Partner
Dosch@Berlinale 2019
Episode III: Möge Der Bär mit Dir sein!
Die 69. Berlinale biegt bereits in die Finalrunde ein. Unser Filmredakteur Andreas Dosch hat seine persönlichen Erfahrungen noch einmal in ein paar Worten zusammengefasst. Langweilig ist ihm nicht geworden.
Seltsam, wie sich das ergibt. Da wollte ich mir eigentlich die bereits im Vorfeld hochgelobte britische Gesellschaftsstudie „The Souvenir“ mit Tilda Swinton anschauen. Aber weil es noch viel Zeit zu überbrücken gab, setzte ich mich kurzerhand im selben Kino bereits in die davor liegende Veranstaltung. Ein deutscher Film, au Backe. Aber sympathische 89 Minuten kurz – während es hier gefühlt 75 Prozent aller Beiträge kaum noch unter 115 Minuten machen (Spitzenreiter: die „Watergate“-Doku im Panorama mit über vier Stunden). Noch dazu klang die Beschreibung einnehmend, außerdem ist Regisseur Xaver Böhm nebenberuflich Comiczeichner: nett. Was hatte ich also zu verlieren: Wenn's blöd läuft, gehste nach 45 Minuten raus und wartest auf den Beginn von „Souvenir“. Lief aber nicht blöd – im Gegenteil.
Manchmal weiß man schon nach wenigen Bildeinstellungen, dass einem der Film echt gefallen wird. So verhielt es sich auch mit „O Beautiful Night“, um den Titel jetzt mal aus dem Sack zu lassen. Das Comic-Bilddesign war klar zu erkennen, da sich das Geschehen in nur einer Nacht abspielt. Ich liebe „Nur eine Nacht“-Filme! „Absolute Giganten“ und Martin Scorseses „After Hours“ kamen mir spontan in den Sinn, wenn der schüchterne Extrem-Hypochonder Juri in einer verranzten Spielothek dem Tod begegnet, der dort bereits auf ihn wartet. Der Sensenmann entpuppt sich als schäbiger Russe, raucht, trinkt, besucht Bordelle. Außerdem klaut er Fahrräder und Autos. Für beide beginnt eine ereignisreiche nächtliche Odyssee, bei der sich Juri auch noch in eine Nietzsche-lesende Peep-Show-Angestellte verknallt. Apropos verlieben: Spätestens bei dem Satz „Oh nein, das ist der Wagen vom Schmetterlingsmann“ hatte mich der Film – aber so was von! Ich blieb bis zum Ende. Und kam – Premiere auf dieser 69. Berlinale! – mit einem zufriedenen Lächeln wieder raus. Dieses jedoch fiel mir aus dem Gesicht, als ich die Warteschlange erblickte, die sich mittlerweile für „The Souvenir“ gebildet und weit über die Hälfte des nicht gerade kurzen Kinofoyers eingenommen hatte (inklusive Kurven in den Imbissbereich). Okay, heute also keine Tilda. Auch gut, gehen wir doch mal in Ruhe was essen …
Das ist das Tolle an einem Festival wie der Berlinale: Man kann anhand des überbordenden Filmangebotes aus dem Vollen schöpfen und wird oftmals zum Improvisieren gezwungen. In den cinephilen Tagen hier habe ich meinen persönlichen Program-Planner (ein Stück Papier, konfus vollgekritzelt) diverse Male umgeworfen, weil Angebote in meine Ohren oder an meine Augen drangen, die ich einfach nicht ablehnen konnte. „O Beautiful Night“ war da sicher das unverhoffte Highlight. Doch auch den Besuch des in mysteriöser Stimmung versunkenen Arthouse-Gruslers „Répertoires des Villes Disparues“ („Ghost Town Anthology“) vom Kanadier Denis Coté hatte ich zu Beginn nicht auf dem Zettel. Stellen Sie sich „Night of the Living Dead“ (das Original) oder auch John Carpenters „The Fog“ ohne die vordergründigen Schockeffekte und die damit verbundene Action vor (aber wirklich völlig ohne, abgesehen vielleicht von einer quietschenden Tür), dann ist man halbwegs im Bilde. Ein Film aus dem Wettbewerb übrigens. Wenn der den grobkörnigen Zeitlupen-Zombie-Eisbär gewinnt, wäre ich froh.
