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Gegen die Verdrängung der NS-Zeit

Vor 60 Jahren begann der Auschwitz-Prozess in Frankfurt

Am 20. Dezember 1963 begann der Auschwitz-Prozess in Frankfurt. Es war der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der für Aufklärung kämpfte. Auch er musste aus Nazi-Deutschland fliehen.
Fritz Bauer war seiner Zeit weit voraus. In den 1950er- und 1960er-Jahren, als in Deutschland Abtreibung, Ehebruch und Homosexualität ein Fall für den Richter waren, trommelte der hessische Generalstaatsanwalt für eine Liberalisierung des Strafrechts. „Nach dem Prozess war Bauer enttäuscht, von den Urteilen und dass es in der Bevölkerung kein Umdenken gegeben hatte“, erklärt Tobias Freimüller, stellvertretender Direktor des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt. Über 20 Männer waren in dem Auschwitz-Prozess angeklagt, die Anklageschrift umfasste exakt 700 Seiten, mehrere Staatsanwälte hatten sie geschrieben.

Fritz Bauer kämpfte mit dem Auschwitz-Prozess gegen die Verdrängung

Einer der Anklagevertreter in dem Prozess war Gerhard Wiese, heute 94 Jahre alt. Er lebt immer noch in Frankfurt, an seine erste Begegnung mit Bauer kann er sich gut erinnern. „Als er 1956 von Braunschweig nach Frankfurt kam, wollte er die Referendare der Staatsanwaltschaft kennenlernen. Wir trafen uns in seinem verräucherten Dienstzimmer – er rauchte eine nach der anderen – und diskutierten darüber, ob die Berliner Gedächtniskirche wieder aufgebaut werden sollte“, sagt er.

Der junge Jurist war anderer Meinung als der frisch gekürte Generalstaatsanwalt, nach einem kurzen Disput durfte er gehen. „Bauer war hart in der Diskussion, aber für Gegenargumente zugänglich“, so sein Eindruck. Sechs Jahre später nahm Bauer ihn in sein Team aus jungen Staatsanwälten auf, die den Auschwitz-Prozess vorbereiten und durchführen sollten. „Seine Vorgabe war es, bei den Angeklagten einen Querschnitt durch das ganze Lager abzubilden“, erinnert sich der frühere Staatsanwalt.

Wiese: Bauer war hart in der Diskussion, aber für Gegenargumente zugänglich

Bauer selbst war als Sozialdemokrat und Jude im Nationalsozialismus verfolgt worden. Geboren am 16. Juli 1903 in Stuttgart und aufgewachsen in Tübingen, war er nach seinem Jura-Studium der damals jüngste Amtsrichter Deutschlands. Bis zum 23. März 1933, an diesem Tag klickten in seinem Dienstzimmer im Stuttgarter Gericht die Handschellen – Bauer wurde verhaftet und in das Konzentrationslager Heuberg auf der Schwäbischen Alb gebracht.

Über acht Monate musste er dort verbringen. Nach seiner Entlassung floh er ins Exil nach Dänemark und weiter nach Schweden, dort engagierte er sich mit dem späteren deutschen Bundeskanzler Willy Brandt in sozialdemokratischen Organisationen.

Engagement mit Willy Brandt

1949 kehrte er zurück nach Deutschland, zunächst als Direktor des Landgerichts Braunschweig, kurz darauf wurde er Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht der Stadt. Bald machte er zum ersten Mal bundesweit Schlagzeilen, denn er klagte den früheren Wehrmachtsoffizier Otto Ernst Remer an, der den Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg als Landesverräter bezeichnet hatte. „Ein Unrechtsstaat wie das Dritte Reich ist überhaupt nicht hochverratsfähig“, sagte Bauer in seinem Plädoyer. Remer wurde wegen Beleidigung zu drei Monaten Haft verurteilt.

Fritz Bauer: Einsatz gegen einen früheren Wehrmachtsoffizier

1956 wechselte der aufstrebende Jurist als neuer hessischer Generalstaatsanwalt zum Frankfurter Gericht. Bauer sei es dort mit den vielen Staatsanwälten aus der Nazizeit unheimlich gewesen, erinnert sich Wiese: „Er war als Jude und als Flüchtling umgeben von diesen Leuten.“ Von Bauer ist aus dieser Zeit das Zitat überliefert: „Wenn ich mein Arbeitszimmer verlasse, betrete ich Feindesland.“ Abschrecken ließ er sich davon nicht, sondern er nutzte seine Position als oberster Chefankläger Hessens für eine Welle von Ermittlungs- und Strafverfahren gegen NS-Täter.

