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Roma in Frankfurt

"Sozialpolitsch Flickschusterei"

Joachim Brenner vom Förderverein Roma kritisiert den Umgang der Stadt mit Armutszuwanderern als Politik der "Kontrolle und Vertreibung". Ein Interview zu unserer großen Roma-Reportage im aktuellen JOURNAL FRANKFURT.
Der Diplompädagoge Joachim Brenner, 58 Jahre alt, ist Gründungsmitglied und Geschäftsführer des Fördervereins Roma. Seit 25 Jahren setzt sich der Verein für die ethnische Minderheit in Frankfurt ein - mit einer Sozialberatung, Jugend- und Erwachsenenbildungsprojekten sowie der Kindertagesstätte Schaworalle. Im Interview spricht Brenner über die jüngsten Entwicklungen der Zuwanderung aus Osteuropa.

JOURNAL FRANKFURT: Herr Brenner, seit 2007 gehören Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union, seit diesem Jahr gibt es die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Haben Sie seitdem mehr zu tun?

Joachim Brenner: Nein. Diese ganze Begrifflichkeit von Flut, Stroms und Welle – das ist Panikmache. Wir stellen fest, dass wir in der Sozialberatung natürlich mehr zu tun haben, aber wir haben es auch mehr mit Leuten zu tun, die in gänzlich armen Verhältnissen leben. Wenn jemand hier herkommt und hat innerhalb kürzester Zeit eine Perspektive auf Arbeit und Wohnung, dann ist nicht so viel zu machen. Wenn aber jemand hierher kommt auf der Straße lebt, keine Ausbildung hat und die schlechtesten Voraussetzungen Arbeit zu finden, mit Partner und Kindern kommt, dann haben wir unheimlich viel zu tun: mit Existenzsicherung, gesundheitlicher Versorgung, Unterbringung. In dem Bereich hat die Arbeit zugenommen, aber wir können nicht sagen, dass es hier eine exorbitante Steigerung der Anfragen gab.

In Osteuropa werden Roma bekanntlich stark diskriminiert. Wie sehen Sie die Situation in Deutschland?


Wir stellen fest, dass sich die Situation nicht verbessert hat. Das kann man an jüngeren Entwicklungen festmachen. Spätestens vor anderthalb Jahren ist es wieder losgegangen: Im Zuge des Wahljahres hat man sehr gezielt Stimmung gemacht – und im Zentrum standen Sinti und Roma, sowohl aus Deutschland als auch Migranten. Die Stimmung ging vom rechten Rand aus, hat aber auch ihren Niederschlag in der Mitte der Gesellschaft gefunden. Hier konnte man sehen, dass die Mehrheit der Bevölkerung sehr schnell zu mobilisieren ist gegen eine Minderheit, gegen die die Mehrheit traditionell seit Jahrhunderten – ähnlich wie beim Antisemitismus – rassistische Ressentiments hat. Wir merken auch im institutionellen Umgang in der Stadtöffentlichkeit, dass diese Ressentiments zugenommen haben. Die meisten Roma-Migranten sind EU-Bürger. Im Zuge der Gleichbehandlung und des Diskriminierungsverbots ist es nicht zulässig, die Leute hier zu behandeln wie den letzten Dreck. Aber selbst da sind Erlasse, Verordnungen, Urteile und Praxis geprägt von Ressentiments und Vorurteilen. Das gibt es in den Behörden in Frankfurt wie in der breiten Gesellschaft. Wir werden auch das ein oder andere Mal damit konfrontiert in Briefen oder Anrufen oder Belästigungen. Es ist nicht alarmierend, aber es nimmt zu. Das ist ein Indikator für die gesellschaftliche Stimmung. Die letzten demoskopischen Untersuchungen von soziologischen Instituten zeigen, dass die Ressentiments nicht nachgelassen haben, sondern nach wie vor manifest sind. Bei der Wohnungssuche haben Sinti und Roma beispielsweise große Probleme.

Bald könnte es für ausländische EU-Bürger leichter werden, ALG II zu bekommen ...


Wir hoffen, dass der Bezug von Leistungen für diese Leute erleichtert wird. Es ist eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit. Im Zuge der EU-Osterweiterung haben wir es hier mit einer Entwicklung zu tun, die hausgemacht ist. Man kann nicht sagen: „Armut soll bitte an den Randbezirken von prosperierenden Teilen Europas bleiben, und wir wollen nur die, die wir brauchen können und die anderen können im Elend verkommen.“ Das geht nicht. Das betrifft nicht nur Roma, sondern viele Leute, die arm sind, auch aus Griechenland, Spanien und Italien.

