Aktienkultur in Deutschland

„Beim Thema Aktienkultur ist Deutschland ein Entwicklungsland“

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Die Aktienmarktteilnahmequote in Deutschland lag im Jahr 2018 bei 16 Prozent – weitaus weniger als in anderen Industrieländern. Fehlendes Wissen und viele Vorbehalte halten die Deutschen vom Aktienkauf ab. Dabei gibt es gute Gründe, Aktien zu besitzen.

Sheera Plawner /

Mit welchen Assoziationen verbinden Sie spontan den Begriff „Aktienbesitz“? Häufig drehen sich die Gedanken bei Nichtaktionären stark um Verluste, Risiko, Angst, Unwissen oder auch Desinteresse. Aus einer aktuellen Studie von Forscherinnen und Forschern der Frankfurt School of Finance & Management und der Goethe-Universität Frankfurt im Auftrag der Deutschen Börse geht hervor, dass Aktienbesitzende im Gegensatz zu Nichtbesitzenden vermehrt positive Aspekte, wie die Möglichkeit Gewinne zu erzielen und reich zu werden, mit Aktienbesitz verbinden. An der deutschlandweit online durchgeführten Umfrage haben 2761 Aktienbesitzende und Nichtaktionäre teilgenommen.

Obwohl Deutschland eine der reichsten Volkswirtschaften ist, investieren die Deutschen nur in sehr geringem Ausmaß in Aktien. Die Aktienmarktteilnahmequote in Deutschland lag laut Deutschem Aktieninstitut (DAI) im Jahr 2018 bei nur 16 Prozent. Das Deutsche Aktieninstitut findet, dass Aktien bei Reformen des staatlichen Altersvorsorgesystems stärker berücksichtigt werden sollten. In den USA etwa, wo der Staat die Altersvorsorge über den Kapitalmarkt stärker fördert, liegt sie bei über 50 Prozent. „Beim Thema Aktienkultur ist Deutschland ein Entwicklungsland. Trotz umfangreicher Aufklärungsarbeit verändert sich die Zahl der Aktionäre seit Jahren kaum“, beklagt Nicolas Nonnenmacher, Bereichsleiter bei der Deutschen Börse.

Der Weg zur ersten Aktie

Laut der Studie führt der häufigste Weg zur ersten Aktie über Familie und Freundinnen und Freunde. Demnach bestimmt das soziale Milieu mit darüber, wer Aktien hält und wer nicht. Ein Großteil der Nichtaktionäre (67 Prozent) gab an, dass sie ihr Wissen für eine Aktienanlage als zu gering erachten. Diese Aussage mag in vielen Fällen gerade darauf beruhen, dass die Befragten nicht wissen, was man für eine Aktienanlage wirklich wissen muss. Für eine kostengünstige, breitgestreute und langfristige Anlage über (börsengehandelte) Fonds – wie sie auch von zahlreichen Expertinnen und Experten nahegelegt wird – sind solche Kenntnisse allerdings nur in geringem Umfang notwendig: „Viele wissen nicht, dass man vieles nicht wissen muss“, sagt Michael Grote, Mitautor der Studie und Professor für Corporate Finance an der Frankfurt School. Auf der anderen Seite bestehen tatsächlich Wissenslücken, wie etwa der geringe Bekanntheitsgrad des Begriffs „Exchange Traded Fund (ETF)“ gezeigt hat. 72 Prozent der Nichtaktionäre wissen nicht, was ETFs, also Fonds, die passiv einen Index nachbilden, sind. Selbstverständlich spielen die finanziellen Möglichkeiten potenzieller Aktienkäufer eine entscheidende Rolle: So ist der am zweithäufigsten genannte Grund, warum Menschen nicht in Aktien investieren, ein zu kleines Vermögen (66 Prozent).

Frauen zeigen mehr Unsicherheiten

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beleuchteten in ihrer Erhebung auch Geschlechterunterschiede. Dabei haben sie herausgefunden, dass Frauen in Deutschland mehr Unsicherheiten in Bezug auf Aktien haben als Männer. Ein zu geringes Finanzwissen geben Frauen deutlich häufiger als Hindernis für die Aktienmarktteilnahme an als Männer. Zudem geben 70 Prozent der befragten Frauen „Nervosität bei selbst kleinen Verlusten“ an – dagegen nur 54 Prozent der Männer. Das Nichtwissen in grundlegenden Dingen erklärt viele Vorbehalte der Deutschen gegen Aktien. Tatsächlich sinkt die Verlustgefahr im Zeitablauf. So hat das Deutsche Aktieninstitut für Deutschlands Leitindex DAX errechnet, dass in den vergangenen 50 Jahren selbst massive zwischenzeitliche Einbrüche nach zwölf Jahren wieder aufgeholt waren.

Es gibt inzwischen eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich ein relevantes Anlagewissen anzueignen: Klassische Ratgeber in Zeitungen und Zeitschriften oder Büchern, Internetseiten, aber auch alternative Informationsquellen wie Podcasts bieten die Gelegenheit, sich anschaulich über die wesentlichen Zusammenhänge der Geldanlage zu informieren. Verschiedene Foren im Internet ermöglichen den Erfahrungsaustausch mit anderen - was bei vielen Aktienbesitzenden laut den Ergebnissen der Studie eine wichtige Rolle spielt. „Vielleicht lohnt es sich darüber nachzudenken, ob das Risiko, das mit dem Aktienmarkt verbunden wird, ein überschätztes Risiko ist“, heißt es im Schlusswort der Studie.


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