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Freiwilligendienste
„Geht es um Kinder und Jugendliche, wird schnell der Rotstift angesetzt“
Freiwilligendienste stehen auf der Kürzungsliste der Ampel-Regierung. Inwiefern auch kommunale Träger betroffen sind, erklärt Susanne Hilf von der LKB mit Sitz in Frankfurt.
Frau Hilf, Sie vertreten die Landesvereinigung der kulturellen Bildung in Hessen. Was machen Sie genau?
Die LKB Hessen ist der landesweite Fachverband, der Akteur*innen im Bereich Kultur und Bildung in Hessen. Zu unseren Mitgliedern gehören zum Beispiel die kulturellen Landesfachverbände, Arbeitskreise, freie und kommunale Träger sowie Fachgruppen, Vereine und Initiativen, die in der Kulturellen Bildung in Hessen tätig sind. Wir vertreten alle künstlerischen Sparten – von Bildender Kunst bis zur Zirkuspädagogik.
Inwiefern betrifft Ihr Angebot die Freiwilligendienste?
Neben der Interessenvertretung und Mitgliederunterstützung gehören auch verschiedene Projekte zu unserem Angebot, der „Kulturkoffer“ und „LandKulturPerlen“ oder die „Kulturberatung Hessen“ und natürlich, schon seit über 10 Jahren, die Freiwilligendienste FSJ und BFD im Bereich Kultur. Als Träger der Kinder- und Jugendhilfe und Landesträger begleitet das Team hierbei Freiwillige und die Kultureinrichtungen als Einsatzstellen durch das Engagementjahr.
Kürzung bei Freiwilligendiensten: Ein Aufwachsen in Armut begrenzt das Leben von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Bei und mit allem, was wir tun, wollen wir als zivilgesellschaftlicher Verband vielfältige Zugänge zu Kultureller Bildung für alle Menschen befördern. Dazu gehört insbesondere auch, das freiwillige Engagement in der Kultur zu stärken.
Was hat kulturelle Teilhabe mit Kinderarmut zu tun?
Beides hängt sehr eng zusammen. Alle Studien zu dem Thema belegen: Ein Aufwachsen in Armut begrenzt das Leben von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in sehr hohem Maße, nicht nur Hier und Jetzt sondern auch mit Blick auf ihre Zukunft. Sie erleben in nahezu allen Lebensbereichen – wie Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe – Benachteiligungen. Kinder aus einkommensschwachen Familien sind z.B. seltener Mitglied in einem Verein und können Hobbies nicht nachgehen, weil das Geld für den Vereinsbeitrag oder die Ausrüstung, das Instrument, die Zeichenstifte oder die Tanzschuhe, fehlt. Auch Eintrittsgelder für Kulturorte wie Theater sind eine Hürde.
Und das betrifft auch die Freiwilligendienste?
Ja, es betrifft auch die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst im Bildungs- und Orientierungsjahr zu machen. Denn auch hier braucht es letztlich ein finanzielles Polster, um sich ein Jahr lang für ein sehr geringes Taschengeld zu engagieren, dafür vielleicht sogar in eine andere Stadt oder Region umzuziehen.
Mit den Kürzungsplänen der Ampel werden bis zu 30 Prozent aller Freiwilligenplätze in Deutschland wegfallen
Dabei ist das Recht auf Zugang zu sowie Teilhabe und Teilnahme an Kultur und Bildung in verschiedenen Gesetzen festgeschrieben, z.B. im Artikel 27 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in der UN-Kinderrechtskonvention, im Grundgesetz – hier in den Artikeln 2 und 5 oder im SGB VIII.
Was genau plant nun die Ampel?
Die Ampel-Regierung will die Unterstützung der Freiwilligendienste um 114 Millionen Euro kürzen. Die negativen Auswirkungen sind enorm, nicht nur für uns, sondern für alle Freiwilligendienste-Träger deutschlandweit. Mit den Kürzungsplänen der Ampel werden zum nächsten Jahr, spätestens ab Herbst 2024, bis zu 30 Prozent aller Freiwilligenplätze in Deutschland wegfallen. Das ist praktisch ein Kahlschlag. Es ist ein völlig falsches Signal der Ampel, den 60. Geburtstag des Gesetzes zur Einführung eines Jugendfreiwilligendienstes im kommenden Jahr mit solch radikalen Einsparmaßnahmen zu begehen.
Was heißt das konkret?
Es werden Strukturen und Expertise bei den Trägern und Einsatzstellen wegbrechen, die über Jahrzehnte mit viel Einsatz aufgebaut wurden. Für die LKB Hessen bedeutet das z.B. konkret, dass von den 155 Plätzen, die wir im aktuellen Jahrgang betreuen, ab September nächsten Jahres nur noch knapp 100 Plätze übrigbleiben. Bundesweit trägerübergreifend handelt es sich um fast 40 000 Plätze, die gestrichen werden und die dann nicht mehr zur Verfügung stehen für junge Menschen, um sich zwischen Schule, Ausbildung und Berufsorientierung für das Gemeinwohl einzusetzen.
Sicherlich haben Sie doch auch zusätzlich wie überall steigende Kosten …
Richtig, die Mittelkürzungen stehen den drastisch steigende Programmkosten drastisch gegenüber, zum Beispiel für Seminarhäuser oder qualifiziertes Personal – d.h. selbst eine Beibehaltung der Förderung auf aktuellem Niveau bedeutet für uns als Träger auch aufgrund der Inflation weitere große Haushaltslöcher, die durch die Kürzungen massiv verschärft werden.
