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Jüdisches Museum
Debatte um Aiwanger: „Das war der Nazi der Schule“
Kurz vor der Hessen-Wahl greift das Jüdische Museum in Frankfurt die Debatte um den Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger auf. Wie viel Verantwortung haben die Medien im Umgang mit Antisemitismus? Das JOURNAL war vor Ort.
Kurz vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern erregt eine Affäre um den Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger die Gemüter. Die Süddeutsche Zeitung hatte ein antisemitisches Flugblatt öffentlich gemacht, das sich in Aiwangers Besitz als 17-jähriger Schüler befand. Die Urheberschaft des menschenverachtenden Textes bestritt er, vielmehr sei sein Bruder für den Inhalt verantwortlich gewesen. In der Folge wurden immer mehr Vorwürfe zu Aiwangers früherem Verhalten erhoben. Für manchen Beobachter viel zu spät entschuldigte er sich, beklagte aber zugleich eine Kampagne gegen seine Person.
Das Jüdische Museum Frankfurt griff vor der Hessen-Wahl die Debatte um die Causa Aiwanger sowie die Rolle und Verantwortung von Medien im Umgang mit Politik, Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus auf. Die Süddeutsche war aufgrund ihrer Berichterstattung kritisiert worden, machte ihr Vorgehen jedoch transparent. Am Mittwochabend diskutierten nun Wolfgang Krach (SZ), Esther Schapira (Hessischer Rundfunk) und Claudius Seidl (FAZ) unter der Moderation von Peter Frey, ehemals Chefredakteur des ZDF.
Coup oder Kampagne? SZ veröffentlichte antisemitisches Flugblatt – Aiwanger macht sich zum Opfer
„Coup oder Kampagne?“ lautete die übergeordnete Fragestellung, und kleiner Spoiler vorweg: Einig wurden sich die Diskutanten nicht. Frey verwies zunächst auf den Zeitpunkt der Berichterstattung zu Beginn des Landtagswahlkampfs. Habe die SZ Aiwanger etwa stürzen wollen? Wenn, sei das nach hinten losgegangen: „Antisemitismus schadet in bestimmten Kreisen nicht.“ Esther Schapira sah denn auch keine Sturzabsichten: „Ich glaube nicht, dass man in Deutschland für rechten Populismus abgestraft wird“, bei dem aktuellen Klima sei das Gegenteil der Fall. Im Übrigen handele es sich bei dem Flugblatt nur um ein Detail; es gehe eigentlich um die Zeit, als Aiwanger „Rechtsradikaler war“.
Claudius Seidls Job war es, als dezidierter Vertreter des SZ-Konkurrenzmediums FAZ, die Gegenposition zu vertreten und ordentlich auf den Putz zu hauen: „Ich sehe es kategorisch anders und muss den Artikel aufs schärfste kritisieren“, sagte er, um noch einen draufzusetzen. Der Artikel (von Seite 3, K.T.) habe den größten „Schaden angerichtet seit Relotius“. Sie erinnern sich? Claas Relotius war der Spiegel-Autor, der die größten Teile seiner Texte schlicht erfunden hat.
Aiwanger-Berichterstattung der SZ: „Besoffen von den eigenen Enthüllungen“
Seidels Kritik an der SZ war hingegen eine andere. „Besoffen von den eigenen Enthüllungen“ seien die Autoren gewesen, „Dramen“ und „kitschige Formulierungen“ anstatt Berichte hätte die SZ geliefert und Aiwanger so die Chance gegeben, „sich als Opfer zu generieren“. Seidl hätte gerne mehr „Behutsamkeit“ gehabt. Schapira widersprach. Aiwangers Habitus sei ja nicht „vom Himmel gefallen“. Tatsächlich hatte er mit einer Wahlkampfrede im bayrischen Erding – „Holen wir uns die Demokratie zurück“ – bereits angedeutet, wessen Geistes Kind er ist. Immerhin ähnelt die Aussage doch dem Gaulandschen Satz „Wir werden sie jagen“.
Lehrer von Aiwanger kam zur SZ: „Das war der Nazi der Schule“
Frey wendete sich schließlich an den SZ-Chef Wolfgang Krach. Ob die Causa Aiwanger auch eine „Geschichte des Scheiterns“ für die SZ sei? Das sei eine falsche Kategorie, erklärte Krach. Man habe die Geschichte zunächst einmal vor sich hergeschoben und die „Indizienlage abgewartet“. Ob man Aiwanger schade, habe nie eine Rolle gespielt: „Der Sachverhalt ist so gravierend, dass er nicht unter den Tisch fallen kann“, stürzen habe man ihn nicht wollen.
Weiter hätte Anfang August ein Lehrer von Aiwanger – „Das war der Nazi der Schule“ – mit seiner Zeitung Kontakt aufgenommen. Seine Empörung ob der aktuellen Auslassungen des Freie-Wähler-Chefs seien zu groß gewesen, als dass er hätte ob der Vergangenheit weiter schweigen können. Dann habe man weitere Zeugenaussagen eingeholt und „akribisch recherchiert“.
