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Große Sause im Depot 1899
Sondermann-Preis für Hilke Raddatz
Ingolf Lück nackt? Schon mal ein Versprechen. Viel wichtiger aber ist, dass beim Sondermann-Preis am Montagabend Hilke Raddatz geehrt wird. Sie illustriert seit 1979 die Briefe an die Leser in der Titanic.
Man kann ja über die Titanic sagen, was man will, und da gäbe es einiges zu sagen, und das wäre mit Sicherheit nicht immer nur vorteilhaft. Das Wort „Humorstalinismus“ müsste man vielleicht in diesem Zusammenhang anführen, was die Titanic-Redaktion selbst wiederum höchstwahrscheinlich als Auszeichnung begreifen würde. Aber: Die Erfindung der Rubrik „Briefe an die Leser“ ist tatsächlich eine grandiose Idee gewesen, und die Art und Weise, wie hier auf engem Raum mal so ganz nebenbei Deppen abgewatscht werden – das muss man erst mal hinbekommen.
Zum Beispiel in diesem Monat: Erinnern Sie sich noch an Laura Himmelreich? Das war die sympathische Journalistenkollegin, deren Bluseninhalt Rainer Brüderle seinerzeit brennend interessiert haben soll. In der November-Ausgabe der Titanic heißt es nun: „Sie selbst beschweren sich darüber, ,in einem Land zu leben, das alten Menschen ihre Würde nimmt‘. Moment, Himmelreich – Einspruch! Wenn wir uns recht erinnern, waren es doch Sie, die den armen alten Brüderle (68) mit Ihrem Dirndlbusen erst schamlos verführt und anschließend medial vernichtet hat. Und jetzt ist er auch noch arbeitslos!“ Touché! Aber das nur nebenbei.
Seit 1979 gibt es die Rubrik; seit 1979 wird sie illustriert von Hilke Raddatz, die in diesem Jahr für ihre Arbeit den mit 5000 Euro dotierten Sondermann-Preis entgegennehmen wird. Exklusiv für das JOURNAL hat Raddatz, geboren 1941 und in Hamburg lebend, ein Selbstporträt gezeichnet. Und selbstverständlich wollten wir mit der Preisträgerin auch ein Gespräch führen. Haben wir auch getan. Auch wenn es ihr selbst nicht sonderlich recht war.
„Och, das mag ich aber gar nicht so“, sagt sie zurückhaltend am Telefon, als wir ihr eröffnen, mit ihr ein wenig über ihre Arbeit sprechen zu wollen. „Ich kannte die Leute ja schon alle aus pardon- Zeiten“, erzählt sie, „und als die dann mit der Titanic anfingen, haben sie gefragt, ob ich mitmachen will.“ Mit F.K. Waechter hat Raddatz gemeinsam die Kunstschule Alsterdamm in Hamburg besucht.
Ihr Stil, so Hilke Raddatz, habe sich erst mit der Zeit nach und nach entwickelt – „ich hab das alles nicht so gut gekonnt; ich musste mir das erst draufschaffen.“ Mittlerweile hat sie auch ihre Technik umgestellt: Zu Beginn hat sie noch mit der Feder gezeichnet, heute arbeitet sie mit dem Pinsel. In den 80er-Jahren fing Hilke Raddatz auch an, Kinderbücher und Bildergeschichten zu zeichnen, darunter die „Bockenheim“-Serie „Die große Liebe“, „Die Punker“ und „Der Erpresser“. Doch das ist vorbei, „das hat sich überlebt“, glaubt Raddatz.
In der Begründung der Jury des Sondermann-Preises heißt es: „Niemand sonst verfügt über eine solche Befähigung, mittels karikierender Darstellungen die den jeweiligen Illustrationen zugrunde liegenden Texte weiterzuerzählen und zuzuspitzen. Damit hat Raddatz eine ganz eigene Form der Karikatur geschaffen.“
Ihre Zeichnungen sind spitz, pointiert und zielsicher, aber niemals bösartig. Sie fertigt sie erst dann an, wenn sie von der Titanic-Redaktion die Texte erhalten hat. Ob sie jemals Reaktionen erfahren hat von Menschen, die sie porträtiert hat? „Nein“, antwortet sie schnell, und: „Das möchte ich auch gar nicht wissen.“
In der aktuellen Ausgabe hatte sie eine spezielle Aufgabe zu bewältigen: Denn neben einem fliegenden Barack Obama, der als Pleitepräsident am Steuerknüppel einer F 16 die allgemeine Ordnung wiederherzustellen hat, galt es,Titanic- Chefredakteur Leo Fischer aus seinem Amt zu verabschieden. „Wer“, so fragt die Redaktion, „spielt nun den ganzen Tag immer wieder das gleiche YouTube-Lied, dreht schon nach einem Schnaps durch und schleppt mit uns Praktikanten in die ,Hex‘?“ Wer, kurz, bringt die nötige Portion Wahnsinn in den müden Redaktionsalltag, hinter dem sich der Rest verstecken und gruppieren kann?“
Sie werden einen finden. Hilke Raddatz hat Leo Fischer als Monarchen gezeichnet, im bestickten Pelzmantel, mit Krönchen, Gehstock und Schnallenschuhen. In der Titanic wird also das Zepter übergeben. Hilke Raddatz wird bleiben.
