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No Sex in the City
Kolumne von Ana Marija Milkovic
Wie glaubwürdig ist die Me-Too-Debatte?
Unsere Kolumnistin erzählt hier eine Geschichte von Susan und Thomas und der Me-Too-Debatte. Zwischenfazit: "Männer geben freiwillig nichts ab und Frauen werden gerne Mädchen genannt."
„Wie glaubwürdig ist die MeToo Debatte?“ fragte Susan Thomas. Thomas öffnete seinen rechten Schuh und zog den Stumpf glatt. Feine Strickware. Darauf legte er wert.
„Sie ist unehrlich“, antwortet Thomas. Er spannte vornübergebeugt die Senkel und band die Schleife neu. Bewegungen, dachte Susan, die wir als Kinder lernen. Aber wieso haben wir gelernt, uns sexuell bevormunden zu lassen?
„Warum unehrlich“, fragte Susan. „Was kann es bedeuten, wenn nach zwanzig Jahren eine Geschichte erzählt wird“, antwortete Thomas, beugte sich hoch und blickte Susan an. Er schien nicht sonderlich daran interessiert, dass Thema fortzusetzen. „Hatte es denn keine Bedeutung vor zwanzig Jahren?“ fragte Thomas. „Es hatte Bedeutung, aber es hatte keinen Raum“, Susan antwortete barsch. „Dann war ihr also die Karriere wichtiger?“
Thomas ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Tasse. Der Kaffee schmeckte bitter. „Na und“, erwiderte Susan, „wenn sie ihren Körper der Karriere untergeordnet hat, hat sie doch dennoch das Recht, heute darüber zu reden. Wahrscheinlich brauchen Opfer viel Zeit, bis sie sich öffnen können. Es geht doch auch darum“, insistierte Susan, „etwas zu verändern, was bisher Status Quo war. Auch der Blick auf sich selbst kann sich verändern oder unser Blick auf die Umgebung. Der Blick kann aber auch verstellt sein.“
Es war Samstag. Thomas und Susan saßen in ihrer großzügigen Altbauwohnung im Frankfurter Westend in der Küche. Sie frühstückten. Draußen schien die Sonne. Ein schöner Tag bahnte sich an. „Einen gemeinsamen Ausgangspunkt müssen wir finden“, Susan drehte ihren Kopf zum Fenster und dachte nach. Susan hatte einmal über eine junge Schauspielerin gelesen, die von ihrer Mutter animiert wurde, gegenüber einem Produzenten als Lolita aufzutreten. Das Kind rutschte als Dreizehnjährige auf Geheiß der Mutter auf den Tisch des Produzenten und posierte lasziv. Mutter unter Tochter schienen stolz auf dem im Anschluss geschlossen vertrag gewesen zu sein. Sie erzählten das bereitwillig einem Magazin.
Damals diente diese Form der Verruchtheit zum Prädikat „professionell“. Die Schauspielerin heißt Brooke Shields. Frauen entsprachen oft einer Erwartungshaltung, die die Gesellschaft ihnen von Kindesbeinen indoktriniert hat. Körperlich dick zu werden, heißt zum Beispiel, sich aufzugeben. Susan holte Luft, rutschte mit einem Schwung vom Tisch weg. Die Kufen des Stuhls fuhren dabei schroff über den Naturstein. Die Situation wurde unharmonisch. „Wie ergatterst Du als Frau einen Mann, einen Job. Das sind althergebrachten Themen.
Für Alleinstehende, hat die Gesellschaft noch keine allgemein gültigen Antworten gefunden. Außerhalb der Konventionen liegen Räume, gefüllt mit Einzelkämpfern, die sich selbst überlassen sind: Take it or leave it.
Erst wenn die Mehrheit etwas erwartet oder voraussetzt, kann selbst für eine Minderheit ein neuer Status Quo erreicht werden. Wie aber gegen den gängigen Status Quo aufbegehren? Das kann nur über das allgemeine Bewusstsein geschehen.“ Susan hatte die Antwort bereits gegeben. Seitdem Susan denken konnte, galten Spielregeln, die Männer bevorzugten.
