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"Was aus mir wird? Ich werd Terrorist!"

Die Revolution heißt Guaia Guaia

Entdeckt wurden die beiden Straßenmusiker auf dem Friedberger Platz, jetzt erobern sie das Land. Am Montagabend sind sie zu Gast bei TV-Total, am Dienstag im Nachtleben, danach beim Bundesvision Song Contest.
Carl Luis Zielke und Elias Gottstein sind Straßenmusiker. Sie nennen sich Guaia Guaia. Ihr gesamtes Hab und Gut haben sie in den großen Kästen verstaut, die sie auf ihren Fahrrädern durch das Land transportieren. Eine E-Gitarre, eine Posaune, Verstärker und Zahnbürsten. Ihre Klamotten klauben die beiden aus Containern der Altkleidersammlung. Wenn das Geld knapp ist, suchen sie auch in Müllcontainern nach etwas Essbarem. Seit drei Jahren tingeln sie so durch die Republik, spielen immer wieder spontane Konzerte auf zentralen Plätzen in Berlin, München oder Hamburg. Ein Leben auf der Straße. Eine tragische Geschichte dahinter sucht man vergeblich. Es ist ihre eigene, freiwillige Entscheidung, die sie auf die Straße drängt. Schule, Uni, Ausbildung, Job, Familie, Haus, Tod diesen vorgefertigten Weg wollen sie nicht gehen. Guaia Guaia wollen einfach nur frei sein.

Luis ist der Größere der beiden. Mit einem stolzen Afro, einem vollen Bart und einer Stimme, die an den mächtigen Bass des Rappers Harris erinnert, wundert es ein wenig, dass er auch der Schüchternere ist. Elias wuchs die ersten vier Jahre seines Lebens in Frankfurt auf. Zu Schulzeiten kehrte er in den Sommerferien immer wieder dorthin zurück. „Im Vergleich zu Neubrandenburg war da wenigstens was los“, erzählt der 23-Jährige. In Neubrandenburg, da lernten sich Elias und Luis in der Schule kennen und beschlossen, Straßenmusiker zu werden. Elias’ Großeltern wohnen auch heute noch in Frankfurt.

So erscheint es wie ein schöner Zufall, dass die Geschichte der Straßenmusiker Elias und Luis genau hier eine Wendung nimmt. Guaia Guaia spielten 2011 auf dem Friedberger Platz eines ihrer Spontan-Konzerte. So lange, bis die Polizei kommt und dem Treiben ein Ende bereitet. So läuft es meistens, wenn sie musizieren. Statt der Polizei kam aber erst mal Clubmacher und Musikmanager Mengi Zeleke vorbei. Er fuhr die Friedberger Landstraße mit seinem Volvo herunter, den Kopf voller anderer Dinge, als sich in seinem Hinterkopf plötzlich dieser Sound breitmachte. Er drehte den Wagen. Ein einziger Blick auf die Jungs, und irgendetwas machte Klick in seinem Kopf. Der Musikliebhaber und die Musiker kamen ins Gespräch, trafen sich einige Zeit später noch einmal in Mainz. „Aber so richtig gecheckt haben wir nicht, was er eigentlich von uns wollte“, so Elias. Aber ganz vage habe er anklingen lassen, dass er in der Vergangenheit schon Musiker gemanagt habe, ergänzt Luis. Also fragten die beiden ihn, ob er ihnen nicht bei ihrer Vermarktung ein bisschen zur Hand gehen wolle.

Ursprünglich dachten sie, der Frankfurter könne mit seinen Kontakten dafür sorgen, dass einige ihrer Lieder bei kleineren Radiosendern in die Playlist aufgenommen wird. Doch Mengi Zeleke dachte größer. Und auf einmal ging alles ganz schnell. In diesem Sommer geht es Schlag auf Schlag. Am 11. Juli feiert die Dokumentation „Unplugged: Leben Guaia Guaia“ im Mal Seh’n seine Frankfurt-Premiere. Am 12. Juli erscheint das Album „Eine Revolution ist viel zu wenig“ bei Universal Music. Am 10. September stehen Elias und Luis für ein Konzert im Nachtleben ausnahmsweise mal auf einer Bühne. Im selben Monat vertreten sie Mecklenburg-Vorpommern bei Stefan Raabs Bundesvision Songcontest. Die Presse überschlägt sich, um die lebensfrohen Paradiesvögel vor die Kamera und Mikrofone zu bekommen. Das birgt gewisse Gefahren für das Lebensexperiment Guaia Guaia.

Die Großeltern von Elias engagieren sich politisch bei IPPNW. Einem Verein von Ärzten, der sich für Frieden und gegen Atomwaffen einsetzt. Sie sind zwar keine Fans von Guaia Guaia im ursprünglichen Sinne und wünschen sich vielleicht, dass der Junge sich ein wenig politisch korrekter ausdrücken würde, aber sie verfolgen die Karriere ihres Enkels und seines Freundes sehr genau. „Elias’ Oma hat als Einzige alle unsere CDs und Song-Texte ausgedruckt in einem Ordner gesammelt. Sie verlangt auch danach, wenn sie nicht alles verstanden hat“, erzählt Luis. Mit den Texten der beiden ist sie zwar nicht immer ganz einverstanden, aber sie versteht, was die beiden sagen wollen, wenn sie davon singen, „Terrorist“ zu werden: Wer nicht den vorgegebenen Weg beschreitet, ist eben eine Gefahr für die herrschende Ordnung.



