Partner
Dosch@Berlinale 2020: Teil 1
Die Sirenen heulen
Schon wieder Berlinale? Tatsächlich, die 70. sogar. Ein Jubiläum also. Unser Kinoredakteur Andreas Dosch weilt vor Ort und schildert erste Eindrücke. Bunt sind sie nicht.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Berlinale jemals mit einer Schweigeminute anfing. Zumindest nicht während meiner Zeit. Und es ist ein ganzes Weilchen her, dass ich zum ersten Mal dieses Filmfest besuchte, das „größte Publikumsfestival der Welt“, wohlgemerkt. Die 50. Berliner Festspiele habe ich seinerzeit bereits sehr aktiv mitgenommen. Ach, reden wir nicht drüber.
Ein trauriger Beginn also für diese cineastischen Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag: Tote in Hanau, unweit meiner Heimatstadt, rechter Terror, erneut liegen übelste dunkelste Schwaden überm Land und sie kommen nicht vom Wetter (welches allerdings auch hier angemessen Trauer trägt). Ja, die Worte fehlen ob dieser Tat(en) – und eigentlich bin ich hier ja angetreten, um einen einigermaßen launigen Festival-Text zu verfassen. Schwer.
Daher sollte man vielleicht dem neuen Berlinale-Chef Carlo Chatrian zuhören, welcher den hochverdienten Dieter Kosslick dieses Jahr nun ablöst und gemeinsam mit seiner Co-Leiterin/Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek dem traditionellen Schaulaufen des Weltkinos in der Hauptstadt neue Perspektiven abtrotzen möchte. In Chatrians Begrüßungsworten für alle Festivalgäste ist die Rede von dem „Mensch, der bebt und zittert, sich begeistert und empört über das, was um ihn herum passiert.“ Von „großen Tragödien“, die „Abdrücke auf der Haut hinterlassen“. Zugegeben, als ich das las, dachte ich: Okay, vielleicht 'ne Spur über. Klingt jedenfalls nicht nach dem lustvoll-sinnlichen Kinoerlebnis, das manche*r (unter anderem ich) sich von solch einer Veranstaltung erhofft. Doch mit den dämonischen Schatten, die nun wieder über unsere Stadt- und Landschaften ziehen, sinkt naturgemäß auch das Verlangen, lauthals und möglicherweise Champagner-trächtig einen „runden Geburtstag“ zu zelebrieren.
Was jetzt aber auch nicht heißt, dass ich mich in den kommenden Festivaltagen den „finsteren Dämonen“, zu denen der Mensch, „dieses leidende, geschundene, manipulative Wesen“ tatsächlich fähig ist (Zitate Chatrian), schicksalsergeben auszuliefern gedenke. Gelegenheiten dazu gäbe es viele: Der russische Künstler Ilya Khrzhanovskiy etwa, der hat eine epische und in seiner Heimat heftigst umstrittene Drama-Performance über totalitäre Systeme in diverse filmische Projekte übersetzt, von denen eines, „DAU. Natasha“ mit zweieinhalb Stunden Länge im Wettbewerb läuft, das andere, „DAU. Degeneratsia“, in einer „Special“-Vorführung, weil: annähernd sechs Stunden. Es wird dabei „Radikalität“ angekündigt, außerdem soll der Sex vor der Kamera angeblich nicht vorgetäuscht sein … aber: puh! Sorry, liebe Arthäuser Stammtischgesellen – ich muss noch laufen, da bin ich raus.
Das nur als Beispiel. Es gibt etliche davon. Die Berlinale findet nicht umsonst im grauen Februar statt, wenn auch inzwischen gen Monatsende versetzt. Obwohl das Wetter – wie bereits erwähnt – natürlich keinen Einfluss auf dunkelste menschliche Abgründe ausübt, wenn die Seele sowieso einen kaum nachvollziehbaren Dachschaden hat. Die Vorhersage für Deutschland jedenfalls, sie sieht nicht sonderlich sonnig aus.
