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Gespräch mit Uwe Becker

„Frankfurt ist die jüdischste Stadt Deutschlands“

Uwe Becker ist Bürgermeister, Stadtkämmerer und Kirchendezernent der Stadt Frankfurt. Im Gespräch mit dem JOURNAL FRANKFURT erzählt er, weshalb er sich für das jüdische Leben in Frankfurt und gegen Antisemitismus einsetzt.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Becker, Ihr Engagement für das jüdische Leben in Frankfurt und gegen Antisemitismus ist über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus bekannt. Beim Deutschen Israelkongress im November vergangenen Jahres wurden sie für Ihren Einsatz zur Förderung der deutsch-israelischen Beziehungen geehrt. Wie kam es dazu?

Uwe Becker: Mich hat immer der Zusammenhalt in der Gesellschaft interessiert. Und aus meiner Sicht ist Frankfurt die jüdischste Stadt Deutschlands. Das jüdische Leben hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Stadt, sie wurde von jüdischen Bürgerfamilien mitgeprägt und das jüdische Leben ist Teil ihrer Identität. 2004 war ich als CDU-Fraktionsvorsitzender auf einer Delegationsreise der Stadt Frankfurt dann das erste Mal in Israel. Frankfurt und Tel Aviv sind ja seit 1981 Partnerstädte. Die Reise weckte mein Interesse und ich verliebte mich schnell in Land und Leute. Ich lernte ein junges, offenes, positives Land kennen. Gleichzeitig auch eines, das in seiner innersten Existenz bedroht ist. Seither war ich etwa zweimal jährlich in Israel, in offizieller Funktion und auch privat. Über die Jahre habe ich viele Menschen in der jüdischen Gemeinschaft kennengelernt und mein Interesse am jüdischen Leben ist gewachsen.

Was hat Sie in Israel besonders beeindruckt?

Ich erinnere mich zum Beispiel an die Ruhe und die Kraft, die ich verspürte, als ich auf dem Berg Abel stand und die Sonne über den Golan-Höhen aufgehen sah. Gleich dahinter liegt die syrische Grenze. Schon Jesus hatte hier gewirkt! Wenn man das in ganzer Breite und Tiefe auf sich wirken lässt, schafft das eine ungeheure Emotionalität. Das Gefühl war stark, an einem besonderen Ort zu sein, dem einzigen Rechtsstaat in dieser Region. Vieles begreift man erst vor Ort. Man sieht, wie Koexistenz funktionieren kann. Man begreift die Sicherheitslage des Landes erst, wenn man seine Größe sieht – es ist etwa so groß wie Hessen – und dass es eben nicht an NRW und Niedersachsen grenzt, sondern an Libanon und Syrien. Und doch fühle ich mich nirgends so sicher wie in Tel Aviv. Die Stadt lebt 24 Stunden am Tag, obwohl die Situation schwierig ist. Es ist ein sehr lebensbejahendes Land.

Wie bringen Sie diese Erfahrungen anderen Menschen näher?

Begegnungen sind der Schlüssel zum Verständnis. Es ist mir wichtig, dass Menschen die Möglichkeit erhalten, das Land zu erfahren. Wir haben zum Beispiel ein Projekt gestartet, dass sich bewusst an muslimische Jugendliche richtet. Sie sollen nach Israel reisen, um die Kultur kennenzulernen. Wenn sie zurückkommen, erzählen sie von ihren Erlebnissen und wirken als Multiplikator. Auch einen Schüleraustausch mit Tel Aviv und Kooperationen zwischen israelischen und deutschen Universitäten haben wir angekurbelt.

2013 führten Sie in Frankfurt den deutsch-israelischen Freundschaftstag ein. Im Mai 2018 riefen sie als Reaktion auf mehrere antisemitische Vorfälle dazu auf, einen Tag lang öffentlich Kippa zu tragen. Gerade ist die Plakat-Aktion „Gemeinsam in Frankfurt am Main – Für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus“ gestartet, die sie ins Leben gerufen haben.

Frankfurt ist eine weltoffene, liberale Stadt. Aber wenn Juden hier nicht Kippa tragen können, ohne Anfeindungen zu erleben – dann können wir die Religionsfreiheit im Grunde nicht mehr gewährleisten. Wir sind leider schon über das „Wehret den Anfängen“ hinaus. Seit etwa sieben Jahren stelle ich fest, dass der Antisemitismus in der Gesellschaft zunimmt. Dinge werden wieder lauter, die in den Hinterzimmern schon immer da waren. Mit dem Erstarken der AfD werden sie wieder salonfähig. Die Gesellschaft gewöhnt sich an die Provokation, das halte ich für besonders gefährlich.

Welche Botschaft sollen die Plakate vermitteln?

Es ist wichtig, das jüdische Leben sichtbar zu machen. Das sieht man ja sonst nicht so in der Stadt. Die Schwelle der Begegnung soll so niedrig wie möglich sein. Als Kirchendezernent mache ich manchmal Kirchenrundgänge, da führe ich die Leute häufig auch in die Westend-Synagoge. Das weckt ihr Interesse und macht sie neugierig. Die zentrale Botschaft der Plakate ist, dass jeder etwas tun kann. Wir können als Gesellschaft zeigen, dass wir aktiv für das jüdische Leben und gegen Antisemitismus einstehen. Es geht nicht um die Frage der persönlichen Schuld, sondern um die gemeinsame Verantwortung. Gerade in Deutschland. Dieses Signal sollen Juden erhalten, damit sie sich hier auch zu Hause fühlen.

Welche Reaktionen erhalten sie auf Ihr Engagement?

Die Reaktionen sind zum größten Teil positiv. Aus jüdischen Kreisen erfahre ich breite Unterstützung. Es ist aber nicht die Aufgabe der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, sich gegen Antisemitismus stark zu machen. Sondern die der ganzen Gesellschaft.

Das Gespräch führte Isabel Hempen.

Uwe Becker, 49, geboren in Bad Homburg, seit 2016 Bürgermeister der Stadt Frankfurt


Das Interview mit Uwe Becker erscheint als Teil unserer Reihe „Gesicht zeigen! Warum Antisemitismus und Rassismus in Frankfurt keinen Platz haben“. In den kommenden zwei Wochen veröffentlichen wir an dieser Stelle Gespräche mit verschiedenen Akteuren, die sich im Kampf gegen Diskriminierung engagieren. Die aktuelle Print-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT widmet sich diesem Thema in einer 22-seitigen Porträtstrecke.
 
Fotogalerie:
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1. Februar 2019, 12.31 Uhr
Isabel Hempen
 
 
 
 
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