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Migrations-Konferenz
„'Weiße' wollen oft bestimmen, was Rassismus ist und was nicht“
Die Migrations-Konferenz an der Goethe-Uni wird immer noch debattiert. Denn eigentlich sollte Ethnologie dafür stehen, nicht so zu vereinfachen, wie es bei Susanne Schröter der Fall war. Sagt der Ethnologe Martin Sökefeld.
Das Institut für Ethnologie in Frankfurt hat sich von dem Migrations-Kongress von Susanne Schröter distanziert. Die Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA) schließt sich der Kritik an. Mit welcher Begründung?
Wir sind der Ansicht, dass eine Tagung, die behauptet, wissenschaftlich zu sein – und das „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“ nimmt ja für sich in Anspruch, eine wissenschaftliche Einrichtung zu sein – kein Forum für undifferenzierte und diskriminierende Äußerungen sein darf. Von ihrer Ausbildung her ist Susanne Schröter Ethnologin und sie hat eine Professur am Institut für Ethnologie der Universität Frankfurt. Ethnologie bzw. Sozial- und Kulturanthropologie steht als Wissenschaft aber dafür, gerade nicht zu vereinfachen, sondern Komplexität sichtbar und verständlich zu machen und immer auch den eigenen Blickwinkel kritisch zu reflektieren. Das war bei dieser Tagung, und auch bei früheren Veranstaltungen, die von Frau Schröter organisiert wurden, eindeutig nicht der Fall. Und damit möchten wir weder als Fach noch als Fachgesellschaft identifiziert werden.
Ethnologie soll Komplexität sichtbar machen - das leistet Susanne Schröter nicht
Schröter selbst spricht von einer „sehr guten und differenziert geführten Tagung“. Angesichts des Podiums: Kann man hier von „differenziert“ sprechen?
Nein, sicher nicht. Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bundespolizeigewerkschaft Manuel Ostermann, beispielsweise, der bei der Veranstaltung als Redner auftrat, ist wohl nicht für seine differenzierten Äußerungen bekannt.
Der Fokus der medialen Berichterstattung liegt auf den Entgleisungen von Boris Palmer. Nun heißt es teils, die Bezeichnung „Nazi“ sei nicht weniger schlimm als das N-Wort. Was sagen Sie zu dieser Gleichsetzung?
Ich denke, man sollte den Nazi-Vorwurf nicht inflationär verwenden. Ein wichtiger Unterschied zwischen beiden Begriffen ist aber natürlich, dass sich „Nazi“ auf politische Einstellungen und Handlungsweisen bezieht, die man ändern könnte, wohingegen das N-Wort eben eine rassistische Zuschreibung und Beleidigung ist. Die Begriffe kommen aus völlig unterschiedlichen Kontexten und können nicht gegeneinander aufgerechnet werden.
Rassismus-Erfahrungen werden in Deutschland häufig nicht ernst genommen
Der Exzellenzcluster „Africa Multiple“ der Universität Bayreuth beklagt eine „weiße Definitionsmacht auf Kosten rassifizierter Lebensrealitäten“. Wie ist das zu verstehen?
Ich verstehe das so, dass zum Beispiel Rassismus-Erfahrungen in Deutschland sehr häufig nicht ernst genommen, sondern eher wegdefiniert werden. „Weiße“ nehmen oft in Anspruch, zu bestimmen, was Rassismus ist und was nicht. Die Polizei als Institution negiert zum Beispiel fast durchgängig die Praxis des racial profiling. Damit werden rassifizierte Menschen weiter marginalisiert und eben nicht ernst genommen.
Wissenschaftsfreiheit ist kein Freibrief
Schröter betont oft die „Wissenschaftsfreiheit“, doch sie wird mit „weißer deutscher Nekropolitik“ in Verbindung gebracht. Zurecht?
Ich denke, es ist heute Konsens, dass Wissenschaft an ethische Prinzipien gebunden sein muss. Insofern ist Wissenschaftsfreiheit kein Freibrief, der alles erlauben würde, etwa auch diskriminierende und rassistische Positionen im Namen der Wissenschaft. Nekropolitik ist ein Begriff, der vom kamerunischen Historiker und Intellektuellen Achille Mbembe geprägt wurde. Damit ist eine Politik gemeint, die in Kauf nimmt, dass Menschen durch sie sterben; eine Politik, die letztlich entscheidet, dass manche Menschen leben können und andere sterben müssen.
Das ist die klassische Rhetorik des Populismus
Ein Beispiel dafür ist die europäische Grenzpolitik, die in Kauf nimmt, dass Schutzsuchende im Mittelmeer ertrinken. Die Veranstaltungen von Frau Schröter bieten in der Regel eine Bühne für gesellschaftlich dominante Positionen, die aber rhetorisch so auftreten, als würden sie endlich aussprechen, was angesichts einer angeblichen „linken Hegemonie“ nicht mehr gesagt werden darf. Das ist die klassische Rhetorik des Populismus. Im Fall der Migrationspolitik stärkt das letztlich die Position, die eigenen Privilegien als selbstverständlich in Anspruch zu nehmen und zu verteidigen. Zumindest indirekt werden damit etwa Gewalt und unterlassene Hilfeleistungen an den europäischen Außengrenzen legitimiert. Da kann man schon eine Verbindung zu Nekropolitik ziehen.
Wie müsste für die Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie eine Aufarbeitung der Veranstaltung aussehen?
„Aufarbeitung“ im positiven Sinn müsste eine kritische Selbstreflexion einschließen. Susanne Schröter distanziert sich zwar von Boris Palmers verbalen Entgleisungen im Rahmen der Tagung, aber darüber hinaus müsste sie sich fragen, ob die Zielrichtung der Veranstaltung diskriminierenden und rassistischen Äußerungen und Positionen nicht gerade Vorschub leistet.
