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Goethe-Uni: Migrationskonferenz
„Das eigentliche Problem ist nicht Boris Palmer, sondern die Einladungskultur“
Der Jurist Wolfang Hecker spricht im JOURNAL über die Konferenzkultur in den Veranstaltungen von Susanne Schröter und warum die Eskalation um Boris Palmer erwartbar war..
Herr Hecker, Sie waren auch auf dem Migrations-Kongress von Susanne Schröter an der Goethe-Uni. Was war Ihr Eindruck?
Das Podium der Veranstaltung war deutlich einseitig zusammengesetzt. Auch Sascha Zoske konstatierte in einem Beitrag der F.A.Z. vom 25.04.2023, dass die Konferenz eine „gewisse Einseitigkeit“ zugunsten von Sprechern aufwies, „die sich vor allem mit negativen Aspekten der Zuwanderung beschäftigten“. Selbstverständlich können in einer universitären Veranstaltung Formen der Steuerung und Begrenzung der Migration thematisiert werden. Es muss auch nicht jede Konferenz Vorstellungen einer strikten „Ausgewogenheit“ folgen, da die Setzung spezieller Akzente Teil der Wissenschaftsfreiheit ist. Das Programm der Frankfurter Migrationskonferenz wies allerdings eine deutliche Einseitigkeit auf.
Was war am problematischsten?
Problematisch war vor allem auch das Panel Jugend und Bildung. Statistische Erkenntnisse zu schulischen Lernerfolgen von Flüchtlingskindern, die an einem Vergleich mit deutschen Kindern anknüpfen, geraten wie entsprechende Kriminalitätsstatistiken in die Gefahr, soziale Aspekte zu vernachlässigen und vorurteilsgeprägten Betrachtungen Raum zu geben. Der Beitrag zu Gewalt an deutschen Schulen wies eine stark emotionalisierte Betrachtung unter dem Aspekt einer islamistischen Einflussnahme in den Schulen auf. Zu dem Thema existieren zahlreiche Untersuchungen und Praxisempfehlungen, die das Thema differenziert, ohne die in dem Konferenzbeitrag festzustellende emotionalisierende Zuspitzung behandeln.
Wer Palmer einlädt, bekommt auch Palmer
Was ist das größere Problem: Solche Veranstaltungen oder Boris Palmer?
Boris Palmer ist bereits in der Vergangenheit durch zahlreiche fragwürdige Äußerungen mit teils auch rassistischer Färbung aufgefallen. Der Verlauf der Konferenz hat bestätigt, dass wer Palmer einlädt, auch Palmer bekommt. Für die Behandlung der kommunalen Herausforderungen im Zuge der Migrationsentwicklung stehen viele andere Bürgermeister in Deutschland als Experten bereit. Dass ausgerechnet Boris Palmer zu einer derartigen Konferenz eingeladen wird, dürfte andere Gründe haben: Es geht um die Erzeugung von Medienaufmerksamkeit bei bewusster Hinnahme des bekannten Eskalationspotentials von Palmer.
Privat
Susanne Schröter hat sich nachträglich zur Personalie geäußert
Die Stellungnahme der Veranstalterin der Konferenz, Susanne Schröter, Palmer sei allein wegen seiner kommunalen Kompetenz eingeladen worden, greift zu kurz. Palmer ist ein Garant für Medienaufmerksamkeit, und passte in das stark verengte Konferenzprofil, auch wenn die Art und Weise des Auftritts von Palmer am Ende selbst die Veranstalterin überrascht hat. Für derartige „Überraschungen“ ist Palmer aber seit Jahren bekannt. Das eigentliche Problem ist somit nicht Boris Palmer, der sich als seriöser Gesprächspartner gerade für das Thema Migration selbst diskreditiert hat, sondern eine Einladungskultur, die ausgerechnet auf Akteure wie Palmer setzt, obwohl es viele andere Experten aus dem kommunalen Raum zu dem Thema gibt.
Besonderheiten der hier festzustellenden Konferenzkultur bei Susanne Schröter
Sie sprechen von einer „fragwürdigen Konferenzkultur in den Veranstaltungen von Susanne Schröter“. Können Sie das konkretisieren?
Auffällig war ja in diesem Zusammenhang bereits die sogenannte Kopftuchkonferenz von Susanne Schröter im Jahre 2019. Auch hier war eine insgesamt deutlich einseitige Ausrichtung der Konferenz zu beobachten. Ich war zudem als Teilnehmer der Konferenz selbst mit den Besonderheiten der hier festzustellenden Konferenzkultur konfrontiert. Im Zusammenhang mit den Forderungen nach einem Verbot des Kopftuchs von Schülerinnen hatte ich im Konferenzverlauf eine kritische Anmerkung aus verfassungsrechtlicher Sicht gemacht. Darauf sprach mich Hamed Abdel-Samad vom Podium aus mit der Bemerkung an, er wisse ja nicht, wer ich bin, und ob ich vielleicht selbst an der Unterdrückung der Mädchen mitwirken würde.
