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Paragraf 265a
Fahren ohne Fahrschein: „Wir lehnen einen Frankfurter Alleingang ab“
Fahren ohne Fahrschein wird in Wiesbaden künftig nicht mehr als Straftat geahndet. Wie steht Frankfurts Verkehrsdezernent Wolfgang Siefert (Grüne) zur Entkriminalisierung? Das JOURNAL hat mit ihm gesprochen.
Herr Siefert, Fahren ohne Fahrschein gilt nach wie vor als Straftat. In Frankfurt wurde die Debatte zur Entkriminalisierung aufgegriffen – jedoch ohne Ergebnis. Warum?
Aktuell ist das Thema in der Öffentlichkeit sehr präsent. Wiesbaden hat angekündigt, auf eine Strafverfolgung verzichten zu wollen. Wir sehen den Vorstoß eher kritisch, weil wir uns ein einheitliches Vorgehen – mindestens gemeinsam mit unseren Partnern im RMV, aber am liebsten bundesweit – erhoffen. Die Ausgestaltung von §265a ist Aufgabe des Bundes, dementsprechend wäre auch bei der Anwendung des Gesetzes eine bundesweit einheitliche Regelung sinnvoll – unabhängig davon, ob es sich beim Fahren ohne Fahrschein künftig um eine Straftat oder um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Letztlich geht es darum, einen Flickenteppich zu vermeiden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich verlassen können, welche Regelung gültig ist.
Ist eine potentielle Gefängnisstrafe für Fahren ohne Fahrschein nicht unverhältnismäßig?
Ja, ich halte dies ebenfalls für eine Regelung, die von Seiten des Bundes dringend geändert werden müsste. Einen Frankfurter Alleingang sehe ich jedoch kritisch. Dies liegt vor allem an der Struktur des öffentlichen Nahverkehrs in Frankfurt.
Fahren ohne Fahrschein in Frankfurt: Schwelle zur Anzeige relativ hoch
Bereits jetzt ist zudem die Schwelle, dass es überhaupt zu einer Anzeige kommt in Frankfurt, als Teil des RMV-Gebiets, relativ hoch. So müsste eine Person innerhalb von 90 Tagen drei Mal ohne Fahrschein angetroffen werden, sie müsste volljährig und nicht unter Betreuung stehend sein sowie über einen festen Wohnsitz verfügen. Damit soll sichergestellt werden, dass nur bewusste und wiederkehrende Verstöße geahndet werden.
Bezugnehmend auf Ihr Argument des „Flickenteppichs“: Könnte man es nicht auch als einen ersten Schritt einer Entkriminalisierung immerhin im Stadtbereich sehen?
Eine Frankfurter Regelung würde nur die städtischen Verkehrsmittel, also U-Bahn, Straßenbahn und Stadtbusse, abdecken. Im Gegensatz zu Wiesbaden ist der Anteil „nicht-städtischer“ ÖPNV-Träger in Frankfurt sehr hoch. In S-Bahnen, Regionalbussen sowie Regionalbahnen müssten die Fahrgäste, die keinen gültigen Fahrschein vorweisen können, weiterhin mit einer Strafanzeige rechnen.
Die Gefahr, die wir sehen ist, dass Menschen von falschen Voraussetzungen ausgehen könnten – und plötzlich eben doch eine Strafanzeige kassieren. Eine Regelung für Frankfurt kann aufgrund der Bedeutung der S-Bahn für den Frankfurter ÖPNV nur gemeinsam mit dem RMV getroffen werden. Deswegen lehnen wir einen Frankfurter Alleingang in dieser Frage ab.
Der Anteil „nicht-städtischer“ ÖPNV-Träger ist in Frankfurt sehr hoch
… Gibt es nicht in vielen Bereichen innerstädtische unterschiedliche Handhabungen? (Bspw. „Waffenverbotszone“ oder Pläne zur Teillegalisierung von Cannabis)
Es mag sein, dass es in anderen Bereichen unterschiedliche Handhabungen gibt. Im konkreten Fall würden unterschiedliche Regelungen zwischen städtischen Verkehrsmitteln einerseits und S-Bahn- und Regionalverkehr andererseits neue Unübersichtlichkeiten herbeiführen. Wenn wir die Mobilitätswende voranbringen wollen, geht es jedoch darum, den ÖPNV übersichtlicher zu gestalten. Mit dem 49-Euro-Ticket ist bei den Fahrpreisen ein guter erster Schritt unternommen worden. Nun sollten wir auch in anderen Bereichen versuchen, eine Vereinheitlichung herbeizuführen, anstatt immer neue Sonderregelungen zu schaffen. Nehmen wir zum Beispiel die Konstablerwache: Dort verkehren S- und U-Bahnen direkt an angrenzenden Gleisen am selben Bahnsteig. Wie wollen Sie erklären, dass am einen Gleis eine Strafanzeige droht, am gegenüberliegend jedoch nicht.
