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Bahn-Chaos
„Noch nie fiel ein Gig aus diesem Grund aus“
Der DJ Raphael Krickow (The Disco Boys) ist am Samstag wegen der Großstörung im Zugverkehr gestrandet. Für das JOURNAL FRANKFURT berichtet er, was er erlebte.
Heute (Samstag) ein Booking in der Nähe von Neustrelitz. Geplante Zugfahrt ICE Darmstadt – Berlin HBF 14.51 – 19.29 (praktisch stündlich nonstop, dank der ICE Streckenbaustelle Frankfurt – Mannheim). Dann weiter Regionalbahn Berlin – Fürstenberg (Havel) 19:47 – 20:47.
Um 14 Uhr die Nachricht der Bahn, dass sich meine Abfahrt um circa 20 Minuten verzögert, aber der Zug trotzdem noch früh genug in Berlin HBF ankommt. Am Bahnhof dann die Nachricht, dass sich die Abfahrt um 30 bis 40 Minuten verzögert. Ab diesem Zeitpunkt checkt der Vielfahrer bereits die Alternativen (unter anderem auch den Airliner-Bus zum Frankfurter Flughafen, um von da eventuell bessere Zugfahrten zu bekommen. Mittlerweile stehen am HBF Darmstadt mehrere ICEs nebeneinander und auch alle anderen Gleise sind mit RBs besetzt. Nichts fährt, der Bahnhof ist voller Leute. Dann die Nachricht, dass aufgrund einer Großstörung kein Zug mehr im Großraum Rhein-Main fährt und deswegen auch das gesamte Bundesgebiet betroffen ist.
Dies ist der Zeitpunkt, schon mal unsere Bookingagentur zu unterrichten.
Jetzt die Nachricht, das mein Zug circa 120 Minuten später in Darmstadt losfahren wird. Die geplante Ankunftszeit in Berlin ist nun so, dass ich meine und die nächste Regionalbahn nach Fürstenberg in jedem Fall verpassen werde. Zwei Züge später bedeutet, dass ich zu spät auf der Bühne stehen werde. Shuttle vom Bahnhof zum Hotel und weiterer Shuttle vom Hotel zum Event. Wieder Nachricht an die Bookingagentur, mit der ich in den nächsten Stunden quasi eine Standleitung habe.
Auf dem Nachbargleis fährt ein extrem verspäteter ICE ebenfalls nach Berlin, allerdings die schnellere Strecke über Erfurt und Leipzig und nicht (wie meiner) über Hildesheim, Braunschweig. Da die Zugbindung sowieso aufgehoben ist, ist es egal, mit welchem Zug ich fahre. Den Tipp vom DB-Personal, den anderen ICE zu nehmen, befolge ich. Allerdings steht nun auf den Displays, dass beide Züge frühestens um 16.21 Uhr (statt 14.51 Uhr) fahren.
Dann geht’s um 16.09 Uhr doch schon früher los. Man muss allerdings dazu sagen, dass der Zug in dem ich jetzt sitze, auch schon um 13.51 Uhr fahren sollte. Wie dem auch sei, wir fahren praktisch parallel in Frankfurt HBF ein. Aber nicht wieder los – zumindest der Zug, für den ich mich nun entschieden habe (der Tipp vom DB-Personal). Es kommt eine der selteneren Durchsagen: „Wenn sich im Zug Zugbegleitungen privat befinden, wir könnten ihre Hilfe gebrauchen. Bitte melden sie sich im Zugbegleitungsabteil.”
Wir stehen. Zehn Minuten nach der verspäteten, geplanten Abfahrtszeit kommt dann auch der schon gewohnte Anblick eines am gesamten Zug vorbei hetzenden Zugführers mit Rucksack, der zur Zugspitze eilt – anzunehmen, dass wir alle auf ihn warten („… aus einem verspäteten anderen Zug…”).
Da mehr oder weniger alle Folgezüge nach Berlin annulliert wurden (Großstörung?), gab’s on top natürlich in Frankfurt einen Sturmlauf auf diesen Zug. Bedeutet, die Leute stapeln sich. Quasi als Entschädigung für die Verspätung.
