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Spaziergang durchs Brückenviertel
Eine Blaupause für Frankfurt
Nicht mal einen Quadratkilometer umfasst das Brückenviertel in Frankfurt. Es ist das Herz Sachsenhausens und für viele der kreativste Kiez der Stadt. Was ist sein Geheimnis?
Wer vom Südbahnhof die Brückenstraße in Richtung Main nimmt, stößt auf ein kleines Viertel, das strenggenommen kein eigenständiges ist – es gehört zu Sachsenhausen –, aber in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine eigene Identität aufgebaut hat: das Brückenviertel. Die namensgebende Brückenstraße war einst eine der bedeutendsten Straßen südlich des Mains. Sie führte direkt zur Alten Brücke, die lange Zeit die einzige Brückenverbindung über den Main war.
Im 13. Jahrhundert zum ersten Mal urkundlich erwähnt, verband das Bauwerk die Fahrgasse mit der Brückenstraße und bildete somit die wichtigste Handels- und Reiseroute von Norden nach Süden durch die Stadt und umgekehrt. Die Bürger in Dribbdebach, das bis ins 15. Jahrhundert als Dorf bezeichnet wurde, aber schon immer zur Stadt Frankfurt gehörte, wurden von Schriftsteller und Frankfurt-Besucher Joachim Heinrich Campe als „jähzornig und aufrührerisch“ beschrieben. Diese Zeiten sind vorbei, heute zeigt sich die Brückenstraße friedlich.
Einst besetzten Eltern die Brückenstraße in Frankfurt-Sachsenhausen
Der Weg von Süden führt über den Alten Friedhof, einer kleinen grünen Oase. Vor 50 Jahren haben hier Eltern und Kinder gegen die „kinderunfreundlichen Zustände“ demonstriert. Sie besetzten die Brückenstraße und schlossen sich zur Elterninitiative Sachsenhausen (E.I.S.) zusammen. Sie erreichten, dass die Stadt Frankfurt den Abschnitt der Brückenstraße, der durch den Alten Friedhof führt, zur autofreien Spielstraße umwandelte. In den darauffolgenden Jahren wurde das ehemalige öffentliche Toilettenhaus zu einer Betreuungseinrichtung für Kinder mit einem Mittagessenangebot und Hausaufgabenbetreuung; es entstand ein Spielplatz und der kleine Park wurde zum Treffpunkt von Eltern und Kindern aus dem Viertel.
Gegenüber steht die KunstSäule, eine Litfaßsäule, die mit zeitgenössischer Kunst beklebt wird. Es ist eine Open-Air-Galerie mit wechselnden Ausstellungen, die seit 2017 von Daniel Hartlaub und Florian Koch kuratiert werden. „Gedankenreiche Kunst statt konsumfördernde Werbung“ wollen die Initiatoren dort zeigen. Bis Ende 2023 ist dort „Nein, ich bleibe!“ zu sehen. Studierende der Hochschule Darmstadt haben sich mit dem Jubiläum der E.I.S. beschäftigt und die KunstSäule gestaltet. Zu sehen sind etwa demonstrierende Eltern mit Transparenten, eine Rückschau, bevor der Spielplatz im kommenden Jahr umgebaut wird.
Der Weg führt weiter nach Norden. An der Ecke Schifferstraße/Brückenstraße befindet sich das Schiffercafé, etwas weiter das Hotel Maingau, beides Institutionen. Nächste Tür, Brückenstraße 60: Am „Casa de Portugal“ lässt sich schwer vorbeigehen. Cristóvão Piedade ist Herr über die Pastel de Nata, wie er sagt: Ob mit Pistazie, Karamell, Kirschen, Schoko oder anderen Zutaten – eine solche Auswahl an portugiesischen Blätterteigtörtchen ist nicht nur in Frankfurt einmalig. Wir bleiben beim Backhandwerk, das zwei Häuser weiter seit über 80 Jahren von der Bäckerei HansS betrieben wird. Nach einem Geheimrezept werden hier zum Beispiel die traditionellen Frankfurter Haddekuche hergestellt.