„Wir haben in Frankfurt mit den Sozialtarifen zum Frankfurt-Pass sehr günstige Angebote“
Was sagen Sie denjenigen, die die exorbitant hohen Fahrpreise bei Einzelfahrten bemängeln, die sich prekär lebende Menschen nicht leisten können?
Wir haben in Frankfurt mit den Sozialtarifen zum Frankfurt-Pass sehr günstige Angebote für Menschen mit geringem Einkommen. Zu Beginn des Jahres haben wir die städtischen Subventionen für Fahrpreise auf die Angebote zum Frankfurt-Pass fokussiert. So fahren z.B. Senior:innen und Schüler:innen für etwas mehr als 9 Euro im Monat mit Bussen und Bahnen in Frankfurt. Mit den Tickets zum Frankfurt-Pass unterstützen wir übrigens nicht nur die Empfängerinnen und Empfänger sozialer Transferleistungen, sondern auch Menschen mit niedrigem Einkommen. Ich möchte Menschen mit geringem Einkommen dazu ermutigen, diese Möglichkeit zu nutzen.
Wiesbaden macht nun vor, wie es gehen könnte. Könnte die Stadt dem Beispiel nicht zeitnah folgen?
Bereits heute wird die Möglichkeit einer Strafanzeige durch die Verkehrsbetriebe nur äußert selten angewandt, beispielsweise bei sehr häufigen Wiederholungsfällen. Wie oben bereits beschrieben ist die Situation in Wiesbaden eine andere als in Frankfurt. Ich würde mir eine einheitliche Regelung vom Bund wünschen. Wir werden die bundesweit stattfindende Debatte unterstützen und uns eng mit unseren Partnern im RMV abstimmen.
Info
Frankfurt ist mit einem Einzelpreis von 3,40 Euro und einer Kurzstrecke von 2,10 Euro im hohen Preissegment angekommen. Im Vergleich: In Hamburg kostet die Kurzstrecke 1,80 Euro, die Einzelfahrt (Zone 1) 2,50 Euro.
Wer in Frankfurt beim Fahren ohne Fahrschein angetroffen wird, muss 60 Euro Strafe zahlen. Ist die Zahlung nach sieben Tagen nicht erfolgt, erhöht sich das Bußgeld. Im schlimmsten Fall muss eine Haftstrafe angetreten werden. Bundesweit betrifft das bis zu 9000 Personen (Deutschlandfunk).
Aktuell ist das Thema in der Öffentlichkeit sehr präsent. Wiesbaden hat angekündigt, auf eine Strafverfolgung verzichten zu wollen. Wir sehen den Vorstoß eher kritisch, weil wir uns ein einheitliches Vorgehen – mindestens gemeinsam mit unseren Partnern im RMV, aber am liebsten bundesweit – erhoffen. Die Ausgestaltung von §265a ist Aufgabe des Bundes, dementsprechend wäre auch bei der Anwendung des Gesetzes eine bundesweit einheitliche Regelung sinnvoll – unabhängig davon, ob es sich beim Fahren ohne Fahrschein künftig um eine Straftat oder um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Letztlich geht es darum, einen Flickenteppich zu vermeiden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich verlassen können, welche Regelung gültig ist.
Ist eine potentielle Gefängnisstrafe für Fahren ohne Fahrschein nicht unverhältnismäßig?
Ja, ich halte dies ebenfalls für eine Regelung, die von Seiten des Bundes dringend geändert werden müsste. Einen Frankfurter Alleingang sehe ich jedoch kritisch. Dies liegt vor allem an der Struktur des öffentlichen Nahverkehrs in Frankfurt.
Bereits jetzt ist zudem die Schwelle, dass es überhaupt zu einer Anzeige kommt in Frankfurt, als Teil des RMV-Gebiets, relativ hoch. So müsste eine Person innerhalb von 90 Tagen drei Mal ohne Fahrschein angetroffen werden, sie müsste volljährig und nicht unter Betreuung stehend sein sowie über einen festen Wohnsitz verfügen. Damit soll sichergestellt werden, dass nur bewusste und wiederkehrende Verstöße geahndet werden.
Bezugnehmend auf Ihr Argument des „Flickenteppichs“: Könnte man es nicht auch als einen ersten Schritt einer Entkriminalisierung immerhin im Stadtbereich sehen?
