Partner
Der andere Revisionismus
Bald, sagt Jutta Ditfurth, wird er wieder losgehen, der Geschichtsrevisionismus. Die Ausstellung über die 68er, die die Stadt zusammen mit der Frankfurter Rundschau für das kommende Jahr plane, werde die ewig gleichen Gesichter auf den Plan rufen. Daniel Cohn-Bendit und Götz Aly und alle anderen werden sich erinnern, wie das damals war und das die Außerparlamentarische Opposition schon immer gewalttätig gewesen wäre. Dieser zu befürchtende Macho-Aufmarsch der Apo-Opas ärgert Jutta Ditfurth. Es wird, um es mit ihren Worten zu sagen, wieder mal Quatsch erzählt werden. Quatsch wie er auch über diese andere Person der damaligen Revoltenzeit immer wieder kolportiert werde. "Im Grunde beziehen sich alle Bücher und Publikationen über Ulrike Meinhof auf drei vergiftete Quellen", sagt Jutta Ditfurth.
Ihre Lesung im Stalburg-Theater ist gut besucht, Hausmeister Michi Herl will schon Leute wegschicken, aber am Ende kommen doch noch alle rein in die gute Stube. "Ich bin so aufgeregt. Und das obwohl ich an einem Ort bin, den ich lange kenne, vor Leuten die ich kenne", sagt Jutta Ditfurth. Dann schlägt sie ihr Post-it-gespicktes Exemplar von "Ulrike Meinhof, die Biografie" auf, sagt noch, das sie springen müsse bei diesem dicken Wälzer sei das gar nicht anders möglich. Ihr Publikum: Weggefährten, Zeitgenossen, aber auch junge Menschen. Der Duft von Latte Macchiato und frischem Pfefferminztee liegt in der Luft. Tauchen wir ein in das Leben einer Terroristin. Terroristin. Wiederholen wir das Wort ruhig noch einmal. Denn während der Lesung wird es nicht fallen.
Jutta Ditfurth erwartet den Protest gegen ihr Buch. "Es ist erstaunlich, dass sich die erste Diskussion um das Buch in der Nordwest-Zeitung aus Oldenburg entzündet hat." Im Buch erhebt sie Vorwürfe gegen das dortige Cäciliengymnasium, das Ulrike Meinhof für einige Monate im Sommer 1952 besuchte. Im Zeugnis ist davon die Rede, dass sich Ulrike nur schwer in eine Gemeinschaft einfügen könne. Ist da schon der Keim für die militante Systemkritikerin gelegt? Ditfurth antwortet in einem Interview mit der Norwest-Zeitung:
Das habe natürlich den heutigen Direktor der Schule auf den Plan gerufen, der sich gegen solcherlei Verunglimpfung verwahrte.
Es wird nicht die einzige Diskussion um das Buch bleiben. Zwei Wochen lang habe sie bei einem Hamburger Anwalt gesessen und um das Buch gestritten, insbesondere auch um Passagen, die um Klaus Rainer Röhl kreisen, den Mann Ulrike Meinhofs, "eine schreckliche Person".
Von den Schilderungen der Kindheit und Jugend Meinhofs schlägt Ditfurth, eingebettet in farbig-schillernde Anekdoten und Schilderungen längst vergangener Zeiten, den Bogen bis zur Verabschiedung in den Untergrund, in die Illegalität und schließlich bis zum Tod der Meinhof im Gefängnis, dem die Frankfurter Publizistin etliche Fragezeichen hinzufügt. War es Selbstmord? War es Mord? "Ich weiß es schlicht nicht", sagt Ditfurth. Dann holt sie doch noch einmal aus. Erzählt von der fragwürdigen Obduktion der Leiche, die beim Zweitgutachten schon dermaßen zerstückelt ist, dass von einer wissenschaftlich genauen Untersuchung keine Rede mehr sein kann. Sie widmet sich ausführlich den Haftbedingungen, unmenschliche Folter im Stammheim.