Kulinarisch ist in Hibbdebach einiges los
Überhaupt ist kulinarisch einiges los im Brückenviertel. Für den Mittagstisch in der Metzgerei Tombers kommen einige sogar aus Hibbdebach. Wer dann noch Platz hat, geht zu Aurélie Matschoss ins „Atelier des Tartes“. Etwas abseits der Lauflage hat sich die studierte Architektin hier ihren Traum von einem Café in der Kleinen Brückenstraße unweit des Theaters Alte Brücke verwirklicht. Jeden Morgen um 4 Uhr klingelt bei Matschoss der Wecker, dann steht sie auf und läuft in ihr Atelier, wo sie Tartes und Quiches backt. Was es tagesaktuell gibt, postet sie zur frühen Stunde auf Instagram. Matschoss ist eine der Einzelhändlerinnen, die über Kompass, dem Frankfurter Zentrum für Existenzgründungen, zu ihrem Glück fand, wie viele der Einzelhändlerinnen hier. Nirgendwo in der Stadt gibt es eine solche Dichte an inhabergeführten Geschäften.
Aroon Nagersheth ist einer der beiden Vorsitzenden des Gewebevereins Brückenviertel, in dem sich 15 Einzelhändler zusammengeschlossen haben. Er sitzt zusammen mit Trixi Mohn in der Galerie Brücke54, einer Art Kunst-WG von zehn Künstlerinnen und Künstlern. Mohn ist die Betreiberin und ergriff nach ihrem Ausstieg aus dem Lehrerinnenberuf ebenfalls die Chance, ihr Leben neu auszurichten: Sie eröffnete eine Galerie. „Dies ist ein Viertel von dem andere lernen können, wie es funktioniert“, meint Nagersheth. Dazu hat der Gewerbeverein gemeinsam mit Citymarketing und der Wirtschaftsförderung zwölf Thesen aufgestellt, warum das Brückenviertel so beliebt ist. Kurz zusammengefasst liegt das vor allem an Lage, Architektur, Kulinarik, Kreativität, Gründungsgeist, Persönlichkeit und Vielfalt.
Eine Blaupause für Frankfurt könnte das Brückenviertel in der Tat sein. Während in anderen Einkaufsstraßen und in den Zentren der Leerstand grassiert, gibt es hier kaum freie Läden. Im Gegenteil, viele Einzelhändlerinnen und Einzelhändler sind schon viele Jahre vor Ort. Sie stehen mit ihren Namen hinter den Konzepten, große Ketten gibt es keine. Ein übriges tut die Architektur. Es ist einfach schöner, in den von Gründerzeithäusern gesäumten Straßen spazieren zu gehen, als auf der seelenlosen Europa-Allee.
Landespolitikerinnen kommen vor Wahlen gerne ins Brückenviertel, wenn sie zeigen wollen, wie es gehen kann. Seht her, Frankfurt kann auch ein bisschen wie Berlin sein. Und das es geht, ist offensichtlich: Auf nicht mal einem Quadratkilometer finden sich neue Konzepte für Mode und Design, es gibt den „Dribbdemarkt“, der samstags in der Wallstraße stattfindet, die erste Krimibuchhandlung des europäischen Kontinents, Kaviar, Whisky und Apfelwein, einen Gay- und Fetisch-Store, Vintage-Läden, einen der größten Second-Hand-Plattenläden und eine beeindruckende Integrationsgeschichte: Hedy Mohammadi mit seiner Schuhmacherei.
Der Schuster des Brückenviertels ist aus Afghanistan zu Fuß geflohlen
Der sympathische Mann mit dem lustigen Schnurrbart, den alle nur Hedy nennen, kennt den Wert guter Schuhe. Er ist zu Fuß aus Afghanistan geflohen und kam nach zwölf Monaten in Deutschland an. Dann begann für ihn eine weitere Odyssee durch Erstaufnahmeeinrichtungen und Asylbewerberheime. Schließlich konnte er bleiben, machte seinen Hauptschulabschluss und eine Ausbildung zum Schuster. „Mein Wunsch war, einen eigenen Laden zu haben und Schuhe anzufertigen“, erzählt er. Er selbst habe einen breiten Ballen und es war immer schwer, Schuhe zu finden, die richtig passen. Das gehe vielen Leuten so. Deshalb hat er sich auf die Maßanfertigung spezialisiert. Außerdem arbeitet er Sneakers in stylische Halbschuhe um, wenn diese den Kunden nicht mehr gefallen. Wenn er mal nicht arbeitet, spielt er Saxofon. Das Instrument steht im Schaufenster bereit. Was ihm am Brückenviertel am besten gefällt? „Es ist fast wie in einem Dorf. Jeder kennt jeden.“
Der Frankfurter Künstler Janos Schaab ist ein Wiederkehrer. Vor zwanzig Jahren hatte er ein Studio im Keller der Schulstraße 3, dann zog er in die Fahrgasse und nun ist er seit elf Jahren in der Schulstraße 14 heimisch, direkt neben „Noneon“, einem Laden für typografische Lichtobjekte. An den Wänden von Schaabs Studio hängen neue Arbeiten, zwei Alu-Koffer hat er mit schwarz-orangenen Streifen versehen. So lässt es sich kunstvoll verreisen. „Weglassen ist schwieriger als hinzufügen“, lautet sein Credo. Er gehört zur Generation von Künstlern, die stark von der amerikanischen Pop-Art-Malerei beeinflusst wurden.