Womit wir wieder bei der heiteren Berlinale-Vorabverleihung auf diesem JOURNAL-Spot angelangt wären. Ausgehend von einer Woche Filmfestival, denn mehr halte ich beim besten Willen nicht durch. Da bekommt „O Beautiful Night“ natürlich meinen Ehrenpreis: den Grim-Reaper-Bear mit Kippe im Maul. Dicht gefolgt vom ungewaschenen, notgeilen Doppelkorn-Petz für „Der Goldene Handschuh“ (dieses Ding kann sogar sprechen, aber Sie möchten jetzt nicht hören, was es zu sagen hat). Ein heiliges Leidensbärchen mit Dornenkrone, am Kruzifix hängend (auch als Halskette erhältlich), bitte für „Grâce à Dieu“, François Ozons ernstes Vatikan-Bashing. Der weißbärtige, Märchen erzählende Schnarchbär geht an Mario Adorf (eine Doku über ihn wurde hier gezeigt). Das schneidige Surfboard mit „fucking ultracoolem“ Bärli-Graffiti möchte ich Jonah Hills „Mid90s“ widmen. Ein als Donald J. Trump verkleideter, ständig twitternder, eigentlich voll liberaler und immer einen Tick besserwisserischer Erklärbär sei „Vice“ gegönnt, schon jetzt einem meiner Top-Filme von 2019. Und die große Übermutterbärin kam in Gestalt von Kult-Filmkritikerin Pauline Kael daher, der ein gesamter Kinosaal voller Rezensenten meiner Sorte ob der Doku-Biografie „What She Said: The Art of Pauline Kael“ geschlossen huldigte. Sie merken: An „Bär-linalen“ Wortspielchen mangelt es nicht (ha ha). Wer die Preise letztendlich bekommt, wird sich zeigen. Ich tippe Gold-mäßig auf den mazedonischen Wettbewerbsbeitrag „Gospod Postoi, Imeto I' E Petrunija“. Aber in der Zeit, in der ich den Titel eingetippt habe, hat man auch den Film gesehen.
Das ist das Blöde: Ich erzähle hier, was mir an filmischen Offenbarungen so widerfahren ist (oder auch nicht). Doch Sie als Leser können wenig damit anfangen. Wer weiß denn schon, welches der beschriebenen Werke letztlich seinen Weg in deutsche (und dann auch noch in Frankfurter) Kinos findet?! Wie man hier auf der Berlinale sagt: „It's a matter of distribution.“ Bleibt ein Letztes: Lohnt es sich überhaupt noch, während einer kalten Februarwoche in dieses paranoide Kino-Paralleluniversum einzutauchen, wo man sich irgendwie verloren und geborgen zugleich fühlt? Grübel … Das wahre Leben ist es jedenfalls nicht – selbst wenn mancher Festivalbeitrag komplett gegenteilig argumentiert. Nicht wenige Ureinwohner, denen ich begegne, stellen mir stets Kopf kratzend die Frage: „Ach, ist Berlinale, wann geht’s denn los?!“ Mein Fazit für die 69. Internationalen Filmfestspiele Berlin lautet also: Ich habe einige gute Filme gesehen. Wenige schlechte. Zum Glück. Ich habe einem Zuschauer seine Mütze gerettet, weil die im Kino unwissentlich runter gefallen war und dort auch vergessen und totgetrampelt worden wäre, hätte ich sie ihm nicht rechtzeitig aufgehoben und zurück gegeben. Ich habe einem gehbehinderten Mann dabei geholfen, in den Kinoeingang zu gelangen, in dem ich versuchte, die metallenen Hinderniszäune zur Seite zu schieben und die fest gestampfte Eingangstür zum Kino wieder loszumachen. Ich habe einem Kollegen, der vor mir auf dem Klo saß, seine Presse-Akkreditierung hinterher getragen, die er auf der Toilette hatte hängen lassen. Insofern: Gut, dass ich da war.