Wie geht die Stadt Ihrer Ansicht nach mit der Armutszuwanderung um?


Nach wie vor mit Kontrolle und Abschreckung. Indem Leute vertrieben werden, indem sie aufgefordert werden, die Stadt zu verlassen. Vor einigen Jahren wurde eine kleine Siedlung im Riederwald zwei Mal hintereinander vom Ordnungsdezernenten Volker Stein geräumt. Die adäquaten Hilfsangebote erfolgen nicht. Nach wie vor hat man darauf gehofft, dass wenn man die Situation so belässt, die Menschen aus Osteuropa nicht kommen. Das ist Humbug. Frankfurt muss sich vergegenwärtigen, eine andere ökonomische Potenz zu haben als etwa Berlin, und nutzt die nicht. Frankfurt wäre zu anderen Leistungen in der Lage, weil sie sie auch finanzieren könnte. Hier schiebt man das Problem vor sich her. Warum steht auf der Industriebrache im Gutleutviertel bis heute nicht einmal ein Versorgungscontainer? Das ist sozialpolitisch Flickschusterei. Wir müssen uns mit der politischen Realität auseinandersetzen, dass die Leute kommen – ob man das will oder nicht. Man kann riskieren, dass es slumähnliche Zustände gibt mit den ganzen Begleiterscheinungen, oder man schafft geeignete Versorgung, Unterkünfte und Bildungsmaßnahmen. Es kann nicht sein, dass die Leute in diesen Erdlöchern sich selbst überlassen werden. Wenn sie vertrieben werden, kommen andere.

Im November haben die Dezernate einen runden Tisch zur Armutszuwanderung initiiert. Nehmen Sie daran teil?

Wir sind nicht eingeladen. Die offizielle Stellungnahme ist, dass die verwaltungsinterne Abstimmung noch nicht so ist, dass externe Vereine geladen werden können. Das soll in einem späteren Schritt der Fall sein. Ich bedaure das, weil eigentlich zu so einer Aktivität von Anfang an gehört, dass alle, die zu diesem Bereich etwas zu sagen haben, sich austauschen.

Wenn Sie an diesem runden Tisch teilnehmen dürften, welche Maßnahme würden Sie vorschlagen?


Zunächst einmal sollte man in dem Bereich etwas unternehmen, der am schwierigsten ist: Das sind Leute, die obdachlos sind, die keine Versorgung haben und unter gesundheitlich schlechten Bedingungen leben müssen, auch mit Kindern, die in die Schule gehen müssten. Man sollte etwas in den Bereichen Unterkunft, Versorgung und Gesundheit machen. Zum Beispiel Wohnprojekte. Ähnlich wie in Berlin in der Harzer Straße, wo 300 Roma in einem Wohnprojekt leben, sollte man so etwas auch hier in Angriff nehmen. Der zweite Schritt ist dann, Bildungsangebote zu machen. Solange alles andere prekär bleibt, nicht geregelt ist und von Elend und Armut geprägt ist, kann man von den Leuten nicht erwarten, dass sie eine offene Sichtweise für die Bildung haben.

Sie haben ein Wohnprojekt in den Villen auf dem Kulturcampus Bockenheim vorgeschlagen. Doch die Reaktion der Stadt, war, wie sie berichtet haben, reserviert.

Das hat mich schon gewundert. Als wir das Projekt zum ersten Mal vor einigen Wochen vorgestellt haben, hat das Sozialdezernat gesagt: Wollen wir nicht, das ist eine Zusammenballung von vielen Problemen, ist auch kein Geld für da. Das hatte mich gewundert, weil ich der Auffassung bin, man sollte sich zunächst informieren, sich interessieren oder das als Chance begreifen. Auch die ABG Frankfurt Holding hat sich schnell positioniert, dass es fragwürdig sei, ob das Projekt Chancen hat. Meine Einschätzung ist, dass die ABG dieses Grundstück für viel Geld verkaufen will. Dabei gibt es doch eine Bestimmung, dass 30 Prozent der Wohnungen für soziales Wohnen vorgesehen und dass Wohnprojekte zu berücksichtigen sind. Dass unser Wohnprojekt mit großen Ressentiments betrachtet wird, ist für mich nicht nachvollziehbar.