Stadtteilarbeit ist auch der Brückenwall, eines der beliebtesten Straßenfeste Frankfurts
Seine Arbeiten sind übersetzt in Rasterpunkte oder Linien, die allerdings nicht durch Siebdrucktechnik entstehen, sondern von ihm präzise gemalt werden. Als serielle Unikate bezeichnet der Künstler seine Arbeiten. Vor rund zehn Jahren hat er begonnen, eine neue Bildsprache zu entwickeln. „Auslöser waren die Einflüsse der Social Media“, sagt er. Durch intensive Recherchen griff Schaab Bildquellen auf, deren Themen er konsequent weiterentwickelte und damit nicht in der Pop Art der 70er-Jahre verharrte, sondern sie in unsere Zeit transformierte.
Schräg gegenüber in einem Hinterhof der Schulstraße, einer der ältesten Straßen Sachsenhausens, befindet sich die Ausstellungshalle 1a. Robert Bock hat hier unweit des Museumsufers einen weiteren Ausstellungsort geschaffen. „Ich bin nun seit 25 Jahren hier im Viertel“, erzählt Bock. Er hat die Entwicklungen beobachtet. „Am Anfang gab es all diese kreativen Läden nicht.“ Die Ausstellungshalle selbst war früher eine Waschhalle, was noch an der funktionalen Industriearchitektur der 60er-Jahre zu erkennen ist. Die Halle stand bereits einige Jahre leer, bevor Bock auf sie aufmerksam wurde und mietete. Er baute Industrieheizungen ein und installierte zusätzliches Licht. Den Mietvertrag übernahm irgendwann die Stadt, „sonst hätte ich das dauerhaft nicht machen können“. Wer stellt aus? „Hauptsächlich Frankfurter Kulturschaffende, die Anbindung zu lokalen und regionalen Künstlerinnen und Künstlern ist für mich wichtig.“ Aber Robert Bock bemüht sich auch um Stadtteilarbeit, wie er es nennt, und öffnet seine Ausstellungshalle für Kooperationen mit dem Einzelhandel, zum Beispiel, wenn eine Whiskymesse veranstaltet wird.
Frankfurt-Sachsenhausen: Warum ist das Brückenviertel so besonders?
Stadtteilarbeit ist auch der Brückenwall, eines der beliebtesten Straßenfeste Frankfurts, bei dem es seit 15 Jahren Kulinarisches, Kunst und Musik gibt und das durch das Angebot der Designerinnen so besonders ist. Hier gibt es eben nicht das 08/15-Zeug, das überall zu kaufen ist.
Der Gang durchs Viertel macht durstig und deshalb ist es höchste Zeit, auf einen Schoppen einzukehren. Ein guter Ort dafür ist die Apfelweinhandlung von Jens Becker in der Brückenstraße. In den Räumen einer ehemaligen Apotheke offeriert Becker eine große Auswahl von Apfelweinen aus kleinen regionalen Keltereien und Manufakturen und verführt seine Kundinnen und Kunden gerne dazu, etwas Neues zu probieren. Hier lässt es sich wunderbar darüber sinnieren, warum das Brückenviertel so besonders ist.
Info
Alte Straßenzüge, mit neuen Ideen:
Was macht das Brückenviertel so besonders? Inwieweit kann es für Frankfurt beispielhaft sein?
