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Demokratie gestalten
Was die katholische Kirche von Frankfurt lernen kann
Die katholische Kirche steht an einem Scheideweg, stellt Stadtdekan Johannes zu Eltz im JOURNAL fest. Was kann sie in Sachen Demokratie von Frankfurt lernen?
Katholische Kirche und Demokratie passen nicht gut zusammen, das weiß jeder. Päpste und Bischöfe wurden 100 Jahre lang nicht müde zu betonen, dass die Kirche keine Demokratie sei und auch keine werden könne. Die Forderung, die Kirche müsse mit der Zeit gehen und ihre Strukturen demokratisieren, verkenne das Wesen der Kirche, die keine von Menschen gemachte Einrichtung sei, sondern eine von Gott gegründete und geleitete Glaubensgemeinschaft mit einer heiligen Ordnung.
1870 hatte das I. Vatikanische Konzil die katholische Kirche zur Festung ausgebaut und die Hierarchie als Wächter auf die Zinnen gesetzt. Der Antimodernismus wurde in Rom Programm, allerdings mit hochmodernen Mitteln. Was in der Gründerzeit vielerorts die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland beförderte und nicht zuletzt in Frankfurt die Kultur beflügelt hat, das erschien Papst Pius IX wie die Pforten der Hölle, vor denen sich die Gläubigen auf den Fels Petri retten sollten.
Die im Bismarck-Reich drangsalierten Katholiken organisierten sich in Deutschland erfolgreich als große Randgruppe und scharten sich hinter Papst und Bischöfen. Das unrühmliche Ende der Hohenzollern-Monarchie und die Demütigung Deutschlands im Versailler Vertrag trafen die „Ultramontanen“ weniger hart als die treudeutschen Protestanten.
„Missbrauch und Vertuschung haben die katholische Kirche hart getroffen“
Im Zentrum hatten sie eine erprobte und wirkungsvolle Organisation für Politik aus katholischer Sicht. Als die Weimarer Republik nach 14 Jahren sich der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ergab, sank die katholische Kirche nicht auch dahin, sondern hielt an vielen Stellen stand. Sie war in Wirklichkeit bei weitem nicht so heldenmütig im Widerstand und so gefeit gegen den völkischen Ungeist, wie sie sich selber gerne sah, aber nach 1945 stand sie doch frei und stolz unter Gedemütigten und hatte gewaltig viel Kredit, auf den sie im Nachkriegsdeutschland überall anschreiben ließ.
Dieser Kredit ist in Deutschland spätestens seit 2010 aufgezehrt. Gutes Ansehen ging mit der Enthüllung von Missbrauch durch Geistliche und Vertuschung durch Vorgesetzte verloren. Die katholische Kirche steht bei uns im kurzen Hemd da. Die Hartleibigkeit reaktionärer Bischöfe und römischer Behörden, an denen Reformvorschläge und Demokratisierungsansätze einfach abprallen, wirkt, wenn man sich solche Blößen gibt, nicht mehr erhaben, sondern lächerlich.
Was das Grundgesetz für die Gläubigen bedeutet
Der Ton der Kirchenkritik in den Medien ist viel schärfer geworden. Auch in Parlamenten und Verwaltungen macht sich vielerorts ein kaltes Misstrauen breit, dem sich Kirchenvertreter seit Menschengedenken nicht mehr ausgesetzt sahen. Die katholische Kirche steht also an einem Scheideweg und zögert. Wo ist der Weg Jesu, wo geht es Richtung Reich Gottes? Dass die Weltkirche jetzt wie vor 150 Jahren die Reihen schließt und in eine Richtung marschiert, ist sehr unwahrscheinlich.
Auch was in diesen Tagen von der Weltsynode nach außen dringt, spricht nicht dafür. Auf dem Papier steht immer noch der rechtliche Allmachtsanspruch des Papstes, der in der Ausübung seines Lehramtes unfehlbar ist. Aber die Transmission seiner zentralen Befehlsgewalt funktioniert über weite Strecken nicht mehr, vor allem dort nicht, wo das politische Umfeld eine absolutistische Begründung von Herrschaft nicht stützt.
