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Hanau Attentat
„Von der politischen Aufklärung sind wir noch sehr weit entfernt“
Am 19. Februar jährt sich der Anschlag in Hanau zum dritten Mal. Said Etris Hashemi hat an diesem Abend seinen Bruder Said Nesar Hashemi verloren und wurde selbst von Schüssen getroffen. Im Interview erzählt er von seiner Aufklärungsarbeit und was sich für ihn seither verändert hat.
JOURNAL FRANKFURT: Am Wochenende jährt sich das Attentat von Hanau. Wie fühlst du dich aktuell?
Said Etris Hashemi: Um ehrlich zu sein, will ich alles so schnell wie möglich hinter mich bringen und nach dem Jahrestag durchatmen.
Geht das überhaupt? Werdet ihr aktuell viel von Journalisten angefragt?
Ja extrem viel. Du bist mein drittes Interview heute, zwei Stück habe ich heute noch vor mir.
Wie empfindest du das, dass Medienanfragen kurz vor dem Jahrestag so intensiv zunehmen?
Am Anfang, kurz nach dem Anschlag, gab es enorm viele Anfragen. Ich bin ein Jahr komplett untergetaucht und wollte nichts damit zu tun haben – weder mit der Presse noch mit der Öffentlichkeit. Irgendwann habe ich mich dazu verpflichtet gefühlt, da es auch wichtig für unseren Kampf ist, mit der Öffentlichkeit zu reden und unsere Forderungen zu verbreiten.
Teilweise werden wir beispielsweise als Experten auf Podiumsdiskussionen eingeladen oder auf Veranstaltungen. Ich persönlich mache zum Beispiel seit ungefähr einem Jahr auch viel Lobby-Arbeit, wodurch ich viel unterwegs bin und viele Fragen gestellt bekomme. Man ist irgendwo zu einer Person des öffentlichen Lebens geworden. Kurz vor dem Jahrestag ist es enorm viel, aber so ist das halt. Das öffentliche Interesse ist kurz davor immer am größten.
Über die Initiative 19. Februar veröffentlicht ihr sowohl über die Website als auch auf sozialen Netzwerken wie Instagram und Twitter Informationen und Statements. Gleichzeitig organisiert ihr Demonstrationen und berichtet regelmäßig über die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses im Hessischen Landtag. Kannst du was zu der Initiative erzählen?
Die Initiative wurde nicht direkt von uns Angehörigen gegründet. Gegründet wurde sie von Unterstützerinnen und Unterstützern. Zunächst war sie ein Raum, in dem sich alle Angehörigen versammelt haben. Man hat sich getroffen und darüber gesprochen, was überhaupt wirklich passiert ist. Wir haben auch die nächsten Schritte dort geplant und unsere vier Forderungen zusammengestellt – Aufklärung, Konsequenzen, Erinnerung und Gerechtigkeit. Diese vier Forderungen haben den Leitfaden für unseren Kampf gebildet.
Konnten eure Forderungen bisher umgesetzt werden?
Von diesen vier Forderungen ist genau eine bis jetzt zu unserer Zufriedenheit umgesetzt worden und darauf sind wir als Initiative sehr stolz. Dabei geht es um die Erinnerungskultur. Wir haben viel für die Erinnerungskultur in Deutschland getan. Das ist das erste Mal, dass bei einem Anschlag nicht der Täter im Vordergrund steht, sondern die Ermordeten. Die Namen und Gesichter sind bekannt. Sie hängen in Form von Stickern gefühlt an jeder Wand und an jeder Straßenlaterne sowie auf Straßenschildern. Man sagt die Namen der Ermordeten. Der Täter ist in der ganzen Debatte in den Hintergrund gerückt. Viele wissen nicht mal wie er heißt. Deswegen nutzen wir den Ausruf „Say Their Names“ für unseren Kampf – damit die Erinnerungskultur in dieser Form weiterhin erhalten bleibt.
Die verbleibenden drei Forderungen siehst du noch nicht als erfüllt?
Nein. Von der Aufklärung sind wir noch sehr weit entfernt. Zwar konnten wir die gesellschaftliche Aufklärung vorantreiben, aber von der politischen Aufklärung sind wir noch weit entfernt. Aktuell sind wir ja noch mitten im Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag und da geht alles sehr schleppend voran.