Wie sieht das Konzept aus?


Die Idee ist, ein Wohnprojekt für 80 bis 120 Personen, also zehn bis 15 Familien, zu entwickeln. Auf der einen Seite sollen die berücksichtigt werden, denen es im Augenblick am schlechtesten geht, auf der anderen Seite Roma-Familien, die schon länger hier leben sowie deutsche Roma-Familien. Es soll auch ein adäquates, kindgerechtes und generationsübergreifendes Wohnen geben und eine enge Kooperation mit den anderen Wohnprojekten auf dem Kulturcampus – insbesondere mit dem Philosophikum. Mit dem Projekt soll auch eine einfache und niedrigschwellige Hilfe angeboten werden, eine Anlaufstelle für tägliche Probleme. Für ein solches Wohnprojekt würden mit Sicherheit EU-Mittel zu akquirieren sein und sicherlich würde es auch die eine oder andere Stiftung geben, die ein solches Projekt finanzieren würde. Es ist unverständlich, wenn sich die Kommune zurückzieht, denn sie hätte allenfalls eine Ko-Finanzierung. In der Renovierungsphase könnte man – so wie in Berlin – den zukünftigen Bewohnern eine Beschäftigungsmöglichkeit geben. Dabei könnten die Leute zum Beispiel Grundkenntnisse – soweit sie nicht schon vorhanden sind - als Maurer oder Plattenleger erwerben.

Ist ein solches Wohnprojekt nur für Roma nicht ausgrenzend?


Die Diskussion um Segregation haben wir, seit es uns gibt, weil wir spezifisch arbeiten. Unser Schwerpunkt ist die zielgerichtete Unterstützung und Förderung von Projekten für Roma. Segregation, Ghettobildung wäre es, wenn das der einzige Weg wäre. Bei sozialen Wohnprojekten sollte man darauf achten, dass auch Roma-Familien eine Wohnung kriegen und nicht nur an den Stadtrand gedrängt werden. Segregation wäre es auch, wenn die Betroffenen das nicht wollen würden. Aufgrund der sozialen Erfahrungen ist es oft der Wunsch, in einem solchen Haus leben zu wollen. Das darf nicht ausschließen, dass es andere Möglichkeiten gibt, Wohnungen zu finden. Aber wenn Sie sich die Wohnsituation im Hinblick auf Roma und Roma-Migranten ansehen, dann ist es oft so, dass sich die in Notunterkünften, Hotels oder Wohnheimen ballt.

Der Förderverein Roma hat im November den Integrationspreis der Stadt Frankfurt bekommen. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Er erleichtert uns die Arbeit dahingehend, dass wir etwas ernster genommen werden, aber auch weil wir 5000 Euro bekommen haben. Das ist für uns viel Geld. Unsere Sozialberatung ist notorisch unterbesetzt und da waren wir froh, dass wir das Geld hatten, um ein bisschen aufstocken zu können. Wir haben durch diesen Preis mehr Gehör gefunden. Die Kehrseite ist der Begriff Integration, deshalb haben wir es uns damit nicht leicht gemacht. Reden Sie mal mit einer deutschen Roma-Familie, die seit 200 oder 300 Jahren hier lebt. Sie wird Ihnen sagen: Integration ist nicht der richtige Begriff für uns. Auch vor dem Hintergrund, dass ein großer Teil der Familien im Nationalsozialismus verfolgt und vernichtet worden ist. Da geht es mehr um Akzeptanz. Wir stehen dem Begriff Integration kritisch gegenüber. Unsere tägliche Realität, in der wir mit sehr vielen Problemen und Elend konfrontiert werden, korrespondiert nicht so sehr mit einem Preis. Die Kehrseite ist massiv. Aber wir haben uns dafür entschieden, weil wir das seitens der Dezernentin als sehr couragiert betrachtet haben. Sie hat sich in der Vergangenheit für unsere Belange eingesetzt. Sie hat dafür gesorgt, dass unsere Ausstellung Frankfurt-Auschwitz in der Paulskirche gezeigt worden ist. Im November haben wir mit dem Dezernat eine Diskussion im Historischen Museum veranstaltet. Die Dezernentin hat auch ein großes Interesse daran, dass dieses Wohnprojekt weiterverfolgt wird.
 
Fotogalerie:
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11. März 2014, 10.00 Uhr
Interview: Lukas Gedziorowski
 
 
 
 
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