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Deutsche Börse Photography Foundation Prize
Gemälde unserer Zeit
Die vier Nominierten des Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022 widmen sich globalen wie lokalen Konfliktfeldern – und finden teils betörende Bilder darin. Nach einer Ausstellung in London sind sie nun bis zum 15. September in Frankfurt Eschborn zu sehen.
Auf den ersten Blick erscheinen Deana Lawsons Bilder wie dokumentarische Fotografien. Dabei sind die Porträts der 1979 in Rochester, New York geborenen Fotokünstlerin sorgsam inszeniert. Man erkennt es an den Vorhängen, die manchmal scheinbar ins Bild flattern. Oder an den symbolistisch aufgeladenen Objekten, die die Porträtierten tragen und die Wände ihrer Wohnungen zieren. Mit diesem Vorwissen erscheinen Lawsons Bilder dann schon eher wie zeitgenössische Sittengemälde, kreiert mit den Mitteln der Fotografie, deren Objekte und Personen über den ganz akuten Zeitpunkt hinausweisen, in dystopische Momente der Zeitgeschichte, aber auch womöglich in utopische Zukünfte.
Im Sommer 2020 waren Lawsons Bilder in der Kunsthalle Basel zu sehen. Die Künstlerin inszenierte sie wie ein mythisches, weil fürs Publikum undurchdringbares Familienalbum, dessen Protagonistinnen und Protagonisten auf XXL-Porträts im White Cube zusammenrückten. Und tatsächlich zeigte Deana Lawson hier mit „Centropy“ ja ein Kabinett der Einzelnen, vielleicht auch der Vereinzelten, in jedem Fall aber sich untereinander Fremden, die sie selbst erst mit einer alchimistischen Kraft, die Kunst in ihren besten Momenten entfachen kann – oder zumindest generös so tun, als ob – erst zu einer den Erdball umspannenden Familie der schwarzen Diaspora zusammenbrachte.
Für „Centropy“ wurde Deana Lawson am 12. Mai in London mit dem Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022 ausgezeichnet. Ab dem 30. Juni werden einige der preisgekrönten Arbeiten dann im „The Cube“ in Eschborn ausgestellt. Gemeinsam mit den ebenfalls Nominierten der Shortlist: Gilles Peress, Jo Ractliffe und Anastasia Samoylova. Alle beschäftigen sich mit globalen wie lokalen Konflikten, für die sie bestechende, betörende oder verstörende Bilder finden. So wie im rund 2000 Seiten umfassenden Foto-Almanach „Whatever You Say, Say Nothing“ von Peress (*1964), in dem der Fotograf Bilder unter anderem aus dem nordirischen Bürgerkrieg zu fiktionalisierten Fotoreportagen zusammenstellte, während Ractcliffe (*1961) Bilder für die Nachwehen südafrikanischer Geschichte sucht und findet.
Anastasia Samoylova (*1984) wiederum wurde für die Ausstellung „FloodZone“ mit Bildern der gleichnamigen Serie nominiert. Ihre Fotografien dürften einigen Frankfurtern bereits vertraut sein – 2020 zeigte die Galerie von Peter Sillem Samoylovas Fotografien von gewaltigen Palmen, die einen rosa Bürgersteig in Miami zu sprengen drohen, von Swimmingpools in Überschwemmungsgebieten und von Fotofolien und Plakaten, auf denen paradiesische Zustände angepriesen werden.
Samoylova lebt seit 2016 in Miami. Ihre Bilder am Abgrund, aus einer Stadt, die vom Klimawandel akuter bedroht ist als andere, sind sorgsam in den Fokus gerückt, aber nicht inszeniert. Oft spricht ein trockener Humor aus den Arrangements, ein Blick voller Verweise auf die Bild- und Fotografiegeschichte. Er wird fortgeführt in „Floridas“, einer neuen Reihe der Fotografin, die jetzt als Bildband erschienen ist. Man kann sie noch bis zum 11. Juni bei Peter Sillem anschauen, quasi als Prequel zur Ausstellung in Eschborn, deren Arbeiten freilich früher entstanden. „Floridas gesamte Existenz ist Bildern geschuldet,“ sagt Samoylova, als sie Ende April zur Buchpräsentation in Frankfurt vorbeischaut. Für die Künstlerin ist der auch innerhalb der USA als ziemlich überdreht gebrandmarkte Bundesstaat zur gleichen Zeit ein Inbegriff bildnerischer Americana wie reichhaltige Fundgrube für Abgründiges. Für ihre Fotoarbeit hat sie alle erdenklichen Winkel Floridas besucht – die ‚Roadtrip-Fotografie‘, sagt Anastasia Samoylova, sei ja eigentlich auch so ein männlich besetztes Genre. Im Bildband stellt sie eigene Fotografien solchen der US-Fotografieikone Walker Evans gegenüber, der seinerseits viele Jahre lang in Florida gelebt hat, und lädt zum Ratespiel: Wer hat’s gemacht? Längst nicht immer ist die Autorenschaft der Bilder, eben ganz wie bei denen, die man sich selbst von Orten gemacht hat, eindeutig.
>> Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022, bis 15.9., The Cube, Eschborn, Termine: deutscheboersephotographyfoundation.org. „Floridas“ von Anastasia Samoylova, bis 11. Juni in der Galerie Peter Sillem, Infos: galerie-peter-sillem.com. Das zugehörige Fotobuch ist bei Steidl erschienen und kostet 58 €.
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Dieser Text ist auch in der Juni-Ausgabe (6/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
Im Sommer 2020 waren Lawsons Bilder in der Kunsthalle Basel zu sehen. Die Künstlerin inszenierte sie wie ein mythisches, weil fürs Publikum undurchdringbares Familienalbum, dessen Protagonistinnen und Protagonisten auf XXL-Porträts im White Cube zusammenrückten. Und tatsächlich zeigte Deana Lawson hier mit „Centropy“ ja ein Kabinett der Einzelnen, vielleicht auch der Vereinzelten, in jedem Fall aber sich untereinander Fremden, die sie selbst erst mit einer alchimistischen Kraft, die Kunst in ihren besten Momenten entfachen kann – oder zumindest generös so tun, als ob – erst zu einer den Erdball umspannenden Familie der schwarzen Diaspora zusammenbrachte.
Für „Centropy“ wurde Deana Lawson am 12. Mai in London mit dem Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022 ausgezeichnet. Ab dem 30. Juni werden einige der preisgekrönten Arbeiten dann im „The Cube“ in Eschborn ausgestellt. Gemeinsam mit den ebenfalls Nominierten der Shortlist: Gilles Peress, Jo Ractliffe und Anastasia Samoylova. Alle beschäftigen sich mit globalen wie lokalen Konflikten, für die sie bestechende, betörende oder verstörende Bilder finden. So wie im rund 2000 Seiten umfassenden Foto-Almanach „Whatever You Say, Say Nothing“ von Peress (*1964), in dem der Fotograf Bilder unter anderem aus dem nordirischen Bürgerkrieg zu fiktionalisierten Fotoreportagen zusammenstellte, während Ractcliffe (*1961) Bilder für die Nachwehen südafrikanischer Geschichte sucht und findet.
Anastasia Samoylova (*1984) wiederum wurde für die Ausstellung „FloodZone“ mit Bildern der gleichnamigen Serie nominiert. Ihre Fotografien dürften einigen Frankfurtern bereits vertraut sein – 2020 zeigte die Galerie von Peter Sillem Samoylovas Fotografien von gewaltigen Palmen, die einen rosa Bürgersteig in Miami zu sprengen drohen, von Swimmingpools in Überschwemmungsgebieten und von Fotofolien und Plakaten, auf denen paradiesische Zustände angepriesen werden.
Samoylova lebt seit 2016 in Miami. Ihre Bilder am Abgrund, aus einer Stadt, die vom Klimawandel akuter bedroht ist als andere, sind sorgsam in den Fokus gerückt, aber nicht inszeniert. Oft spricht ein trockener Humor aus den Arrangements, ein Blick voller Verweise auf die Bild- und Fotografiegeschichte. Er wird fortgeführt in „Floridas“, einer neuen Reihe der Fotografin, die jetzt als Bildband erschienen ist. Man kann sie noch bis zum 11. Juni bei Peter Sillem anschauen, quasi als Prequel zur Ausstellung in Eschborn, deren Arbeiten freilich früher entstanden. „Floridas gesamte Existenz ist Bildern geschuldet,“ sagt Samoylova, als sie Ende April zur Buchpräsentation in Frankfurt vorbeischaut. Für die Künstlerin ist der auch innerhalb der USA als ziemlich überdreht gebrandmarkte Bundesstaat zur gleichen Zeit ein Inbegriff bildnerischer Americana wie reichhaltige Fundgrube für Abgründiges. Für ihre Fotoarbeit hat sie alle erdenklichen Winkel Floridas besucht – die ‚Roadtrip-Fotografie‘, sagt Anastasia Samoylova, sei ja eigentlich auch so ein männlich besetztes Genre. Im Bildband stellt sie eigene Fotografien solchen der US-Fotografieikone Walker Evans gegenüber, der seinerseits viele Jahre lang in Florida gelebt hat, und lädt zum Ratespiel: Wer hat’s gemacht? Längst nicht immer ist die Autorenschaft der Bilder, eben ganz wie bei denen, die man sich selbst von Orten gemacht hat, eindeutig.
>> Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022, bis 15.9., The Cube, Eschborn, Termine: deutscheboersephotographyfoundation.org. „Floridas“ von Anastasia Samoylova, bis 11. Juni in der Galerie Peter Sillem, Infos: galerie-peter-sillem.com. Das zugehörige Fotobuch ist bei Steidl erschienen und kostet 58 €.
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Dieser Text ist auch in der Juni-Ausgabe (6/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
4. Juli 2022, 10.37 Uhr
kjc
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