Es finden sehr viele Gedenkveranstaltungen außerhalb von Hanau statt. Habt ihr die alle geplant?
Die sind nicht von uns geplant, aber die meisten sind bei uns angemeldet. Aktuell sind es um die 100 Veranstaltungen deutschlandweit. Die Organisatorinnen und Organisatoren melden sich bei uns und fragen nach Materialien wie beispielsweise Plakate und Poster, die sie auf ihren Kundgebungen und Demos nutzen können.
Wie fühlt sich das für dich an, dass so viele Menschen sich organisieren und mobilisieren anlässlich des Jahrestags?
Das ist sehr motivierend. Dass man eine solche Solidarität innerhalb der Gesellschaft erfährt, die unseren Kampf unterstützt, gibt einem den Antrieb weiterzumachen.
Inwiefern hat der Anschlag dich politisiert?
Ich war schon immer interessiert an politischen und gesellschaftlichen Themen, aktiv war ich aber nicht. Mit dem Thema Rassismus war ich vertraut – ich denke jeder, der nicht bio-deutsch ist, hat schon mal Rassismus in seinem Leben erfahren. Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund nehmen es einfach hin, dass es rassistische Strukturen gibt, man benachteiligt wird – beispielsweise in der Schule – oder als Mensch zweiter Klasse abgestempelt wird. Seit dem Anschlag hat sich das bei mir komplett verändert. Warum sollte ich das hinnehmen und akzeptieren? Ich bin hier geboren, aufgewachsen, ich bin hier zur Schule gegangen und ich studiere hier. Warum soll ich weniger wert sein als ein Bio-Deutscher?
Beobachtest du dieses Umdenken auch in deinem Umfeld?
Es geht so. Der Anschlag hat auf jeden Fall jeden in meinem Umfeld verändert – aber die meisten hat es in ihrem Denken einfach nur bestätigt, dass wir Ausländer sind, als Ausländer wahrgenommen werden und es immer so bleiben wird.
Wie kann man als Außenstehender euren Kampf unterstützen?
Indem man sich beispielsweise weiterhin mobilisiert, an den Demonstrationen teilnimmt oder auch auf sozialen Netzwerken wie Instagram unsere Nachricht verbreitet. Das alles hat uns in den vergangenen drei Jahren schon geholfen. Wir wären mit unseren Forderungen niemals so weit gekommen, wenn wir nicht so viele Supporter gehabt hätten. Diese Form der Unterstützung ist enorm wichtig, um auch politischen Druck zu erzeugen.
Seit etwa einem Monat habt ihr auch einen Shop auf der Website der Initiative. Über diesen verkauft ihr beispielsweise Kleidung mit dem Ausruf #Saytheirnames und den Porträts sowie Namen der Ermordeten. Warum habt ihr diesen gegründet?
Wir haben am Anfang eine große Menge an Shirts von einer Produktion in Berlin gespendet bekommen. Auf diesen waren die Gesichter und Namen der Ermordeten zu sehen. Die Shirts haben wir an Freunde, Verwandte und Supporter verteilt. Die sind enorm gut angekommen und die Nachfrage wurde immer größer. Dann sind wir auf die Idee gekommen die Shirts über einen Onlineshop zu verkaufen und den Gewinn, der dadurch entsteht in unsere Projekte zu stecken. Die ganze Arbeit, die wir beispielsweise in das Organisieren von Demos, die Forensik oder auch Gutachter und Anwälte stecken, wird finanziell nicht von offizieller Seite wie etwa der Stadt gefördert. Wir finanzieren uns auf Spendenbasis. Mit dem Onlineshop wollen wir diese Arbeit finanzieren. Wir haben auch auf Betterplace.org Spendenkonten, über die wir für die unterschiedlichen Projekte sammeln.
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Zur Person: Am 19. Februar jährt sich der Anschlag in Hanau zum dritten Mal. Said Etris Hashemi wurde an diesem Tag angeschossen, doch hat überlebt. Sein Bruder Said Nesar Hashemi wurde ermordet. Heute setzt sich der 26-jährige Hashemi im Kampf gegen Rassismus ein und engagiert sich für die Initiative 19. Februar. Um für Aufklärung und Gerechtigkeit zu sorgen, reist Hashemi dabei durch das gesamte Land und kommuniziert seine Forderungen, seine Gedanken und seine Geschichte.
