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Demokratie gestalten

„Niemand sonst macht das, was die Kunst macht“

Ein Museum der Gegenwart kann nicht mehr nur ein Museum für Malerei und Skulptur sein. Es geht darum, Beobachterinnen und Beobachtern die Auseinandersetzung mit Gegenwarts-Kunst zu ermöglichen. Doch wie gelingt das dem Museum für Moderne Kunst (MMK)? Ein Gastbeitrag von Susanne Pfeffer.
Eine der Aufgaben des MMK besteht darin, jeder Beobachterin und jedem Beobachter die Erfahrung der Auseinandersetzung mit moderner und Gegenwarts-Kunst zu ermöglichen. Das ist insofern voraussetzungsreich geworden, als sich die Kunst oder das Kunstsystem auf eine ähnliche Weise ausdifferenziert und verästelt hat, wie es die Wissenschaften oder das Recht auch getan haben.

Ein Museum der Gegenwart kann deshalb nicht mehr nur ein Museum für Malerei und Skulptur sein. Es muss, wenn es den Praktiken seiner Zeit folgen will, auch andere Sparten oder Methoden wie Fotografie, Film, Installation, Performance und Digitales in den Blick nehmen. Am besten – und auch für das Publikum am einfachsten nachvollziehbar – kann das gelingen, wenn das Museum sich als Partner in der Produktion und Präsentation von Gegenwartskünstlerinnen begreift.

Susanne Pfeffer: Museen sind mittlerweile ausdifferenziert wie die Wissenschaften

Das MMK hat das in einer Reihe von Ausstellungen im MUSEUM, im TOWER und auch im ZOLLAMT mit Künstlerinnen wie Julien Creuzet, Jana Euler, Lungiswa Gqunta, Anne Imhof, Kapwani Kiwanga, Mire Lee, Henrike Naumann, Emeka Ogboh, Precious Okomoyon, und aktuell The Critic Company versucht. Sie haben jeweils Neuproduktionen, die auf den Ausstellungsort hin erarbeitet worden sind, erdacht und ausgeführt. Das bedeutet, für jetzt, den Raum, die Besucherinnen und Frankfurt.

Dabei war die physische Anwesenheit der Künstlerinnen nicht nur für die Ausführung und den Aufbau von Bedeutung. In Zusammenarbeit mit dem Vermittlungsteam des Museums werden seit 2020 die Ausstellungen mit einem Heft, in leichter Sprache verfasst, begleitet. Dazu gibt es für Menschen mit Seh- und Hörbeeinträchtigungen begleitende Bildbeschreibungen und Übersetzungen in Gebärdensprache.

MMK bietet seit 2020 barrierefreie Hefte zu den Ausstellungen

Wenn man unter Demokratie die stetige Ausweitung der Personenkreise versteht, die an den gesellschaftlichen Handlungs- und Kommunikationsprozessen teilhaben können, sind das Versuche, die Ausstellungen in diese Richtung zugänglicher zu machen. Ein Museum für moderne Kunst, die allgemein als erklärungs- und „kommentarbedürftig“ verstanden wird, steht dann aber immer noch vor dem Problem, die der Kunst eigenen Formen und Formsprachen dem Publikum zu erklären zu versuchen.

Denn wenn die Kunst ihre Eigenständigkeit gegenüber anderen Formen des Weltzugangs wie den Wissenschaften oder der Philosophie gewinnt oder behauptet, tut sie es durch ihre je eigenen Formen. Formelhaft könnte man sagen: Niemand sonst macht das, was die Kunst macht. Dabei hat die Kunst mit dem Beginn der Moderne im 19. Jahrhundert ihre Gegenstands- und Themenbereiche stetig ausgeweitet, so dass man heute Joseph Beuys Forderung, nach der jeder Aspekt des Lebens auch in die Kunst Einlass erhalten sollte, als fast schon erfüllt betrachten kann.

Susanne Pfeffer: Niemand sonst macht das, was die Kunst macht

Was aber auch durch die erfolgreiche Arbeit von Kunsthochschulen und -akademien zu einer hochspezialisierten und hochdifferenzierten Produktion von Kunst führt, macht es für Museen nicht unbedingt einfacher den Überblick über das Gesamtsystem zu behalten, um von der Repräsentation hier zu schweigen. Ein Museum muss deshalb zwangsläufig eine Auswahl treffen, eigene Schwerpunkte setzen und auf den Anspruch verzichten, die gesamte Entwicklung und Produktion repräsentieren zu können.

