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Kaisersaal-Rede von Tobias Rehberger im Wortlaut
"Die Liebe zur Differenz ist das, was uns voranbringt"
Der Künstler Tobias Rehberger bekam im Kaisersaal von Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) die Goethe-Plakette der Stadt verliehen. In seiner Rede würdigte er Frankfurt als Ort, der das Andere würdigt.
Irgendwie haben Sie, habt ihr alle einen Anteil an dieser Auszeichnung. Denn: Was man ist, wird man.
Durch Umstände, durch Vorkommnisse, durch Menschen und auch vor allem durch Orte.
Diese große Frankfurter Auszeichnung bekommt heute nun einer, der im ursprünglichen Sinne eigentlich Schwabe ist.
Aber genau das ist etwas, das vielen Frankfurter ebenso geht. Nicht, dass die meisten Schwaben wären. Aber doch sind viele nicht von hier, nicht hier geboren und aufgewachsen, sondern irgendwann hierhergezogen, angereist, ausgestiegen, hinversetzt oder hergeflüchtet. Das, was man also in Schwaben einen Neigeschmeckten nennt und hier einen Ingeplackten, sind Menschen aus Schwaben, Schleswig-Holstein, aus Berlin, Italien, Japan, Island, Ghana oder Syrien und auch noch immer aus Groß-Britannien und den USA. Viele von den "echten" Frankfurtern finden eine oder zwei Generationen früher, jemanden in ihrer Familie, der auch woanders herkam. Irgendwie auch nach Frankfurt geflüchtet ist.
Als ich 1987 nach Frankfurt kam, aus dem Denkendorf, in dem ich aufgewachsen bin, aus Esslingen, was von dort aus die nächste "Stadt" ist und auch aus Stuttgart, wo ich mich als Jugendlicher mit gewöhnungsbedürftiger Frisur und für die damalige Zeit seltsamen Klamotten unter Leuten bewegt hatte, die ein Gespür dafür hatten, dass es auch noch um etwas anderes ging als "Schaffe, schaffe, Häusle baue".
Stuttgart ist ungefähr so groß wie Frankfurt. Und trotzdem hat man gleich gespürt: Hier ist etwas anders. Ich kam des nächtens am Eschenheimer Tor mit meinem dunkelblauen VW-Polo an – direkt unter dem riesigen Detektei-Tudor-Neonreklame-Schild. Ich dachte: Detektiv-Reklame. Das ist etwas anderes als ein Mercedes-Stern. Da war was los. Da musste etwas unklar sein, etwas, dem man hinterherspüren konnte, dem man auf die Schliche kommen konnte, etwas anderes als das, was man schon wusste.
Direkt hier und jetzt, quasi no bullshit, das hat mir gefallen, dieses Andere. Insofern bin ich nach Frankfurt geflüchtet, denn dieses Andere war in Stuttgart eher nicht so erwünscht. Dort herrschte die Idee vor: So mach mer des, und so isches richtig – von diesen Sätzen verstand ich, das ich das Richtige nicht wollte. Das Andere war viel zu aufregend.
Deshalb rief ich also beim Bürgertelefon im Römer an und erkundigte mich, ob man denn in Frankfurt Kunst studieren könnte. Herauskam die, was ich nicht wusste, weil ich ja vom Dorf kam, weltberühmte Städelschule. Da wurde dann mein Asylantrag gestellt und angenommen. Das war die Steigerung von Detektiv-Reklame – eine Hochschule des Anderen. Mit den Andersmeistern Thomas Bayrle und Martin Kippenberger, meinen Lehrern an der Städelschule, und vielen anderen, die auch etwas anderes wollten, das war nicht nur großes Kino, sondern ebensolche Detektivarbeit. Das Tudorschild behielt recht. Frankfurt behielt recht.
Mein Lieblingszitat von Kaspar König, dem damaligen Rektor der Städelschule, ist: "Das Beste an Frankfurt ist der Flughafen." Was sich im ersten Augenblick etwas despektierlich anhört ist in Wirklichkeit ein Riesenkompliment. Ein Platz, der nicht gemütlich in sich selbst versinkt, sondern innerlich wie äußerlich immer nach dem Anderen Ausschau hält und immer, und auch das halte ich für etwas Positives, von sich selbst wegstrebt und im Anderen und Differenten sich selbst findet und sich genau da selbst am nächsten ist.
Eine Stadt, die anders aussieht, die anders spricht und in der so viele andere Menschen leben wie sonst nirgends in dieser Republik. An vielen Orten soll dieses Andere heute wieder zurückgedrängt werden. Weil man woanders geboren ist. Weil man nicht das andere Geschlecht liebt. Oder sonst welche anderen Ideen hat. Das sollten wir nicht aus den Augen verlieren. Die Differenz ist es doch, was uns als Individuen ausmacht. Die Liebe zur Differenz ist das, was uns voranbringt – sonst wäre die Welt heute noch eine Scheibe.
