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Rainbow Stories
Meine Kunst half mir, zu überleben
Atish, ursprünglich aus dem Iran, ist fast sein halbes Leben auf der Flucht. In den Rainbow Stories, die im Rahmen der Buchmesse vom Schauspieler Gunnar Solka vorgetragen werden, spricht er über sein Leben – und seine Kunst.
Mein Name ist Atish. Ich bin 22 Jahre alt und war fast mein halbes Leben auf der Flucht. Ich stamme aus einer sehr mächtigen und reichen Familie im Iran. Als ich in die Pubertät kam und sie begriffen, dass ich schwul bin, sagten sie mir: „Du musst gehen“. Ich war 14 als ich in die Türkei floh, ich war gerade mal 14 Jahre alt.
Bevor ich nach Frankfurt kam, lebte ich etwa dreieinhalb Jahre in der Türkei und später viereinhalb Jahre in Athen. Besonders in der ersten Zeit fühlte ich mich sehr einsam, vermisste meine Mutter und musste die ganze Zeit weinen. Auf meiner Flucht passierten schreckliche Dinge, so schrecklich, dass ich nicht darüber sprechen möchte.
Wie schon als Kind, fing ich einfach an zu malen. Ich konnte nicht mehr aufhören, malte manchmal zwölf Stunden am Tag. Ich besaß nur einen schwarzen Kuli, aber in meiner Fantasie sah ich die schönsten Farben vor mir. Meine Kunst half mir, zu überleben, mental und emotional – aber auch weil ich später von ihr leben konnte.
Rainbow Stories auf der Buchmesse: Atish – sein halbes Leben auf der Flucht
Alles begann mit einer abgeschnittenen Jeans. In Griechenland hatte mir ein Freund eine Nähmaschine geschenkt und ich verdiente etwas Geld mit Näharbeiten. Jemand bat mich, eine Jeans in eine Shorts zu verwandeln. Ich behielt die Reste der abgeschnittenen Hose und kam auf die Idee, daraus eine große Tasche zu fertigen. Ich bemalte sie mit Gesichtern, die ich aus Formen im kubistischen Stil zusammensetzte. Auf der Straße wurde ich oft auf diese Tasche angesprochen, viele Menschen fanden sie toll und wollten auch so eine. Also verkaufte ich meine Taschen in Athen, auch an Touristen aus der ganzen Welt, insgesamt über 100 Unikate. Später bot ich auch Tassen und T-Shirts mit meinen Motiven an.
Ich möchte den männlichen Schnurrbart in einen anderen Kontext bringen
Wenn ich male, denke ich nicht nach – die Bilder kommen einfach aus mir heraus. Der Schnurrbart ist ein wiederkehrendes Motiv in meiner Kunst. Im Iran tragen viele Männer einen Moustache – ich bringe ihn mit männlicher Ehre und Maskulinität in Verbindung. Ein großer geschwungener Bart an der Oberlippe gilt als Symbol für Männlichkeit. Ich aber denke, Gender – im Sinne von geschlechtlicher Identität – findest du im Inneren der Menschen, nicht in ihrem Gesicht. Ich möchte diesen Bart in einen anderen Kontext bringen. Für das Logo unserer Rainbow Stories habe ich den Bart in Regenbogenfarben gemalt und mit rot geschminkten Lippen kombiniert, die eher weiblich konnotiert sind.
Der männliche Bart in Regenbogenfarben
Neben der Malerei liebe ich die Dichtung. Ich lese viel von Meistern der persischen Dichtkunst wie Hafis und Saadi. Zurzeit arbeite ich an meinem ersten Buch mit dem Titel „Little rainbow fish“. Darin reflektiere ich meine Fluchterfahrung in von mir verfassten Gedichten und in meinen Bildern. Es geht mir aber nicht nur um mich und meine Geschichte - ich kenne so viele LGBTs, die als Minderjährige ihr Land verlassen mussten und ähnlich schlimme Erfahrungen machten. Ich möchte mit dem Buch auch diese jungen Menschen supporten und ihnen zeigen – ihr seid nicht alleine.
Gleichzeitig sollen andere begreifen, was wir durchmachen. Viele denken, wir kämen, um Sozialleistungen zu beziehen und uns ein schönes Leben zu machen. Aber genau wie viele andere hätte ich doch niemals mein Land verlassen, wenn sie mich dort als queere Person akzeptiert hätten! Wenn dir niemand hilft und sie dich umbringen wollen, kannst du nur noch fliehen.
