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Kunst-Talk

Ich sehe was, was du nicht siehst

Jakob Schwerdtfeger bezeichnet sich selbst als Kunst-Nerd und ist süchtig nach Bildern. In einer dreiteiligen ARD-Doku lädt er Gäste dazu ein, Meisterwerke in den Blick zu nehmen. Mit dem Bestatter Eric Wrede war er im Städel Museum: ein Gespräch über Friedhöfe und Sterben.
Jakob Schwerdtfeger: Eric, ich finde, das
ist ein Bild, das gut zu dir passt. Was ist
dein erster Eindruck?

Eric Wrede: Es ist lustig, dass ich sofort in Arbeitsdimension denke. Ach, buddelt der jemanden aus? Dürft ihr das? Habe ich das auch schon mal gemacht? Ja, ich habe mal eine Urne ausgebuddelt. Und zweitens, ich kenne das Bild nicht, deswegen muss ich jetzt erstmal genauer hingucken. Das ist doch Shakespeare, oder?

JS: Wie gebildet du bist! Shakespeare, tatsächlich. Es ist Hamlet. Und Horatio, sein Freund. Die sitzen da am Grab, reden über die Vergänglichkeit. Und gleich kommt der Leichenzug mit Ophelia. Das war die Geliebte von Hamlet. Alles ganz dramatisch.

EW: Und das ist das Grab für Ophelia, das schon ausgehoben ist?

JS: Also echt keine schöne Situation für ihn.

EW: Wie absurd, ich habe da ganz technisch drauf geguckt. Was macht der Grabstein da jetzt schon?

JS: Sieht ja aus, als würde er in das Grab runtersliden.

EW: Es sieht eher so aus, als wenn sie ein Grab geschändet hätten. Grabstein umgefallen, Schädel in der Hand. Das heißt, die haben ihn gerade rausgeholt. Das wäre meine erste Assoziation.

JS: Es ist ja auch wirklich herzlich makaber. Du redest über Vergänglichkeit, wie kannst du es deutlicher machen, als einen Totenschädel in der Hand zu halten. Aber Eric, eine Sache, wo ich sofort einhaken muss? Du hast gerade erzählt, dass du mal eine Urne ausgegraben hast. Könntest du da vielleicht mal ins Detail gehen?

EW: Man muss immer überlegen, ob man das erzählen darf. Wir hatten mal die Situation: Du musst ja in Deutschland auf einen Friedhof gehen. Nun ist es aber nicht die erste Familie, die auf die Idee kommt zu sagen: Okay, dann gehen wir erst mal auf den Friedhof, und dann holen wir uns die Urne danach zurück. [...] Und deswegen war das meine erste Arbeits-Assoziation, weil ich dachte, Scheiße, hätten die mich dabei gefilmt, wie ich das gemacht habe, oder gemalt...

JS: Warte mal, du bist auf den Friedhof gegangen und hast eine Urne ausgebuddelt. Wieso?

EW: Weil ich unwissend war. Ich bin Bestatter geworden. Das war alles ganz frisch. Und ein Freund kam zu mir und sagte, dass von Bekannten die Mutter verstorben sei. Die wollen die Urne aber im Garten haben. Was ich dabei nicht gerafft habe ist, dass die ganz schnell davon ausgingen, dass ich derjenige bin, der das macht. Also so was würde ich heute nicht mehr machen, weil es auch noch andere Wege gibt, es zu regeln. Aber ich glaube einfach, das Bedürfnis zu trauern, kann so unglaublich vielfältig sein, dass das nicht immer auf einem Friedhof stattfinden muss.

JS: Aber du bist da echt nachts mit dem Spaten auf der Schulter in den Friedhof gestiegen?

EW: Es war kein Spaten. Es war eine Blumenschaufel...

JS: Also du bist mit Sandburg-Equipment da rangegangen.

EW: Ja, genauso. Und wirklich, so eine Urnengruft die ist ungefähr 80 Zentimeter tief. Komm da mal unten an. Krieg da mal irgendwas raus. Es war eine totale Horrorarbeit.

JS: Dann hast du mit dem Handy-Licht...

EW: Nee mit einer Stirnlampe. Das wirkliche Problem entstand dadurch, denn der Friedhof lag relativ nah an einer Polizeistation. Das heißt, ich habe mich im Knast gesehen. Polizisten kommen und nehmen mich fest.

JS: Zu Recht!

EW: Das weiß ich nicht, ob das zu Recht wäre. Ich bin jetzt ja schon ein paar Jahre Bestatter. Mittlerweile schätze ich Friedhöfe viel mehr als am Anfang. Dennoch glaube ich, dass das Menschen freigestellt sein sollte, wo sie hingehen. Also denen, die sterben. Das muss man nicht unbedingt denen lassen, die sich darum kümmern sollen. Aber wenn ich sage, ich will nicht auf den Friedhof, wer hat das Recht, sich da einzumischen?

