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Rainbow Refugees

„Unvorstellbar, wenn Tunesien oder Marokko 'sicheres Herkunftsland' werden soll“

Rainbow Refugees e. V. unterstützen queere Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Frankfurt. Im Gespräch spricht Knud Wechterstein von den Ängsten und Nöten seiner Leute – und wie die Politik die Situation der Menschen in besonderer Weise beeinflusst.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Wechterstein. Wie viele Menschen werden aktuell vom Frankfurter Rainbow Refugees Support betreut?
Knud Wechterstein: In diesem Jahr wurden bereits 108 Menschen alleine in Frankfurt von uns betreut. Die Anzahl der Hilfesuchenden ist in die Höhe gestiegen, 2022 waren es nämlich 180 Menschen insgesamt. Daran erkennen Sie, dass das Thema weiterhin sehr relevant und es richtig ist, dass die Versorgung durch den Refugee Support ausgebaut wurde.

Wie unterstützen Sie die Leute?
Es gibt verschiedene Themenbereiche. Der größte Anteil der Menschen hat Fragen zum Asylverfahren. Viele melden sich direkt bei uns, sobald sie hier in Deutschland sind, wir stehen ihnen also von Beginn an zur Seite. Sollte es zur Ablehnung eines Asylantrags kommen, begleiten wir sie in den Klageverfahren. Doch es gibt auch andere Themen. Trans* Menschen etwa wollen wissen, wie sie ihre Transition voranbringen können, wo es Anlaufstellen gibt. Und oft geht es um die Unterbringung. Wir haben unsere Unterkunft für queere Geflüchtete, die von der Stadt Frankfurt finanziert wird. Dort leben insgesamt 31 Menschen, die Warteliste ist lang.

Weniger Abschiebungen von queeren Geflüchteten

Wie oft werden queere Menschen in Frankfurt abgeschoben?
Es sind wenige, aktuell verlaufen die meisten Asylverfahren von queeren Geflüchteten positiv. Wir machen das ja schon länger und sehen mittlerweile eine gute Entwicklung. Als wir 2015 anfingen, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Anträge von queeren Geflüchteten oft abgelehnt – mit der Begründung, dass die Menschen auch in sehr gefährlichen Ländern wie dem Iran oder in Pakistan leben könnten. Sie hätten das ja schon vorher getan, müssten sich also nur „diskret“ verhalten. Das haben wir immer kritisiert und darauf verwiesen, dass das nicht rechtens ist.

Gibt es hierzu ein Urteil?
Ja, vom Europäischen Gerichtshof. Der hat 2013 festgestellt, dass man queere Menschen – Homosexuelle, Transgender – nicht darauf verweisen kann, ihre sexuelle Orientierung oder ihre geschlechtliche Identität diskret zu leben. 2022 gab es hierzu für uns eine wichtige Entwicklung: Das Bundesinnenministerium hat eine Dienstanweisung an das BAMF herausgegeben, wonach Menschen, deren Asylgründe mit sexueller Orientierung und geschlechtliche Identität zu tun haben, nicht auf Diskretion verwiesen werden dürfen.

BAMF entschied oft falsch bei Anerkennung des Flüchtlingsstatus

Kam das BAMF vorher damit durch?
Selten, vielmehr hat das Bundesamt viele falsche Entscheidungen getroffen, die später von Gerichten korrigiert werden mussten. Wir haben bei 49 Gerichtsterminen erlebt, dass 47 Mal die Entscheidungen für falsch befunden wurden, den Menschen einen Flüchtlingsstatus nicht zuzuerkennen. Die Perspektive ist an sich sehr gut für queere Geflüchtete, wenn sie überzeugend darstellen können, dass sie homosexuell, transgender oder auch bisexuell sind.

Was heißt „überzeugend darstellen“?
Das heißt, dass sie in ihrer Anhörung dahingehend überzeugen müssen, dass sie schwul, lesbisch, bisexuell oder trans sind. Schwierig ist nach wie vor die Bewertung des BAMF über die verschiedenen Herkunftsländer. Für das Bundesamt ist klar, dass es in Afghanistan oder im Iran eine Gefährdung gibt. Aber zum Beispiel in Ländern wie der Türkei kann aus unserer Sicht ein offenes Leben auch nicht ohne Gefährdungen stattfinden. Hier gibt es unterschiedliche Einschätzungen.

Viele haben Angst, offen über ihre Homosexualität zu sprechen

Wurde schon einmal jemand von Ihren Leuten abgeschoben?
Das erleben wir natürlich auch, aber es ist zum Glück eine sehr kleine Zahl. Im aktuellen Fall ist es ein Mann aus dem Irak, für den das besonders schlimm ist.

