefühl, dass jetzt der Zeitpunkt ist, wo ich mich nach vorne orientieren möchte. Abgesehen davon ist meine rechte Schulter inzwischen durch.
Sie haben wohl zu viele Platten geschleppt.
So ist es, gute 30 Jahre lang. Das erste Mal habe ich 1983 Geld bekommen fürs Platten auflegen, spätestens ab 1993 war das meine zentrale Einnahmequelle. Kollegen sagen zwar: „Aber du warst doch immer der Mann mit der Plattenkiste.“ Dann sage ich: Ja, und jetzt bin ich der Mann mit dem Ministick. So sieht´s aus. Und ich finde auch, dass man mit zunehmendem Alter vernünftig sein darf. Jetzt regeneriere ich mal meine Schulter.
Auch verständlich.
Technisch bin ich zwar nach wie vor besser mit Schallplatten, ich mixe schneller und sauberer. Und es ist halt cool, die Platte mit der Hand zu manipulieren. Aber USB ist schon nicht schlecht: Wiegt nichts, musst du nicht anschließen im Club. Seit etwa acht Jahren mache ich viel eigenes Material. Das sind Bearbeitungen, die es nicht auf Platte gibt, nur auf dem Stick. Wer den Sound mag, muss in den Club kommen, um sich das anzuhören. Das finde ich ganz nice.
Platten wollen Sie keine mehr veröffentlichen?
Doch, dieses Jahr sind noch ein paar Releases geplant. Ich versuche gerade ein neues Genre zu prägen, ich nenne es „Protestdisco“. Disco ist ja eine sehr positive Kraft, die verbindet und nicht trennt. Gerade in diesen dystopischen, paranoiden Zeiten möchte ich daran erinnern und in diesem Geist Musik machen. In einem Song, den ich gemacht habe, heißt es: „No more hating and trashing“. Das ist eine bescheidene kleine und doch große Message, die ich mit dem DJ Eric D. Clark als Platte droppen werde. Zwei Songs und zwei Remixes werden darauf sein.
Wann erscheint sie?
Im Frühling, wenn es wärmer wird und die Lebensgeister wach werden. Ich freue mich ganz schön drauf. Die Songs spiele ich ja schon eine ganze Weile in meinen Sets. Der totale Burner. Die Leute feiern sie, auch die Message.
Hans Nieswandt wurde 1964 in Mannheim geboren. Er ist DJ, Musikproduzent, Journalist und Buchautor und legt seit den 1990ern in Clubs in ganz Deutschland auf. Seit Januar 2014 ist er künstlerischer Leiter des Master-Studiengangs Popmusik am Institut für Populäre Musik der Folkwang Universität der Künste in Bochum. Er lebt in Köln und London.
Chocolat Spezial w/ Hans Nieswandt, 2. Februar 2019, 22 Uhr bis 5 Uhr, Eros49, Elbestraße 49.
31. Januar 2019, 12.44 Uhr
Isabel Hempen
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19. November 2024
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