Es gibt Menschen, die dich nicht mal kennen, aber dir helfen wollen.
Als ich als Minderjähriger in Athen lebte, unterstützte mich die griechische Regierung nicht, aber die deutsche Hilfsorganisation Just Human schickte mir Geld und kaufte auch einige meiner T-Shirts und Karten. Etwa ein halbes Jahr nach meiner Ankunft, setzten sie mich mit einem Iraner in Verbindung, der dort als Freiwilliger LGBTs in Not unterstützte. Unser erstes Telefonat lief über WhatsApp. Damals war mein Englisch nicht besonders und es tat so gut, mit ihm in meiner Sprache sprechen zu können. Auf Persisch sagte er zu mir: „Du bist ein Künstler. Du bist stark. Du wirst es schaffen.“ Ich fing an zu weinen. Er war der erste Mensch aus meinem Land, der mich unterstützen wollte. In diesem Moment hat er mir so viel positive Energie geschenkt, dass ich neuen Lebensmut fasste. Es gibt Menschen, die dich nicht mal kennen, aber dir helfen wollen. Das hat mich tief berührt.
Rainbow Refugees Frankfurt – Treffen für queere Geflüchtete
Gestern war ich wieder bei dem wöchentlichen Treffen für queere Geflüchtete der Rainbow Refugees Frankfurt. Wir haben Billiard gespielt, was getrunken und uns unterhalten. Es fühlt sich so gut an, frei darüber zu sprechen, wer du bist und wofür du stehst, fühlt sich so gut an, sich nicht mehr verstecken zu müssen.
Besonders im Iran denken viele automatisch an Sex, wenn sie auf uns LGBTs treffen. Aber nur weil ich schwul bin, bedeutet das doch nicht, dass ich permanent Sex mit anderen Männern haben will. Genau wie bei anderen Menschen auch, spielen Freundschaft und Liebe eine große Rolle in meinem Leben. Ich möchte Liebe schenken. Zurzeit habe ich keine Beziehung, aber wenn ich liiert bin, will ich meinen Partner unterstützen und ihm sagen: Mach dir keine Sorgen, ich bin für dich da.
„Als ich den Iran verlassen habe, war ich noch sehr jung und dachte: Das schaffe ich nie“
Als ich den Iran verlassen habe, war ich noch sehr jung und dachte: Das schaffe ich nie. Heute habe ich so viele Pläne. Mein großer Traum ist, an einer Kunsthochschule zu studieren. Außerdem möchte ich ein Café mit Galerie eröffnen – open for everybody. Einen kleinen Ort, an dem Menschen sich wohlfühlen und an dem ich Bilder, Taschen und T-Shirts verkaufen kann. Dort werden dann persische Spezialitäten wie Mokka mit Safran, Tee mit Rosenblättern oder Nougat mit Pistazien angeboten.
Ich weiß, dass ich es schaffen werde – denn ich habe schon so vieles geschafft.
Ich konnte kaum Sprachen, jetzt spreche ich Englisch und lerne Deutsch.
Ich hatte kein Geld, aber dann konnte ich meine Kunst verkaufen.
Ich habe meine Familie verloren, aber Freunde gefunden.
Ich fühle mich stark.
Info
Das JOURNAL FRANKFURT lädt gemeinsam mit Rainbow Refugees Frankfurt zu Rainbow Stories – Geschichten von queeren Refugees. Einlass ist am 20.10. um 19 Uhr im Walden, Kleiner Hirschgraben 7. Wir haben für unsere Leserinnen und Leser Plätze reserviert. Der Eintritt ist frei, aufgrund der begrenzten Platzzahl bitten wir um Anmeldung unter rainbowstories@t-online.de
/ Kennwort JOURNAL FRANKFURT. Um die Menschen bei laufenden Asylverfahren unterstützen zu können, bittet die AIDS- Hilfe Frankfurt e.V. um Spenden unter www.frankfurt-aidshilfe.de/de/spenden .
Zur Autorin: Nadia Saadi blieb nicht immer in Frankfurt, aber immer Frankfurterin. Die Deutsch-Palästinenserin spricht Hessisch, Arabisch, Englisch und Französisch – und damit trotzdem weniger Sprachen als viele Protagonistinnen der Rainbow Stories. Ihre Passion fürs Schreiben nutzt sie, um unentgeltlich soziale Projekte zu unterstützen. Den Rainbow Refugees der AIDS-Hilfe Frankfurt e.V. ist sie seit 2017 verbunden. Die Idee zu den Rainbow Stories entstand als Gemeinschaftsprojekt, um Geschichten von außergewöhnlichen Menschen festzuhalten. Die Autorin achtete darauf, dass die Menschen der Rainbow Stories ihre Geschichte aus ihrer eigenen Perspektive erzählen – und dabei selbst entscheiden können, was ihnen wichtig ist.
