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Asad Raza im Portikus
Umleitung – wenn der Main Teil der Kunst wird
Künstlerische Sommerfrische: Asad Raza bringt den Main in den Ausstellungsraum – und beschert Frankfurt eine (Neu-) Entdeckung mit dem Hausfluss. Razas Ausstellung im Portikus ist die erste des neuen Kuratorinnen-Duos.
„Wann hast du zuletzt deine Füße in den Main gesteckt?“ Nur eine von vielen Fragen, die Rund Alarabi an diesem Tag stellt. Im Wechsel mit einem Dutzend weiterer junger Leute steht die Städelschülerin im Portikus, um sich mit Besucherinnen und Besuchern über Fluss-Erlebnisse auszutauschen. Und tatsächlich sind Begegnungen mit dem Frankfurter Hausfluss im Alltag ja eher rar. Der Portikus bietet jetzt Abhilfe: Gerade fließt der Main in einer künstlerischen Umleitung einmal durch den gesamten Ausstellungsraum. Man kann barfuß hindurchlaufen (erstaunlich wohltemperiert) und weiter unten sogar das dreifach gefilterte Flusswasser kosten (erstaunlich wohlschmeckend).
„Diversion“ heißt die Ausstellung von Asad Raza, die den Sommer über präsentiert wird. Der New Yorker Künstler, Filmemacher und Tenniskritiker hat schon sein eigenes Apartment zur Ausstellungsfläche und Ausstellungsräume zu Tennisplätzen oder Baumschulen gemacht. Immer von Menschen bespielt, das ist ihm wichtig. Alarabi gehört als „custodian“, also Hüterin oder Aufseherin, ebenso zum Konzept wie der Flusslauf selbst.
Raza berichtet von seiner Kindheit in Buffalo, New York. Ein Fluss sei damals etwas Schmutziges gewesen – keine Sache, mit der man im Alltag in Kontakt trete. In Frankfurt fand er die perfekten Voraussetzungen, um einen städtischen Fluss in den Ausstellungsraum umzuleiten und somit wörtlich zugänglich zu machen. Mit Naturromantik hat Razas Flusslauf allerdings wenig zu tun: Sandfarbene Kieselpappe, ein unsichtbares Grundgerüst, ein paar Pumpen und Filter. Die Funktion ist dafür umso ausgeklügelter: Aus drei Rohren fällt das Wasser in den Ausstellungsraum, fließt einmal längs hindurch und an dessen entgegengesetztem Ende eine Etage weiter hinunter. 50 000 Liter
zwackt Raza dem Main nun täglich ab, aus einem kleinen Rohr fließt die Leihgabe wieder zurück in den Fluss. Und er hat, kleiner künstlerischer Gag, den Main dazu gebracht, eine Pirouette zu drehen. Nun strömt der Flussarm entgegen seiner eigentlichen Fließrichtung durch den Raum.
Für das neue Kuratorinnen-Duo im Portikus war Asad Raza ein Wunschkandidat für die erste Ausstellung. Carina Bukuts und Liberty Adrien sind angetreten, um das spektakuläre, aber eben auch etwas kühl-reservierte Ausstellungsgebäude und sein Programm näher in die Stadt zu tragen. „Der Portikus ist nicht das zugänglichste Gebäude“, findet Adrien. „Er hat eine beeindruckende, auf manche Menschen wohl auch abschreckende Architektur und außerdem eine wirklich schwere Tür, die das Haus zusätzlich nach außen abschirmt.“ Das wirke der eigentlichen Idee des kostenlos zugänglichen Hauses entgegen. „Diversion“ könnte sich als geeigneter Türöffner erweisen: Schon zum Presserundgang, derweil die Schau noch gar nicht offiziell eröffnet ist, schauen eine kolumbianische Familie auf der Durchreise und zwei ältere Frankfurterinnen mit Wanderrucksack neugierig im sperrangelweit geöffneten Haus vorbei. Einige sind noch vorsichtig, unterhalten sich mit den Ausstellungsbegleitern, andere steigen nach wenigen Minuten ins Wasser oder kosten vom gefilterten Main.
Die Stadt und ihre dauerhaften wie temporären Bewohnerinnen und Bewohner zusammenzubringen, ist auch ein Anliegen von Asad Raza. „Es gibt so wenige Orte, an denen wir einander heute noch wirklich begegnen“, sagt der Künstler. Seine ebenso pragmatische wie poetische Umleitung hat in jedem Fall das Zeug dazu, auch solche Leute zusammen und über ihre Lebensumgebung ins Sprechen zu bringen, die sonst eher keine Ausstellungen besuchen.