Der Glaube der Gläubigen wird eben nicht nur von kirchlicher Katechese und katholisch-kultureller Prägung, sondern auch von den allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt. Die ergeben sich in Deutschland seit 1949 im Rahmen des Grundgesetzes, das eine große Mehrheit selbstverständlich gut findet, mit Betonung auf „selbstverständlich“, und auf dessen Freiheits- und Teilhaberechte auch am rechten und linken Rand die verwöhnten Verächter des Systems nicht verzichten wollen.
„Katholische Kirche sollte demokratische Gepflogenheiten nicht weiter ignorieren“
Wenn die katholische Kirche, der man die Kreditlinie gekündigt hat und keinen Sonderweg mehr zubilligt, weiter darauf beharrt, demokratische Gepflogenheiten zu ignorieren, verliert sie immer mehr Resonanz und Relevanz in der Gesellschaft und exkulturiert sich selber. Das für christlichen Widerstand gegen den Zeitgeist zu erklären, wie es lautstark die kirchliche Rechte tut, ist ein groteskes Missverständnis, das sich nur aus der Psycho-Logik des Narzissmus erklären lässt.
In Wirklichkeit machen wir uns so selber die Erfüllung unseres Auftrages unmöglich, das Evangelium unter die Leute zu bringen, denn die wollen die Botschaft nicht hören, wenn sie die Boten schräg und die Kirche anachronistisch finden. Wer gegen den Strom schwimmen will und Lust auf christlichen Widerstand hat, soll das unverkürzte Evangelium verkünden, in dem jede Menge Sprengstoff für das saturierte Selbstbewusstsein säkularisierter Gesellschaften steckt.
Frankfurt als Vorbild für künftigen Weg der katholischen Kirche
Das kann man aber nur dann tun, wenn man sich in diesen Gesellschaften einen Platz erarbeitet, von dem aus man gehört und verstanden wird. Um diese Arbeit kommen in einem weltlichen Gemeinwesen Kirchenmenschen nicht herum, auch hochrangige Kleriker nicht. Die Zeiten, in denen uns dafür ein rotsamtenes Stühlchen in der ersten Reihe reserviert wurde, sind vorbei.
Jetzt kommt Frankfurt ins Spiel. Hier gab es das rotsamtene Stühlchen nämlich noch nie, und wer darauf besteht, den guckt der Frankfurter stirnrunzelnd an und sagt: „Heer mer uff!“ Die Stadt war immer bürgerlich geprägt; eine Republik schon, als das Patriziat herrschte, nach 1870 vorneweg in der demokratischen Bewegung. Kaiser, Bischöfe und andere hohe Herrschaften sah man hier immer gerne kommen, vor allem wenn sie für Umsatz sorgten, aber dann auch gerne wieder gehen.
Vorrechte aus Abstammung und Weihe leuchten dem gemeinen Frankfurter nicht ein. Schon 1525 war Frankfurt evangelisch, das passte besser zu Handel und Wandel. Danach galt folgende Faustregel: „Die Lutheraner haben die Macht, die Reformierten haben das Geld, und die Katholiken haben die Kirchen“. Im 19. Jahrhundert war die katholische Kirche in Frankfurt, selber eher am Rand der guten Gesellschaft, für die kleinen Leute da.
„In Frankfurt passen Demokratie und katholische Kirche schon lange ziemlich gut zusammen“
Das hat sie auf links gedreht, und das spürt man bis heute. Die Demokratiebewegung seit dem Vormärz hat viele Katholiken den Kopf heben lassen. Der Tiroler Benediktiner Beda Weber war 1848 Abgeordneter in der Paulskirche, ehe er Stadtpfarrer von Frankfurt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg hat die linkskatholische Rhein-Mainische Volkszeitung Demokratie und Republik verteidigt; der junge Walter Dirks hat sich dort die ersten Sporen verdient.
Mit dem Bild des Kirchengeschichtlers Hubert Wolf gesprochen: Unter der Frankfurter Stadtkirche gibt es eine Krypta, in der die Zeugnisse einer wagemutigen und fortschrittsfreudigen Zeitgenossenschaft aufbewahrt werden. In Frankfurt passen Demokratie und katholische Kirche schon lange ziemlich gut zusammen. Was einmal war, das kann wieder werden, und was hier geht, das geht auch anderswo.