Wir stehen. Ein Blick (heute circa 10 000) in den DB-Navigator zeigt mir trotzdem, dass beide Züge ungefähr zu einer ähnlichen Zeit in Berlin ankommen sollten. Mittlerweile werden intern schon diverse Szenerien durchgespielt, wie das dann am Zielort ablaufen könnte: Playtime verschieben, Gordon (der andere DJ der Disco Boys, Anmerkung der Redaktion) fängt alleine an, et cetera. Auf jeden Fall wird’s nicht langweilig.
Wir stehen immer noch in Frankfurt. Langsam wird der DB-Navigator unglaubwürdig.
Jetzt geht’s los. Die Anzeige in der App und auf dem Display im Zug klebt auf „Darmstadt HBF Abfahrt 16.08 Uhr”, was ja bereits vor über einer Stunde war. Man kann also nur raten, in welchem Zeit/Raum-Kontinuum wir uns befinden. Mittlerweile hat dieser Zug 177 Minuten Verspätung. Trotzdem scheint der allerletzte Plan Berlin-Fürstenberg-Shuttle-Fünfminutenhotel-Shuttle-Bühne noch realistisch.
Und dann kommt die Durchsage, die alles ändert: „Dieser Zug fährt nur noch bis Leipzig HBF. Aufgrund der massiven Verspätung von fast drei Stunden haben wir uns entschieden, nicht mehr weiter nach Berlin zu fahren. Bitte steigen sie in Leipzig alle aus.”.
Das war’s dann endgültig. Und das ist auch das Novum. Noch nie fiel ein Gig aus diesem Grund (Zugverspätung oder Ausfall) für mich aus, trotz hunderter ähnlicher Deutsche Bahn Geschichten. Aber das Schlimmste ist, dass der Ursprungszug, der angeblich länger nach Berlin gebraucht hätte, dort nun so ankommt, das der oben genannte Plan mit dem Gig noch möglich gewesen wäre.
Der SIXT-Schalter schloss um 20 Uhr, außerdem 281 Kilometer und drei Stunden Fahrt.
Jetzt wird’s spannend. Der Anlass der Fahrt hat sich nun erübrigt. Gordon wird alleine spielen und vertraglich ist das auch alles geregelt (höhere Gewalt et cetera) Es ist 20.30 Uhr, und der nächste Zug nach Berlin geht um 21.23 Uhr. Von dort bräuchte ich ja gar nicht mehr weiterfahren. Rückfahrt nach Frankfurt wäre von Leipzig um 21.04 Uhr möglich, aber dafür habe ich kein Ticket, da meine Rückfahrt von Berlin erst morgen wäre und ich außerdem in einem ganz anderen Zug unterwegs war. Vielfahrer kennen die Diskussionen mit dem Personal („Computer says no!”). Und dann natürlich das andere Übliche: Die DB Lounge, wo ich durch meinen Status auch das Personal fragen könnte, schloss um 20 Uhr. Das große DB-Reisezentrum Leipzig HBF schloss um 20 Uhr. Vor dem mini DB-Info Schalter (… die armen zwei Mitarbeiter…) die übliche 60 Minuten Schlange bei solchen Ereignissen. Es ist also unmöglich jemanden zu fragen, wie man mit seinen Tickets in dieser Situation verfährt.
Ich habe weder ein Hotel in Leipzig noch in Berlin. Trotzdem checke ich mal die Hotels – in Berlin ist IFA, ein Zimmer im IBIS Budget kostet ab 220 Euro. Ich kontaktiere eine Freundin, die sich leider nicht zurückmeldet, riskiere aber dennoch die Weiterfahrt nach Berlin. Auf der Fahrt meldet sie sich und ich werde dort übernachten.
Ich bekomme von der Bahn zurück: 50 Prozent des Tickets der einfachen Fahrt (über 120 Minuten Verspätung). Wäre ich in Leipzig geblieben oder nach Frankfurt zurück gefahren, hätte ich wegen des komplexen und kaum noch zu erklärenden Problems vermutlich gar nichts bekommen.
