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Gesicht der Stadt

Die große Mutmacherin

Anja Wienand leitet die Frankfurter Bahnhofsmission. Sie kümmert sich um Menschen, die in Not sind. Der Glaube gibt ihr die Kraft für ihre Arbeit, alle Menschen behandelt sie als Gäste.
Rote Brille, rote Locken, knallorange lackierte Fingernägel – Anja Wienand liebt es farbenfroh. Auf den Lippen, in deren Nähe ein kleiner Brilli blitzt, trägt sie meist ein Lächeln, auf ihrer blauen Jacke steht: „Mutmacherin“. Das glaubt man der Leiterin der Frankfurter Bahnhofsmission sofort, wie sie im Hauptbahnhof steht und freundlich mit einer etwas aufgebrachten, in ärmlicher Kleidung gehüllten Frau spricht, die ihre Habseligkeiten in einem Einkaufswagen vor sich herschiebt.

„Ich nehme alle Menschen gleich an, weil alle gleich sind“, sagt Wienand später in ihrem kleinen, in den Farben Rot und Blau gestrichenem Büro. An den Wänden hängen ein Kreuz und einige Bilder, eines davon mit dem Satz „Es gibt keine andere Wahl, als vorwärtszugehen“ des Polarforschers Fridtjof Nansen. „Der passt gut für die Menschen hier“, meint die 53-Jährige, die zwar einen Job hat, in dem sie viel Elend sieht – aber auch jeden Tag den vielen Menschen helfen kann, die sich in den Räumen der Bahnhofsmission nahe Gleis eins im trubeligen Hauptbahnhof sammeln.

Bahnhofsmission: Hilfe an 365 Tage im Jahr

Sie alle vereint eine Notsituation – akut oder chronisch. Manchmal sind es von zu Hause ausgerissene Jugendliche oder am Bahnhof gestrandete Menschen, die ihren Anschlusszug verpasst haben und nicht wissen, wohin. Aber bei den meisten ist die Not viel größer, ihnen wurde der Boden unter den Füßen weggezogen, etwa durch psychische Krankheiten, Alkohol, Drogen, Scheidung, Job- und Wohnungsverlust, Krieg. Die Bahnhofsmission hat für sie immer auf – Tag und Nacht, an 365 Tagen im Jahr.

Sie alle seien „Gäste“, sagt Wienand und würden so auch behandelt: auf Augenhöhe, freundlich und mit Mitgefühl. Von einigen Menschen kennt sie die Lebensgeschichte, doch die meisten erzählen nicht viel von sich. „Das ist kein Wunder, schließlich ist es für niemanden ein Lebensziel, auf der Straße zu leben“, stellt die Leiterin fest. Es sind etwa 30 bis 50 Stammgäste, die regelmäßig in die Bahnhofsmission kommen. Dort lassen sie sich mit den nötigsten hygienischen Artikeln versorgen und bei Problemen beraten. Sie duschen, trinken im Café einen Kaffee oder Tee, immer mal wieder auch mit einem Blick in die aktuelle Tageszeitung. „Es wird viel diskutiert über aktuelle Themen aus Politik und Gesellschaft, alles ganz normal“, beschreibt Wienand beim Gang durch das in freundlichem Gelb gestrichene Café. Zwei Männer unterhalten sich, an einem anderen Tisch starrt ein Gast ausdruckslos in die Leere, eine Frau rührt mit müden Augen in ihrem Kaffee. „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht“, ermuntert ein Satz auf einem Bild an der Wand.

„Ich mache was Soziales“

Wienand, geboren in Frankfurt, aufgewachsen in einem kleinen Ort bei Miltenberg, hatte sich schon früh ihren eigenen Weg gesucht. Zwar ließ sie sich auf Wunsch ihres Vaters zunächst zur Optikerin ausbilden, doch dann folgte sie ihrem Herzenswunsch: „Ich mache was Soziales.“ Sie ging zum Bayerischen Roten Kreuz (BRK), wurde Rettungssanitäterin. Auch privat war in dieser Zeit, in ihren jungen Erwachsenenjahren, vieles im Umbruch: Mit 22 Jahren bekam Wienand ihr erstes Kind, zwei weitere folgten. Doch das lastete sie nicht aus, „ich musste auch was für den Kopf machen“ – und so studierte die dreifache Mutter Bildungsmanagement in der Sozialwirtschaft, wurde erst Leiterin des BRK-Bildungszentrums und später Diplom-Traumapädagogin, tätig in der Krisenintervention.

