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Betonwüste Europa-Allee: Urbanes Versagen, soweit das Auge reicht
Das ist die Europa-Allee. Im Herzen Frankfurts reiht sich hier ein architektonisches Verbrechen an das nächste. Die Frankfurterin möchte hier nicht sein, begeht aber diesen Ort, damit das die JOURNAL-Leserinnen nicht mehr tun müssen. Eine individuelle Betrachtung.
Für viele ist sie die hässlichste Straße Frankfurts, die Europa-Allee: Mehrspurig, eintönig, Schattierungen in Grau. Das können andere Schneisen auch, doch wurden die in der Regel auf die Trümmer der zerbombten Stadt gehämmert, hingegen die „Stalinallee“ (Volksmund) in ihrer Genese einem städtebaulichen Offenbarungseid gleichkommt. Und da schauen wir gerne mal ein bisschen genauer hin.
Wir blicken kurz zurück in jene Zeit, als der ehemalige Güterbahnhof zwischen Messe und Gallus noch Brachland und Heimat der Mauereidechse war. Dort ließen Freundinnen zotteliger Vierbeiner ihre kleinen Lieblinge ungehindert tollen, Jugendliche streunten umher und rauchten heimlich Kippen oder irgendwelche Festivals sorgten für temporären Stress im beschaulichen Eckchen. Das konnte nicht lange gut gehen, schließlich bezahlen Mauereidechsen keine Grundstückspreise und außerdem sprechen wir hier vom Herzen Frankfurts und ergo Europas – dem Tafelsilber der Stadt. Entsprechend hatte die Deutsche Bahn bereits 1999 das Frankfurter Architekturbüro Albert Speer & Partner beauftragt, einen Rahmenplan zu entwickeln, wie das Areal am lukrativsten zu verkloppen sei – was 2000 von der Stadtverordnetenversammlung abgesegnet wurde.
Europa-Allee in Frankfurt scheint sich an Messe-Ästhetik zu orientieren
Wenn die Stadt als diejenige, die Baurecht herstellt, an diesem Punkt noch das Schlimmste hätte verhindern können, tat sie es nicht. Vielmehr gründete die Bahn die Aurelis Asset GmbH und übertrug dem Immobilienentwickler die Vermarktung des Viertels westlich der Emser Brücke. Den östlichen Part übernahm die CA Immo, durch den Bund 2001 als Vivico Real Estate GmbH gegründet, um sogenannte Eisenbahnbestände investmentgetrieben zu veräußern. 31 000 Quadratmeter erwarb die Messe und dehnte sich gen Südosten aus, weshalb sich optisch eins ins andere fügt. Denn tatsächlich scheint sich das Europaviertel hauptsächlich an der Messe-Ästhetik zu orientieren.
Kleine, aber feine Randnotiz: 2007 wurde als das Jahr des Spatenstichs für die ersten Wohnungen notiert. Beinahe zeitgleich entstand in China am Rande der Großgemeinde Anting die Anting New Town, eine aus dem Boden gestampfte Neubausiedlung nach deutschem Vorbild und von niemand geringerem als Albert Speer Junior konzipiert. Wohnen will in der chinesischen Geisterstadt allerdings niemand, beziehungsweise sollen Stand 2018 lediglich 20 Prozent der Immobilien verkauft worden sein. Im Sommer 2023 tauchen wir nun ein in die Abgründe eines Frankfurter Reißbrettviertels in bester Lage, in dem irgendwie auch keiner leben will.
Messehalle 3: hässliches Ungetüm und Liebling der Architekten
Der Spaziergang beginnt vom good old Gallus kommend in der Warschauer Straße, die zunächst gar nicht mal so verkehrt anmutet. Klein ist sie, mit Baumreihen rechts und links eigentlich ganz schnuckelig – bis sich im Horizont die Messehalle 3 hinter dem Capri-Hotel in den Blick schiebt. Ein Ungetüm, das trotz seiner Hässlichkeit von Architekten gerne als bauliches „Glanzstück“ gepriesen wurde, jedoch vielmehr an einen metallenen Riesenkäfer aus einem Roland-Emmerich-Film gemahnt, der alles unter sich zu zermalmen droht. Das Capri selbst ist in einem unangenehmen Anthrazit mit orangenen Zierelementen gehalten, was weder das Hotel noch die italienische Luxus-Insel verdient haben dürften.