Manchmal weiß man schon nach wenigen Bildeinstellungen, dass einem der Film echt gefallen wird. So verhielt es sich auch mit „O Beautiful Night“, um den Titel jetzt mal aus dem Sack zu lassen. Das Comic-Bilddesign war klar zu erkennen, da sich das Geschehen in nur einer Nacht abspielt. Ich liebe „Nur eine Nacht“-Filme! „Absolute Giganten“ und Martin Scorseses „After Hours“ kamen mir spontan in den Sinn, wenn der schüchterne Extrem-Hypochonder Juri in einer verranzten Spielothek dem Tod begegnet, der dort bereits auf ihn wartet. Der Sensenmann entpuppt sich als schäbiger Russe, raucht, trinkt, besucht Bordelle. Außerdem klaut er Fahrräder und Autos. Für beide beginnt eine ereignisreiche nächtliche Odyssee, bei der sich Juri auch noch in eine Nietzsche-lesende Peep-Show-Angestellte verknallt. Apropos verlieben: Spätestens bei dem Satz „Oh nein, das ist der Wagen vom Schmetterlingsmann“ hatte mich der Film – aber so was von! Ich blieb bis zum Ende. Und kam – Premiere auf dieser 69. Berlinale! – mit einem zufriedenen Lächeln wieder raus. Dieses jedoch fiel mir aus dem Gesicht, als ich die Warteschlange erblickte, die sich mittlerweile für „The Souvenir“ gebildet und weit über die Hälfte des nicht gerade kurzen Kinofoyers eingenommen hatte (inklusive Kurven in den Imbissbereich). Okay, heute also keine Tilda. Auch gut, gehen wir doch mal in Ruhe was essen …
Das ist das Tolle an einem Festival wie der Berlinale: Man kann anhand des überbordenden Filmangebotes aus dem Vollen schöpfen und wird oftmals zum Improvisieren gezwungen. In den cinephilen Tagen hier habe ich meinen persönlichen Program-Planner (ein Stück Papier, konfus vollgekritzelt) diverse Male umgeworfen, weil Angebote in meine Ohren oder an meine Augen drangen, die ich einfach nicht ablehnen konnte. „O Beautiful Night“ war da sicher das unverhoffte Highlight. Doch auch den Besuch des in mysteriöser Stimmung versunkenen Arthouse-Gruslers „Répertoires des Villes Disparues“ („Ghost Town Anthology“) vom Kanadier Denis Coté hatte ich zu Beginn nicht auf dem Zettel. Stellen Sie sich „Night of the Living Dead“ (das Original) oder auch John Carpenters „The Fog“ ohne die vordergründigen Schockeffekte und die damit verbundene Action vor (aber wirklich völlig ohne, abgesehen vielleicht von einer quietschenden Tür), dann ist man halbwegs im Bilde. Ein Film aus dem Wettbewerb übrigens. Wenn der den grobkörnigen Zeitlupen-Zombie-Eisbär gewinnt, wäre ich froh.
