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Gendermedizin

„Die Medizin ist nach wie vor eine Männerdomäne“

Seit der Pandemie ist sie wieder in den Vordergrund getreten: die Gendermedizin. In Frankfurt könnte es dazu bald einen neuen Modellstudiengang geben.
Ein altes Vorurteil klärt auf, dass Frauenherzen anders schlagen. Dass an dieser Redewendung durchaus etwas dran ist, haben die vergangenen Jahre in der Medizin und Forschung gezeigt. Genauer gesagt: die Berücksichtigung der geschlechtersensiblen Medizin, die häufig auch Gendermedizin genannt wird. Die Gendermedizin fristet allerdings bisher eher ein Nischendasein in Deutschland – in den Curricula der medizinischen Fakultäten findet sie sich kaum.

Nach Ansicht des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. (DÄB) sollte sie aber „verbindlicher Teil von Diagnose und Behandlung sein“ und deshalb forderte der Bund etwa bereits in zwei offenen Brief der Jahre 2021 und 2022, dass die Gendermedizin ein verpflichtendes Querschnittsfach im Medizinstudium werden solle und dass zwingende Standards mit Genderaspekten für Studien einzuführen seien, „um die Datenlücke in der Forschung zu schließen“. In Deutschland gibt es momentan nur zwei Institute für geschlechtssensible Medizin und zwar an der Charité in Berlin und an der Universität Bielefeld.

Frauen waren in der Forschung lange ausgeschlossen

Die mangelnde Einbeziehung von Frauen in der Forschung und Lehre allgemein sei auch lange ein Problem in der öffentlichen Gesundheit gewesen, sagt Daphne Hahn, Gesundheitswissenschaftlerin und Soziologin an der Hochschule Fulda. Die Betrachtung von Gesundheit unter dem Aspekt der Geschlechter musste sich in Deutschland erst entwickeln, die Debatte dazu habe in den 80ern begonnen.

Hahn ist eine der fachlichen Leiterinnen im Gender- und Frauenforschungszentrum der Hessischen Hochschulen, das sich unter anderem für mehr Berücksichtigung von Gender und Diversität in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) einsetzt. Sie beschäftigt sich, wie sie sagt, in der öffentlichen Gesundheit mit Dingen, die etwa in der Medizin nicht genug Aufmerksamkeit erfahren.

Medizin in Deutschland holt in Sachen Geschlechtssensibilität gerade erst auf

Ausgegangen wird dabei von bestimmten sozialen Gruppen, die auch nach Geschlecht unterteilt werden können, und von deren Lebensumstände. Eines ihrer Forschungsprojekte umfasste zum Beispiel die Gewalt in Beziehungen und entstand in Zusammenarbeit mit der Gesichtschirurgie der Uni-Klinik. Das Wissen darum, wie solche Gewalt erkannt werden könne und wie damit umzugehen sei, sei wiederum wichtig für die Medizin, die dann effizienter behandeln könnte, erklärt sie.

Während in der Pflege und in den Fachgebieten der Gesundheitsforschung bzw. der öffentlichen Gesundheit Studienmodule mit geschlechtssensiblen Inhalten schon länger verankert seien, komme die Medizin erst allmählich nach, erklärt Hahn. In den soziologischen Studien seien Frauen auch erst nach einer Weile in die Forschung miteingeflossen.

Leistner: Geschlechtssensible Aspekte gelten als nicht schick

Dass in der Medizin so wenig auf geschlechtliche Unterschiede geachtet werde, kennt auch David Leistner, Direktor der Kardiologie im Frankfurter Universitätsklinikum, nur zu gut. Auch in den Berufen schlage sich das nieder: Nur etwas mehr als 10 Prozent der Chefärzte seien Frauen in Deutschland und der akademische Weg vieler Frauen ende häufig noch nach der Geburt des ersten Kindes.