Hier in Frankfurt findet das Anderssein ein Zuhause und eine Heimat, die Idee, dass das andere zu uns gehören kann. Deswegen bin ich sehr stolz heute mit einer Auszeichnung geehrt zu werden, die den Namen eines der allergrößten Andersmeister Deutschlands trägt, einem Frankfurter, der geflüchtet ist. Danke an alle Anderen.
Durch Umstände, durch Vorkommnisse, durch Menschen und auch vor allem durch Orte.
Diese große Frankfurter Auszeichnung bekommt heute nun einer, der im ursprünglichen Sinne eigentlich Schwabe ist.
Aber genau das ist etwas, das vielen Frankfurter ebenso geht. Nicht, dass die meisten Schwaben wären. Aber doch sind viele nicht von hier, nicht hier geboren und aufgewachsen, sondern irgendwann hierhergezogen, angereist, ausgestiegen, hinversetzt oder hergeflüchtet. Das, was man also in Schwaben einen Neigeschmeckten nennt und hier einen Ingeplackten, sind Menschen aus Schwaben, Schleswig-Holstein, aus Berlin, Italien, Japan, Island, Ghana oder Syrien und auch noch immer aus Groß-Britannien und den USA. Viele von den "echten" Frankfurtern finden eine oder zwei Generationen früher, jemanden in ihrer Familie, der auch woanders herkam. Irgendwie auch nach Frankfurt geflüchtet ist.
Als ich 1987 nach Frankfurt kam, aus dem Denkendorf, in dem ich aufgewachsen bin, aus Esslingen, was von dort aus die nächste "Stadt" ist und auch aus Stuttgart, wo ich mich als Jugendlicher mit gewöhnungsbedürftiger Frisur und für die damalige Zeit seltsamen Klamotten unter Leuten bewegt hatte, die ein Gespür dafür hatten, dass es auch noch um etwas anderes ging als "Schaffe, schaffe, Häusle baue".
Stuttgart ist ungefähr so groß wie Frankfurt. Und trotzdem hat man gleich gespürt: Hier ist etwas anders. Ich kam des nächtens am Eschenheimer Tor mit meinem dunkelblauen VW-Polo an – direkt unter dem riesigen Detektei-Tudor-Neonreklame-Schild. Ich dachte: Detektiv-Reklame. Das ist etwas anderes als ein Mercedes-Stern. Da war was los. Da musste etwas unklar sein, etwas, dem man hinterherspüren konnte, dem man auf die Schliche kommen konnte, etwas anderes als das, was man schon wusste.
Direkt hier und jetzt, quasi no bullshit, das hat mir gefallen, dieses Andere. Insofern bin ich nach Frankfurt geflüchtet, denn dieses Andere war in Stuttgart eher nicht so erwünscht. Dort herrschte die Idee vor: So mach mer des, und so isches richtig – von diesen Sätzen verstand ich, das ich das Richtige nicht wollte. Das Andere war viel zu aufregend.
Deshalb rief ich also beim Bürgertelefon im Römer an und erkundigte mich, ob man denn in Frankfurt Kunst studieren könnte. Herauskam die, was ich nicht wusste, weil ich ja vom Dorf kam, weltberühmte Städelschule. Da wurde dann mein Asylantrag gestellt und angenommen. Das war die Steigerung von Detektiv-Reklame – eine Hochschule des Anderen. Mit den Andersmeistern Thomas Bayrle und Martin Kippenberger, meinen Lehrern an der Städelschule, und vielen anderen, die auch etwas anderes wollten, das war nicht nur großes Kino, sondern ebensolche Detektivarbeit. Das Tudorschild behielt recht. Frankfurt behielt recht.
Mein Lieblingszitat von Kaspar König, dem damaligen Rektor der Städelschule, ist: "Das Beste an Frankfurt ist der Flughafen." Was sich im ersten Augenblick etwas despektierlich anhört ist in Wirklichkeit ein Riesenkompliment. Ein Platz, der nicht gemütlich in sich selbst versinkt, sondern innerlich wie äußerlich immer nach dem Anderen Ausschau hält und immer, und auch das halte ich für etwas Positives, von sich selbst wegstrebt und im Anderen und Differenten sich selbst findet und sich genau da selbst am nächsten ist.
Eine Stadt, die anders aussieht, die anders spricht und in der so viele andere Menschen leben wie sonst nirgends in dieser Republik. An vielen Orten soll dieses Andere heute wieder zurückgedrängt werden. Weil man woanders geboren ist. Weil man nicht das andere Geschlecht liebt. Oder sonst welche anderen Ideen hat. Das sollten wir nicht aus den Augen verlieren. Die Differenz ist es doch, was uns als Individuen ausmacht. Die Liebe zur Differenz ist das, was uns voranbringt – sonst wäre die Welt heute noch eine Scheibe.
Hier in Frankfurt findet das Anderssein ein Zuhause und eine Heimat, die Idee, dass das andere zu uns gehören kann. Deswegen bin ich sehr stolz heute mit einer Auszeichnung geehrt zu werden, die den Namen eines der allergrößten Andersmeister Deutschlands trägt, einem Frankfurter, der geflüchtet ist. Danke an alle Anderen.
7. Dezember 2016, 11.13 Uhr
Tobias Rehberger
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