Womit wir wieder bei der heiteren Berlinale-Vorabverleihung auf diesem JOURNAL-Spot angelangt wären. Ausgehend von einer Woche Filmfestival, denn mehr halte ich beim besten Willen nicht durch. Da bekommt „O Beautiful Night“ natürlich meinen Ehrenpreis: den Grim-Reaper-Bear mit Kippe im Maul. Dicht gefolgt vom ungewaschenen, notgeilen Doppelkorn-Petz für „Der Goldene Handschuh“ (dieses Ding kann sogar sprechen, aber Sie möchten jetzt nicht hören, was es zu sagen hat). Ein heiliges Leidensbärchen mit Dornenkrone, am Kruzifix hängend (auch als Halskette erhältlich), bitte für „Grâce à Dieu“, François Ozons ernstes Vatikan-Bashing. Der weißbärtige, Märchen erzählende Schnarchbär geht an Mario Adorf (eine Doku über ihn wurde hier gezeigt). Das schneidige Surfboard mit „fucking ultracoolem“ Bärli-Graffiti möchte ich Jonah Hills „Mid90s“ widmen. Ein als Donald J. Trump verkleideter, ständig twitternder, eigentlich voll liberaler und immer einen Tick besserwisserischer Erklärbär sei „Vice“ gegönnt, schon jetzt einem meiner Top-Filme von 2019. Und die große Übermutterbärin kam in Gestalt von Kult-Filmkritikerin Pauline Kael daher, der ein gesamter Kinosaal voller Rezensenten meiner Sorte ob der Doku-Biografie „What She Said: The Art of Pauline Kael“ geschlossen huldigte. Sie merken: An „Bär-linalen“ Wortspielchen mangelt es nicht (ha ha). Wer die Preise letztendlich bekommt, wird sich zeigen. Ich tippe Gold-mäßig auf den mazedonischen Wettbewerbsbeitrag „Gospod Postoi, Imeto I' E Petrunija“. Aber in der Zeit, in der ich den Titel eingetippt habe, hat man auch den Film gesehen.
Das ist das Blöde: Ich erzähle hier, was mir an filmischen Offenbarungen so widerfahren ist (oder auch nicht). Doch Sie als Leser können wenig damit anfangen. Wer weiß denn schon, welches der beschriebenen Werke letztlich seinen Weg in deutsche (und dann auch noch in Frankfurter) Kinos findet?! Wie man hier auf der Berlinale sagt: „It's a matter of distribution.“ Bleibt ein Letztes: Lohnt es sich überhaupt noch, während einer kalten Februarwoche in dieses paranoide Kino-Paralleluniversum einzutauchen, wo man sich irgendwie verloren und geborgen zugleich fühlt? Grübel … Das wahre Leben ist es jedenfalls nicht – selbst wenn mancher Festivalbeitrag komplett gegenteilig argumentiert. Nicht wenige Ureinwohner, denen ich begegne, stellen mir stets Kopf kratzend die Frage: „Ach, ist Berlinale, wann geht’s denn los?!“ Mein Fazit für die 69. Internationalen Filmfestspiele Berlin lautet also: Ich habe einige gute Filme gesehen. Wenige schlechte. Zum Glück. Ich habe einem Zuschauer seine Mütze gerettet, weil die im Kino unwissentlich runter gefallen war und dort auch vergessen und totgetrampelt worden wäre, hätte ich sie ihm nicht rechtzeitig aufgehoben und zurück gegeben. Ich habe einem gehbehinderten Mann dabei geholfen, in den Kinoeingang zu gelangen, in dem ich versuchte, die metallenen Hinderniszäune zur Seite zu schieben und die fest gestampfte Eingangstür zum Kino wieder loszumachen. Ich habe einem Kollegen, der vor mir auf dem Klo saß, seine Presse-Akkreditierung hinterher getragen, die er auf der Toilette hatte hängen lassen. Insofern: Gut, dass ich da war.
14. Februar 2019, 09.38 Uhr
Andreas Dosch
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Frankfurter Katharinenkirche
Den Sorte Skole: Reise in eine mystische Dimension
Auf „A Journey Into Mystic Dimensions“ lädt das dänische Duo Den Sorte Skole in die Katharinenkirche ein. Zusammen mit den Lichtkünstlern Vertigo und Organist Martin Lücker wird „Refrakto“ wieder aufgeführt.
Text: Detlef Kinsler / Foto: Den Sorte Skole © Kristoffer Juel Poulsen
KulturMeistgelesen
- Frankfurt-OstendTango trifft Poesie im Kunstverein Familie Montez
- Kunstausstellung in EschbornGesammelte Fotografien der Deutschen Börse
- Lilian Thuram in FrankfurtFranzösische Fußballlegende spricht über Rassismus
- Schirn Kunsthalle FrankfurtDie Kräfte neu vermessen
- Weltkulturen Museum Frankfurt„Country bin pull‘em" erweckt mystische Wesen zum Leben
19. November 2024
Journal Tagestipps
Freie Stellen