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Gentrifizierung im Nordend
Aufstand gegen Sanierung in der Martin-Luther-Straße
Mieter, die seit Jahrzehnten in einer Wohnung leben und dort nicht mehr rauswollen, kämpfen gegen einen luxussanierenden Investor? Ein Fall für Oberbürgermeister Feldmann. Doch zu jeder Geschichte gibt es zwei Seiten.
Wir Journalisten suchen gerne "Geschichten". Und damit sind richtige Geschichten gemeint, Geschichten, die sich schön zuspitzen lassen. Wie wäre es also hiermit. Auf der einen Seite eine pflegebedürftige Frau, ein rüstiges Ehepaar, letzte verbliebene Mieter in einem Gebäude, das gerade kernsaniert wird. Überall Staub, der Lärm von Presslufthämmern, seit Monaten schon, es ist eigentlich unerträglich und schlimm, doch die Menschen wollen ihr über Jahrzehnte liebgewonnenes Heim nicht aufgeben. Die alte Frau sagt, sie wolle bis zu ihrem Lebensende bleiben, wolle hier, in der Martin-Luther-Straße 61 – im Nordend – sterben, das sei ihr Wunsch. Wer wollte ihr den nehmen?
Bei ihrem Nachbarn, Herrn Wolf, stehen sich am Dienstagnachmittag die Journalisten auf den Füßen. Alle sind da, sogar das Fernsehen, RTL und das ZDF haben Teams geschickt. Schöne Bühne für Peter Feldmann, Sozialdemokrat und Oberbürgermeister, er sitzt am Stubentisch einer Wohnung, die Kenner sofort als Inbegriff des Gelsenkirchener Barocks identifizieren. Dieter Wolf bahnt sich mit den Worten "Aaaachtung, heiß und fettisch" den Weg durch die Menge, eine Bodum-Kaffeekanne in der Hand, frisch aufgebrüht fürs Stadtoberhaupt. Peter Feldmann hat gerade ein bisschen Applaus von den Mietern bekommen, dafür, dass er sagte, es gehe teilweise exzessiv zu auf dem Wohnungsmarkt in Frankfurt, die Lage sei überhitzt und die Politik müsse sich bemühen, alles etwas runterzukühlen.
Die Milieuschutzsatzung sei da der richtige Weg, er freue sich über seinen Genossen Ude in München, der die dort durchgesetzt habe, er freue sich über Berlin, wo ebenfalls eine gelte und er freue sich über Olaf Cunitz, Bürgermeister der Grünen und Planungsdezernent, der angekündigt habe, auch in Frankfurt eine ebensolche Satzung einzubringen. Gleichwohl: Den Mietern in der Martin-Luther-Straße bringe die nichts mehr. Dennoch haben alle irgendwie ein wohliges Gefühl und später hört man Anwohner sagen, der Feldmann, der sei ja ein Netter, ja ein richtig Netter, sehr sympathisch und mal schauen. Ja. Mal schauen. Feldmann ist dabei äußerst ehrlich: Er sei auf Seite der Mieter, könne aber nicht helfen. Dabei könnte man diese Geschichte nun eigentlich belassen, wir Journalisten würden sagen: Sie ist rund. Hier die armen Mieter, dort der Investor, der später mal knapp eine Million Euro für die Etage haben will und den schönen Hinterhof bebaut er auch noch, der Raffzahn. Doch wir schreiben mal weiter und fügen der Geschichte hier noch zwei weitere, kleine Kapitel an, auch wenn sie dann nicht mehr "rund" sein wird.
