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Da hinten ist Herkules. Seinetwegen trägt Atlas das Firmament – so wie seine Statue auf dem Frankfurter Hauptbahnhof © Andrea Krieg
Kolumne
Ab nach Kassel!
Unser Autor lebte viele Jahrzehnte im Rhein-Main-Gebiet, bevor es ihn 2024 in die nordhessische Hauptstadt verschlug – zum Unverständnis mancher Zeitgenossen. In unregelmäßigen Abständen wird er darüber berichten, was es in Kassel neben Weltkultur und Waschbären noch so alles zu entdecken gibt – und warum Frankfurt (für ihn) da nicht mithalten kann.
„Warum Kassel?“ Wohl die am meisten an mich gerichtete Frage der letzten Zeit. Nun, mal abgesehen von familiären/persönlichen Gründen, könnte ich auch direkt zur Gegenrede ansetzen: Warum denn nicht? Oder – noch konkreter: Warum eigentlich Frankfurt? In den vergangenen Dekaden Rhein-Main-Hexenkessel hat das komplexbeladene Äppler-Metropölchen zwar an Ansehen und Internationalität dazugewonnen, es mir leider aber auch immer schwerer gemacht, meine Herzenswärme dafür auf Betriebstemperatur zu halten.
Frankfurt heute: teurer, unpersönlicher, hochnäsiger, schnöseliger und gentrifizierter
Es gab eine Zeit, da mochte ich es sehr, dieses Ungeschliffene, den in nächste Generationen hineingetragenen Restrotz der Spätsiebziger- und frühen Achtzigerjahre. Ich habe es geliebt, als die Straßenbahn noch über die Hauptwache fuhr, die Kaiserstraße ihre Pornoläden hatte und im „Aki“-Kino im Hauptbahnhof schundiges Italo-Kino lief. Als Pommes Rot-Weiß 2 Mark 50 kosteten und man sich bei „Ralph’s Records“ mit den neuesten LPs eindecken konnte.
Heute? Alles höher, schneller, weiter, kälter, gieriger, teurer, unpersönlicher, hochnäsiger, schnöseliger, gentrifizierter. Nichts gegen moderne Entfaltung (obwohl: doch einiges). Die persönliche Zuneigung zu Mainhattantown jedenfalls, sie existiert nur noch als leise dahinflackerndes Flämmchen vor dem endgültigen Erlöschen.
„Skyline in der Nachbarschaft schützt nicht vor Flachland im Hirn“
Bereits während dieses schleichenden Entfremdungsprozesses ging ich insgeheim mit Kassel fremd: Immer wieder zog es mich in die herrlich grüne nordhessische Oase mit ihren weitläufigen Landschaftsparks, wo es keine Hochhäuser gibt, aber den Herkules: Als eherner Schutzpatron thront er über den Dächern und verjagt mit seiner Keule all jene ignoranten City Slicker, die abfällig „Hessisch Sibirien“ skandieren oder behaupten, Kassel würde nur alle fünf Jahre zur documenta ausgepackt. Skyline in der Nachbarschaft schützt nicht vor Flachland im Hirn.
Wenn schon Provinz, dann Provinz mit Charakter. Und Geschmack, denn hier toben die derben Genüsse: Man wird mit Ahlen Würsten vollgestopft, mit Gehacktem bombardiert und watet im Schmand. Eine Landfleischerei an der nächsten, Hofläden noch und nöcher, Veggies schlabbern derweil Grüne Soße, lokal handfest zerkleinert (für Altsachsenhäuser ein Horrorszenario). Okay, das mit dem bargeldlosen Bezahlen hat sich noch nicht überall herumgesprochen, E-Rezepte laufen unter Science-Fiction, der Netzempfang fällt bereits am Stadtrand aus.
„Herrlich frische Luft in Kassel, weil: keine Flugzeuge!“
Ansonsten jedoch gibt es (fast) nichts, was es nicht gibt. Kunst, Kultur und Kotelett: In üppigem Maße vorhanden, dabei überall noch herrlich frische Luft nach oben, weil: keine Flugzeuge! „Airport Kassel-Calden“ – als Sonntagsausflug für Ruhebedürftige immer eine Reise wert. Und wer dann noch behauptet, bei Frankfurt handele es sich mittlerweile um den Baustellen-Hotspot schlechthin, der sollte mal versuchen, von der A7 in die Kasseler Innenstadt zu gelangen und sich dabei durch diverse zweispurige Hauptschlagadern zu kämpfen.
Neuerliche Umfragewerte, in Kassel lebten Deutschlands glücklichste Menschen, sind bei den Autofahrern nicht angekommen, wenn sie aus den umliegenden ländlichen Regionen (ohne ÖPNV-Anbindung) die Einfallstraßen fluten, falls diese nicht aufgrund längerfristiger Sperrungen eh unerreichbar sind. Aber – haha! – dann nehmen wir eben die Tram (Fahrrad? Nur für Todesmutige). Verleiht zwar keine Flügel, aber man kommt wesentlich besser voran.
