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Land Hessen schlägt zweifelhafte Maßnahmen vor

Diesel-Debatte geht in die nächste Runde

Das Land Hessen hat am Verwaltungsgerichtshof in Kassel Vorschläge zur Luftreinhaltung eingereicht, die das drohende Dieselfahrvebot verhindern sollen. Doch die Maßnahmen lassen Zweifel an einer schnellen Lösung aufkommen. Gleichzeitig fordert Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer die Videoüberwachung von Autofahrern.
Seit das Verwaltungsgericht in Wiesbaden Anfang September das Dieselfahrverbot für Frankfurt ab Februar 2019 beschlossen hat, bangen Autofahrer um ihre Dieselfahrzeuge. Sollte das Urteil durchgesetzt werden, wären allein in Frankfurt rund 100.000 Menschen betroffen. Nimmt man die Pendler hinzu, ist man schnell bei 300.000 bis 500.000 Menschen, die ab Februar nicht mehr mit dem Auto in Frankfurt fahren dürfen. Um dem entgegenzuwirken, hat die Landesregierung am gestrigen Montag, gerade noch fristgerecht, eine Stellungnahme am Verwaltungsgerichtshof in Kassel eingereicht, mit Vorschlägen für weitere Luftreinhaltungsmaßnahmen. So soll ein Fahrverbot verhindert werden.

Doch halten die Vorschläge, was sie versprechen? Die dazu veröffentlichte Mitteilung der Landesregierung liest sich recht harmlos. Darin heißt es, der Luftreinhalteplan umfasse „unter anderem die Einrichtung zusätzlicher Busspuren im Innenstadtbereich, die Ausweitung und Optimierung von Park & Ride-Flächen rund um das Stadtgebiet und die Einrichtung sogenannter Pförtnerampeln, die den Verkehrszufluss in die Stadt effektiver und effizienter regulieren.“ Soweit, so unspektakulär, könnte man meinen. Tatsächlich verbirgt sich hinter diesen Plänen jedoch die Garantie für ein umfassendes Verkehrschaos.

Gigantische Staus vorprogrammiert

Über 350.000 Menschen pendeln jeden Tag nach Frankfurt, rund 70 Prozent reisen mit dem Auto an, die Straßen sind bereits jetzt während der Stoßzeiten verstopft, Staus sind im Berufsverkehr vorprogrammiert. Man stelle sich nun also den morgendlichen Pendlerverkehr vor, mit zusätzlichen Pförtnerampeln, die den Zufluss auf den städtischen Hauptstraßen einschränken sollen. Die Staus, die dabei entstehen, werden gigantisch sein – und sämtliche Fahrzeuge betreffen, auch den elektrobetriebenen Tesla. Nicht nur würde das Verkehrschaos durch diese Maßnahme ins Unermessliche wachsen, auch die Luftreinhaltung wird dadurch nicht vorangetrieben.

„Es gibt kaum etwas, das die Schadstoffemission mehr fördert als Staus“, sagt René Rock, Fraktionsvorsitzender der FDP Hessen. Bereits seit geraumer Zeit setzt sich Rock für Maßnahmen ein, die das Fahrverbot in Frankfurt verhindern sollen. Die Vorschläge der Landesregierung hält er für nicht tragbar: „All diese Maßnahmen reichen aus unserer Sicht überhaupt nicht aus, sondern verschärfen die Probleme teilweise noch. Das ist ein klarer Angriff auf den Individualverkehr. Die Pförtnerampeln werden enorme Staus verursachen.“ Von den Vorschlägen, welche die FDP eingereicht habe, sei keiner beachtet worden, sagt Rock: „Wir haben fünf Maßnahmen vorgeschlagen, die kurzfristig umsetzbar wären. Wir haben beispielsweise für einen alternativen Kraftstoff plädiert, der von der gesamten Nutzflotte der Stadt Frankfurt getankt werden könnte. Auch haben wir eine intelligente Verkehrsführung vorgeschlagen und uns für die grüne Welle stark gemacht.“

Landesregierung schindet Zeit

René Rock hat den Verdacht, dass die Landesregierung eigentlich kein Interesse an einer Verhinderung der Fahrverbote habe: „Volker Bouffier hat während des Wahlkampfes versprochen, dass es kein Dieselfahrverbot geben wird. Nun hat es aber bereits kurz nach der Wahl den Anschein, als habe sich die Landesregierung bereits darauf eingestellt, dass die Fahrverbote kommen. Wir haben großen Zweifel daran, dass die vorgestellten Maßnahmen helfen werden.“

Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen zur Luftreinhaltung in Frankfurt schafft die Landesregierung vor allem eines: sie schindet Zeit. Die Stellungnahme beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel einzureichen war notwendig, um zu verhindern, dass die Fahrverbote bereits im Februar 2019 durchgesetzt werden. Noch in diesem Dezember will das Gericht entscheiden, ob die Vorschläge angenommen werden. Damit gewinnt das Land Hessen etwa ein Jahr, in dem die genannten Maßnahmen umgesetzt oder zumindest überzeugend auf den Weg gebracht werden müssen. Nur: das Land kann diese Maßnahmen nicht alleine durchbringen. Die Pförtnerampeln im Stadtgebiet beispielsweise müssen von der Stadtregierung beschlossen werden. Das wiederrum bedeutet, dass die Vorschläge bereits jetzt besprochen werden müssen, damit bis zur Sommerpause alle Entscheidungen getroffen werden können und eine Abwendung der Fahrverbote bei der in etwa einem Jahr stattfindenden Hauptverhandlung realistisch wird.

Droht eine Massenüberwachung?

Parallel sorgt derzeit ein Vorschlag der Bundesregierung für zusätzliche Aufregung. Vergangene Woche warf Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer den Kommunen vor, sie seien „selbst schuld“ an den Fahrverboten, da sie mit veralteten Luftreinhalteplänen arbeiteten. Scheuer fordert daher eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, die eine Einrichtung digitaler Checkpoints möglich machen soll, welche die Kennzeichen und Gesichter in bestimmten Straßenabschnitten erfassen. So soll, wenn die Fahrverbote in Kraft treten, die Einhaltung des Verbots kontrolliert werden. In einem offenen Brief an Andreas Scheuer protestieren die Umweltdezernate von Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Gießen und Kassel gegen den Gesetzentwurf, da dieser in die Grundrechte der Bürger eingreife und eine „verfassungsrechtlich fragwürdige Datensammlung“ darstelle. Stattdessen fordert man die Einführung einer Blauen Plakette, die ganz ähnlich funktioniere wie die Grüne Plakette, welche eine „sehr wirksame Maßnahme zur Reduzierung der Feinstaubbelastung“ sei. Im Folgenden der offene Protestbrief im Wortlaut:

Verehrter Herr Bundesminister Scheuer,

Sie haben im Deutschen Bundestag den Städten vorgeworfen, sie seien selbst schuld an Fahrverboten, weil sie mit veralteten Luftreinhalteplänen operierten. Diesen Vorwurf müssen wir schon deshalb zurückweisen, weil in Hessen nicht die Kommunen selbst Luftreinhaltepläne aufstellen, sondern in Zusammenarbeit mit der zuständigen Landesregierung. Selbst unseren besten Fachleuten, sowohl auf Kommunal- als auch auf Landesebene fällt es allerdings angesichts der täglichen, oft widersprüchlichen Mitteilungen aus Ihrem Hause schwer, noch den Überblick zu behalten, welche bundesgesetzlichen Regelungen und Programme für die Luftreinhaltung gerade gelten. Intensivstadt ja oder nein? Geförderte Nachrüstungen ja oder erst, nachdem Fahrverbote schon in Kraft sind? Können betrogene Dieselfahrer mit einem Förderprogramm des Bundes rechnen oder müssen sie auf „freiwillige“ Angebote der Hersteller warten? Was ist dann mit ausländischen Herstellern?

Wir können nur an Sie appellieren, endlich das Fachwissen und die jahrelangen Erfahrungen der Kommunen in der Gesetzgebung zu nutzen, anstatt sich die Luftreinhaltepolitik (und wohl auch die jetzt beabsichtige Änderung des Straßenverkehrsgesetzes) von der Automobilindustrie diktieren zu lassen. Wir sprechen für viele andere Umwelt-Stadträte bundesweit, wenn wir Ihnen heute schreiben: Führen Sie endlich die Blaue Plakette ein, ersparen Sie uns technologische und verfassungsrechtliche Irrwege!

Mit freundlichen Grüßen
Stadträtin Rosemarie Heilig, Frankfurt am Main
Stadträtin Barbara Akdeniz, Darmstadt
Stadträtin Gerda Weigel-Greilich, Gießen
Stadtbaurat Christof Nolda, Kassel
Stadtrat Andreas Kowol, Wiesbaden


Wie es letztendlich weitergeht mit den Dieselfahrverboten und ob diese überhaupt kommen, muss sich zeigen. Fakt ist jedoch, dass bisher weder Land noch Bund eine überzeugende Lösung gefunden haben, bei der nicht am Ende hunderttausende Autofahrer die Leidtragenden sind.
 
Fotogalerie:
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27. November 2018, 12.25 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
 
 
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