Europa-Allee in Frankfurt: eine architektonische Bausünde reiht sich an die nächste
Am östlichen Ende findet sich mit dem Skyline Plaza by the way das wohl schönste Bauwerk der Europa-Allee; erst recht verglichen mit dem vis-à-vis ansässigen, in die Länge gezogenen Klotz, in dem einmal eine französische Bank ansässig war. Jetzt ist dort gähnende Leere, ein Nichts aus Glas und Beton, das einzig als Herberge für im Parterre angesiedelte Gastronomie dienen dürfte. Und eigentlich haben wir auch schon wieder genug gesehen, warum nicht zum Daydrinking einkehren, die Augen schließen, die Seele baumeln lassen …
Doch nein, das Elend muss begangen werden. Also halten wir uns links und laufen entlang an monotonen, siebenstöckigen Wohnblöcken. Auf der gegenüberliegenden Seite reiht sich eine architektonische Bausünde an die nächste, wahlweise befüllt mit Hotels oder Bürofläche, tote Fenster allenthalben. Von derlei Eintönigkeit ermüdet, unterqueren wir die Emser Brücke und gelangen ins Europaviertel West. Mit „FCK Dance let’s Art“ hat sich jemand in der Unterführung verewigt – ein Motto, das von Städteplanern leider zu wenig Beachtung erfährt.
Immerhin ist im Westen die Wohnbebauung eine andere, und ein paar mehr Bäume sollen die Tristesse vermutlich mit grünen Komponenten auflockern. Bleibt die Frage, wer in Häusern mit solch kleinen Fenstern wohnen will. Obwohl, rausschauen lohnt sich eh nicht, fiele der Blick doch auf den Sitz der Deutschen Bahn, der mehr als Backsteine-sind-cooler-als-Beton auch nicht eingefallen ist.
Europa-Allee als Beton-Ödnis ohne Menschen
Der nächste Wohnkomplex kommt mit runden Eck-Balkonen daher, was nichts an der Ödnis ändert, die einfach nicht gesund sein kann. Dann, hunderte Meter lang, ein Unternehmensberater mittenrein geklotzt, schwarze Scheiben, verschenkte Fläche, gegenüber ein weiterer liebloser Betonberg … Und kaum eine Menschenseele auf der Straße.
Weiter geht’s Richtung Europagarten, wo sich mittlerweile die FAZ niedergelassen hat. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man da nicht hin (nachträgliche Ergänzung: mit einem Bus dann doch), allerdings dürften die Kolleginnen in den oberen Etagen einen wunderbaren Blick auf die Skyline oder den Taunus haben. Der Europagarten macht hingegen einen trostlosen Gesamteindruck, aber alles andere hätte gar nicht gepasst.
Europagarten und ein Spielplatz, auf dem niemand spielen will
Man begeht ihn über einen Kiesweg, der mit Ahornbäumen und gestutzten Hecken aufzuhübschen versucht wurde. Ansonsten verdorrte, endlose Grasfläche, die niemand als Lebensraum geplant haben kann: zu karg, kaum Bäume, wirklich nichts, was einen Aufenthalt rechtfertigen könnte. Linker Hand findet sich ein Spielplatz – in der prallen Sonne. Ohne einen einzigen Baum schmoren die lieben Kleinen vor sich hin. Sorry, Leute, aber wer hat denn da gepennt? Am hinteren Ende sollen eckige Wasserbecken „zum Verweilen“ einladen. Das tun sie nicht und uns reicht es.
Das Beste am Europaviertel ist die Tatsache, dass man schnell wieder draußen ist
Im Restaurant im Herzen von Europa bieten sie bayrische Küche, nun denn, das kriegt uns jetzt auch nicht mehr kaputt. Die Wohnungen hier wirken teils wie in hochpreisigen Bettenburgen zwischen Altersresidenzen, weniger grob, aber, und das ist das Kernproblem: Mit städtebaulicher Integration in gewachsene Strukturen hat das alles überhaupt nichts zu tun. Einfallslos haben sich all jene austoben dürfen, die kostbaren Frankfurter Raum Investmentinteressen geopfert haben dürften. So werden um eine Autoschneise Wohnungsbunker massenhaft dupliziert, als wäre das mit der Quantität und der Qualität nicht gerade umgekehrt – monoton, steril und menschenfeindlich.
