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Erneute Eskalation in Syrien
Kurden in Frankfurt gehen auf die Straße
Der syrische Bürgerkrieg bleibt komplex: Nach erneuter Eskalation warnen kurdische Aktivistinnen und Aktivisten in Frankfurt vor einem Erstarken des IS und protestieren gegen die Angriffe auf kurdische Gebiete.
Seit einigen Tagen flammt der Konflikt in Syrien erneut auf. In Aleppo konnte die islamistische und Al-Qaida-nahe Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) innerhalb kürzester Zeit die Zwei-Millionen-Metropole erobern. Die syrischen Regierungstruppen des Assad-Regimes wurden nahezu vollständig verdrängt.
Proteste in Deutschland gegen die Eskalation
Anlässlich der jüngsten Konflikte in Aleppo und Nordsyrien ist das Thema auch in Deutschland präsent. Bundesweit wurden Demonstrationen gegen die erneute Eskalation des Syrienkriegs angekündigt, unter anderem in Frankfurt. Das Kurdische Gesellschaftszentrum (NCK) rief dazu auf und versammelte sich zuletzt am Montag, den 2. Dezember, am Frankfurter Hauptbahnhof.
Im Gespräch mit dem Journal Frankfurt erklärte Berîvan Kaya, zuständig für die Außen- und Öffentlichkeitsarbeit des NCK, die Position ihres Vereins. Kaya sieht in der Offensive der Dschihadisten in Aleppo eine Gefahr für ganz Syrien, insbesondere für Regionen mit überwiegend kurdischer Bevölkerung.
„Die Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ist ein Al-Qaida-Ableger“, betont Kaya. Eine ihrer größten Sorgen sei, dass sich die Konflikte bis nach Rojava ausweiten könnten. In dieser Region im Nordosten Syriens leben viele Kurden und sie ist auch das Zentrum der autonomen Region unter Kontrolle von kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Rojava erlangte internationale Aufmerksamkeit durch den erfolgreichen Widerstand der kurdischen YPG-Milizen gegen den Islamischen Staat (IS). Sollte auch diese Region einer Offensive zum Opfer fallen, drohe die Freilassung von IS-Kämpfern aus überfüllten Gefängnissen, was eine Regenerierung des IS begünstigen könnte.
Kaya warnt außerdem vor den Gefahren für die Frauenbewegung in Rojava. Vertreterinnen des Frauenrats Amara erinnerten bei der Demonstration daran, dass die hart erkämpften Fortschritte für Frauen auf dem Spiel stehen. Kaya verweist auf die Rolle der Türkei beim Kampf um Kobane 2014, als Berichte über eine Unterstützung von IS-Kämpfern durch die Türkei aufkamen.
Einfluss der türkischen Politik auf die Diaspora
Die Auswirkungen der türkischen Politik sind für Kaya und andere Vereinsmitglieder auch in Deutschland spürbar. Anfeindungen gegen kurdische Gemeinschaften seien inzwischen Alltag. „Seit die türkische Regierungspartei (AKP) mit der MHP, der ultrafaschistischen Partei der Grauen Wölfe, koaliert, gibt es keine großen Unterschiede mehr zwischen beiden Parteien“, erklärt Kaya.
Info
Die Grauen Wölfe, auch „Ülkücü“-Anhänger genannt, gehören zu den größten rechtsextremen Gruppen in Deutschland. Ihre Ideologie ist von ultranationalistischen, rassistischen und gewalttätigen Tendenzen geprägt. Ihr Grußzeichen wurde auch schon auf öffentlichen Veranstaltungen vom Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gezeigt. Als Feindbilder der Grauen Wölfe gelten Kurden, Griechen, Armenier, Juden, Europäer, Chinesen, die USA und der Vatikan. In Deutschland sind sie in zahlreichen Vereinen und Dachverbänden aktiv.