Bei einem geführten Spaziergang mit unserem Guide Christian Setzepfandt treffen Sie die Vorsitzenden des Gewerbevereins, Gründerinnen und Gastronomen. Es gibt Infos zu Handel, Gewerbe und Neugründungen sowie der Geschichte des kreativen Herzes von Sachsenhausen.
Termine: Mittwoch, 20. Dezember und
Samstag, 24. Februar. Tickets unter:
www.frankfurter-stadtevents/brueckenviertel
Im 13. Jahrhundert zum ersten Mal urkundlich erwähnt, verband das Bauwerk die Fahrgasse mit der Brückenstraße und bildete somit die wichtigste Handels- und Reiseroute von Norden nach Süden durch die Stadt und umgekehrt. Die Bürger in Dribbdebach, das bis ins 15. Jahrhundert als Dorf bezeichnet wurde, aber schon immer zur Stadt Frankfurt gehörte, wurden von Schriftsteller und Frankfurt-Besucher Joachim Heinrich Campe als „jähzornig und aufrührerisch“ beschrieben. Diese Zeiten sind vorbei, heute zeigt sich die Brückenstraße friedlich.
Einst besetzten Eltern die Brückenstraße in Frankfurt-Sachsenhausen
Der Weg von Süden führt über den Alten Friedhof, einer kleinen grünen Oase. Vor 50 Jahren haben hier Eltern und Kinder gegen die „kinderunfreundlichen Zustände“ demonstriert. Sie besetzten die Brückenstraße und schlossen sich zur Elterninitiative Sachsenhausen (E.I.S.) zusammen. Sie erreichten, dass die Stadt Frankfurt den Abschnitt der Brückenstraße, der durch den Alten Friedhof führt, zur autofreien Spielstraße umwandelte. In den darauffolgenden Jahren wurde das ehemalige öffentliche Toilettenhaus zu einer Betreuungseinrichtung für Kinder mit einem Mittagessenangebot und Hausaufgabenbetreuung; es entstand ein Spielplatz und der kleine Park wurde zum Treffpunkt von Eltern und Kindern aus dem Viertel.
Gegenüber steht die KunstSäule, eine Litfaßsäule, die mit zeitgenössischer Kunst beklebt wird. Es ist eine Open-Air-Galerie mit wechselnden Ausstellungen, die seit 2017 von Daniel Hartlaub und Florian Koch kuratiert werden. „Gedankenreiche Kunst statt konsumfördernde Werbung“ wollen die Initiatoren dort zeigen. Bis Ende 2023 ist dort „Nein, ich bleibe!“ zu sehen. Studierende der Hochschule Darmstadt haben sich mit dem Jubiläum der E.I.S. beschäftigt und die KunstSäule gestaltet. Zu sehen sind etwa demonstrierende Eltern mit Transparenten, eine Rückschau, bevor der Spielplatz im kommenden Jahr umgebaut wird.
Der Weg führt weiter nach Norden. An der Ecke Schifferstraße/Brückenstraße befindet sich das Schiffercafé, etwas weiter das Hotel Maingau, beides Institutionen. Nächste Tür, Brückenstraße 60: Am „Casa de Portugal“ lässt sich schwer vorbeigehen. Cristóvão Piedade ist Herr über die Pastel de Nata, wie er sagt: Ob mit Pistazie, Karamell, Kirschen, Schoko oder anderen Zutaten – eine solche Auswahl an portugiesischen Blätterteigtörtchen ist nicht nur in Frankfurt einmalig. Wir bleiben beim Backhandwerk, das zwei Häuser weiter seit über 80 Jahren von der Bäckerei HansS betrieben wird. Nach einem Geheimrezept werden hier zum Beispiel die traditionellen Frankfurter Haddekuche hergestellt.
Überhaupt ist kulinarisch einiges los im Brückenviertel. Für den Mittagstisch in der Metzgerei Tombers kommen einige sogar aus Hibbdebach. Wer dann noch Platz hat, geht zu Aurélie Matschoss ins „Atelier des Tartes“. Etwas abseits der Lauflage hat sich die studierte Architektin hier ihren Traum von einem Café in der Kleinen Brückenstraße unweit des Theaters Alte Brücke verwirklicht. Jeden Morgen um 4 Uhr klingelt bei Matschoss der Wecker, dann steht sie auf und läuft in ihr Atelier, wo sie Tartes und Quiches backt. Was es tagesaktuell gibt, postet sie zur frühen Stunde auf Instagram. Matschoss ist eine der Einzelhändlerinnen, die über Kompass, dem Frankfurter Zentrum für Existenzgründungen, zu ihrem Glück fand, wie viele der Einzelhändlerinnen hier. Nirgendwo in der Stadt gibt es eine solche Dichte an inhabergeführten Geschäften.