Insofern ist das Beste am Europaviertel, dass man ratzfatz wieder draußen ist. Ein kleiner Lauf über die Wiese und schon ruft die Idsteiner Straße zurück ins Leben. Die Sonne lacht, die Menschen sitzen auf der Frankenallee mit einem Lächeln auf den Lippen, die Kinder basteln Gänseblümchenkränze und aus den Brunnen fließen Milch und Honig. Oder so ähnlich jedenfalls.
>> Dieser Text erschien zuerst in der August-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT (8/23).
Wir blicken kurz zurück in jene Zeit, als der ehemalige Güterbahnhof zwischen Messe und Gallus noch Brachland und Heimat der Mauereidechse war. Dort ließen Freundinnen zotteliger Vierbeiner ihre kleinen Lieblinge ungehindert tollen, Jugendliche streunten umher und rauchten heimlich Kippen oder irgendwelche Festivals sorgten für temporären Stress im beschaulichen Eckchen. Das konnte nicht lange gut gehen, schließlich bezahlen Mauereidechsen keine Grundstückspreise und außerdem sprechen wir hier vom Herzen Frankfurts und ergo Europas – dem Tafelsilber der Stadt. Entsprechend hatte die Deutsche Bahn bereits 1999 das Frankfurter Architekturbüro Albert Speer & Partner beauftragt, einen Rahmenplan zu entwickeln, wie das Areal am lukrativsten zu verkloppen sei – was 2000 von der Stadtverordnetenversammlung abgesegnet wurde.
Wenn die Stadt als diejenige, die Baurecht herstellt, an diesem Punkt noch das Schlimmste hätte verhindern können, tat sie es nicht. Vielmehr gründete die Bahn die Aurelis Asset GmbH und übertrug dem Immobilienentwickler die Vermarktung des Viertels westlich der Emser Brücke. Den östlichen Part übernahm die CA Immo, durch den Bund 2001 als Vivico Real Estate GmbH gegründet, um sogenannte Eisenbahnbestände investmentgetrieben zu veräußern. 31 000 Quadratmeter erwarb die Messe und dehnte sich gen Südosten aus, weshalb sich optisch eins ins andere fügt. Denn tatsächlich scheint sich das Europaviertel hauptsächlich an der Messe-Ästhetik zu orientieren.
Kleine, aber feine Randnotiz: 2007 wurde als das Jahr des Spatenstichs für die ersten Wohnungen notiert. Beinahe zeitgleich entstand in China am Rande der Großgemeinde Anting die Anting New Town, eine aus dem Boden gestampfte Neubausiedlung nach deutschem Vorbild und von niemand geringerem als Albert Speer Junior konzipiert. Wohnen will in der chinesischen Geisterstadt allerdings niemand, beziehungsweise sollen Stand 2018 lediglich 20 Prozent der Immobilien verkauft worden sein. Im Sommer 2023 tauchen wir nun ein in die Abgründe eines Frankfurter Reißbrettviertels in bester Lage, in dem irgendwie auch keiner leben will.
Der Spaziergang beginnt vom good old Gallus kommend in der Warschauer Straße, die zunächst gar nicht mal so verkehrt anmutet. Klein ist sie, mit Baumreihen rechts und links eigentlich ganz schnuckelig – bis sich im Horizont die Messehalle 3 hinter dem Capri-Hotel in den Blick schiebt. Ein Ungetüm, das trotz seiner Hässlichkeit von Architekten gerne als bauliches „Glanzstück“ gepriesen wurde, jedoch vielmehr an einen metallenen Riesenkäfer aus einem Roland-Emmerich-Film gemahnt, der alles unter sich zu zermalmen droht. Das Capri selbst ist in einem unangenehmen Anthrazit mit orangenen Zierelementen gehalten, was weder das Hotel noch die italienische Luxus-Insel verdient haben dürften.