Bereits erschienen ist die Story von Wassim aus Marokko und die Geschichte von Olga aus Kiew. Das Interview mit Gunnar Solka zu den Stories findet Ihr hier.
Bevor ich nach Frankfurt kam, lebte ich etwa dreieinhalb Jahre in der Türkei und später viereinhalb Jahre in Athen. Besonders in der ersten Zeit fühlte ich mich sehr einsam, vermisste meine Mutter und musste die ganze Zeit weinen. Auf meiner Flucht passierten schreckliche Dinge, so schrecklich, dass ich nicht darüber sprechen möchte.
Wie schon als Kind, fing ich einfach an zu malen. Ich konnte nicht mehr aufhören, malte manchmal zwölf Stunden am Tag. Ich besaß nur einen schwarzen Kuli, aber in meiner Fantasie sah ich die schönsten Farben vor mir. Meine Kunst half mir, zu überleben, mental und emotional – aber auch weil ich später von ihr leben konnte.
Alles begann mit einer abgeschnittenen Jeans. In Griechenland hatte mir ein Freund eine Nähmaschine geschenkt und ich verdiente etwas Geld mit Näharbeiten. Jemand bat mich, eine Jeans in eine Shorts zu verwandeln. Ich behielt die Reste der abgeschnittenen Hose und kam auf die Idee, daraus eine große Tasche zu fertigen. Ich bemalte sie mit Gesichtern, die ich aus Formen im kubistischen Stil zusammensetzte. Auf der Straße wurde ich oft auf diese Tasche angesprochen, viele Menschen fanden sie toll und wollten auch so eine. Also verkaufte ich meine Taschen in Athen, auch an Touristen aus der ganzen Welt, insgesamt über 100 Unikate. Später bot ich auch Tassen und T-Shirts mit meinen Motiven an.
Ich möchte den männlichen Schnurrbart in einen anderen Kontext bringen
Wenn ich male, denke ich nicht nach – die Bilder kommen einfach aus mir heraus. Der Schnurrbart ist ein wiederkehrendes Motiv in meiner Kunst. Im Iran tragen viele Männer einen Moustache – ich bringe ihn mit männlicher Ehre und Maskulinität in Verbindung. Ein großer geschwungener Bart an der Oberlippe gilt als Symbol für Männlichkeit. Ich aber denke, Gender – im Sinne von geschlechtlicher Identität – findest du im Inneren der Menschen, nicht in ihrem Gesicht. Ich möchte diesen Bart in einen anderen Kontext bringen. Für das Logo unserer Rainbow Stories habe ich den Bart in Regenbogenfarben gemalt und mit rot geschminkten Lippen kombiniert, die eher weiblich konnotiert sind.
Neben der Malerei liebe ich die Dichtung. Ich lese viel von Meistern der persischen Dichtkunst wie Hafis und Saadi. Zurzeit arbeite ich an meinem ersten Buch mit dem Titel „Little rainbow fish“. Darin reflektiere ich meine Fluchterfahrung in von mir verfassten Gedichten und in meinen Bildern. Es geht mir aber nicht nur um mich und meine Geschichte - ich kenne so viele LGBTs, die als Minderjährige ihr Land verlassen mussten und ähnlich schlimme Erfahrungen machten. Ich möchte mit dem Buch auch diese jungen Menschen supporten und ihnen zeigen – ihr seid nicht alleine.
Gleichzeitig sollen andere begreifen, was wir durchmachen. Viele denken, wir kämen, um Sozialleistungen zu beziehen und uns ein schönes Leben zu machen. Aber genau wie viele andere hätte ich doch niemals mein Land verlassen, wenn sie mich dort als queere Person akzeptiert hätten! Wenn dir niemand hilft und sie dich umbringen wollen, kannst du nur noch fliehen.
Es gibt Menschen, die dich nicht mal kennen, aber dir helfen wollen.