Warum wurde er abgeschoben?
Das ist ein Problem des Asylverfahrens. Nicht jedem gelingt es, im ersten Interview mit dem Bundesamt offen über ihre Homosexualität und somit die wahren Fluchtgründe zu sprechen. Menschen haben sich ihr ganzes Leben lang versteckt, womöglich vertrauen sie dem Dolmetscher im Raum nicht. Sie haben Angst, dass ihre Familien davon erfahren, und sie haben erfahrungsgemäß kein großes Vertrauen in Behörden. An sich gibt es für eine solche Problematik Asylfolgeanträge, sodass sie ihre Homosexualität oder geschlechtliche Identifizierung später vorbringen können. Sollte es dann jedoch zu einer Ablehnung kommen, hat man weniger Rechtsmittel. Dann ist es umso wichtiger, dass die Fluchtursache flüssig dargelegt wird. Das gelingt ihnen immer wieder auch nicht.

Wechterstein: Pläne der Ampel-Koalition nicht nachvollziehbar

Dem Iraker ist das also nicht gelungen?
Die Herausforderungen sind sehr hoch. In unserem Fall hat der Mann in Frankfurt am Flughafen das Asylverfahren durchlaufen. Dort finden die Verfahren sehr schnell statt, was eine große Hürde für queere Menschen ist. Ich kann das persönlich sehr gut verstehen und habe bei meinem Coming out selbst erlebt, wie problematisch das ist. Man weiß nicht, was einem droht.

Was sagen Sie denn zu den Plänen der Ampel, Asylverfahren an Außengrenzen stattfinden zu lassen? Was würde das für queere Menschen bedeuten?
Für mich ist es absolut nicht nachvollziehbar, wie Asylverfahren an einer EU-Außengrenze für LGBTI-Menschen gut verlaufen könnten. Einerseits ist es so, dass die Bundesregierung viele Maßnahmen getroffen hat, die wir begrüßen. Aber andererseits machen sie diesen guten Eindruck wieder kaputt. Man muss sich das mit der Außengrenze einfach mal vorstellen. Als queere Person befindet man sich ja immer noch in einem Land, beispielsweise Tunesien, das von Betroffenen als extrem homophob wahrgenommen wird. Und dort soll man sich dann zu Homosexualität oder trans bekennen? Es übersteigt meine Phantasie, wie das funktionieren soll.

Das Problem mit der Liste Sicherer Herkunftsländer

Die Pläne scheinen bislang wenig durchdacht …
Richtig, ich habe noch nirgendwo etwas dazu gelesen, wie den Menschen eine Unterstützung zuteilwerden soll. Was ist mit vulnerablen Gruppen? Wie kann man praktisch umsetzen, dass sie sich trauen, über ihre Fluchtgründe zu sprechen? Ich glaube, dazu wird es auch keine Lösung geben.

Ein weiterer Plan ist, die Liste der sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ zu vergrößern. Was bedeutet das für Ihre Zielgruppe?
Die Situation ist bereits jetzt ziemlich unbefriedigend. Aktuell sind etwa Ghana und der Senegal auf dieser Liste, die jedoch als Verfolgerstaaten einzuordnen sind. Dennoch wurde die Liste 2022 bestätigt. Das ist bereits jetzt ein Rechtsbruch mit Ansage, weil schon 1996 in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgelegt wurde, dass Menschen bestimmter sozialer Gruppen unter besonderem Schutz stehen. Frankreich ist hier weiter und hat 2021 Ghana und Uganda von der Liste Sicherer Herkunftsländer gestrichen. Entsprechend ist für uns unvorstellbar, wenn etwa Tunesien, Marokko oder Georgien diesen Sicherheitsstatus ebenfalls erhalten sollten.

Aber Sie können weiterhin auf Asylanspruch klagen?
Sicher, aber die Erfolgschancen sind für solche Staaten erheblich schwieriger. Entsprechend käme diese Änderung einer massiven Einschränkung der Rechtsmittel für queere Menschen gleich.

______________________________________________________________________
Zur Person: Knud Wechterstein arbeitet in der ambulanten Beratung von LSBTIQ Schutzsuchenden im Rahmen des Projektes Rainbow Refugee Support der Hessischen Aidshilfen bei der AH Frankfurt. Er berät queere Geflüchtete im Asylverfahren und ist Teil der landesweiten Projektkoordination.

>> Dieser Text erschien zuerst in der Juni-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT (6/23).
 
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5. Juni 2023, 11.34 Uhr
Katja Thorwarth
 
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. – Mehr von Katja Thorwarth >>
 
 
 
 
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