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Im Untergrund

Peter Seidel bringt Lost Places auf Fotopapier

Der Fotograf Peter Seidel hat sich in Frankfurts Untergrund begeben und dort Orte abgelichtet, die sonst verborgen bleiben.
Etwa seit Mitte der Nullerjahre gibt es das Phänomen des „Lost Places“-Tourismus. Ein „Lost Place“, das ist ein Ort, der für die Öffentlichkeit nicht oder nicht mehr zugänglich ist, seitdem dem Verfall preisgegeben ist und ein etwas unheimliches Eigenleben führt. Auf eine bestimmte Weise ist Peter Seidel ein Pionier der „Lost Place“-Dokumentation, auch wenn es den Begriff selbst noch gar nicht gab, als Seidel mit seiner Arbeit begonnen hatte. Und Seidel legt Wert darauf, dass sein eigener Anspruch einen anderen Schwerpunkt hat: „Ich habe kein voyeuristisches Interesse; mich reizt nicht der Grusel eines Ortes, sondern seine Architektur. Ich will dokumentieren.“

Peter Seidel hat ein ausgesprochen abwechslungsreiches und aktives Leben hinter sich. Geboren 1951 in Marburg, kam er als Kind mit den Eltern nach Frankfurt. Nach dem Abitur an der Musterschule studierte Seidel an der Goethe-Universität Anglistik, Germanistik und die Geschichte des Dokumentarfilms, bevor er als Assistent bei dem Fotografen Horst Wackerbarth zu arbeiten begann.

Seidel: Als Fotograf bin ich Autodidakt

1982 eröffnete Seidel sein eigenes Fotostudio. „Als Fotograf“, so sagt er selbst, „bin ich ein Autodidakt.“ Ein so erfolgreicher wie origineller, darf man hinzufügen. Seidel arbeitete einige Jahre für die Fotoabteilung des Historischen Museums, vor allem aber trieb er seine eigenen Projekte voran. Um es in der Fußballersprache zu sagen: Peter Seidel ist dorthin gegangen, wo es auch einmal weh tun kann. Von 1981 bis 1986 realisierte er sein freies Projekt „Hessen – Denkmäler der Industrie und Technik“; von 1987 bis 1993 fotografierte er dann in ganz Deutschland die „Unterwelten – Orte im Verborgenen“.

Hinter den Fotografien stecken Anstrengungen und Herausforderungen der unterschiedlichsten Art: eine Beharrlichkeit im Umgang mit Ämtern und Behörden zum einen, zum anderen aber auch die Überwindung eigener Ängste: Seidel leidet (oder litt) an einer ausgeprägten Arachnophobie, zu Deutsch: Spinnenangst. Die konnte er sich an den unterirdischen, zum Teil dunklen und lange nicht begangenen Orten allerdings nicht leisten. Und irgendwann hatte er sich an alles gewöhnt.



Casa Matta © 1987 Peter Seidel

Thema seiner Arbeit ist die Wirklichkeit des Untergrunds

Das zeigt aber auch die Passion, die Seidel für seine Arbeit hegt. Vor allem aber demonstrieren seine Aufnahmen den frappierenden Blick des Architekturfotografen, der aus einem auf den ersten Blick rein funktionalen Motiv ein ästhetisches Phänomen macht. Gerade in der Architektur der frühen Industriedenkmäler entdeckt Seidel Elemente des Erhabenen. Das hebt die Bilder weit über den rein dokumentarischen Wert hinaus – den sie selbstverständlich trotzdem haben: „Was haben Sie im Keller?“; das war Seidels beharrlich gestellte Frage, auf die er die unterschiedlichsten Antworten bekam. Es ist „die Wirklichkeit des Untergrunds“, die ihn interessiert.

Er war der erste Nicht-Amerikaner, dem die US-Army in die kilometerlangen Befestigungsanlagen am Obersalzberg Zutritt gewährte. Im Keller des Bundeskriminalamtes fotografierte er das Auto, in dem Alfred Herrhausen bei einem Anschlag der RAF ermordet wurde. Tagelang streifte er durch die unterirdischen Trinkwasseranlagen verschiedener Städte. All das wäre, so lässt sich vermuten, aufgrund der Sicherheitsvorschriften heute nicht mehr vorstellbar.Peter Seidel hat weiter fotografiert, die Türme der Stadt Frankfurt oder eine Serie mit jüdischen Ritualbädern. Mit Erfolg: Seine Projekte wurden in Ausstellungshäusern weltweit gezeigt; in Moskau und Wien, in China und in New York, in Rotterdam und in Venedig. Die Faszination für das Untergründige kennt keine Grenzen.

>> Dieser Text erschien zuerst in der Februar-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT (2/23).
 
Fotogalerie:
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14. April 2023, 12.10 Uhr
Christoph Schröder
 
 
 
 
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