Vor dem Haus jedenfalls steht ein freundlicher Herr mittleren Alters, auf seiner Visitenkarte steht Martim Corucho, Geschäftsführer der BauWerte Gruppe. Ihm gehört das Grundstück, er hat es vor zwei Jahren gekauft, kurze Zeit später hat er den Mietern eröffnet, dass das Gebäude dringend renoviert werden müsse, von Grund auf, sie könnten bleiben, aber das würde nicht schön werden oder sie könnten gehen und später wieder einziehen – oder sie könnten ganz gehen. Die meisten nahmen letztere Option in Anspruch. Er mache das schon etliche Jahre, solche Geschäfte wie diese hier, sagt er. "Aber so etwas, das habe ich noch nicht erlebt, das habe ich wirklich noch nicht erlebt." Herr Corucho schüttelt den Kopf. "Wissen Sie", sagt er, "die Leute wollen nicht, das irgendetwas an ihrem Haus gemacht wird, nichts. Es soll weiter verfallen. Ich sorge dafür, dass es nicht verfällt." Er sagt diese Sätze nicht aufgebracht, ganz ruhig sei er, auch der Medientrubel, das rege ihn nicht auf. Ich stelle ihm die Frage, ob er ein Raffzahn sei, der sich nur die Taschen mit solchen Luxussanierungen voll machen wolle. Er bleibt immer noch ganz ruhig und sagt mit feinem Lächeln: "Das weiß man immer erst hinterher. Sehen Sie: Ich investiere hier sehr viel Geld, die Bauarbeiten sind im Plan, aber die Sache mit den Mietern hält mich auf, ich muss schauen, wie es ausgeht." Peter Feldmann habe nicht mit ihm sprechen wollen, das sei nicht der richtige Ort, nicht die richtige Zeit dafür, morgen rufe er an, habe ihm der Sozialdemokrat gesagt. Fest steht nur: Martim Corucho ist der Buhmann, obwohl er sich – auch das gehört zur Geschichte – an Recht und Gesetz gehalten hat. Der Bebauungsplan wurde eingehalten, der Bauantrag wurde genehmigt, ja: In Frankfurt darf man so etwas machen. Die Frage ist also eher hypothetischer Natur: Sollte man es machen dürfen?
Hiermit kommen wir zum dritten und letzten Teil unserer Story. Der Witz dabei ist, dass das Planungsdezernat die Antwort schon kennt. Ja, auch mit einer Milieuschutzsatzung, wie sie in München oder Berlin gilt und wie sie bald auch in Frankfurt gelten soll, hätte man es machen dürfen. Hinterhof "verdichten", Wohnungen zusammenlegen, so dass auf einer Etage jene großzügigen Einheiten entstehen, die dann bis zu 960.000 Euro kosten sollen. Einspruch hätte die Stadt erheben können, wenn die Quadratmeterzahl 130 überschreitet, aber dann ist der Weg der Investoren schlicht, eine kleine Einliegerwohnung anzulegen, um das zu umgehen. Wo ein Wille, da ein Weg, Milieuschutz hin oder her. Spannend ist natürlich auch die Frage, wie das Milieu im Nordend denn an sich so beschaffen ist. Wer im Viertel um die Martin-Luther-Straße einmal umherstreift wird schnell feststellen: Das Milieu besteht eher aus Gut- bis Besserverdienern. Aber wie gesagt: Das alles ist (noch) eine hypothetische Debatte, denn besagter Schutz, der zugleich tief ins Eigentumsrecht eingreift, wird erst noch von Amtswegen erarbeitet.
Bis dahin bleibt es ein Konflikt zwischen Mietern, die einem Oberbürgermeister Kaffee brauen und einem Investor, der mich fragt, ob ich netter über ihn schreibe, wenn er Peter Feldmann schnell noch ein Stück Kuchen reinbringt. Es ist manchmal eben alles nicht so einfach. Es ist kein rechtliches, sondern eher ein moralisches Problem. Eines, das an einem Nachmittag nicht zu lösen ist.
Bei ihrem Nachbarn, Herrn Wolf, stehen sich am Dienstagnachmittag die Journalisten auf den Füßen. Alle sind da, sogar das Fernsehen, RTL und das ZDF haben Teams geschickt. Schöne Bühne für Peter Feldmann, Sozialdemokrat und Oberbürgermeister, er sitzt am Stubentisch einer Wohnung, die Kenner sofort als Inbegriff des Gelsenkirchener Barocks identifizieren. Dieter Wolf bahnt sich mit den Worten "Aaaachtung, heiß und fettisch" den Weg durch die Menge, eine Bodum-Kaffeekanne in der Hand, frisch aufgebrüht fürs Stadtoberhaupt. Peter Feldmann hat gerade ein bisschen Applaus von den Mietern bekommen, dafür, dass er sagte, es gehe teilweise exzessiv zu auf dem Wohnungsmarkt in Frankfurt, die Lage sei überhitzt und die Politik müsse sich bemühen, alles etwas runterzukühlen.
Die Milieuschutzsatzung sei da der richtige Weg, er freue sich über seinen Genossen Ude in München, der die dort durchgesetzt habe, er freue sich über Berlin, wo ebenfalls eine gelte und er freue sich über Olaf Cunitz, Bürgermeister der Grünen und Planungsdezernent, der angekündigt habe, auch in Frankfurt eine ebensolche Satzung einzubringen. Gleichwohl: Den Mietern in der Martin-Luther-Straße bringe die nichts mehr. Dennoch haben alle irgendwie ein wohliges Gefühl und später hört man Anwohner sagen, der Feldmann, der sei ja ein Netter, ja ein richtig Netter, sehr sympathisch und mal schauen. Ja. Mal schauen. Feldmann ist dabei äußerst ehrlich: Er sei auf Seite der Mieter, könne aber nicht helfen. Dabei könnte man diese Geschichte nun eigentlich belassen, wir Journalisten würden sagen: Sie ist rund. Hier die armen Mieter, dort der Investor, der später mal knapp eine Million Euro für die Etage haben will und den schönen Hinterhof bebaut er auch noch, der Raffzahn. Doch wir schreiben mal weiter und fügen der Geschichte hier noch zwei weitere, kleine Kapitel an, auch wenn sie dann nicht mehr "rund" sein wird.