Susan setzte durch die beginnende MeToo Debatte die gesellschaftliche Bereitschaft voraus, über die Spielregeln neu zu verhandeln. Leider gewinnt die Debatte in Deutschland nicht an Fahrt, hatte Susan bislang feststellen müssen. „Was hat die Ehe gegenüber dem Gesetzgeber mit der MeToo Debatte zu tun?“ unterbrach Thomas Susans Gedanken.
„Vielleicht denken wir prinzipiell falsch“, antwortete Susan. „Wir definieren gesellschaftliche Verträge wie die Ehe, aus denen wir nur austreten können, wenn der Gesetzgeber zustimmt. Warum müssen wir die Ehe, die Familie durch den Staat dermaßen schützen, die Partner dagegen im Berufsleben nicht gleichwertig? Sollte das Ehegatten-Splitting die Antwort darauf sein? Vielleicht! Sollten Frauen sich gegen die eigene Karriere entscheiden, wenn sie unterdrückt werden?“ fragte sie Thomas. „Natürlich sollten sie das.“
Die Antwort kam prompt. „Was ändert sich dadurch am System, wenn Frauen nicht die Gelegenheit bekommen, laut dagegen aufbegehren, weil die eigene Scham das Unrecht gesellschaftlich dominiert?“ An Catherine Deneuve dachte Susan in diesem Moment. Die spürte sich doch längst nicht mehr in ihrer Lebenslüge, dachte sie böse. Die Deneuve hat es doch ganz freiwillig zu etwas gebracht. Sie sprach die Sätze nicht aus.
„Hat die Scheidungsgesetzgebung nicht dafür Sorge getragen, dass Frauen ihre Meinung im Lauf der Ehe ändern und sich ihren Männern verweigern konnten, ohne Nachteile daraus befürchten zu müssen? Sind wiederum Frauen, die Vorteile aus einer Ehe ziehen, die glaubwürdigeren Menschen als jene, die den Weg alleine gehen und öffentlichen Support brauchen? Gibt es in der Kategorie gesellschaftlicher Auseinandersetzungen die Benotung nach Pflicht und Kür? Das Elend durchstehen und die Fassung bewahren? Hauptsache ist dabei, erfolgreich zu sein und sich als solche zu verkaufen? Waren nicht Frauen, die sich scheiden ließen, früher noch Schlampen?“
Susan hatte sich nun endgültig in Rage geredet. Thomas blickte auf die Zeitung, die vor ihm lag und hätte einfach nur gerne darin weitergelesen. Dieses Gespräch ergab für ihn einfach keinen Sinn. Susan neigte zu gedanklichen Konstellationen, die seinem Ratio nicht entsprachen. Thomas mochte die Dinge überschaubar. Alles an seinem Platz und in der richtigen Schublade. „Worum geht es Dir?“ fragte Thomas. Susan holte aus. „Frauen sollen gleichberechtigt sein und setzen voraus, sich dafür nicht sexuell zu definieren. Wir müssen die Regeln unseres Zusammenlebens und Zusammenarbeitens verbessern, gegebenenfalls verändern, Entscheidungsprozesse neutralisieren.
Frauen dürfen voraussetzen, gleichermassen wie Männer bei gleichwertiger Leistung bezahlt zu werden. Weil sich in Deutschland aber nichts ändert“, Susan schenkte sich mit der einen Hand Kaffee nach, schnappte mit der anderen nach einem Stück Zucker, „Männer doch freiwillig nichts abgeben, Frauen gerne Mädchen genannt werden, Kohl hat es doch vorgemacht, Männer in Führungspositionen in der Überzahl sind, bestenfalls für Frauen Mentoren, der ganzen Debatte ein hysterischer Anstrich Gescheiterter verliehen wird, der Ehevertrag gesellschaftlich Unverheiratete bevorteilt, fällt die MeToo Debatte hierzulande fast gänzlich aus, weil nun einmal immer noch genügend Frauen und Männer durch den aktuellen Status Quo besser gestellt sind. So läuft das Fass nicht über. Es ändert sich nichts. Verstehst Du?“ Susan ließ den Zucker fallen und brachte die bis zum Rand gefüllte Tasse zum Überlaufen.