Kurdische Bevölkerung und die Bedeutung Rojavas
Etwa zehn Prozent der syrischen Bevölkerung sind Kurden, viele von ihnen leben in der Region Rojava. Seit vielen Jahren ist Rojava wiederholt Angriffen der Türkei ausgesetzt, die radikal-islamistische und salafistische Milizen sowie Rebellen in Syrien unterstützt, um den Einfluss kurdischer Gruppen in der Region zu schwächen. Im Jahr 2016 wurde Rojava zu einem autonomen Gebiet erklärt. Zusätzlich strebt die Region eine autonome Verwaltung an, die sich durch die Förderung von Geschlechtergleichstellung und ethnischer Vielfalt auszeichnet. Die Menschen in der Region sind stark geprägt von den Ideen Abdullah Öcalans, des inhaftierten Gründers der kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Komplexität eines Kriegs, Machtvakuum und Eskalation
Der syrische Bürgerkrieg begann 2011 im Zuge des Arabischen Frühlings mit zunächst friedlichen Protesten gegen das autoritäre Regime von Präsident Baschar al-Assad. Das Regime reagierte mit beispielloser Gewalt, und der Konflikt weitete sich schnell zu einem Bürgerkrieg aus. Die Zahl der bisherigen Todesopfer wird auf etwa eine halbe Million geschätzt. Zwischen 12 und 13 Millionen Menschen wurden vertrieben. Mit Beginn des Konflikts vor 13 Jahren wurde der Krieg zunehmend komplexer, da zahlreiche Akteure involviert waren: oppositionelle Gruppen, islamistische Milizen wie der IS, Kurden, die Türkei, die USA, Russland und der Iran. Der Konflikt war und ist geprägt von wechselnden Bündnissen und unterschiedlichen Interessen.
In den letzten Jahren gab es eine Phase relativer Stabilität. Ein 2020 von Russland und der Türkei vermittelter Waffenstillstand in Nordwestsyrien wurde jedoch immer wieder gebrochen. In dieser Zeit eroberten syrische Regierungstruppen mit Unterstützung von Russland und dem Iran weite Gebiete zurück, darunter auch Aleppo.
Mit der Offensive der Dschihadisten in Aleppo entstand ein Machtvakuum, das für weitere Konflikte sorgt. Wie die Zeit berichtet, soll eine protürkische Offensive und Eroberung der kurdisch verwalteten Stadt Tal Rifaat durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationalarmee (SNA) stattgefunden haben. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte befürchtet ein „Massaker“ an rund 200.000 syrischen Kurden in der Provinz Aleppo. Seit der Offensive seien sämtliche Kommunikationsverbindungen in der Region unterbrochen.
Anlässlich der jüngsten Konflikte in Aleppo und Nordsyrien ist das Thema auch in Deutschland präsent. Bundesweit wurden Demonstrationen gegen die erneute Eskalation des Syrienkriegs angekündigt, unter anderem in Frankfurt. Das Kurdische Gesellschaftszentrum (NCK) rief dazu auf und versammelte sich zuletzt am Montag, den 2. Dezember, am Frankfurter Hauptbahnhof.
Im Gespräch mit dem Journal Frankfurt erklärte Berîvan Kaya, zuständig für die Außen- und Öffentlichkeitsarbeit des NCK, die Position ihres Vereins. Kaya sieht in der Offensive der Dschihadisten in Aleppo eine Gefahr für ganz Syrien, insbesondere für Regionen mit überwiegend kurdischer Bevölkerung.
„Die Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ist ein Al-Qaida-Ableger“, betont Kaya. Eine ihrer größten Sorgen sei, dass sich die Konflikte bis nach Rojava ausweiten könnten. In dieser Region im Nordosten Syriens leben viele Kurden und sie ist auch das Zentrum der autonomen Region unter Kontrolle von kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Rojava erlangte internationale Aufmerksamkeit durch den erfolgreichen Widerstand der kurdischen YPG-Milizen gegen den Islamischen Staat (IS). Sollte auch diese Region einer Offensive zum Opfer fallen, drohe die Freilassung von IS-Kämpfern aus überfüllten Gefängnissen, was eine Regenerierung des IS begünstigen könnte.
