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Foto: Stephanie Kreuzer
Foto: Stephanie Kreuzer

Auf Streife in Frankfurt

Nachts mit der Polizei durchs Bahnhofsviertel

„No-Go“-Area oder „Zombieland“ – das Bahnhofsviertel in Frankfurt genießt keinen guten Ruf. Unsere Autorin hat eine Polizeistreife durch die Nachtschicht begleitet und sich ein eigenes Bild gemacht.
Im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft ging es in – ausländischen – Medien hoch her, um die nach Frankfurt reisenden Fans vor dem Bahnhofsviertel zu warnen. Junkie-Elend, Drogen-Deals, Obdachlosigkeit, Dreck, Gewalt und Kriminalität seien an der Tagesordnung, hieß es da; von „Zombieland“ oder „Höllenloch“ war zu lesen, „der gefährlichste Slum Deutschlands“ hieß es gar bei der britischen Boulevard-zeitung „Sun“.

Brennpunkt Frankfurter Bahnhofsviertel: Waffenverbot und erhöhte Polizeipräsenz

Man mag dies für dramatisiert oder überspitzt halten, doch ganz offensichtlich ist das Bahnhofsviertel DER Brennpunkt in der Stadt. So ist die Verbesserung der objektiven Sicherheitslage ein dringendes Thema, das Politik und Polizei auf den Plan gerufen hat. Seit vergangenen November gilt dort nun täglich von 20 bis 5 Uhr ein verschärftes Waffenverbot, und die Videoüberwachung wurde mit weiteren Standorten ausgebaut; auch hat die Polizei schon seit September 2022 ihre Präsenz im Viertel stark erhöht. Täglich ist sie hier rund um die Uhr mit zahlreichen Kräften verschiedener Einheiten – uniformiert und zivil – tätig.

Zusätzlich soll eine engere Kooperation zwischen Stadt- und Landespolizei, die seit Mai in gemeinsamer Streife täglich viele Stunden zu Fuß unterwegs sind, das Karree zwischen Bahnhofsvorplatz und Moselstraße niederschwellig ein wenig „befrieden“ und den öffentlichen Raum wieder zurückgewinnen, wie es Polizeisprecher Björn Thies formuliert. Nicht zuletzt gibt es mit dem „Schutzmann vor Ort“ (SvO) eine polizeiliche Kontaktperson für die Gewerbetreibenden und Anwohner; im August wird noch ein zweiter SvO seine Tätigkeit als Ohr und Stimme des Viertels aufnehmen.

Frankfurter Polizeihauptkommissar Dietz: „Was wir hier erleben, ist eben nicht alltäglich“

Teil des Gesamtkonzepts ist auch OSSIP, eine offensive, aufsuchende Sozialarbeit für Drogenkonsumenten. Die Streetworker arbeiten eng mit den für das Bahnhofsviertel zuständigen Polizeibeamten der Regionalen Einsatz- und Ermittlungseinheit und des 4. Polizeireviers zusammen. Einer davon ist der 37-jährige Markus Dietz, der sich bescheiden gibt: „Wir sind letztlich nur ein kleiner Baustein in diesem Gefüge, in dem wir unsere polizeilichen Aufgaben erledigen. Das sind im Wesentlichen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr.“

Der Polizeihauptkommissar war bereits 13 Jahre auf dem 1. Revier in der Innenstadt tätig und ist nun seit gut einem Jahr stellvertretender Dienstgruppenleiter beim 4. Revier; für ihn eine Art „Erdung“: „Hier erleben wir viel Elend und dürfen uns nicht davon entmutigen lassen. Zudem müssen wir mit den unterschiedlichsten Klientelen und Milieus, ob Rotlicht, Drogenszene oder Partygänger, umgehen können. Dafür brauchen wir eine gewisse Form von Langmut und ein dickes Fell, denn das, was wir hier auf der Straße erleben, ist eben nicht alltäglich.“

Dietz: „Wir sind alle auf dem Revier, weil wir wirklich hier sein wollen“

Für sein Team wünscht er sich eine gesunde Mischung verschiedener Charaktere und Eigenschaften, „weil man damit viel differenzierter auf bestimmte Situationen reagieren kann. Wir werden hier auf vielfältigste Art und Weise intensiv und häufig gefordert, mit extrem hoher Schlagzahl, und darauf muss man sich jeweils – sehr flexibel – einlassen können.“ Gerade aber Kollegen, die nicht aus Frankfurt stammen, seien angesichts der Zustände, die sie in Teilen des Viertels antreffen, anfangs beeindruckt.

Trotz aller Belastungen sei die Fluktuation aber sehr gering, was er auf den Zusammenhalt und das soziale Gefüge in den Dienstgruppen zurückführt: „Solange das stimmt, kann die Arbeit noch so anstrengend, fordernd oder auch skurril sein; das fängt dann vieles auf. Wir sind alle auf diesem Revier, weil wir wirklich hier sein wollen!“



©Stephanie Kreuzer

Im Frankfurter Bahnhofsviertel kann alles passieren: vom einfachen Blechschaden bis zur Messerstecherei

Gemeinsam mit seinem 25-jährigen Streifenpartner Leo, der ebenso besonnen, ruhig und „bei sich angekommen“ wirkt, geht es nun an einem Freitagabend in den Streifendienst. „Fremdgesteuert“ seien sie, betont Dietz, denn zumeist bekämen sie ja Aufträge von der Wach- oder Leitstelle zugetragen. Ansonsten zeigen sie Präsenz und achten darauf, ob Leute auf der Straße auf sich aufmerksam machen, um auf etwas hinzuweisen. Ihre Zuständigkeit erstreckt sich auch auf das Gallus- und Gutleutviertel, und da könne alles passieren – vom Unfall bis hin zur Messerstecherei.

