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Handwerk lebt
Martin Schilling bindet neue Bücher nach altem Handwerk
Martin Schilling ist Buchbinder in Frankfurt. Er beherrscht die alten Techniken des Handwerks, seine Bücher sind meist Einzelanfertigungen. Teil 2 unserer Reihe über alte und neue Berufe.
Zwar gibt es am Tresen einen Computer und einen Drucker, im Arbeitsraum nebenan brummt eine elektrische Schneidemaschine. Doch alte Handwerksmaschinen dominieren das Bild in der kleinen Werkstatt. „Ich bin gerade am Vorsätzekleben“, sagt der 62-Jährige nach der Begrüßung. Diese sollen später den Buchblock mit dem Einband verbinden, dazu bestreicht Schilling vorsichtig einen Streifen des Vorsatzpapiers mit Leim. „Sammlung der Gefälls- und allgemeinen Verwaltungsvorschriften“ lautet der Titel des Buches aus
dem Jahr 1849, es ist eines der vielen alten Werke, die der Buchbinder im Auftrag der Senckenbergischen Bibliothek zu ihrem Schutz mit einem Einband versieht.
Wenn er die Bücher bekommt, sind sie notdürftig zusammengeheftet und mit einem dünnen Einband versehen – so wurden sie damals hergestellt. Bei manchen sind die Innenseiten so hauchdünn, dass man fürchtet, sie umzublättern, etwa in einem uralten Musterbuch für Schriftformen einer Mainzer Druckerei. Zum Schutz trägt Schilling auf diese Seiten einen speziellen Leim auf, so wird die Struktur fester. Die Bücher, die er schon fertig bearbeitet und mit einem soliden Einband versehen hat, stapeln sich auf einem der vielen Tische der Werkstatt. Wie viele Arbeitsschritte bis dahin fällig sind, weiß der Buchbinder gar nicht. „Zehn Stunden sind schnell zusammen“, sagt er. Anschließend kommen sie zurück zur Senckenbergischen Bibliothek, dort werden etwa die „Ackerbaulehre“ aus dem Jahr 1866, das Buch über die „Behandlung eines Weinstocks“ von 1858 oder die „Schwabenstreiche“, ebenfalls aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, archiviert.
Martin Schilling bindet unter anderem Zeitschriftenbände und Familienchroniken
Auch von Behörden erhält Schilling immer mal wieder Aufträge, so soll er Zeitschriften „Das Standesamt“ zusammenpacken und mit einem Einband versehen. Manchmal kommen auch Privatleute zu ihm, wie etwa ein Mann aus Bayern. „Chronik der Familie“ steht auf dem noblen roten Einband aus Rindsleder, die vielen Seiten des Buchs sind noch leer, sie sollen von den Familienmitgliedern im Lauf der Jahre handschriftlich gefüllt werden.
Info
Die Buchbinder unterteilen sich in zwei Fachrichtungen: Die einen arbeiten in der maschinellen Fertigung von großen Druckereien, ihre Aufgabe ist es, die Geräte und Maschinen entsprechend einzurichten sowie die Produktionsabläufe zu steuern. Bei der Einzelfertigung in den kleinen Werkstätten geht es deutlich langsamer zu: Feingefühl und handwerkliches Geschick sind gefragt, um ein Buch in seine endgültige Form zu bringen. Hier stellt der Buchbinder die Bücher mit verschiedenen Einband- und Bindetechniken her, alternativ kann er auch etwa Spiralbindungen nutzen. Zu seinen Aufgaben kann auch die Restauration von alten oder kaputten Büchern gehören, so werden herausgerissene oder defekte Seiten wieder vorsichtig instandgesetzt. Zudem stellt er auf Kundenwunsch Sonderanfertigungen her, etwa individuelle Vergoldungen oder Prägungen. Die Ausbildung zum Buchbinder dauert drei Jahre.
Der Ursprung des Buchbindens liegt in den Kirchen und Klöstern Europas
Der Ursprung des Buchbindens liegt in den Kirchen und Klöstern Europas, diese hatten viele Jahrhunderte lang das Monopol für das Schreiben und Vervielfältigen von
Büchern, wie es in einer Veröffentlichung des Zentral-Fachausschusses Berufsbildung Druck und Medien in Kassel heißt. Mit der Erfindung des Buchdrucks entstanden eigenständige Buchbindereien, die noch bis ins 19. Jahrhundert Bücher ausschließlich handwerklich fertigten. Erst im Zuge der aufkommenden Verlage wurde die maschinelle Fertigung eingeführt. Daneben hat sich aber die buchbinderische Einzel- und Sonderfertigung gehalten.