JS: Du hast in deinem Buch auch über die Friedhofspflicht geschrieben. Und ich habe ein bisschen das Gefühl, dass du nicht aneckst mit Friedhöfen, aber nicht alles cool findest, was da passiert. Deswegen die Frage, was ist deiner Meinung nach die absurdeste Friedhofsregel, die es gibt?

EW: Es gibt mehrere kleine Friedhöfe, die es zum Beispiel den Jugendlichen verbieten, alleine auf den Friedhof zu gehen. Also wenn du unter 16 bist, darfst du nicht rein.

JS: Ach so, du darfst kein Bier trinken und nicht auf Friedhöfe?

EW: Was ist, wenn die ihre Eltern verlieren? Die Grundidee muss doch sein, dass der Friedhof auch ein Ort des Lebens ist, wo du hingehen kannst, wo Cafés sind, und da ändert sich zum Glück gerade viel. Wie viele Friedhöfe untersagen dir immer noch, dass du der letzte Mensch bist, der die Urne von deinem Opa trägt? Da kommt der Punker in mir hoch und sagt: Nee, so geht‘s nicht.

JS: Du hast gerade die Regeln auf Friedhöfen angesprochen. Meine Mutter und mein Stiefvater sind kürzlich in die Nähe von einem Friedhof gezogen. Das heißt, wenn ich sie mit der Bahn besuchen komme, ist der kürzeste Weg über den Friedhof. Und ich bin letztens drüber und habe mit Kopfhörern Musik gehört und gedacht, das ziemt sich hier irgendwie nicht. Ist das okay?

EW: Die meisten Regeln sind gar nicht niedergeschrieben. Die laufen in so einem vorauseilenden Das-darfst-du-nicht. Und das ist häufig das größte Problem, mit dem ich zu tun habe, Leuten zu sagen: Du darfst erst mal ziemlich viel, und zwar dich fragen, was du brauchst und was du möchtest. Und wenn du dich mit solchen Kopfhörern auf dem Friedhof zu deiner Oma setzt und laut Wagner hören möchtest, ist das völlig okay. Aber wenn du das mit großen Boxen machen würdest, ist das was anderes.

JS: Wie willst du begraben werden?

EW: Ich möchte auf jeden Fall eine Erdbestattung haben, weil ich glaube, dass dieses Den-Körper-zu-Grabe-tragen etwas Haptisches ist. Jemanden zu verlieren hat für mich immer ganz viel mit Haptik und Verstehen zu tun. Auf dem Bild hier ja auch. Es ist immer wieder das Begreifen, was ich in meiner Arbeit mache. Ich für mich möchte auf jeden Fall eine Erdbestattung. Die sollen mich schön tragen, die sollen sehen, was da war.

JS: Und noch mal so richtig spüren. Ich glaube, ich möchte in so einem Wald bestattet werden. Das ist ja auch so ein neueres Ding.

EW: Es gibt mittlerweile einige. Naturnahe Bestattung finde ich total schön. Man darf aber nicht vergessen, dass Leute sich das sehr romantisiert vorstellen. Aber das ist halt wirklich Wald. Ich persönlich würde es nicht wollen, weil ich ein Stadtkind bin. Ich möchte in der Stadt bleiben. Ich möchte, dass Menschen zu mir kommen können. Ich möchte, dass die einfach am Grab sitzen und Schnaps auf mich trinken können. Das sollen sie bitte ohne großen Aufwand können.

JS: Verstehe ich.

EW: Aber es ist hoffentlich noch lange hin.

JS: Das hoffe ich auch.

__________________________________________________________________________

Diese Aufzeichnung ist zuerst in der Dezember-Ausgabe (12/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen. Das komplette Gespräch ist zudem in der ARD-Mediathek zu sehen.

Jakob Schwerdtfeger,
geboren 1988 in Hannover, hat Kunstgeschichte studiert und mehrere Jahre lang im Städel Museum Frankfurt gearbeitet. Seit 2012 steht er auf Bühnen – als Stand-Up-Comedian, Slam-Poet und Freestyle-Rapper.

Eric Wrede
wurde in Rostock geboren. Er hat Germanistik und Geschichte
studiert und als Musikmanager gearbeitet. Als er eines Tages im Radio die Geschichte eines Trauerbegleiters hört, beschließt er, Bestatter zu werden.
 
20. Dezember 2022, 11.02 Uhr
Jasmin Schülke
 
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. – Mehr von Jasmin Schülke >>
 
 
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