Mengi Zeleke ist heute vielleicht noch überzeugter von den beiden 23-Jährigen, als er es bei ihrem ersten Treffen war. „Die brauchten mich doch eigentlich nicht. Die wären auch ohne mich ihren Weg gegangen“, sagt er inbrünstig. Drei Alben hatten Guaia Guaia zu diesem Zeitpunkt schon in Eigenregie produziert. Sie mussten ihre Kunst vermarkten, um Geld zu verdienen. Sie mussten Geld verdienen, um zu überleben. Denn bei aller Freiheitsliebe, bei aller Kritik und Aversion gegen das bestehende, einengende System: Vollkommen unabhängig können auch Guaia Guaia nicht leben.

„Es gab immer Leute, die versucht haben, uns zu idealisieren“, sagt Elias. „Aber wir waren schon immer widersprüchlich, wir sind keine absoluten Robin Hoods.“ Man könnte es auch mit Theodor W. Adorno und den „Minima Moralia“ umschreiben: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Durch den Vertrag bei einem der größten Plattenlabel der Welt werde die Widersprüchlichkeit ihres Lebens nur etwas offensichtlicher, meinen Luis und Elias. Eine Wohnung wollen Guaia Guaia auch weiterhin nicht mieten. Sonst wäre der Vorschuss des Labels auch ganz schnell wieder weg. Ihr Lebensstil ist eine Entscheidung, aber keine finanzielle.

So merkwürdig es klingt: die Bindung an eine große Firma gewährt Guaia Guaia auch neue Freiheiten. Weil sie sich nicht mehr um das Marketing kümmern müssen, haben sie mehr Zeit, um Musik zu machen. Der finanzielle Druck ist nicht mehr so groß wie zu Beginn ihrer Straßenmusiker-Karriere. „Wenn die Polizei kam, um eines unserer Konzerte zu beenden, haben wir uns gefürchtet und gleich aufgehört“, erinnert sich Luis. Immerhin stand zu befürchten, dass sie sonst Strafe hätten zahlen müssen – oder noch schlimmer, dass ihre Instrumente beschlagnahmt werden. Und ohne Instrumente verdienten sie eben auch kein Geld. Inzwischen finden sie es „richtig geil“, wenn die Polizei kommt. In Kombination mit ihren sozialkritischen Texten entwickle das Szenario eine ganz besondere Kraft und Faszination. Vor einer Strafe von 200 oder 400 Euro fürchten sie sich nicht mehr. Zur Not bezahlen sie eben. Sie können es sich leisten.

Am Abend des 21. Juni 2013 wollen Guaia Guai ein Soli-Konzert für das Institut für vergleichende Irrelevanz (IvI) spielen. Elias kennt das IvI natürlich aus seiner Frankfurter Vergangenheit. Die Räumung haben er und Luis auch im fernen Berlin mitbekommen. „Das war ungefähr zu der Zeit, als die Polizei auch unser Winterquartier geräumt hat“, ziehen die Musiker Parallelen. Sie hatten am Berliner Ostkreuz für die kalten Monate ein leer stehendes Vereinsheim bezogen. So lange, bis die Ordnungshüter kamen und der Besetzung ein Ende bereiteten. Obwohl das Gebäude von niemandem zur Nutzung beansprucht wurde.



Das Konzert ist auf der Senckenberganlage geplant, direkt gegenüber dem einstigen Institut im Kettenhofweg. Als die Straßenmusiker dort ankommen und den Bauzaun sehen, der um das Gebäude gezogen wurde, entscheiden sie sich um. Sie packen ihr Werkzeug aus und bauen einen Teil des Zauns einfach ab. Weil die rund 100 Zuhörer sich nicht so recht trauen, das Privatgelände zu betreten, öffnet Luis kurzerhand eine weitere Passage. Langsam setzt sich die Menge in Bewegung. Mittendrin und etwas weniger schüchtern: die Großeltern von Elias. Eine knappe Stunde spielen Guaia Guaia Lieder von ihrem kommenden Album. Immer wieder bleiben Passanten auf der Senckenberganlage stehen. Fasziniert von diesen beiden jungen Männern, die eine fast kindliche Lebensfreude ausstrahlen.

Bevor Guaia Guaia zum vorletzten Lied des Abends ansetzen, legt sich Elias fest: „Die Polizei wird heute auf keinen Fall mehr kommen.“ Und Luis kommentiert: „Mal lassen sie einen seine Freiheit eben ein bisschen ausleben, aber letzten Endes soll es bloß nicht zu weit gehen.“ Als das Konzert schon längst vorbei ist und sich die meisten Zuschauer schon verabschiedet haben, hält doch noch ein Streifenwagen vor dem IvI. Die Beamten schlagen vor, dass die wenigen Verbliebenen ihre Versammlung doch bitte auf den Bürgersteig verlagern und den Zaun wieder schließen. Das wäre nett. Dann würde man von einer Anzeige absehen. Einer der Polizisten sagt, er kenne Guaia Guaia. Die habe er schon im Fernsehen gesehen. Ein Stückchen Freiheit für die berühmten Straßen-Stars. „Ich glaube, wir müssen uns was Neues einfallen lassen“, sagt Elias. „Die Polizei reagiert in letzter Zeit viel zu nett.“

>> Das Album „Eine Revolution ist viel zu wenig“ ist am 12. Juli bei Universal Music erschienen.

>> TV Total mit Guaia Guaia, Montag, 9.9., 23.15 Uhr, ProSieben

>> Konzert, Dienstag, 10.9., 21 Uhr, Nachtleben, 13,20 Euro

Eine Version dieses Artikels erschien zuerst im Journal Frankfurt 15/2013 vom 2. August 2013.
 
Fotogalerie:
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9. September 2013, 11.05 Uhr
Gerald Schäfer
 
 
 
 
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