Wie zum Beweis führt der erste Einsatz zu einem kleinen Blechschaden: In der Mannheimer Straße hat ein Linienbus im Vorbeifahren ein Auto gestreift, ein Passagier hat sich leicht verletzt. Alle Daten und Fotos werden in einer speziell für die Polizei Hessen entwickelten Handy-App erfasst, was die spätere Schreibtischarbeit wesentlich erleichtert. Wenig später geht es gerade ums Eck, in der Karlsruher Straße, wieder um einen Blechschaden. Da es sich um zwei Firmenwagen handelt, ist es den Fahrern wichtig, dass die Polizei den Unfall aufnimmt. „Sowas bindet natürlich Kräfte, aber wir unterstützen uns immer gegenseitig, ob innerhalb des Reviers, durch ein Nachbarrevier oder eine andere Einheit. Das macht das Arbeiten hier recht angenehm und auch sicherer“, so Dietz.

Viele Anfragen an Dietz und seine Kollegen: „Sobald man eine Uniform trägt wird erwartet, dass wie alles wissen“

Apropos Sicherheit: Viele Läden in und um die Kaiserstraße beschäftigen mittlerweile einen eigenen Security-Dienst, der allerdings nur bis zur Türschwelle tätig werden darf. Als eine handgreifliche Auseinandersetzung von – stark betrunkenen – jungen Männern vor einem Supermarkt eskaliert, sind Polizeibeamte gefragt. Schnell beruhigt sich das Ganze, und auch die zahlreichen Zaungäste schauen eher gelangweilt zu. „Sowas ist ja nichts Außergewöhnliches hier“, kommentiert der 37-Jährige. Nicht selten werden er und seine Kollegen auch mit anderweitigen Anfragen konfrontiert: „Sobald man eine Uniform trägt, ist man Ansprechpartner für alles, und es wird erwartet, dass wir alles wissen!“

Gegen 22 Uhr gönnen sich die Streifenkollegen eine Essenspause; es gibt ausnahmsweise einen Burger, denn beide achten eigentlich schon auf eine gesunde Ernährung und treiben viel Sport, wie sie schmunzelnd berichten. Gesund seien auch die Einstellung und Motivation gewesen, die er bereits im Praktikum vermittelt bekommen habe, erzählt Dietz: „Dass man weiß, wofür man da ist, und dass man das gerne macht. Wir leisten hier einen Dienst am Bürger, so platt sich das auch anhört, und wichtig ist es für mich, dass wir den Dingen mit einer gesunden Menschlichkeit begegnen und immer versuchen zu helfen, so schwierig das auch sein mag.“

Streifenpartner Leo: Tägliche Konfrontation mit Elend „stumpft definitiv ab“

Sein Kollege Leo, der seit drei Jahren im Bahnhofsviertel unterwegs ist, achtet darauf, nichts mit nach Hause zu nehmen, denn die Familie würde vieles oft ganz anders einordnen: „Wir sehen hier täglich viel Elend und menschliche Abgründe, die für uns – leider – normal werden. Da stumpft man ab, definitiv.“ Um das selbst gut zu verarbeiten, führt er Gespräche mit seinen Kollegen.

Gegen 23 Uhr werden zwei Ruhestörungen gemeldet. An einem Kiosk im Gallusviertel lässt sich das rasch klären, doch die Betrunkenen, die am Westhafen lautstark campieren, sind nur bedingt ansprechbar, dürfen aber nach deutlicher Ermahnung erst mal bleiben. Bis zum frühen Morgen folgen noch Nachbarschaftsstreitigkeiten, die Schlichtung zwischen einem Taxifahrer und einem Fahrgast sowie die Durchsetzung des Hausrechts in einem Hotel.

Dietz konstatiert einen gewöhnlichen Verlauf der Nacht: „Man erlebt jeden Tag etwas Neues, und man weiß nicht, was auf einen zukommt. Ich bin ja immer schon froh, wenn keine Menschen zu Schaden kommen und niemand mit gefährlichen Gegenständen auf einen anderen losgegangen ist. Gerade wenn Alkohol im Spiel ist, kann es nämlich immer rasch eskalieren und unübersichtlich werden. Heute aber war es durchgängig sehr ruhig und friedlich.“ Alles ist eben relativ.

Info
Zahlen zur Videoschutzanlage und Waffenverbotszone
Mithilfe der Videoschutzanlage im Bahnhofsgebiet konnten seit 1. Januar 2024 302 Tatverdächtige identifiziert werden. In der seit 1. November 2023 für Teile des Bahnhofsgebiets geltenden Waffenverbotszone konnten bislang 67 Verstöße festgestellt und entsprechende Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet werden (Stand 2. Juli 2024).
 
Fotogalerie:
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23. August 2024, 11.15 Uhr
Stephanie Kreuzer
 
 
 
 
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