Am östlichen Ende findet sich mit dem Skyline Plaza by the way das wohl schönste Bauwerk der Europa-Allee; erst recht verglichen mit dem vis-à-vis ansässigen, in die Länge gezogenen Klotz, in dem einmal eine französische Bank ansässig war. Jetzt ist dort gähnende Leere, ein Nichts aus Glas und Beton, das einzig als Herberge für im Parterre angesiedelte Gastronomie dienen dürfte. Und eigentlich haben wir auch schon wieder genug gesehen, warum nicht zum Daydrinking einkehren, die Augen schließen, die Seele baumeln lassen …
Doch nein, das Elend muss begangen werden. Also halten wir uns links und laufen entlang an monotonen, siebenstöckigen Wohnblöcken. Auf der gegenüberliegenden Seite reiht sich eine architektonische Bausünde an die nächste, wahlweise befüllt mit Hotels oder Bürofläche, tote Fenster allenthalben. Von derlei Eintönigkeit ermüdet, unterqueren wir die Emser Brücke und gelangen ins Europaviertel West. Mit „FCK Dance let’s Art“ hat sich jemand in der Unterführung verewigt – ein Motto, das von Städteplanern leider zu wenig Beachtung erfährt.
Immerhin ist im Westen die Wohnbebauung eine andere, und ein paar mehr Bäume sollen die Tristesse vermutlich mit grünen Komponenten auflockern. Bleibt die Frage, wer in Häusern mit solch kleinen Fenstern wohnen will. Obwohl, rausschauen lohnt sich eh nicht, fiele der Blick doch auf den Sitz der Deutschen Bahn, der mehr als Backsteine-sind-cooler-als-Beton auch nicht eingefallen ist.
Der nächste Wohnkomplex kommt mit runden Eck-Balkonen daher, was nichts an der Ödnis ändert, die einfach nicht gesund sein kann. Dann, hunderte Meter lang, ein Unternehmensberater mittenrein geklotzt, schwarze Scheiben, verschenkte Fläche, gegenüber ein weiterer liebloser Betonberg … Und kaum eine Menschenseele auf der Straße.
Weiter geht’s Richtung Europagarten, wo sich mittlerweile die FAZ niedergelassen hat. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man da nicht hin (nachträgliche Ergänzung: mit einem Bus dann doch), allerdings dürften die Kolleginnen in den oberen Etagen einen wunderbaren Blick auf die Skyline oder den Taunus haben. Der Europagarten macht hingegen einen trostlosen Gesamteindruck, aber alles andere hätte gar nicht gepasst.
Man begeht ihn über einen Kiesweg, der mit Ahornbäumen und gestutzten Hecken aufzuhübschen versucht wurde. Ansonsten verdorrte, endlose Grasfläche, die niemand als Lebensraum geplant haben kann: zu karg, kaum Bäume, wirklich nichts, was einen Aufenthalt rechtfertigen könnte. Linker Hand findet sich ein Spielplatz – in der prallen Sonne. Ohne einen einzigen Baum schmoren die lieben Kleinen vor sich hin. Sorry, Leute, aber wer hat denn da gepennt? Am hinteren Ende sollen eckige Wasserbecken „zum Verweilen“ einladen. Das tun sie nicht und uns reicht es.
Im Restaurant im Herzen von Europa bieten sie bayrische Küche, nun denn, das kriegt uns jetzt auch nicht mehr kaputt. Die Wohnungen hier wirken teils wie in hochpreisigen Bettenburgen zwischen Altersresidenzen, weniger grob, aber, und das ist das Kernproblem: Mit städtebaulicher Integration in gewachsene Strukturen hat das alles überhaupt nichts zu tun. Einfallslos haben sich all jene austoben dürfen, die kostbaren Frankfurter Raum Investmentinteressen geopfert haben dürften. So werden um eine Autoschneise Wohnungsbunker massenhaft dupliziert, als wäre das mit der Quantität und der Qualität nicht gerade umgekehrt – monoton, steril und menschenfeindlich.
Insofern ist das Beste am Europaviertel, dass man ratzfatz wieder draußen ist. Ein kleiner Lauf über die Wiese und schon ruft die Idsteiner Straße zurück ins Leben. Die Sonne lacht, die Menschen sitzen auf der Frankenallee mit einem Lächeln auf den Lippen, die Kinder basteln Gänseblümchenkränze und aus den Brunnen fließen Milch und Honig. Oder so ähnlich jedenfalls.
>> Dieser Text erschien zuerst in der August-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT (8/23).
18. August 2023, 18.45 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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