Was ein Museum aber machen kann, ist, Tendenzen und entscheidende Entwicklungsschritte in der modernen Kunst immer wieder einer Überprüfung und Neuinterpretation zu unterziehen. Am Beispiel einer möglichst umfassenden Ausstellung der Werke und des Denkens Marcel Duchamps kann man versuchen zu zeigen, wie das gehen könnte.

Museen können nicht eine gesamte Entwicklung und Produktion repräsentieren

Marcel Duchamp ist dafür bekannt, als derjenige zu gelten, der die Überführung von Alltagsgegenständen in den Raum der Kunst eingeführt hat. Die sogenannten Ready-Mades, von denen das Urinal und der Flaschentrockner wohl die bekanntesten sind, sind zu Duchamps Markenzeichen geworden. Was heute unter anderem durch Andy Warhols Übernahme der Praktik, indem er z.B. Campbells Suppendose zum Kunstobjekt machte, eine gängige und akzeptierte Methode der Kunst ist, ist in Duchamps Werk weder in seiner Auswahl beliebig, noch vom Himmel gefallen.

Beispiel für solch eine Praxis: Marcel Duchamps Werk

Duchamps Überlegung, ein Werk zu schaffen, das ein Werk der Kunst ist, ohne ein Kunstwerk in dem Sinn zu sein, dass er es mit seinen eigenen Händen geschaffen hatte, war eine Folge seiner ständigen Auseinandersetzungen mit der Kunst und den Künstlerinnen seiner Zeit. Um aber nachvollziehbar zu zeigen, wie die Ready-Mades sich in Duchamps individuelle Kunst sowie die Entwicklung der Kunst in seiner Zeit fügen, bot es sich an, die Objekte im MMK zu zeigen.

Von da aus in die Entwicklung der künstlerischen Aktivitäten Duchamps einzusteigen, war so etwas wie ein Wegweiser auch in die künstlerischen wie politischen Debatten seiner Zeit. Dass Duchamp als junger Mensch als Maler von Landschaftsszenen und Porträts begonnen hatte, der sich über eine kurze Zeit als Karikaturist zu einem exzeptionellen Vertreter des Kubismus entwickelte, ließ sich dann anhand der Arbeiten aus diesen Zeiten wie ein Bild-Entwicklungsroman erzählen, ohne die Geschichte als zwangsläufig erscheinen zu lassen.

Duchamp als Wegweiser in künstlerischen und politischen Debatten seiner Zeit

Es war immer eine Mischung aus von der Zeit erzwungenen und individuell freien Entscheidungen, die Duchamps Wegmarken bestimmten. So war die erste Flucht nach New York der tödlichen Bedrohung durch den Ersten Weltkrieg geschuldet, während die Übersiedlung aus dem Zentrum von Paris an den Stadtrand aus dem Entschluss folgte, nach seinen Pariser Bohèmejahren auf dem Land wieder zur Ruhe zu kommen.

In beiden Fällen führten die Ortswechsel zu einem Umbruch in seinen ästhetischen Entscheidungen. Das New York in der Zeit des Ersten Weltkriegs wurde zu dem Ort, an dem die Idee für die Ready-Mades zur Ausführung reifte. Duchamp hat mit ihnen auch auf ein Wahrnehmungsprinzip vertraut, dass so etwas wie die Grundbewegung der Moderne nach ihm wurde: nämlich das Changieren zwischen Wiedererkennung und Überraschung.

Jede und jeder kennt ein Fahrrad oder Urinal, die Überraschung folgt aus der Tatsache, die Gegenstände als Kunst, und dann noch signiert, präsentiert zu bekommen. Für den Wahrnehmungsprozess bedeutet diese Infragestellung der Kunstpraxis durch die Ready-Mades, dass er die zögernden Beobachterinnen dazu anregen kann, sich andere Möglichkeiten der Darstellung zu überlegen. Was nach der Handlungstheorie Hannah Arendts ein genuin demokratischer Akt ist: über die Wahrnehmung bestimmter Phänomene zur versuchsweisen Ausbildung variierender Optionen zu gelangen.

Info
Susanne Pfeffer, geboren 1973, ist Kunsthistorikerin und Kuratorin. Seit Januar 2018 ist sie Direktorin des Museums für Moderne Kunst (MMK) Frankfurt. Zum 1. Januar 2019 wurde sie außerdem zur Honorarprofessorin im Fachbereich Kunst an der HfG Offenbach ernannt. Dort lehrt sie im Bereich Ausstellung und Vermittlung von Gegenwartskunst.


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Dieser Text ist als vierzehnter Teil unserer „Demokratie gestalten“-Reihe in der August-Ausgabe (8/23) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
 
Fotogalerie:
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23. August 2023, 12.30 Uhr
Susanne Pfeffer
 
 
 
 
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