Aroon Nagersheth ist einer der beiden Vorsitzenden des Gewebevereins Brückenviertel, in dem sich 15 Einzelhändler zusammengeschlossen haben. Er sitzt zusammen mit Trixi Mohn in der Galerie Brücke54, einer Art Kunst-WG von zehn Künstlerinnen und Künstlern. Mohn ist die Betreiberin und ergriff nach ihrem Ausstieg aus dem Lehrerinnenberuf ebenfalls die Chance, ihr Leben neu auszurichten: Sie eröffnete eine Galerie. „Dies ist ein Viertel von dem andere lernen können, wie es funktioniert“, meint Nagersheth. Dazu hat der Gewerbeverein gemeinsam mit Citymarketing und der Wirtschaftsförderung zwölf Thesen aufgestellt, warum das Brückenviertel so beliebt ist. Kurz zusammengefasst liegt das vor allem an Lage, Architektur, Kulinarik, Kreativität, Gründungsgeist, Persönlichkeit und Vielfalt.
Eine Blaupause für Frankfurt könnte das Brückenviertel in der Tat sein. Während in anderen Einkaufsstraßen und in den Zentren der Leerstand grassiert, gibt es hier kaum freie Läden. Im Gegenteil, viele Einzelhändlerinnen und Einzelhändler sind schon viele Jahre vor Ort. Sie stehen mit ihren Namen hinter den Konzepten, große Ketten gibt es keine. Ein übriges tut die Architektur. Es ist einfach schöner, in den von Gründerzeithäusern gesäumten Straßen spazieren zu gehen, als auf der seelenlosen Europa-Allee.
Landespolitikerinnen kommen vor Wahlen gerne ins Brückenviertel, wenn sie zeigen wollen, wie es gehen kann. Seht her, Frankfurt kann auch ein bisschen wie Berlin sein. Und das es geht, ist offensichtlich: Auf nicht mal einem Quadratkilometer finden sich neue Konzepte für Mode und Design, es gibt den „Dribbdemarkt“, der samstags in der Wallstraße stattfindet, die erste Krimibuchhandlung des europäischen Kontinents, Kaviar, Whisky und Apfelwein, einen Gay- und Fetisch-Store, Vintage-Läden, einen der größten Second-Hand-Plattenläden und eine beeindruckende Integrationsgeschichte: Hedy Mohammadi mit seiner Schuhmacherei.
Der sympathische Mann mit dem lustigen Schnurrbart, den alle nur Hedy nennen, kennt den Wert guter Schuhe. Er ist zu Fuß aus Afghanistan geflohen und kam nach zwölf Monaten in Deutschland an. Dann begann für ihn eine weitere Odyssee durch Erstaufnahmeeinrichtungen und Asylbewerberheime. Schließlich konnte er bleiben, machte seinen Hauptschulabschluss und eine Ausbildung zum Schuster. „Mein Wunsch war, einen eigenen Laden zu haben und Schuhe anzufertigen“, erzählt er. Er selbst habe einen breiten Ballen und es war immer schwer, Schuhe zu finden, die richtig passen. Das gehe vielen Leuten so. Deshalb hat er sich auf die Maßanfertigung spezialisiert. Außerdem arbeitet er Sneakers in stylische Halbschuhe um, wenn diese den Kunden nicht mehr gefallen. Wenn er mal nicht arbeitet, spielt er Saxofon. Das Instrument steht im Schaufenster bereit. Was ihm am Brückenviertel am besten gefällt? „Es ist fast wie in einem Dorf. Jeder kennt jeden.“
Der Frankfurter Künstler Janos Schaab ist ein Wiederkehrer. Vor zwanzig Jahren hatte er ein Studio im Keller der Schulstraße 3, dann zog er in die Fahrgasse und nun ist er seit elf Jahren in der Schulstraße 14 heimisch, direkt neben „Noneon“, einem Laden für typografische Lichtobjekte. An den Wänden von Schaabs Studio hängen neue Arbeiten, zwei Alu-Koffer hat er mit schwarz-orangenen Streifen versehen. So lässt es sich kunstvoll verreisen. „Weglassen ist schwieriger als hinzufügen“, lautet sein Credo. Er gehört zur Generation von Künstlern, die stark von der amerikanischen Pop-Art-Malerei beeinflusst wurden.
