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Demokratie-Reihe

Frankfurt – Hauptstadt der Demokratie?

Von der „Freien Stadt“ zur Wirtschaftsmetropole. Frankfurt ist in seinem Handeln, seiner Mentalität, seiner Struktur fortschrittlich und weltoffen, gibt Tendenzen vor und ist immer einen Schritt voraus. Nun auch in der Debatte um Demokratie.
Frankfurt setzt sich als Stadt immer schon konsequent für die Freiheit ein, die sie selbst früh erlangte und stets zu schätzen wusste. Unabhängigkeit hat ihren Preis und den entrichten die Bürger der Stadt gern, denn sich für Freiheit einzusetzen, rentiert sich. Freiheit gibt es nicht ohne Demokratie; sie ist das einzige System, das „Freiheiten“ unterstützt und ermöglicht. In Frankfurt ist Demokratie Tradition. Unsere Paulskirche, Ort der Nationalversammlung von 1848, die ein Jahr später die erste demokratische Verfassung in Deutschland verkündete, gilt bekanntlich als „Wiege der Demokratie“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut steht ihr Bau für den demokratischen Neuanfang. Eine Ehre durchaus, aber vor allem Verpflichtung. Frankfurt entwickelte sich von der mittelalterlichen Provinzstadt zur souveränen „Freien Stadt“ und schließlich der heutigen global ausgerichteten Wirtschaftsmetropole. Frankfurt ist in seinem Handeln, seiner Mentalität, seiner Struktur fortschrittlich und weltoffen, gibt Tendenzen vor und ist immer einen Schritt voraus. Nun auch in der Debatte um Demokratie. Als globale Stadt hat Frankfurt die paradiplomatische Möglichkeit, dies in die Welt zu tragen und womöglich zu einer „Hauptstadt der Demokratie“ zu werden.

Der diesjährige Demokratie-Index des The Economist stellt in allen Regionen der Welt demokratische Rezession fest und konstatiert, dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung unter autoritären Regimes lebt. Der Krieg in der Ukraine ist deutliches und nicht zu übersehendes Zeichen dieser Tendenz. Erschreckend und zugleich eine Mahnung. Die Ereignisse weltweit zeigen, dass es längst fünf vor zwölf ist. Wir können uns nicht mehr länger den Luxus erlauben, dem Zerfall des demokratischen Rechtsstaats tatenlos zuzusehen. Alles ruft nach Beteiligung. Demokratie lebt von politischer Partizipation, und die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte ist conditio sine qua non für den Aufbau einer pluralen Gesellschaft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Jedes Individuum hat das Recht und die Pflicht zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, das ist die Grundlage einer lebendigen Demokratie. Eine Gesellschaft kann erst prosperieren, wenn alle sich angesprochen und ernstgenommen fühlen. Um diese politische Reife zu erlangen, braucht es die positive Erfahrung der demokratischen Praxis – und womöglich ein wenig Mut zur Beteiligung an diesem Prozess. Die Geschichte belegt, dass es am Mut in Frankfurt nicht fehlt, und auch nicht an Beteiligung von Individuen an der Suche nach neuen Gesellschaftsmodellen, wie „Das neue Frankfurt“ mit Ernst May an der Spitze, ermöglicht durch Ludwig Landmann, oder die von Hilmar Hoffmann postulierte „Kultur für Alle“ beweisen.

Unser Anspruch muss sein, weiter kraftvolle Geschichten von Innovation und gesellschaftlicher Inklusion zu erzählen, anstatt in zufriedene Untätigkeit zu verfallen. Wir müssen uns für das Gemeinwesen engagieren, und wenn es uns um eine demokratischere Gesellschaft geht, ist die richtige Zeit dafür jetzt. Nicht zufällig zielen zwei große kommende Projekte in Frankfurt gerade auf die Diskussion und Förderung von Demokratie: „Netzwerk Paulskirche – Demokratie im Kommen“ und „Design for Democracy – Atmospheres for a better life“. Projekte, die sich ergänzen und gegenseitig befruchten.