>> Der Sondermann-Preis
Sondermann ist eine Figur des in Frankfurt geborenen und 2004 verstorbenen Comiczeichners Bernd Pfarr, der Absolvent der Hochschule für Gestaltung in Offenbach ist. Pfarr zeichnete hauptsächlich für die Titanic und das Magazin der Wochenzeitung Die Zeit und galt auf seinem Gebiet als ein herausragender Künstler. Robert Gernhardt wird mit den Worten zitiert, Pfarr habe „Sachen in Cartoons gebracht, die dort nichts verloren haben“. Die Sondermann-Figur ist angelehnt an den ersten Verleger der Titanic, Gerhard Sondermann. Der Kosmos der Pfarr-Figur, von Beruf Buchhalter und insgesamt eine eher unauffällige Erscheinung, hat seine eigenen Rituale und ist bevölkert von einer Reihe skurriler Figuren. Die Sondermann-Fangemeinde ist nach wie vor groß; selbst die Punkband „Die Ärzte“ erwies in ihrem Song „Dreitagebart“ Bernd Pfarr ihre Reverenz, die allerdings nicht jugendfrei ist und deswegen hier nicht weiter ausgeführt wird. Der Sondermann-Preis wird seit 2004 vom Verein Sondermann e.V., in dessen Vorstand unter anderem Bernd Eilert, Leo Fischer, Gabriele Roth-Pfarr, Hans Zippert und Oliver Maria Schmitt sitzen, in zwei Kategorien (Newcomer und Hauptpreis) verliehen. Preisträger sind u. a. Greser & Lenz, Rattelschneck oder auch Stephan Rürup, der auch für das JOURNAL FRANKFURT arbeitet. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert.
>> Sondermann-Spenden-Gala für die Opfer karnevalistischer Umtriebe
Frankfurt, Depot 1899, Textorstraße 33, 11.11., 19.30 Uhr, Im Rahmen der berüchtigten „Sondermann-Spenden-Gala für die Opfer karnevalistischer Umtriebe“ wechselt der bekannte Comedian mehrmals Kleidung und Nationalität auf offener Bühne. Für zartbesaitete gibt es Schutzbrillen. Unterstützt wird Lück von den vier ehemaligen Titanic-Chefredakteuren Bernd Eilert, Hans Zippert, Oliver Maria Schmitt und Leo Fischer, sowie dem designierten FAZ-Herausgeber Andreas Platthaus. Gefeiert wird die Verleihung des renommierten und mit 5000 bzw. 2000 Euro dotierten Sondermann-Preises an die Zeichnerinnen Hilke Raddatz und Katharina Greve. Musik: Die 30köpfige Marching-Band „The Sound of Frankfurt“. Heute 19:30 Uhr, Depot 1899, Textorstr. 33, Frankfurt, Eintritt 15 Euro. Anmeldungen unter gala@sondermannverein.org
Zum Beispiel in diesem Monat: Erinnern Sie sich noch an Laura Himmelreich? Das war die sympathische Journalistenkollegin, deren Bluseninhalt Rainer Brüderle seinerzeit brennend interessiert haben soll. In der November-Ausgabe der Titanic heißt es nun: „Sie selbst beschweren sich darüber, ,in einem Land zu leben, das alten Menschen ihre Würde nimmt‘. Moment, Himmelreich – Einspruch! Wenn wir uns recht erinnern, waren es doch Sie, die den armen alten Brüderle (68) mit Ihrem Dirndlbusen erst schamlos verführt und anschließend medial vernichtet hat. Und jetzt ist er auch noch arbeitslos!“ Touché! Aber das nur nebenbei.
Seit 1979 gibt es die Rubrik; seit 1979 wird sie illustriert von Hilke Raddatz, die in diesem Jahr für ihre Arbeit den mit 5000 Euro dotierten Sondermann-Preis entgegennehmen wird. Exklusiv für das JOURNAL hat Raddatz, geboren 1941 und in Hamburg lebend, ein Selbstporträt gezeichnet. Und selbstverständlich wollten wir mit der Preisträgerin auch ein Gespräch führen. Haben wir auch getan. Auch wenn es ihr selbst nicht sonderlich recht war.
„Och, das mag ich aber gar nicht so“, sagt sie zurückhaltend am Telefon, als wir ihr eröffnen, mit ihr ein wenig über ihre Arbeit sprechen zu wollen. „Ich kannte die Leute ja schon alle aus pardon- Zeiten“, erzählt sie, „und als die dann mit der Titanic anfingen, haben sie gefragt, ob ich mitmachen will.“ Mit F.K. Waechter hat Raddatz gemeinsam die Kunstschule Alsterdamm in Hamburg besucht.