© Raphael Krickow
Info
Raphael Krickow, geb. 1966 in Osnabrück, ist in Darmstadtaufgewachsen. Er schrieb für die erste deutsche DJ- und Dance-Zeitung „Network Press“ und legte als DJ im Frankfurter Club Vogue auf. Nach seiner Tätigkeit als Art Director und der Gründung einer Werbeagentur startete er 1994 gemeinsam mit Gordon Hollenga das DJ-Projekt The Disco Boys. Das Duo tritt weltweit auf. Seit 2009 dokumentiert Krickow mit seinem Projekt „Welcome to the Robots“ die elektronische Musik und Clubkultur seit den frühen 80er-Jahren: www.welcometotherobots.com
Um 14 Uhr die Nachricht der Bahn, dass sich meine Abfahrt um circa 20 Minuten verzögert, aber der Zug trotzdem noch früh genug in Berlin HBF ankommt. Am Bahnhof dann die Nachricht, dass sich die Abfahrt um 30 bis 40 Minuten verzögert. Ab diesem Zeitpunkt checkt der Vielfahrer bereits die Alternativen (unter anderem auch den Airliner-Bus zum Frankfurter Flughafen, um von da eventuell bessere Zugfahrten zu bekommen. Mittlerweile stehen am HBF Darmstadt mehrere ICEs nebeneinander und auch alle anderen Gleise sind mit RBs besetzt. Nichts fährt, der Bahnhof ist voller Leute. Dann die Nachricht, dass aufgrund einer Großstörung kein Zug mehr im Großraum Rhein-Main fährt und deswegen auch das gesamte Bundesgebiet betroffen ist.
Jetzt die Nachricht, das mein Zug circa 120 Minuten später in Darmstadt losfahren wird. Die geplante Ankunftszeit in Berlin ist nun so, dass ich meine und die nächste Regionalbahn nach Fürstenberg in jedem Fall verpassen werde. Zwei Züge später bedeutet, dass ich zu spät auf der Bühne stehen werde. Shuttle vom Bahnhof zum Hotel und weiterer Shuttle vom Hotel zum Event. Wieder Nachricht an die Bookingagentur, mit der ich in den nächsten Stunden quasi eine Standleitung habe.
Auf dem Nachbargleis fährt ein extrem verspäteter ICE ebenfalls nach Berlin, allerdings die schnellere Strecke über Erfurt und Leipzig und nicht (wie meiner) über Hildesheim, Braunschweig. Da die Zugbindung sowieso aufgehoben ist, ist es egal, mit welchem Zug ich fahre. Den Tipp vom DB-Personal, den anderen ICE zu nehmen, befolge ich. Allerdings steht nun auf den Displays, dass beide Züge frühestens um 16.21 Uhr (statt 14.51 Uhr) fahren.
Dann geht’s um 16.09 Uhr doch schon früher los. Man muss allerdings dazu sagen, dass der Zug in dem ich jetzt sitze, auch schon um 13.51 Uhr fahren sollte. Wie dem auch sei, wir fahren praktisch parallel in Frankfurt HBF ein. Aber nicht wieder los – zumindest der Zug, für den ich mich nun entschieden habe (der Tipp vom DB-Personal). Es kommt eine der selteneren Durchsagen: „Wenn sich im Zug Zugbegleitungen privat befinden, wir könnten ihre Hilfe gebrauchen. Bitte melden sie sich im Zugbegleitungsabteil.”
Wir stehen. Zehn Minuten nach der verspäteten, geplanten Abfahrtszeit kommt dann auch der schon gewohnte Anblick eines am gesamten Zug vorbei hetzenden Zugführers mit Rucksack, der zur Zugspitze eilt – anzunehmen, dass wir alle auf ihn warten („… aus einem verspäteten anderen Zug…”).
Da mehr oder weniger alle Folgezüge nach Berlin annulliert wurden (Großstörung?), gab’s on top natürlich in Frankfurt einen Sturmlauf auf diesen Zug. Bedeutet, die Leute stapeln sich. Quasi als Entschädigung für die Verspätung.
Wir stehen. Ein Blick (heute circa 10 000) in den DB-Navigator zeigt mir trotzdem, dass beide Züge ungefähr zu einer ähnlichen Zeit in Berlin ankommen sollten. Mittlerweile werden intern schon diverse Szenerien durchgespielt, wie das dann am Zielort ablaufen könnte: Playtime verschieben, Gordon (der andere DJ der Disco Boys, Anmerkung der Redaktion) fängt alleine an, et cetera. Auf jeden Fall wird’s nicht langweilig.