Mit Bezug auf Seidls Stil-Kritik verwies Krach darauf, dass es zwei Geschichten am Tag der Veröffentlichung (26. August) gegeben hätte: zum einen die Nachricht, zum anderen die Nachzeichnungen des 17-jährigen Aiwanger „bis heute“. Es sollten „gewisse Konstanten beschrieben“ werden. Er verstehe jedoch die Kritik am Stil, auch wenn er sie nicht teile.
Stilkritik in Aiwanger-Berichterstattung – Debatte im Jüdischen Museum Frankfurt
Der Süddeutschen war unter anderem auch unzulässige „Verdachtberichterstattung“ vorgeworfen worden. Wann sei die zulässig, fragte Peter Frey. Krach sprach von einem „unstrittigen“ berechtigten öffentlichen Interesse bezüglich des bayrischen Wirtschaftsministers Aiwanger, der mit 17 Jahren Neonazi gewesen sei: „Wenn das kein öffentliches Interesse ist.“ Auch könne von Vorverurteilung keine Rede sein. Man habe immer geschrieben, dass „Aiwanger die Vorwürfe bestreitet“. Aber: „Aiwanger hat gelogen bei der Recherche“, er habe nur einen einzigen Satz gesagt – „Ich hab sowas nicht produziert“.
Seidl wollte das so nicht stehen lassen: „Sind wir sicher, dass man dem Aiwanger vorwerfen kann, was er mit 17 gemacht hat?“ Schapira wiederholte, dass es eben nicht nur um das Flugblatt gehe. Auch hätte er seine Jugendsünden zugeben, „klaren Tisch“ machen können, Aiwanger hingegen „sammelt Bierzelte ein“. Dass er sich nun zum Opfer stilisiert, sei „zutiefst ekelhaft“. Selbst Seidl musste einräumen, dass Aiwanger „die Wucht“ hätte rausnehmen können, hätte er der SZ geantwortet.
Causa Aiwanger: Was bedeutet das für die erinnerungspolitische Kultur?
Ob sich „das Bierzelt“ durchgesetzt habe, wollte Frey schließlich wissen. Und was die Causa Aiwanger für die erinnerungspolitische Kultur in Deutschland bedeute. Esther Schapira hält das für eine Zäsur. Etwas sei sagbar geworden, es sei „diese Sehnsucht nach einem Schlussstrich“, sagte sie und verwies auf ein Drittel der Menschen, die für faschistisches Gedankengut erreichbar seien. Seidl wollte da nicht mitgehen. Aiwanger habe keine erinnerungspolitischen Folgen, legte er sich fest. Allerdings sei das die „ganze Sache auch zu unübersichtlich“.
Fazit: Was war es denn nun, Coup oder Kampagne? „Es war eine Enthüllung“ sagte Schapira, Krach sah einen Vorgang, der „bekannt gemacht worden“ sei. Und Seidl? Der sah natürlich beides.
Das Jüdische Museum Frankfurt griff vor der Hessen-Wahl die Debatte um die Causa Aiwanger sowie die Rolle und Verantwortung von Medien im Umgang mit Politik, Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus auf. Die Süddeutsche war aufgrund ihrer Berichterstattung kritisiert worden, machte ihr Vorgehen jedoch transparent. Am Mittwochabend diskutierten nun Wolfgang Krach (SZ), Esther Schapira (Hessischer Rundfunk) und Claudius Seidl (FAZ) unter der Moderation von Peter Frey, ehemals Chefredakteur des ZDF.
Coup oder Kampagne? SZ veröffentlichte antisemitisches Flugblatt – Aiwanger macht sich zum Opfer
„Coup oder Kampagne?“ lautete die übergeordnete Fragestellung, und kleiner Spoiler vorweg: Einig wurden sich die Diskutanten nicht. Frey verwies zunächst auf den Zeitpunkt der Berichterstattung zu Beginn des Landtagswahlkampfs. Habe die SZ Aiwanger etwa stürzen wollen? Wenn, sei das nach hinten losgegangen: „Antisemitismus schadet in bestimmten Kreisen nicht.“ Esther Schapira sah denn auch keine Sturzabsichten: „Ich glaube nicht, dass man in Deutschland für rechten Populismus abgestraft wird“, bei dem aktuellen Klima sei das Gegenteil der Fall. Im Übrigen handele es sich bei dem Flugblatt nur um ein Detail; es gehe eigentlich um die Zeit, als Aiwanger „Rechtsradikaler war“.
Claudius Seidls Job war es, als dezidierter Vertreter des SZ-Konkurrenzmediums FAZ, die Gegenposition zu vertreten und ordentlich auf den Putz zu hauen: „Ich sehe es kategorisch anders und muss den Artikel aufs schärfste kritisieren“, sagte er, um noch einen draufzusetzen. Der Artikel (von Seite 3, K.T.) habe den größten „Schaden angerichtet seit Relotius“. Sie erinnern sich? Claas Relotius war der Spiegel-Autor, der die größten Teile seiner Texte schlicht erfunden hat.
