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Nachruf: Michael Hohmann
Impulsgeber und Feingeist
Michael Hohmann, Leiter der Romanfabrik, ist völlig überraschend im Alter von 68 Jahren gestorben. Ein Nachruf von Christoph Schröder.
So befremdlich das auch für einen Literaturredakteur klingen mag: Ich hatte stets eine gewisse Scheu, mich mit Michael Hohmann über Literatur zu unterhalten. Er war einer jener Menschen, die einem die eigenen Unzulänglichkeiten, die eigenen Bildungs- und Leselücken vor Augen führte. Weil er selbst so viel wusste und kannte und gelesen und gehört hatte, sich in Musik und Literatur auskannte und über dieses Wissen ganz lässig und selbstverständlich verfügte. Niemals auftrumpfend. Das Auftrumpfen war im Wesen von Michael Hohmann nicht angelegt. Er war ein melodischer, bedächtiger Sprecher; einer, dem man bei der Formung seiner Gedanken im Reden Zuhören konnte. Unterstützt wurde dieses Denken oft durch weite, kreisende Armbewegungen. Worüber man mit Michael Hohmann auch ganz wunderbar sprechen konnte? Über das Laufen beispielsweise, aber auch darin war er so gut, dass man mit seinen eigenen Zeiten lieber hinter dem Berg hielt. Und über Fußball. Nicht die Eintracht, sondern die Lilien.
Michael Hohmann, geboren 1954, war ein „Lapping“, so sagte er über sich selbst. „Lapping“ ist bis heute der Spitzname für die Bewohner des Darmstädter Stadtteils Bessungen, in dessen Sanddünen Landgraf Georg I. im 16. Jahrhundert Kaninchen ansiedeln ließ, um den Hunger der Bevölkerung zu mindern. Von Bessungen bis zum Böllenfalltor, dem Stadion des SV Darmstadt 98, sind es rund zehn Minuten Fußweg. Als Kind, so hat es mir Michael Hohmann einmal erzählt, hat er nach den Spielen der Darmstädter im Stadion die Flaschen eingesammelt und am Kiosk das Pfand eingelöst. Das war sein Taschengeld für die Woche. Nach dem Abitur in Darmstadt hat Hohmann hin- und herüberlegt, wie es weitergehen könnte. Ein Medizinstudium wäre interessant gewesen, doch seine Abiturnoten waren nicht gut genug. Beim Roten Kreuz hat er sich während der Schulzeit engagiert, aber auch bei der Katholischen Jugend. Auf die Gretchenfrage, wie er es mit der Religion halte, antwortete er mir: „Ich bin irgendwann gottlos geworden, spätestens, als ich Marx’ Thesen über Feuerbach gelesen hatte und mir klar wurde, dass meine Gottesvorstellung ein Konstrukt ist, dass all das, was der Mensch sein könnte und sollte, auf einen Gott projiziert wird.“
Hohmann war ein philosophischer Denker und ein manischer Leser, schon immer. Er wollte Erkenntnisse und hatte zugleich große Fragen an das Leben. Darum begann er in Mainz ein geisteswissenschaftliches Studium, Romanistik und Philosophie. Und mischte sich kräftig in politische Belange ein: Mitglied des Spartakus-Bundes, Fachschaftsvertreter im AStA, gleichzeitig aber absolvierte Hohmann eine Ausbildung als Querflötist an der Akademie für Tonkunst. Ein Feingeist, der nicht in Schubladen einzusortieren war. Für seine Doktorarbeit über Alexandre Dumas, den Erfinder der drei Musketiere und des Grafen von Monte Christo, bekam Hohmann ein Stipendium an der Universität in Montpellier; nach Abschluss der Promotion arbeitete Hohmann als Sprachlehrer an der Volkshochschule, gab Deutschkurse am Goethe-Institut und hatte noch dazu einen Lehrauftrag an der Uni Mainz. Da war er allerdings schon nach Frankfurt gezogen. Der Darmstädter mochte die Stadt, ihre Ideen, ihre Chancen, ihren Austausch. Gerade im Ostend, wo er lebte und arbeitete: „Viel Transit, viel Willkommen“, so seine Charakterisierung des Stadtteils.