Jetzt geht’s los. Die Anzeige in der App und auf dem Display im Zug klebt auf „Darmstadt HBF Abfahrt 16.08 Uhr”, was ja bereits vor über einer Stunde war. Man kann also nur raten, in welchem Zeit/Raum-Kontinuum wir uns befinden. Mittlerweile hat dieser Zug 177 Minuten Verspätung. Trotzdem scheint der allerletzte Plan Berlin-Fürstenberg-Shuttle-Fünfminutenhotel-Shuttle-Bühne noch realistisch.
Und dann kommt die Durchsage, die alles ändert: „Dieser Zug fährt nur noch bis Leipzig HBF. Aufgrund der massiven Verspätung von fast drei Stunden haben wir uns entschieden, nicht mehr weiter nach Berlin zu fahren. Bitte steigen sie in Leipzig alle aus.”.
Das war’s dann endgültig. Und das ist auch das Novum. Noch nie fiel ein Gig aus diesem Grund (Zugverspätung oder Ausfall) für mich aus, trotz hunderter ähnlicher Deutsche Bahn Geschichten. Aber das Schlimmste ist, dass der Ursprungszug, der angeblich länger nach Berlin gebraucht hätte, dort nun so ankommt, das der oben genannte Plan mit dem Gig noch möglich gewesen wäre.
Jetzt wird’s spannend. Der Anlass der Fahrt hat sich nun erübrigt. Gordon wird alleine spielen und vertraglich ist das auch alles geregelt (höhere Gewalt et cetera) Es ist 20.30 Uhr, und der nächste Zug nach Berlin geht um 21.23 Uhr. Von dort bräuchte ich ja gar nicht mehr weiterfahren. Rückfahrt nach Frankfurt wäre von Leipzig um 21.04 Uhr möglich, aber dafür habe ich kein Ticket, da meine Rückfahrt von Berlin erst morgen wäre und ich außerdem in einem ganz anderen Zug unterwegs war. Vielfahrer kennen die Diskussionen mit dem Personal („Computer says no!”). Und dann natürlich das andere Übliche: Die DB Lounge, wo ich durch meinen Status auch das Personal fragen könnte, schloss um 20 Uhr. Das große DB-Reisezentrum Leipzig HBF schloss um 20 Uhr. Vor dem mini DB-Info Schalter (… die armen zwei Mitarbeiter…) die übliche 60 Minuten Schlange bei solchen Ereignissen. Es ist also unmöglich jemanden zu fragen, wie man mit seinen Tickets in dieser Situation verfährt.
Ich habe weder ein Hotel in Leipzig noch in Berlin. Trotzdem checke ich mal die Hotels – in Berlin ist IFA, ein Zimmer im IBIS Budget kostet ab 220 Euro. Ich kontaktiere eine Freundin, die sich leider nicht zurückmeldet, riskiere aber dennoch die Weiterfahrt nach Berlin. Auf der Fahrt meldet sie sich und ich werde dort übernachten.
Ich bekomme von der Bahn zurück: 50 Prozent des Tickets der einfachen Fahrt (über 120 Minuten Verspätung). Wäre ich in Leipzig geblieben oder nach Frankfurt zurück gefahren, hätte ich wegen des komplexen und kaum noch zu erklärenden Problems vermutlich gar nichts bekommen.
© Raphael Krickow
Raphael Krickow, geb. 1966 in Osnabrück, ist in Darmstadtaufgewachsen. Er schrieb für die erste deutsche DJ- und Dance-Zeitung „Network Press“ und legte als DJ im Frankfurter Club Vogue auf. Nach seiner Tätigkeit als Art Director und der Gründung einer Werbeagentur startete er 1994 gemeinsam mit Gordon Hollenga das DJ-Projekt The Disco Boys. Das Duo tritt weltweit auf. Seit 2009 dokumentiert Krickow mit seinem Projekt „Welcome to the Robots“ die elektronische Musik und Clubkultur seit den frühen 80er-Jahren: www.welcometotherobots.com
9. September 2024, 10.30 Uhr
Raphael Krickow
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Text: Sina Claßen / Foto: red
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21. November 2024
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