"Ich habe ein Jahr lang versucht, mich auf das wissenschaftliche Material zu stürzen." Doch das gab nichts her. Es sei viel Quatsch geschrieben worden. Sechs Jahre lang hat Jutta Ditfurth nach eigenen Angaben recherchiert im alten Sinn, hat Zeitzeugen aufgesucht, "Staub gefressen" in den Archiven dieser Republik. Als sie erzählt und später noch Fragen beantwortet, nicken viele im Publikum, sagen "Ja, so war's". Es ist ein dankbares Publikum, keine Jung-Unionisten, keine 68er-Revisionisten und vor allem kein Stefan Aust. Aust, der einst die Kinder der Meinhof wieder beim Papa ablieferte, dem Monster, das zuvor nichts von ihnen wissen wollte, ja sogar, aber hier muss Jutta Ditfurth vorsichtig sein, sie lieber woanders sehen wollte. "Wenn ihr mich zitiert, werde ich natürlich alles abstreiten", sagt sie und lächelt leise. Die Fragen, sie kommen, an diesem Samstagnachmittag in der Glauburgstraße, doch sie kommen nur zögerlich. "Jetzt diskutiert doch noch ein wenig", fordert Ditfurth. So ist es wohl: die Diskussionen über dieses Buch werden dort stattfinden, wo es nicht gelesen wird. In den Häusern der Geschichtsrevisionisten und Altnazis und Die-68er-waren-an-allem-schuld-Apologeten.
Mit Aust endet nach etwas über zwei Stunden diese erste Lesung aus der Meinhof-Biografie. Es scheint ein Reizwort zu sein bei Jutta Ditfurth. Der RAF-Zweiteiler des Hamburger Journalisten und Noch-Spiegel-Chefredakteurs: ein perfides Machwerk, in dem der Rechtsradikale Horst Mahler "schön ausgeleuchtet" seine Erinnerungen pflegen kann. "Da wurde gar nichts erklärt." Vielleicht ist das Buch so zu verstehen. Als eine Erklärung des Menschen Ulrike Meinhof. Nicht der Terroristin Ulrike Meinhof. Über letztere haben wir dieses Jahr nun auch wirklich schon genug gehört.
Jutta Ditfurth: "Ulrike Meinhof. Die Biografie", Ullstein 2007, 22,90 Euro.
Ihre Lesung im Stalburg-Theater ist gut besucht, Hausmeister Michi Herl will schon Leute wegschicken, aber am Ende kommen doch noch alle rein in die gute Stube. "Ich bin so aufgeregt. Und das obwohl ich an einem Ort bin, den ich lange kenne, vor Leuten die ich kenne", sagt Jutta Ditfurth. Dann schlägt sie ihr Post-it-gespicktes Exemplar von "Ulrike Meinhof, die Biografie" auf, sagt noch, das sie springen müsse bei diesem dicken Wälzer sei das gar nicht anders möglich. Ihr Publikum: Weggefährten, Zeitgenossen, aber auch junge Menschen. Der Duft von Latte Macchiato und frischem Pfefferminztee liegt in der Luft. Tauchen wir ein in das Leben einer Terroristin. Terroristin. Wiederholen wir das Wort ruhig noch einmal. Denn während der Lesung wird es nicht fallen.
Jutta Ditfurth erwartet den Protest gegen ihr Buch. "Es ist erstaunlich, dass sich die erste Diskussion um das Buch in der Nordwest-Zeitung aus Oldenburg entzündet hat." Im Buch erhebt sie Vorwürfe gegen das dortige Cäciliengymnasium, das Ulrike Meinhof für einige Monate im Sommer 1952 besuchte. Im Zeugnis ist davon die Rede, dass sich Ulrike nur schwer in eine Gemeinschaft einfügen könne. Ist da schon der Keim für die militante Systemkritikerin gelegt? Ditfurth antwortet in einem Interview mit der Norwest-Zeitung:
Nein, das ist eher ein Zeichen dafür, wie gnadenlos beschränkt das Gymnasium ist, das sie da verlässt und das einer Schülerin eine so bösartige Bemerkung hinterherruft.
Das habe natürlich den heutigen Direktor der Schule auf den Plan gerufen, der sich gegen solcherlei Verunglimpfung verwahrte.
Es wird nicht die einzige Diskussion um das Buch bleiben. Zwei Wochen lang habe sie bei einem Hamburger Anwalt gesessen und um das Buch gestritten, insbesondere auch um Passagen, die um Klaus Rainer Röhl kreisen, den Mann Ulrike Meinhofs, "eine schreckliche Person".