Als ich als Minderjähriger in Athen lebte, unterstützte mich die griechische Regierung nicht, aber die deutsche Hilfsorganisation Just Human schickte mir Geld und kaufte auch einige meiner T-Shirts und Karten. Etwa ein halbes Jahr nach meiner Ankunft, setzten sie mich mit einem Iraner in Verbindung, der dort als Freiwilliger LGBTs in Not unterstützte. Unser erstes Telefonat lief über WhatsApp. Damals war mein Englisch nicht besonders und es tat so gut, mit ihm in meiner Sprache sprechen zu können. Auf Persisch sagte er zu mir: „Du bist ein Künstler. Du bist stark. Du wirst es schaffen.“ Ich fing an zu weinen. Er war der erste Mensch aus meinem Land, der mich unterstützen wollte. In diesem Moment hat er mir so viel positive Energie geschenkt, dass ich neuen Lebensmut fasste. Es gibt Menschen, die dich nicht mal kennen, aber dir helfen wollen. Das hat mich tief berührt.
Gestern war ich wieder bei dem wöchentlichen Treffen für queere Geflüchtete der Rainbow Refugees Frankfurt. Wir haben Billiard gespielt, was getrunken und uns unterhalten. Es fühlt sich so gut an, frei darüber zu sprechen, wer du bist und wofür du stehst, fühlt sich so gut an, sich nicht mehr verstecken zu müssen.
Besonders im Iran denken viele automatisch an Sex, wenn sie auf uns LGBTs treffen. Aber nur weil ich schwul bin, bedeutet das doch nicht, dass ich permanent Sex mit anderen Männern haben will. Genau wie bei anderen Menschen auch, spielen Freundschaft und Liebe eine große Rolle in meinem Leben. Ich möchte Liebe schenken. Zurzeit habe ich keine Beziehung, aber wenn ich liiert bin, will ich meinen Partner unterstützen und ihm sagen: Mach dir keine Sorgen, ich bin für dich da.
Als ich den Iran verlassen habe, war ich noch sehr jung und dachte: Das schaffe ich nie. Heute habe ich so viele Pläne. Mein großer Traum ist, an einer Kunsthochschule zu studieren. Außerdem möchte ich ein Café mit Galerie eröffnen – open for everybody. Einen kleinen Ort, an dem Menschen sich wohlfühlen und an dem ich Bilder, Taschen und T-Shirts verkaufen kann. Dort werden dann persische Spezialitäten wie Mokka mit Safran, Tee mit Rosenblättern oder Nougat mit Pistazien angeboten.
Ich weiß, dass ich es schaffen werde – denn ich habe schon so vieles geschafft.
Ich konnte kaum Sprachen, jetzt spreche ich Englisch und lerne Deutsch.
Ich hatte kein Geld, aber dann konnte ich meine Kunst verkaufen.
Ich habe meine Familie verloren, aber Freunde gefunden.
Ich fühle mich stark.
Das JOURNAL FRANKFURT lädt gemeinsam mit Rainbow Refugees Frankfurt zu Rainbow Stories – Geschichten von queeren Refugees. Einlass ist am 20.10. um 19 Uhr im Walden, Kleiner Hirschgraben 7. Wir haben für unsere Leserinnen und Leser Plätze reserviert. Der Eintritt ist frei, aufgrund der begrenzten Platzzahl bitten wir um Anmeldung unter rainbowstories@t-online.de
/ Kennwort JOURNAL FRANKFURT. Um die Menschen bei laufenden Asylverfahren unterstützen zu können, bittet die AIDS- Hilfe Frankfurt e.V. um Spenden unter www.frankfurt-aidshilfe.de/de/spenden .
Zur Autorin: Nadia Saadi blieb nicht immer in Frankfurt, aber immer Frankfurterin. Die Deutsch-Palästinenserin spricht Hessisch, Arabisch, Englisch und Französisch – und damit trotzdem weniger Sprachen als viele Protagonistinnen der Rainbow Stories. Ihre Passion fürs Schreiben nutzt sie, um unentgeltlich soziale Projekte zu unterstützen. Den Rainbow Refugees der AIDS-Hilfe Frankfurt e.V. ist sie seit 2017 verbunden. Die Idee zu den Rainbow Stories entstand als Gemeinschaftsprojekt, um Geschichten von außergewöhnlichen Menschen festzuhalten. Die Autorin achtete darauf, dass die Menschen der Rainbow Stories ihre Geschichte aus ihrer eigenen Perspektive erzählen – und dabei selbst entscheiden können, was ihnen wichtig ist.
Bereits erschienen ist die Story von Wassim aus Marokko und die Geschichte von Olga aus Kiew. Das Interview mit Gunnar Solka zu den Stories findet Ihr hier.
6. Oktober 2023, 12.00 Uhr
Nadia Saadi
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