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Brexit
English Theatre: Die ständige Ungewissheit
Am 1. Februar hat Großbritannien die EU verlassen. Die Folgen des Brexits werden auch im größten englischsprachigen Theater auf dem europäischen Festland spürbar sein: dem English Theatre. Ein Gespräch mit Intendant Daniel Nicolai und Pressereferentin Caroline Winter.
JOURNAL FRANKFURT: Am 23. Juni 2016 haben mehr als 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler des Vereinigten Königreichs für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union gestimmt. Wie war Ihre Einschätzung vor dem Referendum?
Daniel Nicolai: Vor dreieinhalb Jahren, als das Referendum war, habe ich in einem Interview gesagt: „No, they will remain“. Zu dem Zeitpunkt geschah die Ermordung der Labour-Abgeordneten Jo Cox, so etwas emotionalisiert ja ein Land und solche Abstimmungen sind ja eine Art Momentaufnahme. Ich dachte daher, bei diesem Mord und der darauffolgende Medienresonanz stimmen die unmöglich noch für „leave“.
Und dann haben die Bürgerinnen und Bürger doch für „leave“ gestimmt.
Daniel Nicolai: Ja, da waren wir ziemlich überrascht. Ich habe nicht rumgefragt, aber ich glaube, das gilt auch für die meisten Mitarbeiter*innen. Wir haben auch Liebesbeziehungen, die über den Ärmelkanal bestehen, beispielsweise hat einer unserer Darsteller eine deutsche Partnerin, eine unserer ehemaligen Mitarbeiterinnen lebt jetzt in England. Die haben alle nicht geglaubt, dass der Brexit kommen wird.
Nun ist Großbritannien seit dem 1. Februar offiziell aus der EU ausgetreten. Wie ist die Stimmung bei Ihnen und Ihrem Team momentan?
Daniel Nicolai: Mittlerweile sind alle ermüdet von dem Hin und Her. Zwischendurch herrschte viel Unklarheit und wir wussten nicht, wie uns das ganze betreffen wird. Zum Beispiel wussten wir, dass das Ensemble, das noch da ist, noch ganz normal spielen kann, aber wir wussten nicht, wie das mit zukünftigen Schauspieler*innen ist. Jetzt sind zwar viele enttäuscht, aber auch froh, dass es Gewissheit gibt.
Caroline Winter: Eigentlich sind wir ja immer noch an dem Punkt, wo wir keine richtige Gewissheit haben und uns in einer Übergangszeit befinden. Bis Ende des Jahres wird hoffentlich viel Stück für Stück klar werden, aber ich glaube, dass sich da alle einig sind, dass bis dahin nicht alles geklärt sein wird.
Noch ist nicht sicher, was sich nach dem Brexit ändern wird. Großbritannien will nun bis Endes des Jahres über die Details des Austritts mit der EU verhandeln. Um welche möglichen Änderungen muss sich das English Theater Gedanken machen?
Daniel Nicolai: Die Menschen brauchen natürlich eine Arbeitserlaubnis. Das ist die kleinste Sorge, das wird Deutschland sicherlich regeln. Ein viel größeres Thema ist die Krankenversicherung. Momentan ist dies über die European Health Insurance Card geregelt, mit der Menschen aus der EU in Deutschland wie jeder gesetzlich versicherte behandelt werden. Da haben wir uns schon im Vorfeld erkundigt und da scheint es auch Lösungen zu geben, die allerdings Geld kosten würden. Zudem kommt da noch das Thema Besteuerung auf uns zu. Im Moment zahlen die Schauspieler*innen wie jeder Angestellte in Deutschland Einkommenssteuer und können in England dann auch einen Lohnsteuerjahresausgleich machen. Das würde wegfallen und zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, wodurch diese Regelung ersetzt wird. Im schlimmsten Fall würde eine Ausländersteuer von 25 Prozent anfallen. Schauspieler*innen werden in der Regel nicht so gut bezahlt, dass ein Viertel weniger nichts ausmachen würde. Das müssten wir dann drauflegen und schauen, wo wir die Mittel herbekommen und werden auf unsere Unterstützer angewiesen sein. Wir wollen das nicht über die Ticketpreise ausgleichen.
