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No Sex in the City
Kolumne von Ana Marija Milkovic
Ein geistiges Halbdunkel
Unsere Kolumnistin denkt in dieser Woche über Stille Örtchen nach. In Frankfurt ist was diese Geschäfte angeht wenig Avantgarde, kein Hauch von Grün nur geistiges Halbdunkel. Muss, ja: Soll sich das ändern?
Ich denke über Klos nach. Manche bezeichnen Klos als Toiletten. Andere denken, es sei spießig das Klo Toilette zu rufen. Wir Bürgerlichen sind mit der umgangssprachlichen Bezeichnung Toilette mehr vertraut als der Adel, der die Toilette vornehmlich Klo ruft. Ich bin nicht adelig. Dennoch habe ich es mir angewöhnt, in öffentlichen Räumen gerne nach dem Klo zu fragen. Das O vom Klo betone ich dabei lang und beobachte wie sich die Augen meines Gegenübers pikiert weiten. Sie suchen die Toilette? werde ich dann gezielt gefragt. Ähnliches Procedere in adeliger Gesellschaft, natürlich mit verkehrten Vorzeichen, führt letztlich auch nur zu dem Ort, der früher mal ein Abort war.
In der Buchhandlung König an der Ostseite der Kleinmarkthalle, in der Hasengasse gelegen, fielen mir diese Unterschiede ein. Während ich die ersten Seiten aus "Lob dem Schatten" von Tanizaki Jun'ichiro las, freute mich, wie sich der Autor gleich mehrere Seiten lang dem japanischen Klo widmet, das er Toilette nennt. Ich bin mir nicht sicher, ob die deutsche Übersetzung hier den Ort auch tatsächlich trifft. In Japan bedeutet die Tradierung von Begrifflichkeiten und Verhaltensnormen die Überlieferung geheimer Kenntnisse, japanisch denju genannt. Der japanische Denju scheint besser verbreitet als die höfisch trennende Etikette in Deutschland. Zum Beispiel weiß jedes japanisches Kind, den Nasenschleim hochzuziehen. Die Nase putzt es sich aber besser auf dem Klo.
Womit wir den Abort erreicht hätten. Japanische Aborte sind traditionell vom Haupthaus getrennt im Schatten eines Gebüschs gelegen. Holz, ein gewisses Halbdunkel und gründliche Reinlichkeit, beschreibt Jun'ichiro, gehören unabdingbar zur klassischen japanischen Kultur. Einem japanischen Ausspruch zufolge ist guter Geschmack zudem eine kalte Sache und der Weg mitten in der Nacht nach draußen in ein noch dunkleres kaltes Halbdunkel eine geschmacksfördernde, sinnliche Bereicherung. Während nun der Japaner in der Örtlichkeit des Halbdunkels den Geruch von Moos, Holz mit seinem eigenen in aller Stille der Abgeschiedenheit sinnlich vermengt, bricht die Fliese mit dieser japanischen Tradition und das vehement.
Das Aufräumen und Aufhellen von Räumen hat mit der Moderne Anfang vergangenen Jahrhunderts in Europa begonnen. Industrielle standardisierten Techniken verdrängten gezielt traditionelle Lebensweisen. Der Architekt brach mit Traditionen, riss Wände skelettartig auf und brachte Licht ins Dunkel, entwendete den Häusern ihre Dächer, in denen die Bourgeoisie ihr Personal unbequem unterzubringen pflegte, und baute von nun an demonstrativ flach. Das war eine Revolution, eine Demokratisierung der Lebensverhältnisse, ein neu gewonnenes Terrain bürgerlicher Lebensstandards.
Wenn wir heute über Architektur reden, vergessen wir ziemlich nachlässig die Bedeutung der Moderne für den alltäglichen Gebrauch. Tanizaki Jun'ichiro betrauert in seinem Buch den Verlust eines Halbschattens in der räumlichen Anordnung vereinzelter Nutzungen. Das mag stimmen. Die Gleichwertigkeit räumlicher Anordnung in Nutzung und Ausleuchtung beschreibt er als Verlust von Sinn und Sinnlichkeit, im Besonderen von Materialität. Erst im Halbdunkel glänzt Gold erhaben. Dem grellen Licht ausgesetzt verliert Gold an Mystik. Wer einem Tempel im Original gesehen hat, weiß um die Wirkung der schimmernden goldenen Oberflächen in ihrer Reflexion in einem so benannten vom Sonnenlicht gefilterten Halbdunkel. Auch die Patina eines Materials, der sichtbare Alterungsprozess, lässt die ästhetische Atmosphäre des Alterns in Würde zu. Eine Fliese wird nicht altern mögen bis sie bricht.