Erst nach seinem Tod wurde bekannt, dass er zudem mit dem israelischen Geheimdienst zusammengearbeitet hatte, um den in Argentinien untergetauchten Adolf Eichmann aufzuspüren. Eichmann, einer der Hauptorganisatoren des Holocaust, wurde verhaftet, in Jerusalem vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und 1962 gehängt.

Zusammenarbeit mit dem israelischen Geheimdienst

In Frankfurt strebte Bauer in den 1960er-Jahren auf den Höhepunkt seiner Karriere zu, den historischen Auschwitz-Prozess. „Er war sehr bekannt, eine herausragende Persönlichkeit“, beschreibt Freimüller das damalige Leben des Generalstaatsanwalts. Er sei viel angefeindet worden, anders als später dargestellt jedoch kein Einzelkämpfer gewesen. „Er hatte ein Netzwerk“, erklärt der Fachmann.

Nicht nur als Jurist war Bauer hochbegabt, sondern auch in der Öffentlichkeitsarbeit, sehr deutlich wurde das beim Auschwitz-Prozess. Er wollte die große mediale Aufmerksamkeit und bekam sie. „Fritz Bauer war in der Berichterstattung fast wichtiger als die Angeklagten selbst“, sagt Freimüller. Auch etliche Schulklassen besuchten den Prozess, für viele junge Menschen war dieser laut dem stellvertretenden Direktor des Fritz Bauer Instituts „ein Erweckungserlebnis“. Bauer hoffte auf eine große pädagogische Wirkung auf die Deutschen, in dem Prozess trat er nicht auf.

Freimüller: Bauer wollte beim Auschwitz-Prozess die große mediale Aufmerksamkeit

Das Ergebnis der von 1963 bis 1965 dauernden Gerichtsverhandlung war für ihn letztlich ernüchternd. Nur sechs der Angeklagten wurden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt, es gab sogar drei Freisprüche. Erst über 40 Jahre nach seinem Tod schloss sich die deutsche Justiz in den nun geführten NS-Prozessen seiner Argumentation an.

Demnach muss einem Angeklagten für eine Verurteilung keine konkrete Tötungshandlung nachgewiesen werden, wenn er Teil der Tötungsmaschinerie gewesen war. Auch in der Bevölkerung hatte sich mit dem Auschwitz-Prozess nichts tiefgreifend geändert. Viele wollten nach wie vor einen dicken Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen.

Deutsche Justiz übernimmt Bauers Argumentation erst 40 Jahre später

Am Ende seines Lebens war Bauer frustriert und desillusioniert, wie Freimüller erzählt. „Er hatte allen Grund dazu“, sagt er. Ein von ihm geplanter großer Prozess wegen der Euthanasie-Verbrechen war geplatzt, weil sich der Hauptangeklagte umgebracht hatte. Bauer sah sich vielen Anfeindungen ausgesetzt, beruflich und privat.

Am 1. Juli 1968 wurde er tot in der Badewanne seiner Wohnung gefunden. Es gab Gerüchte über Mord oder eine Selbsttötung. „Es deutet alles auf einen natürlichen Tod hin“, erklärt dazu Freimüller, der ehemalige Staatsanwalt Wiese ist der gleichen Meinung: „Es gab mehrere Obduktionen, Bauer war Kettenraucher, seine Lunge sah verheerend aus.“

Viele Anfeindungen gegen Fritz Bauer

Nach seinem Tod geriet Bauer lange in Vergessenheit, auch sein Geist der NS-Aufklärung wurde nicht fortgesetzt. Das änderte sich langsam in den 1990er-Jahren. 2010 erschien ein erster Dokumentarfilm, es folgten zwei Kino- und ein Fernsehfilm. „Seit einigen Jahren gibt es einen ‚Bauer-Boom‘“, so formuliert es Freimüller. Mittlerweile ist das Wirken des hartnäckigen und mutigen Juristen so anerkannt, dass sogar Straßen und Schulen nach ihm benannt sind.
 
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20. Dezember 2023, 16.44 Uhr
Sabine Maurer
 
 
 
 
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