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No Sex in the City
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Kolumne von Ana Marija Milkovic
 

Kolumne von Ana Marija Milkovic

Der kapitalisierte Mensch

Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder
Wie stehen Sie zu Angela Merkel? Unsere Kolumnistin jedenfalls sieht in ihrem Bekanntenkreis plötzlich viele Merkel-Wähler. Sie sei die sozialdemokratischste aller Kandidaten. Doch ist das wirklich so?
Ein weiser Mensch hat eine freundliche Gelassenheit, sich die Dinge anzuschauen, ohne über sie zu urteilen. So wird die Leipziger Psychologin Judith Glück in einem Artikel über die Vernunft, Empathie und Offenheit für Neues im Schweizer Tages-Anzeiger zitiert. Weisheit stellt sich nicht aus sich selbst heraus ein. Der Mensch braucht den Austausch, um zur Weisheit zu gelangen. Weisheit bedingt nicht nur Wissen über weises Handeln sondern auch spontane Anwendung. Weise Menschen, so Glück, sind selten.

Einige meiner Freunde haben ihr Leben lang die SPD gewählt. Nun haben sie sich spontan umentschieden. Sie wollen Angela Merkel wählen. Merkel, so meine Freunde, wäre die einzige sozialdemokratische Kandidatin der anstehenden Bundestagswahl. Deswegen haben sie sich entschieden, ihre Stimmen Angela Merkel zu schenken. Ich habe, rückblickend betrachtet, weise reagiert und meinen Mund gehalten. Spätestens in der Wahlkabine wird Ihnen ein Licht aufgehen, dass Angela Merkels Name nicht auf dem Wahlzettel steht.

Meine Freunde begannen ihre Berufslaufbahn als Beamte. Heute sind sie emeritiert oder pensioniert. Die niedrige Besoldung einer Lehrerin zum Beispiel wurde zu Beginn ihrer Berufslaufbahn durch eine stabile Pension kompensiert. Mittlerweile sind Lehrer angestellt. Sie setzen sich in ihren Klassen bei unveränderter Besoldung mit der aktuellen Politik Vis a Vis auseinander. Sie unterrichten bis zu 25 Schüler in einer Klasse. Die meisten ihrer Schüler haben einen Migrationshintergrund und sprechen kaum deutsch. Einige Grundschullehrer haben nun einen Brandbrief am den Kultusminister in Hessen verfasst.

Grundschullehrer werden nach der Besoldungsklassen A12 bezahlt. Das sind im Mittel ungefähr 4000 Euro brutto. In der Grundschule, wo die geforderte Integration von Flüchtlingen gleichermaßen die Ausbildung aller Kinder beginnt, finden sich Lehrer und Kinder von der Politik allein gelassen auf einem politisch gewollt niedrigem Bildungsniveau wieder. Solidarität mit Lehrern und Kindern stellt sich dennoch nicht in der Bevölkerung ein.

Das mag daran liegen, dass Lehrer im direkten Vergleich zu Universitätsabsolventen, die sich über Jahre mit Praktikaverträgen über Wasser halten, ungleich viel verdienen. Noch dazu haben unsere Politiker in der Vergangenheit ohne Not ein Sozialsystem abgeschafft, um das uns die Welt beneidet hat. Abgeschafft wurde der Klassenerhalt durch eine neoliberale Politik, deren herausragende Protagonisten noch dazu Sozialdemokraten waren: Clinton, Blair und Schröder. Geändert hat aber auch die Christdemokratin Angela Merkel diese Politik nicht.

Die Finanzindustrie, von der sich unsere Bundeskanzlerin gerne bei Ihrer Tätigkeit beraten lässt, erzielt heute mit einer Mutter, die von der Sozialhilfe lebt und über Kredit ein Haushaltsgerät kaufen muss, eine höhere Rendite auf das investierte Kapital als mit einem klassischen Arbeiter. Das Ergebnis dieser Politik ist der kapitalisierte Mensch. Sein Wert bemisst sich über Konsum. Diese Zuweisung trifft Flüchtlinge gleichermaßen wie alle Anderen, nicht nur Sozialhilfeempfänger. Nicht über Leistung sondern über Konsum wird die errechnete Rendite im Markt erzielt. Das ist die Logik eines Systems, in dem das bildungspolitische Versagen in der Grundschule vorausgesetzt wird. Die stetig wachsende prekäre Gesellschaft wird die Rendite sichern, bis sie kollabiert. Dem hessischen Kultusminister sei empfohlen, einen offenen und weisen Brief an unsere Bundeskanzlerin zu schreiben.
2. Februar 2017
Ana Marija Milkovic
 
 
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