Johannes zu Eltz © Angelika Zinzow/KNA
Info
Stadtdekan Dr. Johannes zu Eltz wurde 1957 in Eltville geboren und wuchs im Rheingau auf. Nach Abschluss seines Jurastudiums entschloss er sich, Philosophie und Theologie in Frankfurt und Rom zu studieren. 1991 wurde er im Limburger Dom zum Priester geweiht. 1995 Pfarrer im Westerwald, war er von 1999 bis 2010 Leiter des kirchlichen Gerichts in Limburg und von 2006 bis 2010 Stadtdekan von Wiesbaden. Seit August 2010 ist er Stadtdekan von Frankfurt und bischöflicher Kommissar, Pfarrer in der Dompfarrei St. Bartholomäus mit ihren Kirchorten und Vorsitzender des Caritasrates.
1870 hatte das I. Vatikanische Konzil die katholische Kirche zur Festung ausgebaut und die Hierarchie als Wächter auf die Zinnen gesetzt. Der Antimodernismus wurde in Rom Programm, allerdings mit hochmodernen Mitteln. Was in der Gründerzeit vielerorts die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland beförderte und nicht zuletzt in Frankfurt die Kultur beflügelt hat, das erschien Papst Pius IX wie die Pforten der Hölle, vor denen sich die Gläubigen auf den Fels Petri retten sollten.
Die im Bismarck-Reich drangsalierten Katholiken organisierten sich in Deutschland erfolgreich als große Randgruppe und scharten sich hinter Papst und Bischöfen. Das unrühmliche Ende der Hohenzollern-Monarchie und die Demütigung Deutschlands im Versailler Vertrag trafen die „Ultramontanen“ weniger hart als die treudeutschen Protestanten.
Im Zentrum hatten sie eine erprobte und wirkungsvolle Organisation für Politik aus katholischer Sicht. Als die Weimarer Republik nach 14 Jahren sich der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ergab, sank die katholische Kirche nicht auch dahin, sondern hielt an vielen Stellen stand. Sie war in Wirklichkeit bei weitem nicht so heldenmütig im Widerstand und so gefeit gegen den völkischen Ungeist, wie sie sich selber gerne sah, aber nach 1945 stand sie doch frei und stolz unter Gedemütigten und hatte gewaltig viel Kredit, auf den sie im Nachkriegsdeutschland überall anschreiben ließ.
Dieser Kredit ist in Deutschland spätestens seit 2010 aufgezehrt. Gutes Ansehen ging mit der Enthüllung von Missbrauch durch Geistliche und Vertuschung durch Vorgesetzte verloren. Die katholische Kirche steht bei uns im kurzen Hemd da. Die Hartleibigkeit reaktionärer Bischöfe und römischer Behörden, an denen Reformvorschläge und Demokratisierungsansätze einfach abprallen, wirkt, wenn man sich solche Blößen gibt, nicht mehr erhaben, sondern lächerlich.
Der Ton der Kirchenkritik in den Medien ist viel schärfer geworden. Auch in Parlamenten und Verwaltungen macht sich vielerorts ein kaltes Misstrauen breit, dem sich Kirchenvertreter seit Menschengedenken nicht mehr ausgesetzt sahen. Die katholische Kirche steht also an einem Scheideweg und zögert. Wo ist der Weg Jesu, wo geht es Richtung Reich Gottes? Dass die Weltkirche jetzt wie vor 150 Jahren die Reihen schließt und in eine Richtung marschiert, ist sehr unwahrscheinlich.
Auch was in diesen Tagen von der Weltsynode nach außen dringt, spricht nicht dafür. Auf dem Papier steht immer noch der rechtliche Allmachtsanspruch des Papstes, der in der Ausübung seines Lehramtes unfehlbar ist. Aber die Transmission seiner zentralen Befehlsgewalt funktioniert über weite Strecken nicht mehr, vor allem dort nicht, wo das politische Umfeld eine absolutistische Begründung von Herrschaft nicht stützt.
Der Glaube der Gläubigen wird eben nicht nur von kirchlicher Katechese und katholisch-kultureller Prägung, sondern auch von den allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt. Die ergeben sich in Deutschland seit 1949 im Rahmen des Grundgesetzes, das eine große Mehrheit selbstverständlich gut findet, mit Betonung auf „selbstverständlich“, und auf dessen Freiheits- und Teilhaberechte auch am rechten und linken Rand die verwöhnten Verächter des Systems nicht verzichten wollen.