Ihr Stil, so Hilke Raddatz, habe sich erst mit der Zeit nach und nach entwickelt – „ich hab das alles nicht so gut gekonnt; ich musste mir das erst draufschaffen.“ Mittlerweile hat sie auch ihre Technik umgestellt: Zu Beginn hat sie noch mit der Feder gezeichnet, heute arbeitet sie mit dem Pinsel. In den 80er-Jahren fing Hilke Raddatz auch an, Kinderbücher und Bildergeschichten zu zeichnen, darunter die „Bockenheim“-Serie „Die große Liebe“, „Die Punker“ und „Der Erpresser“. Doch das ist vorbei, „das hat sich überlebt“, glaubt Raddatz.
In der Begründung der Jury des Sondermann-Preises heißt es: „Niemand sonst verfügt über eine solche Befähigung, mittels karikierender Darstellungen die den jeweiligen Illustrationen zugrunde liegenden Texte weiterzuerzählen und zuzuspitzen. Damit hat Raddatz eine ganz eigene Form der Karikatur geschaffen.“
Ihre Zeichnungen sind spitz, pointiert und zielsicher, aber niemals bösartig. Sie fertigt sie erst dann an, wenn sie von der Titanic-Redaktion die Texte erhalten hat. Ob sie jemals Reaktionen erfahren hat von Menschen, die sie porträtiert hat? „Nein“, antwortet sie schnell, und: „Das möchte ich auch gar nicht wissen.“
In der aktuellen Ausgabe hatte sie eine spezielle Aufgabe zu bewältigen: Denn neben einem fliegenden Barack Obama, der als Pleitepräsident am Steuerknüppel einer F 16 die allgemeine Ordnung wiederherzustellen hat, galt es,Titanic- Chefredakteur Leo Fischer aus seinem Amt zu verabschieden. „Wer“, so fragt die Redaktion, „spielt nun den ganzen Tag immer wieder das gleiche YouTube-Lied, dreht schon nach einem Schnaps durch und schleppt mit uns Praktikanten in die ,Hex‘?“ Wer, kurz, bringt die nötige Portion Wahnsinn in den müden Redaktionsalltag, hinter dem sich der Rest verstecken und gruppieren kann?“
Sie werden einen finden. Hilke Raddatz hat Leo Fischer als Monarchen gezeichnet, im bestickten Pelzmantel, mit Krönchen, Gehstock und Schnallenschuhen. In der Titanic wird also das Zepter übergeben. Hilke Raddatz wird bleiben.
>> Der Sondermann-Preis
Sondermann ist eine Figur des in Frankfurt geborenen und 2004 verstorbenen Comiczeichners Bernd Pfarr, der Absolvent der Hochschule für Gestaltung in Offenbach ist. Pfarr zeichnete hauptsächlich für die Titanic und das Magazin der Wochenzeitung Die Zeit und galt auf seinem Gebiet als ein herausragender Künstler. Robert Gernhardt wird mit den Worten zitiert, Pfarr habe „Sachen in Cartoons gebracht, die dort nichts verloren haben“. Die Sondermann-Figur ist angelehnt an den ersten Verleger der Titanic, Gerhard Sondermann. Der Kosmos der Pfarr-Figur, von Beruf Buchhalter und insgesamt eine eher unauffällige Erscheinung, hat seine eigenen Rituale und ist bevölkert von einer Reihe skurriler Figuren. Die Sondermann-Fangemeinde ist nach wie vor groß; selbst die Punkband „Die Ärzte“ erwies in ihrem Song „Dreitagebart“ Bernd Pfarr ihre Reverenz, die allerdings nicht jugendfrei ist und deswegen hier nicht weiter ausgeführt wird. Der Sondermann-Preis wird seit 2004 vom Verein Sondermann e.V., in dessen Vorstand unter anderem Bernd Eilert, Leo Fischer, Gabriele Roth-Pfarr, Hans Zippert und Oliver Maria Schmitt sitzen, in zwei Kategorien (Newcomer und Hauptpreis) verliehen. Preisträger sind u. a. Greser & Lenz, Rattelschneck oder auch Stephan Rürup, der auch für das JOURNAL FRANKFURT arbeitet. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert.
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Frankfurt, Depot 1899, Textorstraße 33, 11.11., 19.30 Uhr, Im Rahmen der berüchtigten „Sondermann-Spenden-Gala für die Opfer karnevalistischer Umtriebe“ wechselt der bekannte Comedian mehrmals Kleidung und Nationalität auf offener Bühne. Für zartbesaitete gibt es Schutzbrillen. Unterstützt wird Lück von den vier ehemaligen Titanic-Chefredakteuren Bernd Eilert, Hans Zippert, Oliver Maria Schmitt und Leo Fischer, sowie dem designierten FAZ-Herausgeber Andreas Platthaus. Gefeiert wird die Verleihung des renommierten und mit 5000 bzw. 2000 Euro dotierten Sondermann-Preises an die Zeichnerinnen Hilke Raddatz und Katharina Greve. Musik: Die 30köpfige Marching-Band „The Sound of Frankfurt“. Heute 19:30 Uhr, Depot 1899, Textorstr. 33, Frankfurt, Eintritt 15 Euro. Anmeldungen unter gala@sondermannverein.org
11. November 2013, 11.00 Uhr
red
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