Seidels Kritik an der SZ war hingegen eine andere. „Besoffen von den eigenen Enthüllungen“ seien die Autoren gewesen, „Dramen“ und „kitschige Formulierungen“ anstatt Berichte hätte die SZ geliefert und Aiwanger so die Chance gegeben, „sich als Opfer zu generieren“. Seidl hätte gerne mehr „Behutsamkeit“ gehabt. Schapira widersprach. Aiwangers Habitus sei ja nicht „vom Himmel gefallen“. Tatsächlich hatte er mit einer Wahlkampfrede im bayrischen Erding – „Holen wir uns die Demokratie zurück“ – bereits angedeutet, wessen Geistes Kind er ist. Immerhin ähnelt die Aussage doch dem Gaulandschen Satz „Wir werden sie jagen“.
Lehrer von Aiwanger kam zur SZ: „Das war der Nazi der Schule“
Frey wendete sich schließlich an den SZ-Chef Wolfgang Krach. Ob die Causa Aiwanger auch eine „Geschichte des Scheiterns“ für die SZ sei? Das sei eine falsche Kategorie, erklärte Krach. Man habe die Geschichte zunächst einmal vor sich hergeschoben und die „Indizienlage abgewartet“. Ob man Aiwanger schade, habe nie eine Rolle gespielt: „Der Sachverhalt ist so gravierend, dass er nicht unter den Tisch fallen kann“, stürzen habe man ihn nicht wollen.
Weiter hätte Anfang August ein Lehrer von Aiwanger – „Das war der Nazi der Schule“ – mit seiner Zeitung Kontakt aufgenommen. Seine Empörung ob der aktuellen Auslassungen des Freie-Wähler-Chefs seien zu groß gewesen, als dass er hätte ob der Vergangenheit weiter schweigen können. Dann habe man weitere Zeugenaussagen eingeholt und „akribisch recherchiert“.
Mit Bezug auf Seidls Stil-Kritik verwies Krach darauf, dass es zwei Geschichten am Tag der Veröffentlichung (26. August) gegeben hätte: zum einen die Nachricht, zum anderen die Nachzeichnungen des 17-jährigen Aiwanger „bis heute“. Es sollten „gewisse Konstanten beschrieben“ werden. Er verstehe jedoch die Kritik am Stil, auch wenn er sie nicht teile.
Stilkritik in Aiwanger-Berichterstattung – Debatte im Jüdischen Museum Frankfurt
Der Süddeutschen war unter anderem auch unzulässige „Verdachtberichterstattung“ vorgeworfen worden. Wann sei die zulässig, fragte Peter Frey. Krach sprach von einem „unstrittigen“ berechtigten öffentlichen Interesse bezüglich des bayrischen Wirtschaftsministers Aiwanger, der mit 17 Jahren Neonazi gewesen sei: „Wenn das kein öffentliches Interesse ist.“ Auch könne von Vorverurteilung keine Rede sein. Man habe immer geschrieben, dass „Aiwanger die Vorwürfe bestreitet“. Aber: „Aiwanger hat gelogen bei der Recherche“, er habe nur einen einzigen Satz gesagt – „Ich hab sowas nicht produziert“.
Seidl wollte das so nicht stehen lassen: „Sind wir sicher, dass man dem Aiwanger vorwerfen kann, was er mit 17 gemacht hat?“ Schapira wiederholte, dass es eben nicht nur um das Flugblatt gehe. Auch hätte er seine Jugendsünden zugeben, „klaren Tisch“ machen können, Aiwanger hingegen „sammelt Bierzelte ein“. Dass er sich nun zum Opfer stilisiert, sei „zutiefst ekelhaft“. Selbst Seidl musste einräumen, dass Aiwanger „die Wucht“ hätte rausnehmen können, hätte er der SZ geantwortet.
Causa Aiwanger: Was bedeutet das für die erinnerungspolitische Kultur?
Ob sich „das Bierzelt“ durchgesetzt habe, wollte Frey schließlich wissen. Und was die Causa Aiwanger für die erinnerungspolitische Kultur in Deutschland bedeute. Esther Schapira hält das für eine Zäsur. Etwas sei sagbar geworden, es sei „diese Sehnsucht nach einem Schlussstrich“, sagte sie und verwies auf ein Drittel der Menschen, die für faschistisches Gedankengut erreichbar seien. Seidl wollte da nicht mitgehen. Aiwanger habe keine erinnerungspolitischen Folgen, legte er sich fest. Allerdings sei das die „ganze Sache auch zu unübersichtlich“.
Fazit: Was war es denn nun, Coup oder Kampagne? „Es war eine Enthüllung“ sagte Schapira, Krach sah einen Vorgang, der „bekannt gemacht worden“ sei. Und Seidl? Der sah natürlich beides.
28. September 2023, 15.14 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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23. Dezember 2024
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