„Die Medizin ist nach wie vor Männerdomäne“, stellt er fest. Darin könnte auch ein Grund liegen, warum Frauen in der Forschung so lange gefehlt haben oder unterrepräsentiert sind: Ihnen habe schlicht die Lobby gefehlt, und unter den männlichen Medizinern in Deutschland gelte es bis teils heute noch als „nicht schick“, sich mit geschlechtssensiblen Aspekten auseinanderzusetzen.

Leistner, der als Kardiologe an der Charité in Berlin tätig war, will deshalb ein sogenanntes Women’s Heart Health Center für Hessen eröffnen und strebt für das Universitätsklinikum einen neuen Modellstudiengang an, weil im Curriculum des Medizinstudiums fast gar keine Gendermedizin vorkomme. Der neue Studiengang solle dabei besser funktionieren als das „verschulte System“ des üblichen Regelstudienganges.

Corona-Forschung und die Gendermedizin haben sich gegenseitig beeinflusst

Das Women’s Heart Health Center soll laut Leistner ein wichtiger Baustein der Gendermedizin werden. Der Herzinfarkt gilt als das klassische Beispiel, wenn über Geschlechterunterschiede in der Medizin gesprochen wird. Er äußere sich anders als bei Männern über andere, uneindeutigere Symptome, sodass im Durchschnitt Frauen erst sechs Stunden später dahingehend behandelt würden als Männer. Auch beginne die Vorsorge und Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen in der Regel später, weil der hohe Anteil vom Sexualhormon Östrogen gerade bei jungen Frauen vor ebensolchen schütze.

Und auch das sogenannte Broken-Heart-Syndrom, das zu einer plötzlich auftretenden Funktionsstörung des Herzmuskels führt und meist nach Kummer oder Stress auftritt, betreffe zu 85 Prozent Frauen. Die Corona-Pandemie hat laut Leistner auch zur Entwicklung der Gendermedizin beigetragen, besonders die Untersuchungen zu dem Post-Covid-Syndrom. Allerdings, so betont er, seien beide Forschungszweige Hand in Hand gegangen, weil die Gendermedizin auch durch Forschungen aus dem Ausland wie den USA schon vorangetrieben worden sei.

Gendermedizinischer Ansatz sollte nicht über alles gestellt werden

Auch wenn die Geschlechterbetrachtung in Deutschland noch einiges aufzuholen habe, sollte sie – im Sinne einer Trennung von männlichen und weiblichen Körpern – nicht über alles gestellt werden, sagt Leistner. Erstens gebe es teils einen Abbau von Unterschieden bei Mann und Frau, weil sich etwa die Körpermaße über die Zeit einander angepasst hätten. Und zweitens würden sich neue Bereiche wie die einer Transgendermedizin ergeben, die erst noch im Entstehen begriffen seien.

Dazu sagt Nicola Buhlinger-Göpfarth vom Forum Hausärztinnen des Deutschen Hausärzteverbandes, das ebenfalls mehr geschlechtsspezifische Aspekte im Medizinstudium fordert: „Bei Menschen, die nicht binär eingeordnet werden können, stehen wir bezogen auf die geschlechtersensible Medizin noch ganz am Anfang der Forschung.“

Wiederum in den der Medizin nahestehenden Berufszweigen wie der Prothetik spielt das Geschlecht eine untergeordnete oder sogar keine Rolle: Auf Anfrage bestätigt das Sanitätshaus Maisch in Frankfurt, dass gerade bei Prothesen immer auf den individuellen Zustand des Patienten und seine Bedürfnisse eingegangen werden müsse. Leistner fügt hinzu, dass es bei typischen Beschwerden helfen kann, auf das Geschlecht zu achten, anderswo aber überflüssig sein kann.
 
3. Mai 2023, 10.40 Uhr
Till Geginat
 
Till Geginat
Jahrgang 1994, Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Goethe Universität Frankfurt, seit November 2022 beim JOURNAL FRANKFURT. – Mehr von Till Geginat >>
 
 
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