Eine Frankfurter Regelung würde nur die städtischen Verkehrsmittel, also U-Bahn, Straßenbahn und Stadtbusse, abdecken. Im Gegensatz zu Wiesbaden ist der Anteil „nicht-städtischer“ ÖPNV-Träger in Frankfurt sehr hoch. In S-Bahnen, Regionalbussen sowie Regionalbahnen müssten die Fahrgäste, die keinen gültigen Fahrschein vorweisen können, weiterhin mit einer Strafanzeige rechnen.
Die Gefahr, die wir sehen ist, dass Menschen von falschen Voraussetzungen ausgehen könnten – und plötzlich eben doch eine Strafanzeige kassieren. Eine Regelung für Frankfurt kann aufgrund der Bedeutung der S-Bahn für den Frankfurter ÖPNV nur gemeinsam mit dem RMV getroffen werden. Deswegen lehnen wir einen Frankfurter Alleingang in dieser Frage ab.
… Gibt es nicht in vielen Bereichen innerstädtische unterschiedliche Handhabungen? (Bspw. „Waffenverbotszone“ oder Pläne zur Teillegalisierung von Cannabis)
Es mag sein, dass es in anderen Bereichen unterschiedliche Handhabungen gibt. Im konkreten Fall würden unterschiedliche Regelungen zwischen städtischen Verkehrsmitteln einerseits und S-Bahn- und Regionalverkehr andererseits neue Unübersichtlichkeiten herbeiführen. Wenn wir die Mobilitätswende voranbringen wollen, geht es jedoch darum, den ÖPNV übersichtlicher zu gestalten. Mit dem 49-Euro-Ticket ist bei den Fahrpreisen ein guter erster Schritt unternommen worden. Nun sollten wir auch in anderen Bereichen versuchen, eine Vereinheitlichung herbeizuführen, anstatt immer neue Sonderregelungen zu schaffen. Nehmen wir zum Beispiel die Konstablerwache: Dort verkehren S- und U-Bahnen direkt an angrenzenden Gleisen am selben Bahnsteig. Wie wollen Sie erklären, dass am einen Gleis eine Strafanzeige droht, am gegenüberliegend jedoch nicht.
Was sagen Sie denjenigen, die die exorbitant hohen Fahrpreise bei Einzelfahrten bemängeln, die sich prekär lebende Menschen nicht leisten können?
Wir haben in Frankfurt mit den Sozialtarifen zum Frankfurt-Pass sehr günstige Angebote für Menschen mit geringem Einkommen. Zu Beginn des Jahres haben wir die städtischen Subventionen für Fahrpreise auf die Angebote zum Frankfurt-Pass fokussiert. So fahren z.B. Senior:innen und Schüler:innen für etwas mehr als 9 Euro im Monat mit Bussen und Bahnen in Frankfurt. Mit den Tickets zum Frankfurt-Pass unterstützen wir übrigens nicht nur die Empfängerinnen und Empfänger sozialer Transferleistungen, sondern auch Menschen mit niedrigem Einkommen. Ich möchte Menschen mit geringem Einkommen dazu ermutigen, diese Möglichkeit zu nutzen.
Wiesbaden macht nun vor, wie es gehen könnte. Könnte die Stadt dem Beispiel nicht zeitnah folgen?
Bereits heute wird die Möglichkeit einer Strafanzeige durch die Verkehrsbetriebe nur äußert selten angewandt, beispielsweise bei sehr häufigen Wiederholungsfällen. Wie oben bereits beschrieben ist die Situation in Wiesbaden eine andere als in Frankfurt. Ich würde mir eine einheitliche Regelung vom Bund wünschen. Wir werden die bundesweit stattfindende Debatte unterstützen und uns eng mit unseren Partnern im RMV abstimmen.
Frankfurt ist mit einem Einzelpreis von 3,40 Euro und einer Kurzstrecke von 2,10 Euro im hohen Preissegment angekommen. Im Vergleich: In Hamburg kostet die Kurzstrecke 1,80 Euro, die Einzelfahrt (Zone 1) 2,50 Euro.
Wer in Frankfurt beim Fahren ohne Fahrschein angetroffen wird, muss 60 Euro Strafe zahlen. Ist die Zahlung nach sieben Tagen nicht erfolgt, erhöht sich das Bußgeld. Im schlimmsten Fall muss eine Haftstrafe angetreten werden. Bundesweit betrifft das bis zu 9000 Personen (Deutschlandfunk).
16. November 2023, 11.47 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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