Von den Schilderungen der Kindheit und Jugend Meinhofs schlägt Ditfurth, eingebettet in farbig-schillernde Anekdoten und Schilderungen längst vergangener Zeiten, den Bogen bis zur Verabschiedung in den Untergrund, in die Illegalität und schließlich bis zum Tod der Meinhof im Gefängnis, dem die Frankfurter Publizistin etliche Fragezeichen hinzufügt. War es Selbstmord? War es Mord? "Ich weiß es schlicht nicht", sagt Ditfurth. Dann holt sie doch noch einmal aus. Erzählt von der fragwürdigen Obduktion der Leiche, die beim Zweitgutachten schon dermaßen zerstückelt ist, dass von einer wissenschaftlich genauen Untersuchung keine Rede mehr sein kann. Sie widmet sich ausführlich den Haftbedingungen, unmenschliche Folter im Stammheim.
"Ich habe ein Jahr lang versucht, mich auf das wissenschaftliche Material zu stürzen." Doch das gab nichts her. Es sei viel Quatsch geschrieben worden. Sechs Jahre lang hat Jutta Ditfurth nach eigenen Angaben recherchiert im alten Sinn, hat Zeitzeugen aufgesucht, "Staub gefressen" in den Archiven dieser Republik. Als sie erzählt und später noch Fragen beantwortet, nicken viele im Publikum, sagen "Ja, so war's". Es ist ein dankbares Publikum, keine Jung-Unionisten, keine 68er-Revisionisten und vor allem kein Stefan Aust. Aust, der einst die Kinder der Meinhof wieder beim Papa ablieferte, dem Monster, das zuvor nichts von ihnen wissen wollte, ja sogar, aber hier muss Jutta Ditfurth vorsichtig sein, sie lieber woanders sehen wollte. "Wenn ihr mich zitiert, werde ich natürlich alles abstreiten", sagt sie und lächelt leise. Die Fragen, sie kommen, an diesem Samstagnachmittag in der Glauburgstraße, doch sie kommen nur zögerlich. "Jetzt diskutiert doch noch ein wenig", fordert Ditfurth. So ist es wohl: die Diskussionen über dieses Buch werden dort stattfinden, wo es nicht gelesen wird. In den Häusern der Geschichtsrevisionisten und Altnazis und Die-68er-waren-an-allem-schuld-Apologeten.
Mit Aust endet nach etwas über zwei Stunden diese erste Lesung aus der Meinhof-Biografie. Es scheint ein Reizwort zu sein bei Jutta Ditfurth. Der RAF-Zweiteiler des Hamburger Journalisten und Noch-Spiegel-Chefredakteurs: ein perfides Machwerk, in dem der Rechtsradikale Horst Mahler "schön ausgeleuchtet" seine Erinnerungen pflegen kann. "Da wurde gar nichts erklärt." Vielleicht ist das Buch so zu verstehen. Als eine Erklärung des Menschen Ulrike Meinhof. Nicht der Terroristin Ulrike Meinhof. Über letztere haben wir dieses Jahr nun auch wirklich schon genug gehört.
Jutta Ditfurth: "Ulrike Meinhof. Die Biografie", Ullstein 2007, 22,90 Euro.
19. November 2007, 12.03 Uhr
Nils Bremer
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Sieben Vorführungen in Frankfurt
Italo-Französische Filmwoche
Auch in diesem November heißt es wieder: Frankreich gegen Italien. Die französische Filmwoche und Verso Sud buhlen erneut parallel um die Zuschauergunst als letzte Frankfurter Filmreihen in diesem Jahr.
Text: Gregor Ries / Foto: Der Porträtfilm „Ciao, Marcello - Mastroianni L'Antidivo” von Regisseur Fabrizio Corallo © DFF
KulturMeistgelesen
- Kunstausstellung in EschbornGesammelte Fotografien der Deutschen Börse
- Lilian Thuram in FrankfurtFranzösische Fußballlegende spricht über Rassismus
- Literatur in FrankfurtNeue Lesebühne im Café Mutz
- Filmfestival in WiesbadenExground Filmfest legt Fokus auf Flucht und Migration
- No Other LandEin Skandalfilm, der keiner sein will
23. November 2024
Journal Tagestipps
Freie Stellen