„Sie ist unehrlich“, antwortet Thomas. Er spannte vornübergebeugt die Senkel und band die Schleife neu. Bewegungen, dachte Susan, die wir als Kinder lernen. Aber wieso haben wir gelernt, uns sexuell bevormunden zu lassen?
„Warum unehrlich“, fragte Susan. „Was kann es bedeuten, wenn nach zwanzig Jahren eine Geschichte erzählt wird“, antwortete Thomas, beugte sich hoch und blickte Susan an. Er schien nicht sonderlich daran interessiert, dass Thema fortzusetzen. „Hatte es denn keine Bedeutung vor zwanzig Jahren?“ fragte Thomas. „Es hatte Bedeutung, aber es hatte keinen Raum“, Susan antwortete barsch. „Dann war ihr also die Karriere wichtiger?“
Thomas ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Tasse. Der Kaffee schmeckte bitter. „Na und“, erwiderte Susan, „wenn sie ihren Körper der Karriere untergeordnet hat, hat sie doch dennoch das Recht, heute darüber zu reden. Wahrscheinlich brauchen Opfer viel Zeit, bis sie sich öffnen können. Es geht doch auch darum“, insistierte Susan, „etwas zu verändern, was bisher Status Quo war. Auch der Blick auf sich selbst kann sich verändern oder unser Blick auf die Umgebung. Der Blick kann aber auch verstellt sein.“
Es war Samstag. Thomas und Susan saßen in ihrer großzügigen Altbauwohnung im Frankfurter Westend in der Küche. Sie frühstückten. Draußen schien die Sonne. Ein schöner Tag bahnte sich an. „Einen gemeinsamen Ausgangspunkt müssen wir finden“, Susan drehte ihren Kopf zum Fenster und dachte nach. Susan hatte einmal über eine junge Schauspielerin gelesen, die von ihrer Mutter animiert wurde, gegenüber einem Produzenten als Lolita aufzutreten. Das Kind rutschte als Dreizehnjährige auf Geheiß der Mutter auf den Tisch des Produzenten und posierte lasziv. Mutter unter Tochter schienen stolz auf dem im Anschluss geschlossen vertrag gewesen zu sein. Sie erzählten das bereitwillig einem Magazin.
Damals diente diese Form der Verruchtheit zum Prädikat „professionell“. Die Schauspielerin heißt Brooke Shields. Frauen entsprachen oft einer Erwartungshaltung, die die Gesellschaft ihnen von Kindesbeinen indoktriniert hat. Körperlich dick zu werden, heißt zum Beispiel, sich aufzugeben. Susan holte Luft, rutschte mit einem Schwung vom Tisch weg. Die Kufen des Stuhls fuhren dabei schroff über den Naturstein. Die Situation wurde unharmonisch. „Wie ergatterst Du als Frau einen Mann, einen Job. Das sind althergebrachten Themen.
Für Alleinstehende, hat die Gesellschaft noch keine allgemein gültigen Antworten gefunden. Außerhalb der Konventionen liegen Räume, gefüllt mit Einzelkämpfern, die sich selbst überlassen sind: Take it or leave it.
Erst wenn die Mehrheit etwas erwartet oder voraussetzt, kann selbst für eine Minderheit ein neuer Status Quo erreicht werden. Wie aber gegen den gängigen Status Quo aufbegehren? Das kann nur über das allgemeine Bewusstsein geschehen.“ Susan hatte die Antwort bereits gegeben. Seitdem Susan denken konnte, galten Spielregeln, die Männer bevorzugten.
Susan setzte durch die beginnende MeToo Debatte die gesellschaftliche Bereitschaft voraus, über die Spielregeln neu zu verhandeln. Leider gewinnt die Debatte in Deutschland nicht an Fahrt, hatte Susan bislang feststellen müssen. „Was hat die Ehe gegenüber dem Gesetzgeber mit der MeToo Debatte zu tun?“ unterbrach Thomas Susans Gedanken.