Während nun Jun'ichiro der japanischen Architektur vorwirft japanische Traditionen bedenkenlos für eine europäische Idee zu opfern, stellt sich hier in Deutschland die Frage, wie ein ursprünglicher soziologischer Prozess in der Architektur vordringlich in der Ausgestaltung der Fassade im Abgleich zur Haustechnik enden konnte. Das genau sind die zwei wesentlichen Parameter europäischen Bauens einer per Gesetz erlassenen Energieverordnung. Bevor Fragen über bauliche und Verhaltens-Strukturen noch in der Gesellschaft verhandelt werden konnten, beschloss die Passivhausreform die Verhandlung zu ihren Gunsten. Das ist zutiefst undemokratisch. Ganz sicher ist es auch nicht vernünftig, Menschen per Dekret den natürlichen Weg der Frischluftzufuhr zu verweigern. Richtig kostspielig ist es auf jeden Fall, die Frischluftzufuhr über Anlagetechnik zu verwalten. Ein Fenster manuell zu öffnen ist einfacher in Konstruktion, Pflege und Bedienung.
Diese Probleme kümmern Tanizaki Jun'ichiro nicht. Das ist interessant. Ich gehe davon aus, dass sich hier die Japanische Kultur doch noch über Brüssel erfreulich hinwegsetzt. Während sich der Autor der verschwindenden Ästhetik traditioneller Materialien widmet, sind japanische junge Architekten längst weiter. Japanische Architekten praktizieren das Zen des Loslassen. Mit filigranen Konstruktionen beschäftigen sie sich mit öffentlichem und geschlossenen Räumen, experimentieren mit Sichtbezügen, Abgrenzungen, Öffnungen und Lebensmodellen und arbeiten an genau dem Punkt weiter, wo die Moderne in Europa endete, in ihrer per Gesetz verordneten Formalität.
Wenn Sie sich nun fragen, warum der Wohnungsbau und auch ein Hochhaus dem anderen gleicht, warum wir dick und nicht mehr filigran bauen, dann vielleicht weil Technik unsere Kultur verdrängte? Standardisierte wiederkehrend gleiche und noch dazu banale Stilmittel dienen rückwärts orientierten Architekten und konservative Bauherren unseren Stadtraum mit der Kraft des Stärkeren mittels kleinstem gemeinsamen, wenn auch hochgradig technisierten Nenner zu besetzten.
Avantgarde ist das nicht. Kein Hauch von Grün, mehr ein geistiges Halbdunkel in dem wir da sitzen und unser Geschäft verrichten.
In der Buchhandlung König an der Ostseite der Kleinmarkthalle, in der Hasengasse gelegen, fielen mir diese Unterschiede ein. Während ich die ersten Seiten aus "Lob dem Schatten" von Tanizaki Jun'ichiro las, freute mich, wie sich der Autor gleich mehrere Seiten lang dem japanischen Klo widmet, das er Toilette nennt. Ich bin mir nicht sicher, ob die deutsche Übersetzung hier den Ort auch tatsächlich trifft. In Japan bedeutet die Tradierung von Begrifflichkeiten und Verhaltensnormen die Überlieferung geheimer Kenntnisse, japanisch denju genannt. Der japanische Denju scheint besser verbreitet als die höfisch trennende Etikette in Deutschland. Zum Beispiel weiß jedes japanisches Kind, den Nasenschleim hochzuziehen. Die Nase putzt es sich aber besser auf dem Klo.
Womit wir den Abort erreicht hätten. Japanische Aborte sind traditionell vom Haupthaus getrennt im Schatten eines Gebüschs gelegen. Holz, ein gewisses Halbdunkel und gründliche Reinlichkeit, beschreibt Jun'ichiro, gehören unabdingbar zur klassischen japanischen Kultur. Einem japanischen Ausspruch zufolge ist guter Geschmack zudem eine kalte Sache und der Weg mitten in der Nacht nach draußen in ein noch dunkleres kaltes Halbdunkel eine geschmacksfördernde, sinnliche Bereicherung. Während nun der Japaner in der Örtlichkeit des Halbdunkels den Geruch von Moos, Holz mit seinem eigenen in aller Stille der Abgeschiedenheit sinnlich vermengt, bricht die Fliese mit dieser japanischen Tradition und das vehement.