Kaya warnt außerdem vor den Gefahren für die Frauenbewegung in Rojava. Vertreterinnen des Frauenrats Amara erinnerten bei der Demonstration daran, dass die hart erkämpften Fortschritte für Frauen auf dem Spiel stehen. Kaya verweist auf die Rolle der Türkei beim Kampf um Kobane 2014, als Berichte über eine Unterstützung von IS-Kämpfern durch die Türkei aufkamen.
Die Auswirkungen der türkischen Politik sind für Kaya und andere Vereinsmitglieder auch in Deutschland spürbar. Anfeindungen gegen kurdische Gemeinschaften seien inzwischen Alltag. „Seit die türkische Regierungspartei (AKP) mit der MHP, der ultrafaschistischen Partei der Grauen Wölfe, koaliert, gibt es keine großen Unterschiede mehr zwischen beiden Parteien“, erklärt Kaya.
Die Grauen Wölfe, auch „Ülkücü“-Anhänger genannt, gehören zu den größten rechtsextremen Gruppen in Deutschland. Ihre Ideologie ist von ultranationalistischen, rassistischen und gewalttätigen Tendenzen geprägt. Ihr Grußzeichen wurde auch schon auf öffentlichen Veranstaltungen vom Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gezeigt. Als Feindbilder der Grauen Wölfe gelten Kurden, Griechen, Armenier, Juden, Europäer, Chinesen, die USA und der Vatikan. In Deutschland sind sie in zahlreichen Vereinen und Dachverbänden aktiv.
Etwa zehn Prozent der syrischen Bevölkerung sind Kurden, viele von ihnen leben in der Region Rojava. Seit vielen Jahren ist Rojava wiederholt Angriffen der Türkei ausgesetzt, die radikal-islamistische und salafistische Milizen sowie Rebellen in Syrien unterstützt, um den Einfluss kurdischer Gruppen in der Region zu schwächen. Im Jahr 2016 wurde Rojava zu einem autonomen Gebiet erklärt. Zusätzlich strebt die Region eine autonome Verwaltung an, die sich durch die Förderung von Geschlechtergleichstellung und ethnischer Vielfalt auszeichnet. Die Menschen in der Region sind stark geprägt von den Ideen Abdullah Öcalans, des inhaftierten Gründers der kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Der syrische Bürgerkrieg begann 2011 im Zuge des Arabischen Frühlings mit zunächst friedlichen Protesten gegen das autoritäre Regime von Präsident Baschar al-Assad. Das Regime reagierte mit beispielloser Gewalt, und der Konflikt weitete sich schnell zu einem Bürgerkrieg aus. Die Zahl der bisherigen Todesopfer wird auf etwa eine halbe Million geschätzt. Zwischen 12 und 13 Millionen Menschen wurden vertrieben. Mit Beginn des Konflikts vor 13 Jahren wurde der Krieg zunehmend komplexer, da zahlreiche Akteure involviert waren: oppositionelle Gruppen, islamistische Milizen wie der IS, Kurden, die Türkei, die USA, Russland und der Iran. Der Konflikt war und ist geprägt von wechselnden Bündnissen und unterschiedlichen Interessen.
In den letzten Jahren gab es eine Phase relativer Stabilität. Ein 2020 von Russland und der Türkei vermittelter Waffenstillstand in Nordwestsyrien wurde jedoch immer wieder gebrochen. In dieser Zeit eroberten syrische Regierungstruppen mit Unterstützung von Russland und dem Iran weite Gebiete zurück, darunter auch Aleppo.
Mit der Offensive der Dschihadisten in Aleppo entstand ein Machtvakuum, das für weitere Konflikte sorgt. Wie die Zeit berichtet, soll eine protürkische Offensive und Eroberung der kurdisch verwalteten Stadt Tal Rifaat durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationalarmee (SNA) stattgefunden haben. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte befürchtet ein „Massaker“ an rund 200.000 syrischen Kurden in der Provinz Aleppo. Seit der Offensive seien sämtliche Kommunikationsverbindungen in der Region unterbrochen.
4. Dezember 2024, 12.03 Uhr
Till Taubmann
Till Christian Taubmann
Jahrgang 1997, Studium in Kommunikationsdesign an der Hochschule Mainz, Arbeit als freier Illustrator, seit Januar 2023 beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Till Christian
Taubmann >>
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