In einer seriösen wissenschaftlichen Konferenz hätte ich erwartet, dass seitens der Moderation oder der Veranstalterin bei einer derartigen Äußerung eingegriffen wird, was aber nicht der Fall war. Der Umgang mit dem Thema auf der Kopftuchkonferenz 2019 war für mich Anlass für die Publikation „Die Kopftuchdebatte – Verfassungsrecht und Sozialwissenschaften“ (2022), in der ich mich auch eingehend mit der Themenbehandung durch Susanne Schröter und weiterer Stimmen befasse, die das Kopftuch undifferenziert als „Symbol des politischen Islam“ einordnen.
Susanne Schröter hätte unmittelbar zu den Äußerungen von Palmer Stellung nehmen müssen
Auch der Präsident der Goethe-Uni hat sich geäußert.
Ja, er hat sich sehr kritisch geäußert und betont, die Veranstalterin Susanne Schröter hätte unmittelbar zu den Äußerungen von Palmer Stellung nehmen müssen, was Sie aber nicht tat, sondern erst im Nachgang zu der Veranstaltung. Ich sehe hier unter Berücksichtigung meiner Erfahrungen auf der Konferenz von 2019 eine deutliche Linie. Zwar ist es unbestritten, dass in universitären Veranstaltungen ein breites Meinungsspektrum zu Wort kommen soll, es müssen aber auch bestimmte Grundstandards und Grenzziehungen beachtet werden.
Was meinen Sie konkret?
Es muss gewährleistet sein, dass bei Grenzüberschreitungen von Referenten auf dem Podium seitens der Moderatoren oder der Veranstalter selbst eingegriffen wird. Dass Boris Palmer als Referent auf universitären Tagungen fehl am Platze ist, wird spätestens nach dem aktuellen Konferenzverlauf wohl niemand mehr bestreiten. Auch die Hertie-Stiftung, die wertvolle Beiträge zur Demokratieförderung leistet, wird überdenken müssen, ob die Finanzierung von Tagungen mit einer so stark verengten Ausrichtung und teilweise fragwürdigen Akteuren nicht falsch ist.
Zur Person_________________________________________________________________________
Wolfgang Hecker war bis 2018 Professor für Staats- und Verfassungsrecht an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung. Er setzt sich mit Fragen des Verfassungsrechts und des Polizei- und Ordnungsrechts auseinander. Schwerpunktthemen sind die Grundrechte, speziell die Sicherung des öffentlichen Raums als Raum für alle, die Freiheit politischer Betätigung, die Glaubensfreiheit (insbesondere der Kopftuchstreit) und die neuere Debatte zur Paritätsgesetzgebung.
Das Podium der Veranstaltung war deutlich einseitig zusammengesetzt. Auch Sascha Zoske konstatierte in einem Beitrag der F.A.Z. vom 25.04.2023, dass die Konferenz eine „gewisse Einseitigkeit“ zugunsten von Sprechern aufwies, „die sich vor allem mit negativen Aspekten der Zuwanderung beschäftigten“. Selbstverständlich können in einer universitären Veranstaltung Formen der Steuerung und Begrenzung der Migration thematisiert werden. Es muss auch nicht jede Konferenz Vorstellungen einer strikten „Ausgewogenheit“ folgen, da die Setzung spezieller Akzente Teil der Wissenschaftsfreiheit ist. Das Programm der Frankfurter Migrationskonferenz wies allerdings eine deutliche Einseitigkeit auf.
Was war am problematischsten?
Problematisch war vor allem auch das Panel Jugend und Bildung. Statistische Erkenntnisse zu schulischen Lernerfolgen von Flüchtlingskindern, die an einem Vergleich mit deutschen Kindern anknüpfen, geraten wie entsprechende Kriminalitätsstatistiken in die Gefahr, soziale Aspekte zu vernachlässigen und vorurteilsgeprägten Betrachtungen Raum zu geben. Der Beitrag zu Gewalt an deutschen Schulen wies eine stark emotionalisierte Betrachtung unter dem Aspekt einer islamistischen Einflussnahme in den Schulen auf. Zu dem Thema existieren zahlreiche Untersuchungen und Praxisempfehlungen, die das Thema differenziert, ohne die in dem Konferenzbeitrag festzustellende emotionalisierende Zuspitzung behandeln.
Was ist das größere Problem: Solche Veranstaltungen oder Boris Palmer?
Boris Palmer ist bereits in der Vergangenheit durch zahlreiche fragwürdige Äußerungen mit teils auch rassistischer Färbung aufgefallen. Der Verlauf der Konferenz hat bestätigt, dass wer Palmer einlädt, auch Palmer bekommt. Für die Behandlung der kommunalen Herausforderungen im Zuge der Migrationsentwicklung stehen viele andere Bürgermeister in Deutschland als Experten bereit. Dass ausgerechnet Boris Palmer zu einer derartigen Konferenz eingeladen wird, dürfte andere Gründe haben: Es geht um die Erzeugung von Medienaufmerksamkeit bei bewusster Hinnahme des bekannten Eskalationspotentials von Palmer.
