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No Sex in the City
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Kolumne von Ana Marija Milkovic
 

Kolumne von Ana Marija Milkovic

Je suis sick of this shit

Foto: JF
Foto: JF
Wird am deutschen Wesen die Welt genesen? Unser Kolumnistin hat da so ihre Zweifel. Und zieht ihre Schlüsse auf eine Willkommenskultur, die ihr merkwürdig fremd erscheint.
„Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten."
Adorno

Die Omnipräsenz von Schlagzeilen über Menschen, die von Arabien nach Europa flüchten, macht mich zusehends für das Leid der Menschen unempfindlicher. Natürlich möchte ich ein guter Mensch sein und Mitgefühl zeigen. Wenn ich schon nicht mit einem Fähnchen am Bahnhof stehen und winken kann, könnte ich mich doch wenigstens dankbar dafür zeigen, dass Andere es tun. Ich habe mir darüber Gedanken gemacht, warum ich es nicht bin.

Ich verschwende kein Vertrauen in Phänomene. Ich glaube statt dessen an Menschen, die ich persönlich kenne. Darunter sind viele Deutsche. Ich glaube an ein Gemeinwesen, das einmal mehr oder weniger gut funktioniert. Ich glaube an die Wirksamkeit von Reformen, die in Deutschland fehlen. Ich glaube an gut und weniger gut funktionierende Staaten. Ich glaube an heilsame Prozesse und an diverse Möglichkeiten. Vor allem aber glaube ich an deutsche Sprichwörter.

Sollte am deutschen Wesen die Welt genesen, hat sich dieses bereits in einer Willkommensdiktatur breitgemacht. Das wäre für die Opfer zweier Weltkriege posthum eine gute Nachricht, wenn ihre Familien nicht auch in Deutschland lebten und sich an dieser Willkommenskultur rieben. Ich denke dabei nicht nur an Juden in Anbetracht von Millionen arabischer Flüchtlinge, die sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen werden können: Israel ist der natürliche Feind!

Ich habe einmal verstanden, dass vorhandene Grenzen in Europa das Erbe verlorener Weltkriege sind. Dazu gehört auch Israel. Die erste Veränderung dieser Weltordnung kam durch den Zusammenbruch der Siegermacht Sowjetunion. Als Kompensation für den Wegfall eines Erbes, der Teilung Deutschlands, werden heute Mahnmale und Museen gebaut. Wäre es da nicht längst an der Zeit, Jugoslawien für den einzig nennenswerten und erfolgreichen Widerstand gegen Hitler ein Denkmal in Deutschland zu setzen? Stattdessen kommen Länder, die sich an Deportation, Vertreibung und Allianz mit Hiltler verdient machten, in Europa fröhlich ohne Aufarbeitung ihrer eigenen Historie an.

Ich glaube an notwendigen Widerstand. Dabei denke ich nicht an den gegen Rechte. Ich denke an Moša Pijade. Pijade war ein serbischer Jude, der an Marshall Titos Seite den jugoslawischen Widerstand gegen Hitler organisierte. Im Geschichtsunterricht an einer deutschen Schule lernte ich, dass 1,2 Millionen Zivilisten, christlich orthodoxe und jüdische Serben sowie 300.000 Partisanen ihr Leben im Widerstand ließen. Mehr als eine Randnotiz kam davon in Deutschland aber nie an.

So blieb, was beispielhaft benannt am 21. Oktober 1943 in Kragujevac geschah, für Deutsche weithin unbekannt. 2323 Menschen wurden an einem einzigen Tag durch die Wehrmacht getötet. Hunderte Kinder wurden aus den Schulen abgeführt und erschossen. Die Lehrer ließen die Kinder, vor die Wahl gestellt ihr, Leben zu retten, nicht alleine und starben freiwillig mit den Kindern. Mit Massakern dieser Art wollte die Wehrmacht die Unterstützung für den Widerstand in der serbischen Bevölkerung brechen. Der Widerstand blieb. Jan Philipp Reemtsma gedachte der Opfer in einer Ausstellung. Die allgemeine Aufregung und der darauf folgende Abbruch der Ausstellung stellte nur einen glaubwürdigen Querverweis her: Schuld konnte nicht die Wehrmacht, sondern nur die SS sein.