Wenn die katholische Kirche, der man die Kreditlinie gekündigt hat und keinen Sonderweg mehr zubilligt, weiter darauf beharrt, demokratische Gepflogenheiten zu ignorieren, verliert sie immer mehr Resonanz und Relevanz in der Gesellschaft und exkulturiert sich selber. Das für christlichen Widerstand gegen den Zeitgeist zu erklären, wie es lautstark die kirchliche Rechte tut, ist ein groteskes Missverständnis, das sich nur aus der Psycho-Logik des Narzissmus erklären lässt.
In Wirklichkeit machen wir uns so selber die Erfüllung unseres Auftrages unmöglich, das Evangelium unter die Leute zu bringen, denn die wollen die Botschaft nicht hören, wenn sie die Boten schräg und die Kirche anachronistisch finden. Wer gegen den Strom schwimmen will und Lust auf christlichen Widerstand hat, soll das unverkürzte Evangelium verkünden, in dem jede Menge Sprengstoff für das saturierte Selbstbewusstsein säkularisierter Gesellschaften steckt.
Das kann man aber nur dann tun, wenn man sich in diesen Gesellschaften einen Platz erarbeitet, von dem aus man gehört und verstanden wird. Um diese Arbeit kommen in einem weltlichen Gemeinwesen Kirchenmenschen nicht herum, auch hochrangige Kleriker nicht. Die Zeiten, in denen uns dafür ein rotsamtenes Stühlchen in der ersten Reihe reserviert wurde, sind vorbei.
Jetzt kommt Frankfurt ins Spiel. Hier gab es das rotsamtene Stühlchen nämlich noch nie, und wer darauf besteht, den guckt der Frankfurter stirnrunzelnd an und sagt: „Heer mer uff!“ Die Stadt war immer bürgerlich geprägt; eine Republik schon, als das Patriziat herrschte, nach 1870 vorneweg in der demokratischen Bewegung. Kaiser, Bischöfe und andere hohe Herrschaften sah man hier immer gerne kommen, vor allem wenn sie für Umsatz sorgten, aber dann auch gerne wieder gehen.
Vorrechte aus Abstammung und Weihe leuchten dem gemeinen Frankfurter nicht ein. Schon 1525 war Frankfurt evangelisch, das passte besser zu Handel und Wandel. Danach galt folgende Faustregel: „Die Lutheraner haben die Macht, die Reformierten haben das Geld, und die Katholiken haben die Kirchen“. Im 19. Jahrhundert war die katholische Kirche in Frankfurt, selber eher am Rand der guten Gesellschaft, für die kleinen Leute da.
Das hat sie auf links gedreht, und das spürt man bis heute. Die Demokratiebewegung seit dem Vormärz hat viele Katholiken den Kopf heben lassen. Der Tiroler Benediktiner Beda Weber war 1848 Abgeordneter in der Paulskirche, ehe er Stadtpfarrer von Frankfurt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg hat die linkskatholische Rhein-Mainische Volkszeitung Demokratie und Republik verteidigt; der junge Walter Dirks hat sich dort die ersten Sporen verdient.
Mit dem Bild des Kirchengeschichtlers Hubert Wolf gesprochen: Unter der Frankfurter Stadtkirche gibt es eine Krypta, in der die Zeugnisse einer wagemutigen und fortschrittsfreudigen Zeitgenossenschaft aufbewahrt werden. In Frankfurt passen Demokratie und katholische Kirche schon lange ziemlich gut zusammen. Was einmal war, das kann wieder werden, und was hier geht, das geht auch anderswo.
Johannes zu Eltz © Angelika Zinzow/KNA
Stadtdekan Dr. Johannes zu Eltz wurde 1957 in Eltville geboren und wuchs im Rheingau auf. Nach Abschluss seines Jurastudiums entschloss er sich, Philosophie und Theologie in Frankfurt und Rom zu studieren. 1991 wurde er im Limburger Dom zum Priester geweiht. 1995 Pfarrer im Westerwald, war er von 1999 bis 2010 Leiter des kirchlichen Gerichts in Limburg und von 2006 bis 2010 Stadtdekan von Wiesbaden. Seit August 2010 ist er Stadtdekan von Frankfurt und bischöflicher Kommissar, Pfarrer in der Dompfarrei St. Bartholomäus mit ihren Kirchorten und Vorsitzender des Caritasrates.
2. April 2024, 11.00 Uhr
Johannes zu Eltz
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23. November 2024
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