1992 hörte Hohmann von der freien Stelle als Leiter der Romanfabrik. Er bekam den Job und musste „einen kompletten Registerwechsel“ leisten, wie er es ausdrückte, vom Romanisten zum Kenner zeitgenössischer deutscher Literatur, von einem akademischen Umfeld in eine Stadt, in der die Fördergelder bereits damals knapp waren. Michael Hohmann war ein vielseitiger, nach allen Richtungen und gegenüber allen künstlerischen Ausdrucksformen offener Mensch. Das programmatische Profil der Romanfabrik trug dieser Tatsache Rechnung: Es gibt ein regelmäßiges philosophisches Café, es gibt musikalische Abende, an denen Künstler aus dem Bereich Jazz und klassische Musik auftreten, aber eben auch Autorenlesungen. Michael Hohmanns Programmgestaltung zeichnete sich durch dreierlei aus: Weltoffenheit und Internationalität, die sich in der engen Zusammenarbeit mit kulturellen Institutionen niederschlug. Eine unverbrüchliche Treue zu Schriftstellern, von denen Hohmann überzeugt war: Alex Capus beispielsweise, der Schweizer, heute ein Superstar, war seit seinem ersten Buch mit jedem seiner Folgebücher in der Romanfabrik zu Gast. Und: Michael Hohmann scherte sich wenig um die Vergänglichkeit der Frühjahrs- und Herbstprogramme. Wenn ihm ein Buch in die Hände fiel, das bereits zwei Jahre alt war und das ihm gefiel, lud er die Autorin oder den Autor ein. Die Lyrik hat in der Romanfabrik ebenfalls einen festen Platz.
Michael Hohmann, das ist kein Klischee, schaute auf ästhetische Kriterien. Nicht auf Moden, nicht auf Betriebsgeräusche. Die Romanfabrik, einer der ältesten Literaturveranstalter in Deutschland und einer mit einer ganz eigenen, wilden Geschichte, war bei Michael Hohmann in festen und besten Händen. Ihren Umzug auf das Unionsgelände auf der Hanauer Landstraße gestaltete Michael Hohmann im Jahr 1999 als ein Leuchtturmprojekt für das gesamte Quartier. Am 2. Dezember 2022 wurde Hohmann in der Paulskirche für seine Verdienste mit der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet.
Wie die Stadt Frankfurt bekanntgab, ist Michael Hohmann vollkommen überraschend am 25. Dezember im Alter von 68 Jahren gestorben. Kulturdezernentin Ina Hartwig nennt ihn eine „prägende Figur des literarischen Lebens in Frankfurt.“ Und fügt hinzu: „Ihm ist es als Impulsgeber zu verdanken, dass die Institution Vorbild für ähnliche Einrichtungen in Deutschland wurde. Sein Enthusiasmus, sein offener und kritischer Geist und seine Begeisterung für gute Literatur und Musik werden uns sehr fehlen.“
An einem heißen Sommertag im August 2022 begegneten Michael Hohmann und ich uns in einem Ausflugslokal im Taunus. Ich kam gerade an; er war im Begriff zu gehen. Wir plauderten kurz und winkten uns zum Abschied zu. „Demnächst trinken wir mal wieder ein Bier zusammen“, rief er. Dass es dazu nicht mehr kommen wird, ist schlimm. Michael Hohmann ist in Frankfurt nicht zu ersetzen.
Michael Hohmann, geboren 1954, war ein „Lapping“, so sagte er über sich selbst. „Lapping“ ist bis heute der Spitzname für die Bewohner des Darmstädter Stadtteils Bessungen, in dessen Sanddünen Landgraf Georg I. im 16. Jahrhundert Kaninchen ansiedeln ließ, um den Hunger der Bevölkerung zu mindern. Von Bessungen bis zum Böllenfalltor, dem Stadion des SV Darmstadt 98, sind es rund zehn Minuten Fußweg. Als Kind, so hat es mir Michael Hohmann einmal erzählt, hat er nach den Spielen der Darmstädter im Stadion die Flaschen eingesammelt und am Kiosk das Pfand eingelöst. Das war sein Taschengeld für die Woche. Nach dem Abitur in Darmstadt hat Hohmann hin- und herüberlegt, wie es weitergehen könnte. Ein Medizinstudium wäre interessant gewesen, doch seine Abiturnoten waren nicht gut genug. Beim Roten Kreuz hat er sich während der Schulzeit engagiert, aber auch bei der Katholischen Jugend. Auf die Gretchenfrage, wie er es mit der Religion halte, antwortete er mir: „Ich bin irgendwann gottlos geworden, spätestens, als ich Marx’ Thesen über Feuerbach gelesen hatte und mir klar wurde, dass meine Gottesvorstellung ein Konstrukt ist, dass all das, was der Mensch sein könnte und sollte, auf einen Gott projiziert wird.“
Hohmann war ein philosophischer Denker und ein manischer Leser, schon immer. Er wollte Erkenntnisse und hatte zugleich große Fragen an das Leben. Darum begann er in Mainz ein geisteswissenschaftliches Studium, Romanistik und Philosophie. Und mischte sich kräftig in politische Belange ein: Mitglied des Spartakus-Bundes, Fachschaftsvertreter im AStA, gleichzeitig aber absolvierte Hohmann eine Ausbildung als Querflötist an der Akademie für Tonkunst. Ein Feingeist, der nicht in Schubladen einzusortieren war. Für seine Doktorarbeit über Alexandre Dumas, den Erfinder der drei Musketiere und des Grafen von Monte Christo, bekam Hohmann ein Stipendium an der Universität in Montpellier; nach Abschluss der Promotion arbeitete Hohmann als Sprachlehrer an der Volkshochschule, gab Deutschkurse am Goethe-Institut und hatte noch dazu einen Lehrauftrag an der Uni Mainz. Da war er allerdings schon nach Frankfurt gezogen. Der Darmstädter mochte die Stadt, ihre Ideen, ihre Chancen, ihren Austausch. Gerade im Ostend, wo er lebte und arbeitete: „Viel Transit, viel Willkommen“, so seine Charakterisierung des Stadtteils.