Das Aufräumen und Aufhellen von Räumen hat mit der Moderne Anfang vergangenen Jahrhunderts in Europa begonnen. Industrielle standardisierten Techniken verdrängten gezielt traditionelle Lebensweisen. Der Architekt brach mit Traditionen, riss Wände skelettartig auf und brachte Licht ins Dunkel, entwendete den Häusern ihre Dächer, in denen die Bourgeoisie ihr Personal unbequem unterzubringen pflegte, und baute von nun an demonstrativ flach. Das war eine Revolution, eine Demokratisierung der Lebensverhältnisse, ein neu gewonnenes Terrain bürgerlicher Lebensstandards.
Wenn wir heute über Architektur reden, vergessen wir ziemlich nachlässig die Bedeutung der Moderne für den alltäglichen Gebrauch. Tanizaki Jun'ichiro betrauert in seinem Buch den Verlust eines Halbschattens in der räumlichen Anordnung vereinzelter Nutzungen. Das mag stimmen. Die Gleichwertigkeit räumlicher Anordnung in Nutzung und Ausleuchtung beschreibt er als Verlust von Sinn und Sinnlichkeit, im Besonderen von Materialität. Erst im Halbdunkel glänzt Gold erhaben. Dem grellen Licht ausgesetzt verliert Gold an Mystik. Wer einem Tempel im Original gesehen hat, weiß um die Wirkung der schimmernden goldenen Oberflächen in ihrer Reflexion in einem so benannten vom Sonnenlicht gefilterten Halbdunkel. Auch die Patina eines Materials, der sichtbare Alterungsprozess, lässt die ästhetische Atmosphäre des Alterns in Würde zu. Eine Fliese wird nicht altern mögen bis sie bricht.
Während nun Jun'ichiro der japanischen Architektur vorwirft japanische Traditionen bedenkenlos für eine europäische Idee zu opfern, stellt sich hier in Deutschland die Frage, wie ein ursprünglicher soziologischer Prozess in der Architektur vordringlich in der Ausgestaltung der Fassade im Abgleich zur Haustechnik enden konnte. Das genau sind die zwei wesentlichen Parameter europäischen Bauens einer per Gesetz erlassenen Energieverordnung. Bevor Fragen über bauliche und Verhaltens-Strukturen noch in der Gesellschaft verhandelt werden konnten, beschloss die Passivhausreform die Verhandlung zu ihren Gunsten. Das ist zutiefst undemokratisch. Ganz sicher ist es auch nicht vernünftig, Menschen per Dekret den natürlichen Weg der Frischluftzufuhr zu verweigern. Richtig kostspielig ist es auf jeden Fall, die Frischluftzufuhr über Anlagetechnik zu verwalten. Ein Fenster manuell zu öffnen ist einfacher in Konstruktion, Pflege und Bedienung.
Diese Probleme kümmern Tanizaki Jun'ichiro nicht. Das ist interessant. Ich gehe davon aus, dass sich hier die Japanische Kultur doch noch über Brüssel erfreulich hinwegsetzt. Während sich der Autor der verschwindenden Ästhetik traditioneller Materialien widmet, sind japanische junge Architekten längst weiter. Japanische Architekten praktizieren das Zen des Loslassen. Mit filigranen Konstruktionen beschäftigen sie sich mit öffentlichem und geschlossenen Räumen, experimentieren mit Sichtbezügen, Abgrenzungen, Öffnungen und Lebensmodellen und arbeiten an genau dem Punkt weiter, wo die Moderne in Europa endete, in ihrer per Gesetz verordneten Formalität.
Wenn Sie sich nun fragen, warum der Wohnungsbau und auch ein Hochhaus dem anderen gleicht, warum wir dick und nicht mehr filigran bauen, dann vielleicht weil Technik unsere Kultur verdrängte? Standardisierte wiederkehrend gleiche und noch dazu banale Stilmittel dienen rückwärts orientierten Architekten und konservative Bauherren unseren Stadtraum mit der Kraft des Stärkeren mittels kleinstem gemeinsamen, wenn auch hochgradig technisierten Nenner zu besetzten.
Avantgarde ist das nicht. Kein Hauch von Grün, mehr ein geistiges Halbdunkel in dem wir da sitzen und unser Geschäft verrichten.
6. November 2013
Ana Marija Milkovic
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