Sehen Sie denn auch Vorteile in dem Brexit?
Daniel Nicolai: Natürlich. Auch wenn wir alle dagegen waren, müssen wir nach dreieinhalb Jahren akzeptieren, dass die Briten für den Brexit gestimmt haben und irgendwie damit umgehen. Das English Theatre bekommt seit dreieinhalb Jahren viel mehr mediale Aufmerksamkeit und auch die Bedeutung für Hessen ist gestiegen. Zum Beispiel ist das Land Hessen mit „Hessen Trade & Invest“ Sponsor geworden, die Europaministerin war zu Besuch, Angela Dorn, die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, hat uns Grußworte geschickt und der britische Botschafter wird bei der nächsten Premiere anwesend sein. Ich glaube, dass durch solche Dinge wie den Brexit die Bedeutung von Kunst, Kultur und Austausch immer wächst.
Der Brexit gibt ja sicherlich viel Stoff für Produktionen. Wird es ein Stück dazu geben?
Daniel Nicolai: Wir versuchen, uns in unseren Spielzeiten häufig auf aktuelle Themen und Geschehnisse zu beziehen. Manchmal werden die Stücke, die wir zeigen, zu einer Art sich selbsterfüllenden Prophezeiung.
Caroline Winter: Zu Beginn der Flüchtlingskrise haben wir beispielsweise das Stück „Disgraced“ mehr als ein halbes Jahr vorher geplant und das lief dann genau zu dem Zeitpunkt, als der Syrienkonflikt losging. Das sind Ereignisse, die wir natürlich nicht vorhergesehen haben, die dann aber sehr treffend sind. Das passiert uns öfters.
Daniel Nicolai: Aber klar, der Brexit gibt unglaublich viel Stoff her und mit Sicherheit werden viele Autor*innen aus England auf die Geschehnisse eingehen. Es gibt ja schon „Brexit - The Musical“. Das haben wir uns aber noch nicht angeschaut. Wir werden das also sicherlich irgendwann aufgreifen, aber nicht in naher Zukunft. Ich glaube, das wollen die Menschen auch gar nicht und brauchen erstmal ein bisschen Abstand zu dem Thema.
Caroline Winter: Falls unsere Produktionen dann wieder eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sein sollten, brauchen wir aber ein Programm mit einem Happy End.“
Daniel Nicolai: Vor dreieinhalb Jahren, als das Referendum war, habe ich in einem Interview gesagt: „No, they will remain“. Zu dem Zeitpunkt geschah die Ermordung der Labour-Abgeordneten Jo Cox, so etwas emotionalisiert ja ein Land und solche Abstimmungen sind ja eine Art Momentaufnahme. Ich dachte daher, bei diesem Mord und der darauffolgende Medienresonanz stimmen die unmöglich noch für „leave“.
Und dann haben die Bürgerinnen und Bürger doch für „leave“ gestimmt.
Daniel Nicolai: Ja, da waren wir ziemlich überrascht. Ich habe nicht rumgefragt, aber ich glaube, das gilt auch für die meisten Mitarbeiter*innen. Wir haben auch Liebesbeziehungen, die über den Ärmelkanal bestehen, beispielsweise hat einer unserer Darsteller eine deutsche Partnerin, eine unserer ehemaligen Mitarbeiterinnen lebt jetzt in England. Die haben alle nicht geglaubt, dass der Brexit kommen wird.
Nun ist Großbritannien seit dem 1. Februar offiziell aus der EU ausgetreten. Wie ist die Stimmung bei Ihnen und Ihrem Team momentan?
Daniel Nicolai: Mittlerweile sind alle ermüdet von dem Hin und Her. Zwischendurch herrschte viel Unklarheit und wir wussten nicht, wie uns das ganze betreffen wird. Zum Beispiel wussten wir, dass das Ensemble, das noch da ist, noch ganz normal spielen kann, aber wir wussten nicht, wie das mit zukünftigen Schauspieler*innen ist. Jetzt sind zwar viele enttäuscht, aber auch froh, dass es Gewissheit gibt.