Stadtteilarbeit ist auch der Brückenwall, eines der beliebtesten Straßenfeste Frankfurts
Seine Arbeiten sind übersetzt in Rasterpunkte oder Linien, die allerdings nicht durch Siebdrucktechnik entstehen, sondern von ihm präzise gemalt werden. Als serielle Unikate bezeichnet der Künstler seine Arbeiten. Vor rund zehn Jahren hat er begonnen, eine neue Bildsprache zu entwickeln. „Auslöser waren die Einflüsse der Social Media“, sagt er. Durch intensive Recherchen griff Schaab Bildquellen auf, deren Themen er konsequent weiterentwickelte und damit nicht in der Pop Art der 70er-Jahre verharrte, sondern sie in unsere Zeit transformierte.
Schräg gegenüber in einem Hinterhof der Schulstraße, einer der ältesten Straßen Sachsenhausens, befindet sich die Ausstellungshalle 1a. Robert Bock hat hier unweit des Museumsufers einen weiteren Ausstellungsort geschaffen. „Ich bin nun seit 25 Jahren hier im Viertel“, erzählt Bock. Er hat die Entwicklungen beobachtet. „Am Anfang gab es all diese kreativen Läden nicht.“ Die Ausstellungshalle selbst war früher eine Waschhalle, was noch an der funktionalen Industriearchitektur der 60er-Jahre zu erkennen ist. Die Halle stand bereits einige Jahre leer, bevor Bock auf sie aufmerksam wurde und mietete. Er baute Industrieheizungen ein und installierte zusätzliches Licht. Den Mietvertrag übernahm irgendwann die Stadt, „sonst hätte ich das dauerhaft nicht machen können“. Wer stellt aus? „Hauptsächlich Frankfurter Kulturschaffende, die Anbindung zu lokalen und regionalen Künstlerinnen und Künstlern ist für mich wichtig.“ Aber Robert Bock bemüht sich auch um Stadtteilarbeit, wie er es nennt, und öffnet seine Ausstellungshalle für Kooperationen mit dem Einzelhandel, zum Beispiel, wenn eine Whiskymesse veranstaltet wird.
Frankfurt-Sachsenhausen: Warum ist das Brückenviertel so besonders?
Stadtteilarbeit ist auch der Brückenwall, eines der beliebtesten Straßenfeste Frankfurts, bei dem es seit 15 Jahren Kulinarisches, Kunst und Musik gibt und das durch das Angebot der Designerinnen so besonders ist. Hier gibt es eben nicht das 08/15-Zeug, das überall zu kaufen ist.
Der Gang durchs Viertel macht durstig und deshalb ist es höchste Zeit, auf einen Schoppen einzukehren. Ein guter Ort dafür ist die Apfelweinhandlung von Jens Becker in der Brückenstraße. In den Räumen einer ehemaligen Apotheke offeriert Becker eine große Auswahl von Apfelweinen aus kleinen regionalen Keltereien und Manufakturen und verführt seine Kundinnen und Kunden gerne dazu, etwas Neues zu probieren. Hier lässt es sich wunderbar darüber sinnieren, warum das Brückenviertel so besonders ist.
Alte Straßenzüge, mit neuen Ideen:
Was macht das Brückenviertel so besonders? Inwieweit kann es für Frankfurt beispielhaft sein?
Bei einem geführten Spaziergang mit unserem Guide Christian Setzepfandt treffen Sie die Vorsitzenden des Gewerbevereins, Gründerinnen und Gastronomen. Es gibt Infos zu Handel, Gewerbe und Neugründungen sowie der Geschichte des kreativen Herzes von Sachsenhausen.
Termine: Mittwoch, 20. Dezember und
Samstag, 24. Februar. Tickets unter:
www.frankfurter-stadtevents/brueckenviertel
18. Dezember 2023, 10.10 Uhr
Jasmin Schülke
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. Mehr von Jasmin
Schülke >>
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6. November 2024
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