Zur Person_____________________________________________________________
Prof. Dr. Martin Sökefeld ist Ethnologe mit einem Lehrstuhl an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politik, „Natur“katastrophen, Identitätstheorie, Flucht, Migration, Diaspora sowie Transnationalismus und Islam. Martin Sökefeld ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA).
Wir sind der Ansicht, dass eine Tagung, die behauptet, wissenschaftlich zu sein – und das „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“ nimmt ja für sich in Anspruch, eine wissenschaftliche Einrichtung zu sein – kein Forum für undifferenzierte und diskriminierende Äußerungen sein darf. Von ihrer Ausbildung her ist Susanne Schröter Ethnologin und sie hat eine Professur am Institut für Ethnologie der Universität Frankfurt. Ethnologie bzw. Sozial- und Kulturanthropologie steht als Wissenschaft aber dafür, gerade nicht zu vereinfachen, sondern Komplexität sichtbar und verständlich zu machen und immer auch den eigenen Blickwinkel kritisch zu reflektieren. Das war bei dieser Tagung, und auch bei früheren Veranstaltungen, die von Frau Schröter organisiert wurden, eindeutig nicht der Fall. Und damit möchten wir weder als Fach noch als Fachgesellschaft identifiziert werden.
Schröter selbst spricht von einer „sehr guten und differenziert geführten Tagung“. Angesichts des Podiums: Kann man hier von „differenziert“ sprechen?
Nein, sicher nicht. Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bundespolizeigewerkschaft Manuel Ostermann, beispielsweise, der bei der Veranstaltung als Redner auftrat, ist wohl nicht für seine differenzierten Äußerungen bekannt.
Der Fokus der medialen Berichterstattung liegt auf den Entgleisungen von Boris Palmer. Nun heißt es teils, die Bezeichnung „Nazi“ sei nicht weniger schlimm als das N-Wort. Was sagen Sie zu dieser Gleichsetzung?
Ich denke, man sollte den Nazi-Vorwurf nicht inflationär verwenden. Ein wichtiger Unterschied zwischen beiden Begriffen ist aber natürlich, dass sich „Nazi“ auf politische Einstellungen und Handlungsweisen bezieht, die man ändern könnte, wohingegen das N-Wort eben eine rassistische Zuschreibung und Beleidigung ist. Die Begriffe kommen aus völlig unterschiedlichen Kontexten und können nicht gegeneinander aufgerechnet werden.
Rassismus-Erfahrungen werden in Deutschland häufig nicht ernst genommen
Der Exzellenzcluster „Africa Multiple“ der Universität Bayreuth beklagt eine „weiße Definitionsmacht auf Kosten rassifizierter Lebensrealitäten“. Wie ist das zu verstehen?
Ich verstehe das so, dass zum Beispiel Rassismus-Erfahrungen in Deutschland sehr häufig nicht ernst genommen, sondern eher wegdefiniert werden. „Weiße“ nehmen oft in Anspruch, zu bestimmen, was Rassismus ist und was nicht. Die Polizei als Institution negiert zum Beispiel fast durchgängig die Praxis des racial profiling. Damit werden rassifizierte Menschen weiter marginalisiert und eben nicht ernst genommen.
Schröter betont oft die „Wissenschaftsfreiheit“, doch sie wird mit „weißer deutscher Nekropolitik“ in Verbindung gebracht. Zurecht?
Ich denke, es ist heute Konsens, dass Wissenschaft an ethische Prinzipien gebunden sein muss. Insofern ist Wissenschaftsfreiheit kein Freibrief, der alles erlauben würde, etwa auch diskriminierende und rassistische Positionen im Namen der Wissenschaft. Nekropolitik ist ein Begriff, der vom kamerunischen Historiker und Intellektuellen Achille Mbembe geprägt wurde. Damit ist eine Politik gemeint, die in Kauf nimmt, dass Menschen durch sie sterben; eine Politik, die letztlich entscheidet, dass manche Menschen leben können und andere sterben müssen.
Das ist die klassische Rhetorik des Populismus
Ein Beispiel dafür ist die europäische Grenzpolitik, die in Kauf nimmt, dass Schutzsuchende im Mittelmeer ertrinken. Die Veranstaltungen von Frau Schröter bieten in der Regel eine Bühne für gesellschaftlich dominante Positionen, die aber rhetorisch so auftreten, als würden sie endlich aussprechen, was angesichts einer angeblichen „linken Hegemonie“ nicht mehr gesagt werden darf. Das ist die klassische Rhetorik des Populismus. Im Fall der Migrationspolitik stärkt das letztlich die Position, die eigenen Privilegien als selbstverständlich in Anspruch zu nehmen und zu verteidigen. Zumindest indirekt werden damit etwa Gewalt und unterlassene Hilfeleistungen an den europäischen Außengrenzen legitimiert. Da kann man schon eine Verbindung zu Nekropolitik ziehen.
Wie müsste für die Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie eine Aufarbeitung der Veranstaltung aussehen?
„Aufarbeitung“ im positiven Sinn müsste eine kritische Selbstreflexion einschließen. Susanne Schröter distanziert sich zwar von Boris Palmers verbalen Entgleisungen im Rahmen der Tagung, aber darüber hinaus müsste sie sich fragen, ob die Zielrichtung der Veranstaltung diskriminierenden und rassistischen Äußerungen und Positionen nicht gerade Vorschub leistet.
Zur Person_____________________________________________________________
Prof. Dr. Martin Sökefeld ist Ethnologe mit einem Lehrstuhl an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politik, „Natur“katastrophen, Identitätstheorie, Flucht, Migration, Diaspora sowie Transnationalismus und Islam. Martin Sökefeld ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA).
15. Mai 2023, 17.20 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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