„Vielleicht denken wir prinzipiell falsch“, antwortete Susan. „Wir definieren gesellschaftliche Verträge wie die Ehe, aus denen wir nur austreten können, wenn der Gesetzgeber zustimmt. Warum müssen wir die Ehe, die Familie durch den Staat dermaßen schützen, die Partner dagegen im Berufsleben nicht gleichwertig? Sollte das Ehegatten-Splitting die Antwort darauf sein? Vielleicht! Sollten Frauen sich gegen die eigene Karriere entscheiden, wenn sie unterdrückt werden?“ fragte sie Thomas. „Natürlich sollten sie das.“
Die Antwort kam prompt. „Was ändert sich dadurch am System, wenn Frauen nicht die Gelegenheit bekommen, laut dagegen aufbegehren, weil die eigene Scham das Unrecht gesellschaftlich dominiert?“ An Catherine Deneuve dachte Susan in diesem Moment. Die spürte sich doch längst nicht mehr in ihrer Lebenslüge, dachte sie böse. Die Deneuve hat es doch ganz freiwillig zu etwas gebracht. Sie sprach die Sätze nicht aus.
„Hat die Scheidungsgesetzgebung nicht dafür Sorge getragen, dass Frauen ihre Meinung im Lauf der Ehe ändern und sich ihren Männern verweigern konnten, ohne Nachteile daraus befürchten zu müssen? Sind wiederum Frauen, die Vorteile aus einer Ehe ziehen, die glaubwürdigeren Menschen als jene, die den Weg alleine gehen und öffentlichen Support brauchen? Gibt es in der Kategorie gesellschaftlicher Auseinandersetzungen die Benotung nach Pflicht und Kür? Das Elend durchstehen und die Fassung bewahren? Hauptsache ist dabei, erfolgreich zu sein und sich als solche zu verkaufen? Waren nicht Frauen, die sich scheiden ließen, früher noch Schlampen?“
Susan hatte sich nun endgültig in Rage geredet. Thomas blickte auf die Zeitung, die vor ihm lag und hätte einfach nur gerne darin weitergelesen. Dieses Gespräch ergab für ihn einfach keinen Sinn. Susan neigte zu gedanklichen Konstellationen, die seinem Ratio nicht entsprachen. Thomas mochte die Dinge überschaubar. Alles an seinem Platz und in der richtigen Schublade. „Worum geht es Dir?“ fragte Thomas. Susan holte aus. „Frauen sollen gleichberechtigt sein und setzen voraus, sich dafür nicht sexuell zu definieren. Wir müssen die Regeln unseres Zusammenlebens und Zusammenarbeitens verbessern, gegebenenfalls verändern, Entscheidungsprozesse neutralisieren.
Frauen dürfen voraussetzen, gleichermassen wie Männer bei gleichwertiger Leistung bezahlt zu werden. Weil sich in Deutschland aber nichts ändert“, Susan schenkte sich mit der einen Hand Kaffee nach, schnappte mit der anderen nach einem Stück Zucker, „Männer doch freiwillig nichts abgeben, Frauen gerne Mädchen genannt werden, Kohl hat es doch vorgemacht, Männer in Führungspositionen in der Überzahl sind, bestenfalls für Frauen Mentoren, der ganzen Debatte ein hysterischer Anstrich Gescheiterter verliehen wird, der Ehevertrag gesellschaftlich Unverheiratete bevorteilt, fällt die MeToo Debatte hierzulande fast gänzlich aus, weil nun einmal immer noch genügend Frauen und Männer durch den aktuellen Status Quo besser gestellt sind. So läuft das Fass nicht über. Es ändert sich nichts. Verstehst Du?“ Susan ließ den Zucker fallen und brachte die bis zum Rand gefüllte Tasse zum Überlaufen.
28. Mai 2018
Ana Marija Milkovic
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