1992 hörte Hohmann von der freien Stelle als Leiter der Romanfabrik. Er bekam den Job und musste „einen kompletten Registerwechsel“ leisten, wie er es ausdrückte, vom Romanisten zum Kenner zeitgenössischer deutscher Literatur, von einem akademischen Umfeld in eine Stadt, in der die Fördergelder bereits damals knapp waren. Michael Hohmann war ein vielseitiger, nach allen Richtungen und gegenüber allen künstlerischen Ausdrucksformen offener Mensch. Das programmatische Profil der Romanfabrik trug dieser Tatsache Rechnung: Es gibt ein regelmäßiges philosophisches Café, es gibt musikalische Abende, an denen Künstler aus dem Bereich Jazz und klassische Musik auftreten, aber eben auch Autorenlesungen. Michael Hohmanns Programmgestaltung zeichnete sich durch dreierlei aus: Weltoffenheit und Internationalität, die sich in der engen Zusammenarbeit mit kulturellen Institutionen niederschlug. Eine unverbrüchliche Treue zu Schriftstellern, von denen Hohmann überzeugt war: Alex Capus beispielsweise, der Schweizer, heute ein Superstar, war seit seinem ersten Buch mit jedem seiner Folgebücher in der Romanfabrik zu Gast. Und: Michael Hohmann scherte sich wenig um die Vergänglichkeit der Frühjahrs- und Herbstprogramme. Wenn ihm ein Buch in die Hände fiel, das bereits zwei Jahre alt war und das ihm gefiel, lud er die Autorin oder den Autor ein. Die Lyrik hat in der Romanfabrik ebenfalls einen festen Platz.
Michael Hohmann, das ist kein Klischee, schaute auf ästhetische Kriterien. Nicht auf Moden, nicht auf Betriebsgeräusche. Die Romanfabrik, einer der ältesten Literaturveranstalter in Deutschland und einer mit einer ganz eigenen, wilden Geschichte, war bei Michael Hohmann in festen und besten Händen. Ihren Umzug auf das Unionsgelände auf der Hanauer Landstraße gestaltete Michael Hohmann im Jahr 1999 als ein Leuchtturmprojekt für das gesamte Quartier. Am 2. Dezember 2022 wurde Hohmann in der Paulskirche für seine Verdienste mit der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet.
Wie die Stadt Frankfurt bekanntgab, ist Michael Hohmann vollkommen überraschend am 25. Dezember im Alter von 68 Jahren gestorben. Kulturdezernentin Ina Hartwig nennt ihn eine „prägende Figur des literarischen Lebens in Frankfurt.“ Und fügt hinzu: „Ihm ist es als Impulsgeber zu verdanken, dass die Institution Vorbild für ähnliche Einrichtungen in Deutschland wurde. Sein Enthusiasmus, sein offener und kritischer Geist und seine Begeisterung für gute Literatur und Musik werden uns sehr fehlen.“
An einem heißen Sommertag im August 2022 begegneten Michael Hohmann und ich uns in einem Ausflugslokal im Taunus. Ich kam gerade an; er war im Begriff zu gehen. Wir plauderten kurz und winkten uns zum Abschied zu. „Demnächst trinken wir mal wieder ein Bier zusammen“, rief er. Dass es dazu nicht mehr kommen wird, ist schlimm. Michael Hohmann ist in Frankfurt nicht zu ersetzen.
30. Dezember 2022, 19.42 Uhr
Christoph Schröder
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5. November 2024
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