Ein trauriger Beginn also für diese cineastischen Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag: Tote in Hanau, unweit meiner Heimatstadt, rechter Terror, erneut liegen übelste dunkelste Schwaden überm Land und sie kommen nicht vom Wetter (welches allerdings auch hier angemessen Trauer trägt). Ja, die Worte fehlen ob dieser Tat(en) – und eigentlich bin ich hier ja angetreten, um einen einigermaßen launigen Festival-Text zu verfassen. Schwer.
Daher sollte man vielleicht dem neuen Berlinale-Chef Carlo Chatrian zuhören, welcher den hochverdienten Dieter Kosslick dieses Jahr nun ablöst und gemeinsam mit seiner Co-Leiterin/Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek dem traditionellen Schaulaufen des Weltkinos in der Hauptstadt neue Perspektiven abtrotzen möchte. In Chatrians Begrüßungsworten für alle Festivalgäste ist die Rede von dem „Mensch, der bebt und zittert, sich begeistert und empört über das, was um ihn herum passiert.“ Von „großen Tragödien“, die „Abdrücke auf der Haut hinterlassen“. Zugegeben, als ich das las, dachte ich: Okay, vielleicht 'ne Spur über. Klingt jedenfalls nicht nach dem lustvoll-sinnlichen Kinoerlebnis, das manche*r (unter anderem ich) sich von solch einer Veranstaltung erhofft. Doch mit den dämonischen Schatten, die nun wieder über unsere Stadt- und Landschaften ziehen, sinkt naturgemäß auch das Verlangen, lauthals und möglicherweise Champagner-trächtig einen „runden Geburtstag“ zu zelebrieren.
Was jetzt aber auch nicht heißt, dass ich mich in den kommenden Festivaltagen den „finsteren Dämonen“, zu denen der Mensch, „dieses leidende, geschundene, manipulative Wesen“ tatsächlich fähig ist (Zitate Chatrian), schicksalsergeben auszuliefern gedenke. Gelegenheiten dazu gäbe es viele: Der russische Künstler Ilya Khrzhanovskiy etwa, der hat eine epische und in seiner Heimat heftigst umstrittene Drama-Performance über totalitäre Systeme in diverse filmische Projekte übersetzt, von denen eines, „DAU. Natasha“ mit zweieinhalb Stunden Länge im Wettbewerb läuft, das andere, „DAU. Degeneratsia“, in einer „Special“-Vorführung, weil: annähernd sechs Stunden. Es wird dabei „Radikalität“ angekündigt, außerdem soll der Sex vor der Kamera angeblich nicht vorgetäuscht sein … aber: puh! Sorry, liebe Arthäuser Stammtischgesellen – ich muss noch laufen, da bin ich raus.
Das nur als Beispiel. Es gibt etliche davon. Die Berlinale findet nicht umsonst im grauen Februar statt, wenn auch inzwischen gen Monatsende versetzt. Obwohl das Wetter – wie bereits erwähnt – natürlich keinen Einfluss auf dunkelste menschliche Abgründe ausübt, wenn die Seele sowieso einen kaum nachvollziehbaren Dachschaden hat. Die Vorhersage für Deutschland jedenfalls, sie sieht nicht sonderlich sonnig aus.
21. Februar 2020, 10.11 Uhr
Andreas Dosch
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Kunstausstellung in Eschborn
Gesammelte Fotografien der Deutschen Börse
Seit 25 Jahren sammelt die Deutsche Börse Fotografien. Eine Ausstellung bringt Klassiker und neue Ankäufe zusammen.
Text: Katharina J. Cichosch / Foto: © Lebohang Kganye, Ke bala buka ke apere naeterese II, 2013
KulturMeistgelesen
- Frankfurt-OstendTango trifft Poesie im Kunstverein Familie Montez
- Lilian Thuram in FrankfurtFranzösische Fußballlegende spricht über Rassismus
- Schirn Kunsthalle FrankfurtDie Kräfte neu vermessen
- Weltkulturen Museum Frankfurt„Country bin pull‘em" erweckt mystische Wesen zum Leben
- Hans HaackeEin Künstler für die Demokratie
15. November 2024
Journal Tagestipps
Freie Stellen