Said Etris Hashemi: Um ehrlich zu sein, will ich alles so schnell wie möglich hinter mich bringen und nach dem Jahrestag durchatmen.
Geht das überhaupt? Werdet ihr aktuell viel von Journalisten angefragt?
Ja extrem viel. Du bist mein drittes Interview heute, zwei Stück habe ich heute noch vor mir.
Wie empfindest du das, dass Medienanfragen kurz vor dem Jahrestag so intensiv zunehmen?
Am Anfang, kurz nach dem Anschlag, gab es enorm viele Anfragen. Ich bin ein Jahr komplett untergetaucht und wollte nichts damit zu tun haben – weder mit der Presse noch mit der Öffentlichkeit. Irgendwann habe ich mich dazu verpflichtet gefühlt, da es auch wichtig für unseren Kampf ist, mit der Öffentlichkeit zu reden und unsere Forderungen zu verbreiten.
Teilweise werden wir beispielsweise als Experten auf Podiumsdiskussionen eingeladen oder auf Veranstaltungen. Ich persönlich mache zum Beispiel seit ungefähr einem Jahr auch viel Lobby-Arbeit, wodurch ich viel unterwegs bin und viele Fragen gestellt bekomme. Man ist irgendwo zu einer Person des öffentlichen Lebens geworden. Kurz vor dem Jahrestag ist es enorm viel, aber so ist das halt. Das öffentliche Interesse ist kurz davor immer am größten.
Über die Initiative 19. Februar veröffentlicht ihr sowohl über die Website als auch auf sozialen Netzwerken wie Instagram und Twitter Informationen und Statements. Gleichzeitig organisiert ihr Demonstrationen und berichtet regelmäßig über die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses im Hessischen Landtag. Kannst du was zu der Initiative erzählen?
Die Initiative wurde nicht direkt von uns Angehörigen gegründet. Gegründet wurde sie von Unterstützerinnen und Unterstützern. Zunächst war sie ein Raum, in dem sich alle Angehörigen versammelt haben. Man hat sich getroffen und darüber gesprochen, was überhaupt wirklich passiert ist. Wir haben auch die nächsten Schritte dort geplant und unsere vier Forderungen zusammengestellt – Aufklärung, Konsequenzen, Erinnerung und Gerechtigkeit. Diese vier Forderungen haben den Leitfaden für unseren Kampf gebildet.
Konnten eure Forderungen bisher umgesetzt werden?
Von diesen vier Forderungen ist genau eine bis jetzt zu unserer Zufriedenheit umgesetzt worden und darauf sind wir als Initiative sehr stolz. Dabei geht es um die Erinnerungskultur. Wir haben viel für die Erinnerungskultur in Deutschland getan. Das ist das erste Mal, dass bei einem Anschlag nicht der Täter im Vordergrund steht, sondern die Ermordeten. Die Namen und Gesichter sind bekannt. Sie hängen in Form von Stickern gefühlt an jeder Wand und an jeder Straßenlaterne sowie auf Straßenschildern. Man sagt die Namen der Ermordeten. Der Täter ist in der ganzen Debatte in den Hintergrund gerückt. Viele wissen nicht mal wie er heißt. Deswegen nutzen wir den Ausruf „Say Their Names“ für unseren Kampf – damit die Erinnerungskultur in dieser Form weiterhin erhalten bleibt.
Die verbleibenden drei Forderungen siehst du noch nicht als erfüllt?
Nein. Von der Aufklärung sind wir noch sehr weit entfernt. Zwar konnten wir die gesellschaftliche Aufklärung vorantreiben, aber von der politischen Aufklärung sind wir noch weit entfernt. Aktuell sind wir ja noch mitten im Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag und da geht alles sehr schleppend voran.
Es finden sehr viele Gedenkveranstaltungen außerhalb von Hanau statt. Habt ihr die alle geplant?
Die sind nicht von uns geplant, aber die meisten sind bei uns angemeldet. Aktuell sind es um die 100 Veranstaltungen deutschlandweit. Die Organisatorinnen und Organisatoren melden sich bei uns und fragen nach Materialien wie beispielsweise Plakate und Poster, die sie auf ihren Kundgebungen und Demos nutzen können.