Vor dem Haus jedenfalls steht ein freundlicher Herr mittleren Alters, auf seiner Visitenkarte steht Martim Corucho, Geschäftsführer der BauWerte Gruppe. Ihm gehört das Grundstück, er hat es vor zwei Jahren gekauft, kurze Zeit später hat er den Mietern eröffnet, dass das Gebäude dringend renoviert werden müsse, von Grund auf, sie könnten bleiben, aber das würde nicht schön werden oder sie könnten gehen und später wieder einziehen – oder sie könnten ganz gehen. Die meisten nahmen letztere Option in Anspruch. Er mache das schon etliche Jahre, solche Geschäfte wie diese hier, sagt er. "Aber so etwas, das habe ich noch nicht erlebt, das habe ich wirklich noch nicht erlebt." Herr Corucho schüttelt den Kopf. "Wissen Sie", sagt er, "die Leute wollen nicht, das irgendetwas an ihrem Haus gemacht wird, nichts. Es soll weiter verfallen. Ich sorge dafür, dass es nicht verfällt." Er sagt diese Sätze nicht aufgebracht, ganz ruhig sei er, auch der Medientrubel, das rege ihn nicht auf. Ich stelle ihm die Frage, ob er ein Raffzahn sei, der sich nur die Taschen mit solchen Luxussanierungen voll machen wolle. Er bleibt immer noch ganz ruhig und sagt mit feinem Lächeln: "Das weiß man immer erst hinterher. Sehen Sie: Ich investiere hier sehr viel Geld, die Bauarbeiten sind im Plan, aber die Sache mit den Mietern hält mich auf, ich muss schauen, wie es ausgeht." Peter Feldmann habe nicht mit ihm sprechen wollen, das sei nicht der richtige Ort, nicht die richtige Zeit dafür, morgen rufe er an, habe ihm der Sozialdemokrat gesagt. Fest steht nur: Martim Corucho ist der Buhmann, obwohl er sich – auch das gehört zur Geschichte – an Recht und Gesetz gehalten hat. Der Bebauungsplan wurde eingehalten, der Bauantrag wurde genehmigt, ja: In Frankfurt darf man so etwas machen. Die Frage ist also eher hypothetischer Natur: Sollte man es machen dürfen?
Hiermit kommen wir zum dritten und letzten Teil unserer Story. Der Witz dabei ist, dass das Planungsdezernat die Antwort schon kennt. Ja, auch mit einer Milieuschutzsatzung, wie sie in München oder Berlin gilt und wie sie bald auch in Frankfurt gelten soll, hätte man es machen dürfen. Hinterhof "verdichten", Wohnungen zusammenlegen, so dass auf einer Etage jene großzügigen Einheiten entstehen, die dann bis zu 960.000 Euro kosten sollen. Einspruch hätte die Stadt erheben können, wenn die Quadratmeterzahl 130 überschreitet, aber dann ist der Weg der Investoren schlicht, eine kleine Einliegerwohnung anzulegen, um das zu umgehen. Wo ein Wille, da ein Weg, Milieuschutz hin oder her. Spannend ist natürlich auch die Frage, wie das Milieu im Nordend denn an sich so beschaffen ist. Wer im Viertel um die Martin-Luther-Straße einmal umherstreift wird schnell feststellen: Das Milieu besteht eher aus Gut- bis Besserverdienern. Aber wie gesagt: Das alles ist (noch) eine hypothetische Debatte, denn besagter Schutz, der zugleich tief ins Eigentumsrecht eingreift, wird erst noch von Amtswegen erarbeitet.
Bis dahin bleibt es ein Konflikt zwischen Mietern, die einem Oberbürgermeister Kaffee brauen und einem Investor, der mich fragt, ob ich netter über ihn schreibe, wenn er Peter Feldmann schnell noch ein Stück Kuchen reinbringt. Es ist manchmal eben alles nicht so einfach. Es ist kein rechtliches, sondern eher ein moralisches Problem. Eines, das an einem Nachmittag nicht zu lösen ist.
5. Februar 2014, 11.25 Uhr
Nils Bremer
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