Heute, da zum Widerstand gegen rechts und Nationalismus aufgerufen wird, denke ich an Moša Pijade. Pijade forderte nach dem Ende des letzten Weltkriegs vergeblich die Autonomie der Krajina für Serben. Stattdessen musste 1991 genau diese Bevölkerungsgruppe, die die Mehrheit in der Region Krajina stellte, zu Hunderttausenden nach Serbien flüchten. Die Krajina ist das Gebiet, in dem der Jugoslawienkrieg begann. Die serbischen Flüchtlinge erhielten bis heute Ihr Eigentun, ihre Häuser in Kroatien nicht zurück. In Deutschland wurde verkannt, dass Kroaten aus eigenen nationalen Bestrebungen diesen Krieg auch gegen Jugoslawen führten.

Es ist abenteuerlich, dass gerade Hans-Dietrich Genscher in seiner damaligen Funktion als Außenminister die einstigen Verbündeten Hitlers, Slowenien und Kroatiens die Unabhängigkeit gegen den Willen Europas in wenigen Monaten brachte. Einige Jahre später sollte Hans-Dietrich Genscher dem Journalisten Malte Herweg gestehen, Mitglied der NSDAP gewesen zu sein.

1999 führte die nächste Generation unter einer rot-grünen Regierung Deutschland in einen Krieg gegen Jugoslawien. "Es begann mit einer Lüge", ist ein preisgekrönter Dokumentarfilm, der den Werdegang beschreibt:


Das Interesse blieb in der deutschen Bevölkerung dafür gering. Statt dessen folgte die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo von Restjugoslawien als albanischer Rumpfstaat. Milliarden an deutschen Steuergeldern flossen seither in das kleine Land, aus dem nun viele tausende Albaner flüchten und in dem Serben nicht sicher leben. Serben, so heißt es, werden seit Jahren im Kosovo entführt, ihre Organe entnommen und diese weltweit gehandelt.

Ich glaube nicht an Dämonen, weder von links noch von rechts, die unsere europäische Weltordnung bedrohen. Ich glaube an einen gemeinsamen historischen Werdegang. Ausgelöst von Paradoxien einer kapitalistischen Modernisierung lässt sich für mich vor allem eines ableiten: Es kann kein richtiges Leben im Falschen, nicht einmal eine greifende Sozialphilosophie mehr geben.
24. März 2016
Ana Marija Milkovic
 
 
Fotogalerie:
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Leser-Kommentare

Kommentieren
 
Ronald M. Filkas am 24.3.2016, 21:27 Uhr:
Das ist nicht nur eine Verhöhnung [...], sollte es natürlich heißen!
 
Ronald M. Filkas am 24.3.2016, 21:24 Uhr:
Mal ein kleines Beispiel zur Verdeutlichung des Unterschieds zwischen rechts und links, das auch auf den Zweiten Weltkrieg zurückreicht: In Dänemark und in Tschechien, beides von der Wehrmacht besetzte Länder, behaupten Neonazis, dass die deutsche Besatzung weniger schlimm gewesen sei als die Flüchtlingsschwemme heute. Das ist nicht eine Verhöhnung der Opfer der deutschen Besatzung, sondern auch noch höchst lächerlich angesichts der geringen Flüchtlingszahlen in diesen Ländern!

Etwas kapiert?
 
Fritz Katzentaler am 24.3.2016, 16:58 Uhr:
Wissen Sie, der Widerstand als Partisanenkrieg bringt die genannten Erscheinungen oft mit sich, siehe beispielsweise Vietnam. Für die Soldaten bedeutet es, von hinten angegriffen zu werden, was auch nicht die edelste Art ist. Natürlich, man sieht sich im Recht und will sich nicht unterwerfen.
 
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