„Ich habe gleich gemerkt, dass mir das liegt“, erinnert sich die schlanke Frau an ihre Anfangszeit im Krisenmanagement. Sie kann mitfühlen, ohne mitzuleiden, Nähe herstellen und zulassen, ohne unprofessionell zu werden. „Anders geht es nicht“, stellt sie fest. Bei über 400 Einsätzen im Kreis Miltenberg war sie als Krisenmanagerin dabei und unterstützte Menschen in deren persönlichen Katastrophen: etwa wenn ein Kind plötzlich starb, die Mutter oder der Vater einen Verkehrsunfall nicht überlebte, ein naher Angehöriger sich selbst tötete. Und sie kümmerte sich um Einsatzkräfte. „Die Helfer brauchen auch jemanden, der sie emotional auffängt“, stellt sie klar.

Ausgleich durch Glaube, Hund und Kampfsport

Doch wer fängt sie auf? Große Kraft ziehe sie aus ihrem Glauben, so Wienand. Und sie hat viele weitere Kraftquellen, da ist zum einen ihr fröhliches Naturell – das Leben sei zu kurz für schlechte Laune, sagt sie. Ihre Patchworkfamilie gibt ihr Kraft und die nötige Erdung, mittlerweile haben sie und ihr Mann sechs Enkel. Und einen Hund. Vom Tibet-Terrier Toni, einem Hütehund, schwärmt die quirlige Frau in den höchsten Tönen. „Er ist ein wunderbares Tier, mein Leben“, sagt Wienand und zückt gleich ihr Handy, um Fotos vom wuscheligen Toni zu zeigen. Die beiden sind gehend oder joggend viel in der Natur unterwegs, bei ihren neuesten Hobbys muss Toni allerdings zu Hause bleiben.

Sein Frauchen hat bereits einen Tandem-Gleitschirmflug hinter sich, als Nächstes steht ein Fallschirmsprung an. „Höhe finde ich mega“, sagt sie. Und Kampfsport auch, zumindest Jiu-Jitsu, eine Kampfkunst der waffenlosen Selbstverteidigung. Da geht es viel um Körperwahrnehmung und Konzentration, das liegt ihr. Und die Fähigkeit zur Selbstverteidigung kann auch nicht schaden, hin und wieder kommt es in ihrem Job zu bedrohlichen Situationen. Doch Wienand schaut lieber auf die positive Seite. „Viele denken, die Leute hier seien brutal und aggressiv“, sagt sie. „Aber das stimmt nicht, viele sind empathisch und höflich.“

Kein Tag wie der andere

Seit April 2021 arbeitet sie in der Bahnhofsmission, angefangen hatte sie dort als Sozialarbeiterin. Die Stellenausschreibung war für die Bayerin wie gerufen gekommen, denn sie wollte sich beruflich verändern. „Ich hatte mich schon in die Ausschreibung verliebt“, erinnert sie sich. Keine eineinhalb Jahre nach Dienstantritt wurde sie bereits Leiterin. An jedem Arbeitstag fährt sie vom heimatlichen Stockstadt mit dem Zug zur Bahnhofsmission, dort lässt sie sich auf den Tag und seine Menschen ein, hilft, wo sie kann.

Da ist zum Beispiel die Frau, die nachts vor ihrem gewalttätigen Mann in die Bahnhofs-mission flüchtete, und für die nun ein Platz im Frauenhaus gesucht wird. Die neu angekommenen Geflüchteten aus der Ukraine, jeden Tag sind es 60 bis 70 Menschen. Die Obdachlosen, die jeden Morgen zum Duschen und Kaffee trinken vorbeikommen. Die Osteuropäer, die mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt wurden und als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. „Den Tag planen, geht nicht“, sagt Wienand. Und auch das liebt sie.
 
20. September 2023, 15.45 Uhr
Sabine Maurer
 
 
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