In die industrielle Fertigung zu gehen, war für den Frankfurter Schilling nie infrage gekommen. „Furchtbar laut, viel zu hektisch und ein enormer Arbeitsdruck“, sagt er. In seinen zwei Räumen in dem von Efeu bewachsenen Gebäude kann er in Ruhe vor sich hin werkeln, immer wieder kommen dem Buchliebhaber dabei interessante Werke auf den Tisch. Und am Ende steht das Erfolgserlebnis, etwa wenn er aus „einer Ruine“, wie er sagt, ein ansehnliches Buch gezaubert hat. Hierfür ist sein handwerkliches Können gefragt. Er beherrscht die vielen Fertigungstechniken, kennt die unterschiedlichen Klebstoffe und weiß, wie Papiere, Pappen, Folien, Kunststoffe, Leinen, Leder und Pergamente bearbeitet werden müssen.
Frisch ausgedruckte Seiten müssen sich erst mehrere Wochen lang erholen
„Es gibt physikalische Gesetze, die muss man beachten“, erklärt er, während er ein Buch in den manuellen Niederhalter einklemmt und mit einem Hammer auf den Rücken klopft, damit die Luft entschwindet. Immer wieder müssen bei seiner Arbeit Trocknungszeiten zwischen den einzelnen Schritten eingehalten werden, das Papier darf nur in seiner Laufrichtung geschnitten werden. Frisch ausgedruckte Seiten müssen sich erst mehrere Wochen lang erholen. Denn durch das Drucken werde das Papier ausgetrocknet, es müsse erst wieder Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen, so der Fachmann. Viele seiner Maschinen sind rund einhundert Jahre alt, er hat sie von früheren Frankfurter Buchbindereien übernommen, ebenso wie die Kasse aus den 1950er-Jahren, die auf seinem Tresen thront. Die Zahl der Buchbindereien geht auch in Frankfurt zurück, unter anderem als Folge der Digitalisierung. Auch Martin Schilling hat heute deutlich weniger Aufträge als in seinen Anfangsjahren.
Eigentlich hatte er nach seinem Abitur Schreiner werden wollen, er fand jedoch keinen Ausbildungsplatz. Ein Platz als Buchbinder war noch frei. Er lernte in einem Betrieb am Frankfurter Hauptbahnhof, den es schon längst nicht mehr gibt. 1993 machte er sich zusammen mit einem Kollegen selbstständig, zunächst in Bornheim. Anfang des neuen Jahrtausends zogen die beiden in die ehemalige Schlosserei nahe der Musterschule. Der Kollege hat letztes Jahr aufgehört, unter anderem das Firmenschild über dem Eingang erinnert noch an ihn. Schilling will weiterarbeiten, so lange es geht. Ob er einen Nachfolger finden wird? Daran glaubt er nicht. „Das kann man eigentlich keinem empfehlen“, sagt er nachdenklich.
Info
Buchbinderei Martin Schilling, Nordend, Eckenheimer Landstraße 34
Teil 1 der Reihe „Handwerk lebt“ über die Schuhmacherei Lenz im Bahnhofsviertel lesen Sie hier.
dem Jahr 1849, es ist eines der vielen alten Werke, die der Buchbinder im Auftrag der Senckenbergischen Bibliothek zu ihrem Schutz mit einem Einband versieht.
Wenn er die Bücher bekommt, sind sie notdürftig zusammengeheftet und mit einem dünnen Einband versehen – so wurden sie damals hergestellt. Bei manchen sind die Innenseiten so hauchdünn, dass man fürchtet, sie umzublättern, etwa in einem uralten Musterbuch für Schriftformen einer Mainzer Druckerei. Zum Schutz trägt Schilling auf diese Seiten einen speziellen Leim auf, so wird die Struktur fester. Die Bücher, die er schon fertig bearbeitet und mit einem soliden Einband versehen hat, stapeln sich auf einem der vielen Tische der Werkstatt. Wie viele Arbeitsschritte bis dahin fällig sind, weiß der Buchbinder gar nicht. „Zehn Stunden sind schnell zusammen“, sagt er. Anschließend kommen sie zurück zur Senckenbergischen Bibliothek, dort werden etwa die „Ackerbaulehre“ aus dem Jahr 1866, das Buch über die „Behandlung eines Weinstocks“ von 1858 oder die „Schwabenstreiche“, ebenfalls aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, archiviert.
Auch von Behörden erhält Schilling immer mal wieder Aufträge, so soll er Zeitschriften „Das Standesamt“ zusammenpacken und mit einem Einband versehen. Manchmal kommen auch Privatleute zu ihm, wie etwa ein Mann aus Bayern. „Chronik der Familie“ steht auf dem noblen roten Einband aus Rindsleder, die vielen Seiten des Buchs sind noch leer, sie sollen von den Familienmitgliedern im Lauf der Jahre handschriftlich gefüllt werden.
