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Die neue Frankfurter Altstadt

Erinnerungskultur in bewegten Zeiten

Als Planungsdezernent und Bürgermeister (Grüne) konnte Olaf Cunitz die Entstehung der neuen Altstadt ein Stück weit begleiten und mittragen. Am Samstag wurde Richtfest gefeiert. Dazu ein Gastbeitrag von Olaf Cunitz.
Mit dem Richtfest ist ein weiterer Meilenstein für das Dom-Römer-Projekt erreicht worden. Dieses Vorhaben, das zu Recht auch als Jahrhundertprojekt für die Stadt Frankfurt bezeichnet wird, hat eine faszinierende Kraft entwickelt. Eine Kraft, der es sogar möglich ist, hartnäckige Gegner plötzlich zu Anhängern werden zu lassen.

Lange ist darüber gestritten worden, was dort entstehen soll, wo noch vor wenigen Jahren zwischen Dom und Römer das Technische Rathaus stand. Manche wollten das große Verwaltungsgebäude im Baustil des Brutalismus umbauen. Manche wollten es abreißen und wünschten sich an derselben Stelle ein großes Hotel oder Bürogebäude. Bilder mit futuristischen Bauwerken aus Glas, Stahl und Beton machten die Runde. Sie verzückten die einen, andere reagierten entsetzt. Das war der Beginn einer intensiven, jahrelangen öffentlichen Debatte, an deren Ende eine gute und wegweisende Lösung stand. 15 Häuser werden rekonstruiert und weitere 20 entstehen nach zeitgenössischen Plänen unterschiedlicher Architekturbüros auf dem kleinteiligen Grundriss der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Frankfurter Altstadt. Diese modernen Häuser greifen aber typische Stilelemente der Frankfurter Altstadt auf. Damit wächst das Quartier in einer gelungenen Mischung aus Alt und Neu zu einem altstadttypischen Wohnquartier zusammen.

Bald soll es in dem Viertel kleine Läden, Cafés und Restaurants, Raum für lokale Gewerbetreibende und malerische Plätze geben. Und bis zu 200 Menschen werden in der neuen Altstadt ein neues Zuhause finden. So wird das Quartier ein lebendiges Wohngebiet, aber auch ein Treffpunkt für Bürgerinnen und Bürger, Besucherinnen und Besucher aus der Region und aus aller Welt. Bereichert wird die neue Altstadt vom Stadthaus am Markt, das den südlichen Abschluss des Viertels markiert und künftig als Veranstaltungs- und Begegnungszentrum zur Verfügung steht. Der Versuch eine museale Nutzung im Stadthaus unterzubringen, würde den Charakter und die Funktionalität als Veranstaltungsort erheblich und unnötig einschränken. Kulturelle Höhepunkte wird die neue Altstadt dennoch zu bieten haben, wie das Stoltzemuseum, das Struwwelpetermuseum, das auch im Inneren zu besichtigende Haus „Goldene Waage“ und den neu angelegten Archäologischen Garten.

Aber das Dom-Römer-Projekt ist auch ein Vorhaben, das oft fehlgedeutet oder falsch begriffen wird. So wird die neue Altstadt gelegentlich als reine Touristenattraktion missverstanden. Von einem Teil der Fachwelt als Kuriosität oder sogar als architektonischer Sündenfall betrachtet. Oder misstrauisch als rückwärtsgewandter Weg in eine lange zerstörte Vergangenheit betrachtet. Es ist ein Projekt, das polarisiert, das Kontroversen verursacht. Aber es wäre auch erstaunlich, wenn dies bei einem solchen Unterfangen nicht der Fall wäre. Es ist ein Vorhaben, das einem eine Haltung abverlangt. Eine Haltung zu unserer Stadt, zu unserer Geschichte und zur Frage, wie wir uns erinnern wollen, welchen Wert wir der Erfahrbarkeit von Geschichte beimessen, ohne einfach nur eine Kopie des Vergangenen darzustellen. Für uns und für nachfolgende Generationen.

Exemplarisch steht dafür das besonders umstrittene Thema der Rekonstruktionen. Schon immer sind Gebäude durch Kriege, Naturkatastrophen, Brände oder einfach aufgrund ihres Alters beschädigt oder zerstört und genauso repariert und wiederhergestellt worden. In Frankfurt haben wir zahlreiche Beispiele: Die Paulskirche, das Goethehaus, die Ostzeile auf dem Römerberg oder sogar die Staufenmauer, die im 18. Jahrhundert durch einen Brand zerstört und obwohl sie keinen militärischen oder sonstigen Nutzen hatte, wieder errichtet wurde.

Rekonstruktionen werden im Laufe der Zeit zu „Originalen“ – Sie authentifizieren sich mit der Zeit selbst. Sie werden Teil der kollektiven Erinnerung, Teil der Stadtgeschichte, Teil der Identität einer Stadt. Und diesen Teil haben die Kritiker der neuen Altstadt – so glaube ich – nie verstanden. Man hat sich über Baumaterialien mokiert, über vermeintlich rückwärtsgewandte Architektur. Aber hier geht es um die kulturhistorische Dimension, eine ganz andere Komplexität. Architektur dient hier, um Erinnerung zu bewahren, um Geschichte zu transportieren und erfahrbar zu machen.

Besonders deutlich wird das beim schon erwähnten Haus „Goldene Waage“. Im Jahr 1599 kam ein Abraham van Hamel als Glaubensflüchtling aus den spanischen Niederlanden nach Frankfurt. Er bekam die Bürgerrechte und hat sich nach einiger Zeit entschlossen, in Frankfurt ein neues Haus zu bauen. Ein Vorhaben, das mit viel Ärger durch die Nachbarn und die Baubehörden verbunden war, doch am Ende stand das Haus fertig da.

Es ist ein Haus, das wir gerade jetzt auf dem Dom-Römer-Areal, unserer neuen Altstadt, rekonstruieren und das in Zukunft wieder in seiner ganzen Pracht erlebbar sein wird. Das schönste Haus der Stadt Frankfurt hat also ein Flüchtling erbauen lassen, ein Haus, auf dem wir unsere Stadtgeschichte mitbegründen und das in besonderer Weise unser Verständnis von Heimat prägt, und das die Zuversicht ausstrahlt, dass wir in Frankfurt auch in Zukunft von Zuwanderung profitieren werden.

Auch dafür steht die neue Altstadt und damit in der besten Tradition Frankfurts als offene und freie Stadt emanzipierter Bürgerinnen und Bürger.
 
Fotogalerie:
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17. Oktober 2016, 10.54 Uhr
Olaf Cunitz
 
 
 
 
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