Ach ja, Kassel, du schöner neuer Lebensmittelpunkt: Man kann dir einfach nicht böse sein. Was den Rest meines Glückshormonhaushalts anbetrifft: Ich werde diesen in der nahen Zukunft eingehender Prüfungen plus damit verbundener Berichterstattungen unterziehen. Und sollte es etwas geben, was ich an Frankfurt schmerzlich vermisse, dann, liebe Leserinnen und Leser, erfahren Sie es als erste.
Es gab eine Zeit, da mochte ich es sehr, dieses Ungeschliffene, den in nächste Generationen hineingetragenen Restrotz der Spätsiebziger- und frühen Achtzigerjahre. Ich habe es geliebt, als die Straßenbahn noch über die Hauptwache fuhr, die Kaiserstraße ihre Pornoläden hatte und im „Aki“-Kino im Hauptbahnhof schundiges Italo-Kino lief. Als Pommes Rot-Weiß 2 Mark 50 kosteten und man sich bei „Ralph’s Records“ mit den neuesten LPs eindecken konnte.
Heute? Alles höher, schneller, weiter, kälter, gieriger, teurer, unpersönlicher, hochnäsiger, schnöseliger, gentrifizierter. Nichts gegen moderne Entfaltung (obwohl: doch einiges). Die persönliche Zuneigung zu Mainhattantown jedenfalls, sie existiert nur noch als leise dahinflackerndes Flämmchen vor dem endgültigen Erlöschen.
Bereits während dieses schleichenden Entfremdungsprozesses ging ich insgeheim mit Kassel fremd: Immer wieder zog es mich in die herrlich grüne nordhessische Oase mit ihren weitläufigen Landschaftsparks, wo es keine Hochhäuser gibt, aber den Herkules: Als eherner Schutzpatron thront er über den Dächern und verjagt mit seiner Keule all jene ignoranten City Slicker, die abfällig „Hessisch Sibirien“ skandieren oder behaupten, Kassel würde nur alle fünf Jahre zur documenta ausgepackt. Skyline in der Nachbarschaft schützt nicht vor Flachland im Hirn.
Wenn schon Provinz, dann Provinz mit Charakter. Und Geschmack, denn hier toben die derben Genüsse: Man wird mit Ahlen Würsten vollgestopft, mit Gehacktem bombardiert und watet im Schmand. Eine Landfleischerei an der nächsten, Hofläden noch und nöcher, Veggies schlabbern derweil Grüne Soße, lokal handfest zerkleinert (für Altsachsenhäuser ein Horrorszenario). Okay, das mit dem bargeldlosen Bezahlen hat sich noch nicht überall herumgesprochen, E-Rezepte laufen unter Science-Fiction, der Netzempfang fällt bereits am Stadtrand aus.
Ansonsten jedoch gibt es (fast) nichts, was es nicht gibt. Kunst, Kultur und Kotelett: In üppigem Maße vorhanden, dabei überall noch herrlich frische Luft nach oben, weil: keine Flugzeuge! „Airport Kassel-Calden“ – als Sonntagsausflug für Ruhebedürftige immer eine Reise wert. Und wer dann noch behauptet, bei Frankfurt handele es sich mittlerweile um den Baustellen-Hotspot schlechthin, der sollte mal versuchen, von der A7 in die Kasseler Innenstadt zu gelangen und sich dabei durch diverse zweispurige Hauptschlagadern zu kämpfen.
Neuerliche Umfragewerte, in Kassel lebten Deutschlands glücklichste Menschen, sind bei den Autofahrern nicht angekommen, wenn sie aus den umliegenden ländlichen Regionen (ohne ÖPNV-Anbindung) die Einfallstraßen fluten, falls diese nicht aufgrund längerfristiger Sperrungen eh unerreichbar sind. Aber – haha! – dann nehmen wir eben die Tram (Fahrrad? Nur für Todesmutige). Verleiht zwar keine Flügel, aber man kommt wesentlich besser voran.
Ach ja, Kassel, du schöner neuer Lebensmittelpunkt: Man kann dir einfach nicht böse sein. Was den Rest meines Glückshormonhaushalts anbetrifft: Ich werde diesen in der nahen Zukunft eingehender Prüfungen plus damit verbundener Berichterstattungen unterziehen. Und sollte es etwas geben, was ich an Frankfurt schmerzlich vermisse, dann, liebe Leserinnen und Leser, erfahren Sie es als erste.
23. Juli 2024, 14.12 Uhr
Andreas Dosch
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Text: Jasmin Schülke / Foto: © Klaus Berger
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