Die Buchbinder unterteilen sich in zwei Fachrichtungen: Die einen arbeiten in der maschinellen Fertigung von großen Druckereien, ihre Aufgabe ist es, die Geräte und Maschinen entsprechend einzurichten sowie die Produktionsabläufe zu steuern. Bei der Einzelfertigung in den kleinen Werkstätten geht es deutlich langsamer zu: Feingefühl und handwerkliches Geschick sind gefragt, um ein Buch in seine endgültige Form zu bringen. Hier stellt der Buchbinder die Bücher mit verschiedenen Einband- und Bindetechniken her, alternativ kann er auch etwa Spiralbindungen nutzen. Zu seinen Aufgaben kann auch die Restauration von alten oder kaputten Büchern gehören, so werden herausgerissene oder defekte Seiten wieder vorsichtig instandgesetzt. Zudem stellt er auf Kundenwunsch Sonderanfertigungen her, etwa individuelle Vergoldungen oder Prägungen. Die Ausbildung zum Buchbinder dauert drei Jahre.
Der Ursprung des Buchbindens liegt in den Kirchen und Klöstern Europas, diese hatten viele Jahrhunderte lang das Monopol für das Schreiben und Vervielfältigen von
Büchern, wie es in einer Veröffentlichung des Zentral-Fachausschusses Berufsbildung Druck und Medien in Kassel heißt. Mit der Erfindung des Buchdrucks entstanden eigenständige Buchbindereien, die noch bis ins 19. Jahrhundert Bücher ausschließlich handwerklich fertigten. Erst im Zuge der aufkommenden Verlage wurde die maschinelle Fertigung eingeführt. Daneben hat sich aber die buchbinderische Einzel- und Sonderfertigung gehalten.
In die industrielle Fertigung zu gehen, war für den Frankfurter Schilling nie infrage gekommen. „Furchtbar laut, viel zu hektisch und ein enormer Arbeitsdruck“, sagt er. In seinen zwei Räumen in dem von Efeu bewachsenen Gebäude kann er in Ruhe vor sich hin werkeln, immer wieder kommen dem Buchliebhaber dabei interessante Werke auf den Tisch. Und am Ende steht das Erfolgserlebnis, etwa wenn er aus „einer Ruine“, wie er sagt, ein ansehnliches Buch gezaubert hat. Hierfür ist sein handwerkliches Können gefragt. Er beherrscht die vielen Fertigungstechniken, kennt die unterschiedlichen Klebstoffe und weiß, wie Papiere, Pappen, Folien, Kunststoffe, Leinen, Leder und Pergamente bearbeitet werden müssen.
„Es gibt physikalische Gesetze, die muss man beachten“, erklärt er, während er ein Buch in den manuellen Niederhalter einklemmt und mit einem Hammer auf den Rücken klopft, damit die Luft entschwindet. Immer wieder müssen bei seiner Arbeit Trocknungszeiten zwischen den einzelnen Schritten eingehalten werden, das Papier darf nur in seiner Laufrichtung geschnitten werden. Frisch ausgedruckte Seiten müssen sich erst mehrere Wochen lang erholen. Denn durch das Drucken werde das Papier ausgetrocknet, es müsse erst wieder Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen, so der Fachmann. Viele seiner Maschinen sind rund einhundert Jahre alt, er hat sie von früheren Frankfurter Buchbindereien übernommen, ebenso wie die Kasse aus den 1950er-Jahren, die auf seinem Tresen thront. Die Zahl der Buchbindereien geht auch in Frankfurt zurück, unter anderem als Folge der Digitalisierung. Auch Martin Schilling hat heute deutlich weniger Aufträge als in seinen Anfangsjahren.
Eigentlich hatte er nach seinem Abitur Schreiner werden wollen, er fand jedoch keinen Ausbildungsplatz. Ein Platz als Buchbinder war noch frei. Er lernte in einem Betrieb am Frankfurter Hauptbahnhof, den es schon längst nicht mehr gibt. 1993 machte er sich zusammen mit einem Kollegen selbstständig, zunächst in Bornheim. Anfang des neuen Jahrtausends zogen die beiden in die ehemalige Schlosserei nahe der Musterschule. Der Kollege hat letztes Jahr aufgehört, unter anderem das Firmenschild über dem Eingang erinnert noch an ihn. Schilling will weiterarbeiten, so lange es geht. Ob er einen Nachfolger finden wird? Daran glaubt er nicht. „Das kann man eigentlich keinem empfehlen“, sagt er nachdenklich.
Buchbinderei Martin Schilling, Nordend, Eckenheimer Landstraße 34
Teil 1 der Reihe „Handwerk lebt“ über die Schuhmacherei Lenz im Bahnhofsviertel lesen Sie hier.
8. November 2024, 12.58 Uhr
Sabine Maurer
Sabine Maurer
Die gebürtige Hessin studierte BWL, mit dem Diplom in der Tasche machte sie zunächst ein Volontariat und sich danach als Journalistin selbstständig. Seit Frühjahr 2024 für die Klassikseiten im JOURNAL verantwortlich. Mehr von Sabine
Maurer >>
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Text: Lukas Mezler / Foto: Gloriosa, die größte Glocke Frankfurts © Harald Schröder
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23. Dezember 2024
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