Wie fühlt sich das für dich an, dass so viele Menschen sich organisieren und mobilisieren anlässlich des Jahrestags?
Das ist sehr motivierend. Dass man eine solche Solidarität innerhalb der Gesellschaft erfährt, die unseren Kampf unterstützt, gibt einem den Antrieb weiterzumachen.
Inwiefern hat der Anschlag dich politisiert?
Ich war schon immer interessiert an politischen und gesellschaftlichen Themen, aktiv war ich aber nicht. Mit dem Thema Rassismus war ich vertraut – ich denke jeder, der nicht bio-deutsch ist, hat schon mal Rassismus in seinem Leben erfahren. Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund nehmen es einfach hin, dass es rassistische Strukturen gibt, man benachteiligt wird – beispielsweise in der Schule – oder als Mensch zweiter Klasse abgestempelt wird. Seit dem Anschlag hat sich das bei mir komplett verändert. Warum sollte ich das hinnehmen und akzeptieren? Ich bin hier geboren, aufgewachsen, ich bin hier zur Schule gegangen und ich studiere hier. Warum soll ich weniger wert sein als ein Bio-Deutscher?
Beobachtest du dieses Umdenken auch in deinem Umfeld?
Es geht so. Der Anschlag hat auf jeden Fall jeden in meinem Umfeld verändert – aber die meisten hat es in ihrem Denken einfach nur bestätigt, dass wir Ausländer sind, als Ausländer wahrgenommen werden und es immer so bleiben wird.
Wie kann man als Außenstehender euren Kampf unterstützen?
Indem man sich beispielsweise weiterhin mobilisiert, an den Demonstrationen teilnimmt oder auch auf sozialen Netzwerken wie Instagram unsere Nachricht verbreitet. Das alles hat uns in den vergangenen drei Jahren schon geholfen. Wir wären mit unseren Forderungen niemals so weit gekommen, wenn wir nicht so viele Supporter gehabt hätten. Diese Form der Unterstützung ist enorm wichtig, um auch politischen Druck zu erzeugen.
Seit etwa einem Monat habt ihr auch einen Shop auf der Website der Initiative. Über diesen verkauft ihr beispielsweise Kleidung mit dem Ausruf #Saytheirnames und den Porträts sowie Namen der Ermordeten. Warum habt ihr diesen gegründet?
Wir haben am Anfang eine große Menge an Shirts von einer Produktion in Berlin gespendet bekommen. Auf diesen waren die Gesichter und Namen der Ermordeten zu sehen. Die Shirts haben wir an Freunde, Verwandte und Supporter verteilt. Die sind enorm gut angekommen und die Nachfrage wurde immer größer. Dann sind wir auf die Idee gekommen die Shirts über einen Onlineshop zu verkaufen und den Gewinn, der dadurch entsteht in unsere Projekte zu stecken. Die ganze Arbeit, die wir beispielsweise in das Organisieren von Demos, die Forensik oder auch Gutachter und Anwälte stecken, wird finanziell nicht von offizieller Seite wie etwa der Stadt gefördert. Wir finanzieren uns auf Spendenbasis. Mit dem Onlineshop wollen wir diese Arbeit finanzieren. Wir haben auch auf Betterplace.org Spendenkonten, über die wir für die unterschiedlichen Projekte sammeln.
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Zur Person: Am 19. Februar jährt sich der Anschlag in Hanau zum dritten Mal. Said Etris Hashemi wurde an diesem Tag angeschossen, doch hat überlebt. Sein Bruder Said Nesar Hashemi wurde ermordet. Heute setzt sich der 26-jährige Hashemi im Kampf gegen Rassismus ein und engagiert sich für die Initiative 19. Februar. Um für Aufklärung und Gerechtigkeit zu sorgen, reist Hashemi dabei durch das gesamte Land und kommuniziert seine Forderungen, seine Gedanken und seine Geschichte.
17. Februar 2023, 10.48 Uhr
Sinem Koyuncu
Sinem Koyuncu
Jahrgang 1996, Studium der Politikwissenschaft an der Goethe-Universität, seit Oktober 2021 beim Journal Frankfurt. Mehr von Sinem
Koyuncu >>
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