Bis zum Paulskirchen-Jubiläum im Mai 2023 werden zahlreiche Initiativen das Thema in all seiner Komplexität diskutieren und erfahrbar machen. In den nächsten zwölf Monaten soll in dieser von Jasmin Schülke und mir kuratierten Kolumne von all dem, was hier gedacht, entwickelt und gemacht wird, die Rede sein. In der nächsten Ausgabe beginnen wir mit einem Überblick über das „Netzwerk Paulskirche - Demokratie im Kommen“ und dessen Programm „Demokratie als Lebensform“. Anschließend wird uns die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff die Bürgerbeteiligung zum geplanten Frankfurter Haus der Demokratie erläutern und das Konzept „Demokratie gedenken, erleben und probieren“ für das Demokratiezentrum Paulskirche darstellen. Danach soll in den Worten von Stephan Hebel die „Global Assembly“ vorgestellt werden, „eine prozesshaft angelegte globale Versammlung im Mai 2023 zur Diskussion aktueller Herausforderungen und der Grundlagen eines verschiedene Lebenswelten verbindenden transnationalen Ethos“.

Wenn von globaler Demokratie die Rede ist, müssen Tendenzen weltweit reflektiert und besorgniserregende Entwicklungen betrachtet werden. Dazu wird es ein internationales Film-, Literatur- und Politikfestival geben mit renommierten Gästen aus unterschiedlichen Gebieten zum Thema „Der Konflikt der Demokratien: Demokratie und/gegen Diversität in Brasilien, den USA, Indien und Europa“. Das Programm und dessen Bezug zu Frankfurt wird Vinzenz Hediger vorstellen. Ben Christian und Dominik Herold von „Mehr als Wählen e.V.“ werden die Interdependenzen des Globalen mit dem Lokalen erörtern. Mit ihrem Demokratiekonvent und der Initiative „DemokratieWagen“ in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt setzen sie neue Impulse demokratischer Beteiligung und geben Anstöße für neue differenzierte Formate der Erfahrung und des Erlebens von Demokratie in der Stadt. Zu einem späteren Zeitpunkt wird der Direktor des Museums Angewandte Kunst, Matthias Wagner K, Koordinator der Kandidatur der Region Frankfurt-Rhein-Main als World Design Capital 2026, diese Bewerbung unter dem Motto „Design for Democracy. Atmospheres for a better life“ vorstellen. Zum Jahresbeginn starten wir mit Helmut Ortner, ehemaliger Chefredakteur des Journal Frankfurt, der uns mit einem wichtigen Beitrag über Streitlust und Streitkultur als Sauerstoff für die Demokratie anregt. Das ist natürlich noch nicht das Ende der Reise.

Willy Brandt hatte recht, als er uns seinerzeit aufforderte, mehr Demokratie zu wagen. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zeigte er uns, dass es möglich ist, Grenzen durch Dialog zu überwinden, sich dem Antagonisten zu nähern, schließlich den Kalten Krieg zu beenden und den Eisernen Vorhang aufzubrechen. „Wandel durch Annäherung“ war sein Motto, für dessen Erfolg er den Friedensnobelpreis erhielt. Heute erinnert uns die Situation in der Welt an vieles von damals. Daher sollten wir uns an den Vorschlägen jener Zeit messen, die weiter so aktuell sind wie nie. Weltweit müssen fundamentale Elemente des demokratischen Umgangs gerettet und wiedererlangt werden. Wir müssen wieder an eine demokratische Kultur glauben und akzeptieren, dass dazu unlösbar auch der Dissens gehört und sie per Definition pluralistisch sein muss. Die Wiederaufnahme einer Kultur der Diskussion, des Dialogs und der politischen Akzeptanz sind die ersten dazu notwendigen Reaktionen. Genau das ist unser Anspruch mit dieser Kolumne, einen offenen Raum für Auseinandersetzungen zu bieten, in dem sich unterschiedliche kritische Stimmen mit unserer Gesellschaft auseinandersetzen und uns anregen zu Teilhabe und Reflexion.

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Über die Autorin: Paula Macedo Weiß hat nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Brasilien ein Magisterstudium an der Universität Tübingen absolviert und wurde dort promoviert. Seit 1998 lebt sie in Frankfurt, ist verheiratet und hat vier Kinder. Sie ist u.a. Präsidentin der Stiftung Museum Angewandte Kunst, Mitglied des Kuratoriums des Schauspiel Frankfurt und Mitglied des Stiftungsrats des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
 
Fotogalerie:
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23. Juni 2022, 10.04 Uhr
Paula Macedo Weiß/Text übersetzt aus dem Portugiesischen von Michael Kegler
 
 
 
 
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