Privat
Susanne Schröter hat sich nachträglich zur Personalie geäußert
Die Stellungnahme der Veranstalterin der Konferenz, Susanne Schröter, Palmer sei allein wegen seiner kommunalen Kompetenz eingeladen worden, greift zu kurz. Palmer ist ein Garant für Medienaufmerksamkeit, und passte in das stark verengte Konferenzprofil, auch wenn die Art und Weise des Auftritts von Palmer am Ende selbst die Veranstalterin überrascht hat. Für derartige „Überraschungen“ ist Palmer aber seit Jahren bekannt. Das eigentliche Problem ist somit nicht Boris Palmer, der sich als seriöser Gesprächspartner gerade für das Thema Migration selbst diskreditiert hat, sondern eine Einladungskultur, die ausgerechnet auf Akteure wie Palmer setzt, obwohl es viele andere Experten aus dem kommunalen Raum zu dem Thema gibt.
Sie sprechen von einer „fragwürdigen Konferenzkultur in den Veranstaltungen von Susanne Schröter“. Können Sie das konkretisieren?
Auffällig war ja in diesem Zusammenhang bereits die sogenannte Kopftuchkonferenz von Susanne Schröter im Jahre 2019. Auch hier war eine insgesamt deutlich einseitige Ausrichtung der Konferenz zu beobachten. Ich war zudem als Teilnehmer der Konferenz selbst mit den Besonderheiten der hier festzustellenden Konferenzkultur konfrontiert. Im Zusammenhang mit den Forderungen nach einem Verbot des Kopftuchs von Schülerinnen hatte ich im Konferenzverlauf eine kritische Anmerkung aus verfassungsrechtlicher Sicht gemacht. Darauf sprach mich Hamed Abdel-Samad vom Podium aus mit der Bemerkung an, er wisse ja nicht, wer ich bin, und ob ich vielleicht selbst an der Unterdrückung der Mädchen mitwirken würde.
In einer seriösen wissenschaftlichen Konferenz hätte ich erwartet, dass seitens der Moderation oder der Veranstalterin bei einer derartigen Äußerung eingegriffen wird, was aber nicht der Fall war. Der Umgang mit dem Thema auf der Kopftuchkonferenz 2019 war für mich Anlass für die Publikation „Die Kopftuchdebatte – Verfassungsrecht und Sozialwissenschaften“ (2022), in der ich mich auch eingehend mit der Themenbehandung durch Susanne Schröter und weiterer Stimmen befasse, die das Kopftuch undifferenziert als „Symbol des politischen Islam“ einordnen.
Susanne Schröter hätte unmittelbar zu den Äußerungen von Palmer Stellung nehmen müssen
Auch der Präsident der Goethe-Uni hat sich geäußert.
Ja, er hat sich sehr kritisch geäußert und betont, die Veranstalterin Susanne Schröter hätte unmittelbar zu den Äußerungen von Palmer Stellung nehmen müssen, was Sie aber nicht tat, sondern erst im Nachgang zu der Veranstaltung. Ich sehe hier unter Berücksichtigung meiner Erfahrungen auf der Konferenz von 2019 eine deutliche Linie. Zwar ist es unbestritten, dass in universitären Veranstaltungen ein breites Meinungsspektrum zu Wort kommen soll, es müssen aber auch bestimmte Grundstandards und Grenzziehungen beachtet werden.
Was meinen Sie konkret?
Es muss gewährleistet sein, dass bei Grenzüberschreitungen von Referenten auf dem Podium seitens der Moderatoren oder der Veranstalter selbst eingegriffen wird. Dass Boris Palmer als Referent auf universitären Tagungen fehl am Platze ist, wird spätestens nach dem aktuellen Konferenzverlauf wohl niemand mehr bestreiten. Auch die Hertie-Stiftung, die wertvolle Beiträge zur Demokratieförderung leistet, wird überdenken müssen, ob die Finanzierung von Tagungen mit einer so stark verengten Ausrichtung und teilweise fragwürdigen Akteuren nicht falsch ist.
Zur Person_________________________________________________________________________
Wolfgang Hecker war bis 2018 Professor für Staats- und Verfassungsrecht an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung. Er setzt sich mit Fragen des Verfassungsrechts und des Polizei- und Ordnungsrechts auseinander. Schwerpunktthemen sind die Grundrechte, speziell die Sicherung des öffentlichen Raums als Raum für alle, die Freiheit politischer Betätigung, die Glaubensfreiheit (insbesondere der Kopftuchstreit) und die neuere Debatte zur Paritätsgesetzgebung.
2. Mai 2023, 08.19 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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22. Dezember 2024
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