Die wohl gelungenste künstlerische Sommerfrische des Jahres in dieser bisweilen brachial heißen Stadt ist die Schau fraglos. Raza nickt zufrieden. Er ist froh, sein Vorhaben, den Fluss in den Ausstellungsraum zu bringen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort realisiert zu haben. „Im Winter wäre meine Idee wohl nicht so gut angekommen“, bemerkt der Künstler. Dann bittet er noch um ein Souvenirfoto: Ein Freund ist vorbeigekommen, die beiden waten knöcheltief mit anderen im Kunstwerk und lächeln in die Handykamera. Im Hintergrund rauscht der Main.
Asad Raza, Diversion, bis 25.9. im Portikus, Alte Brücke 2/Main-insel, Eintritt und Ausstellungszeitung kostenlos.
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Dieser Text ist zuerst in der August-Ausgabe (8/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
„Diversion“ heißt die Ausstellung von Asad Raza, die den Sommer über präsentiert wird. Der New Yorker Künstler, Filmemacher und Tenniskritiker hat schon sein eigenes Apartment zur Ausstellungsfläche und Ausstellungsräume zu Tennisplätzen oder Baumschulen gemacht. Immer von Menschen bespielt, das ist ihm wichtig. Alarabi gehört als „custodian“, also Hüterin oder Aufseherin, ebenso zum Konzept wie der Flusslauf selbst.
Raza berichtet von seiner Kindheit in Buffalo, New York. Ein Fluss sei damals etwas Schmutziges gewesen – keine Sache, mit der man im Alltag in Kontakt trete. In Frankfurt fand er die perfekten Voraussetzungen, um einen städtischen Fluss in den Ausstellungsraum umzuleiten und somit wörtlich zugänglich zu machen. Mit Naturromantik hat Razas Flusslauf allerdings wenig zu tun: Sandfarbene Kieselpappe, ein unsichtbares Grundgerüst, ein paar Pumpen und Filter. Die Funktion ist dafür umso ausgeklügelter: Aus drei Rohren fällt das Wasser in den Ausstellungsraum, fließt einmal längs hindurch und an dessen entgegengesetztem Ende eine Etage weiter hinunter. 50 000 Liter
zwackt Raza dem Main nun täglich ab, aus einem kleinen Rohr fließt die Leihgabe wieder zurück in den Fluss. Und er hat, kleiner künstlerischer Gag, den Main dazu gebracht, eine Pirouette zu drehen. Nun strömt der Flussarm entgegen seiner eigentlichen Fließrichtung durch den Raum.
Für das neue Kuratorinnen-Duo im Portikus war Asad Raza ein Wunschkandidat für die erste Ausstellung. Carina Bukuts und Liberty Adrien sind angetreten, um das spektakuläre, aber eben auch etwas kühl-reservierte Ausstellungsgebäude und sein Programm näher in die Stadt zu tragen. „Der Portikus ist nicht das zugänglichste Gebäude“, findet Adrien. „Er hat eine beeindruckende, auf manche Menschen wohl auch abschreckende Architektur und außerdem eine wirklich schwere Tür, die das Haus zusätzlich nach außen abschirmt.“ Das wirke der eigentlichen Idee des kostenlos zugänglichen Hauses entgegen. „Diversion“ könnte sich als geeigneter Türöffner erweisen: Schon zum Presserundgang, derweil die Schau noch gar nicht offiziell eröffnet ist, schauen eine kolumbianische Familie auf der Durchreise und zwei ältere Frankfurterinnen mit Wanderrucksack neugierig im sperrangelweit geöffneten Haus vorbei. Einige sind noch vorsichtig, unterhalten sich mit den Ausstellungsbegleitern, andere steigen nach wenigen Minuten ins Wasser oder kosten vom gefilterten Main.
Die Stadt und ihre dauerhaften wie temporären Bewohnerinnen und Bewohner zusammenzubringen, ist auch ein Anliegen von Asad Raza. „Es gibt so wenige Orte, an denen wir einander heute noch wirklich begegnen“, sagt der Künstler. Seine ebenso pragmatische wie poetische Umleitung hat in jedem Fall das Zeug dazu, auch solche Leute zusammen und über ihre Lebensumgebung ins Sprechen zu bringen, die sonst eher keine Ausstellungen besuchen.
Die wohl gelungenste künstlerische Sommerfrische des Jahres in dieser bisweilen brachial heißen Stadt ist die Schau fraglos. Raza nickt zufrieden. Er ist froh, sein Vorhaben, den Fluss in den Ausstellungsraum zu bringen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort realisiert zu haben. „Im Winter wäre meine Idee wohl nicht so gut angekommen“, bemerkt der Künstler. Dann bittet er noch um ein Souvenirfoto: Ein Freund ist vorbeigekommen, die beiden waten knöcheltief mit anderen im Kunstwerk und lächeln in die Handykamera. Im Hintergrund rauscht der Main.
Asad Raza, Diversion, bis 25.9. im Portikus, Alte Brücke 2/Main-insel, Eintritt und Ausstellungszeitung kostenlos.
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Dieser Text ist zuerst in der August-Ausgabe (8/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
4. August 2022, 10.23 Uhr
kjc
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