Caroline Winter: Eigentlich sind wir ja immer noch an dem Punkt, wo wir keine richtige Gewissheit haben und uns in einer Übergangszeit befinden. Bis Ende des Jahres wird hoffentlich viel Stück für Stück klar werden, aber ich glaube, dass sich da alle einig sind, dass bis dahin nicht alles geklärt sein wird.
Noch ist nicht sicher, was sich nach dem Brexit ändern wird. Großbritannien will nun bis Endes des Jahres über die Details des Austritts mit der EU verhandeln. Um welche möglichen Änderungen muss sich das English Theater Gedanken machen?
Daniel Nicolai: Die Menschen brauchen natürlich eine Arbeitserlaubnis. Das ist die kleinste Sorge, das wird Deutschland sicherlich regeln. Ein viel größeres Thema ist die Krankenversicherung. Momentan ist dies über die European Health Insurance Card geregelt, mit der Menschen aus der EU in Deutschland wie jeder gesetzlich versicherte behandelt werden. Da haben wir uns schon im Vorfeld erkundigt und da scheint es auch Lösungen zu geben, die allerdings Geld kosten würden. Zudem kommt da noch das Thema Besteuerung auf uns zu. Im Moment zahlen die Schauspieler*innen wie jeder Angestellte in Deutschland Einkommenssteuer und können in England dann auch einen Lohnsteuerjahresausgleich machen. Das würde wegfallen und zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, wodurch diese Regelung ersetzt wird. Im schlimmsten Fall würde eine Ausländersteuer von 25 Prozent anfallen. Schauspieler*innen werden in der Regel nicht so gut bezahlt, dass ein Viertel weniger nichts ausmachen würde. Das müssten wir dann drauflegen und schauen, wo wir die Mittel herbekommen und werden auf unsere Unterstützer angewiesen sein. Wir wollen das nicht über die Ticketpreise ausgleichen.
Sehen Sie denn auch Vorteile in dem Brexit?
Daniel Nicolai: Natürlich. Auch wenn wir alle dagegen waren, müssen wir nach dreieinhalb Jahren akzeptieren, dass die Briten für den Brexit gestimmt haben und irgendwie damit umgehen. Das English Theatre bekommt seit dreieinhalb Jahren viel mehr mediale Aufmerksamkeit und auch die Bedeutung für Hessen ist gestiegen. Zum Beispiel ist das Land Hessen mit „Hessen Trade & Invest“ Sponsor geworden, die Europaministerin war zu Besuch, Angela Dorn, die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, hat uns Grußworte geschickt und der britische Botschafter wird bei der nächsten Premiere anwesend sein. Ich glaube, dass durch solche Dinge wie den Brexit die Bedeutung von Kunst, Kultur und Austausch immer wächst.
Der Brexit gibt ja sicherlich viel Stoff für Produktionen. Wird es ein Stück dazu geben?
Daniel Nicolai: Wir versuchen, uns in unseren Spielzeiten häufig auf aktuelle Themen und Geschehnisse zu beziehen. Manchmal werden die Stücke, die wir zeigen, zu einer Art sich selbsterfüllenden Prophezeiung.
Caroline Winter: Zu Beginn der Flüchtlingskrise haben wir beispielsweise das Stück „Disgraced“ mehr als ein halbes Jahr vorher geplant und das lief dann genau zu dem Zeitpunkt, als der Syrienkonflikt losging. Das sind Ereignisse, die wir natürlich nicht vorhergesehen haben, die dann aber sehr treffend sind. Das passiert uns öfters.
Daniel Nicolai: Aber klar, der Brexit gibt unglaublich viel Stoff her und mit Sicherheit werden viele Autor*innen aus England auf die Geschehnisse eingehen. Es gibt ja schon „Brexit - The Musical“. Das haben wir uns aber noch nicht angeschaut. Wir werden das also sicherlich irgendwann aufgreifen, aber nicht in naher Zukunft. Ich glaube, das wollen die Menschen auch gar nicht und brauchen erstmal ein bisschen Abstand zu dem Thema.
Caroline Winter: Falls unsere Produktionen dann wieder eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sein sollten, brauchen wir aber ein Programm mit einem Happy End.“
10. Februar 2020, 12.16 Uhr
Elena Zompi
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