„Im Koalitionsvertrag steht der nachfragegerechte Ausbau der Freiwilligendienste als explizites Ziel“
Was sind die Konsequenzen?
Als Konsequenz werden wir wie andere Träger auch u.a. Angebote einstellen müssen. Gerade Maßnahmen und Projekte, die im Sinne einer Teilhabegerechtigkeit mehr Menschen mit Benachteiligungen einen Freiwilligendienst ermöglichen oder generell auf die Freiwilligendienste aufmerksam machen sollen, wären stark gefährdet.
Was denken Sie, warum wird gerade in diesem Bereich gekürzt?
Das fragen wir, die wir uns für ein gutes Aufwachsen, Bildungs- und Chancengerechtigkeit in Deutschland einsetzen, uns natürlich auch – wie die über 100 000 weiteren Menschen, die im September eine Petition gegen die Kürzungen unterschrieben haben, die es bis in den Petitionsausschuss geschafft hat. Nach wie vor ist die Nachfrage nach Freiwilligendiensten groß, wir als LKB haben sehr viel mehr Bewerber*innen als Einsatzstellen. Und: Im Koalitionsvertrag steht der nachfragegerechte Ausbau der Freiwilligendienste als explizites Ziel.
Das passt aber nicht zusammen …
Wenn es um Kinder und Jugendliche geht, wird leider viel zu schnell der Rotstift angesetzt. Junge Menschen werden einfach nicht gehört und die Lobby für andere Gruppen ist offenbar wirkmächtiger. Im Grunde machen wir als Träger der kulturellen Jugendarbeit Minderheitenpolitik – in einer überalternden Bevölkerung gerät die junge Generation oft aus dem Blickfeld, wie auch und gerade die Pandemiejahre gezeigt haben.
„Durch die geplanten Kürzungen werden Jugendlichen und jungen Erwachsenen Zukunftsaussichten und Möglichkeiten genommen“
Noch immer leiden Kinder und Jugendliche verstärkt unter psychischen Belastungen und Orientierungslosigkeit – gerade auch, weil ihnen viele Erfahrungen des Jugendalters fehlen, die für vorhergehende Generationen selbstverständlich waren. Durch die geplanten Kürzungen werden Jugendlichen und jungen Erwachsenen Zukunftsaussichten und Möglichkeiten genommen, in Ausbildungsberufe übernommen zu werden oder Wartezeiten für ein Studium zu überbrücken. Das hat letztlich auch für die Gesellschaft und uns alle erhebliche negative Folgen.
Wird nicht überall ein Fachkräftemangel beklagt?
Die Bundesregierung verpasst durch die Kürzungen in den Freiwilligendiensten in allen Bereichen, Jugendliche schon jetzt für Arbeitsfelder zu begeistern und dadurch im besten Fall qualifiziertes Fachpersonal und engagierte Bürger*innen für die Zukunft zu gewinnen. Dabei wäre es unerlässlich, jetzt und heute Bildung und Teilhabemöglichkeiten zu fördern – als eine der wichtigsten Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Info
Susanne Hilf ist Literaturwissenschaftlerin, seit 2011 Geschäftsführerin der LKB Hessen e.V. und seit 2022 stellvertretende Vorsitzende im Fachausschuss Engagement und Ehrenamt der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung.
Die LKB Hessen ist der landesweite Fachverband, der Akteur*innen im Bereich Kultur und Bildung in Hessen. Zu unseren Mitgliedern gehören zum Beispiel die kulturellen Landesfachverbände, Arbeitskreise, freie und kommunale Träger sowie Fachgruppen, Vereine und Initiativen, die in der Kulturellen Bildung in Hessen tätig sind. Wir vertreten alle künstlerischen Sparten – von Bildender Kunst bis zur Zirkuspädagogik.
Inwiefern betrifft Ihr Angebot die Freiwilligendienste?
Neben der Interessenvertretung und Mitgliederunterstützung gehören auch verschiedene Projekte zu unserem Angebot, der „Kulturkoffer“ und „LandKulturPerlen“ oder die „Kulturberatung Hessen“ und natürlich, schon seit über 10 Jahren, die Freiwilligendienste FSJ und BFD im Bereich Kultur. Als Träger der Kinder- und Jugendhilfe und Landesträger begleitet das Team hierbei Freiwillige und die Kultureinrichtungen als Einsatzstellen durch das Engagementjahr.
Kürzung bei Freiwilligendiensten: Ein Aufwachsen in Armut begrenzt das Leben von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Bei und mit allem, was wir tun, wollen wir als zivilgesellschaftlicher Verband vielfältige Zugänge zu Kultureller Bildung für alle Menschen befördern. Dazu gehört insbesondere auch, das freiwillige Engagement in der Kultur zu stärken.
Was hat kulturelle Teilhabe mit Kinderarmut zu tun?
Beides hängt sehr eng zusammen. Alle Studien zu dem Thema belegen: Ein Aufwachsen in Armut begrenzt das Leben von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in sehr hohem Maße, nicht nur Hier und Jetzt sondern auch mit Blick auf ihre Zukunft. Sie erleben in nahezu allen Lebensbereichen – wie Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe – Benachteiligungen. Kinder aus einkommensschwachen Familien sind z.B. seltener Mitglied in einem Verein und können Hobbies nicht nachgehen, weil das Geld für den Vereinsbeitrag oder die Ausrüstung, das Instrument, die Zeichenstifte oder die Tanzschuhe, fehlt. Auch Eintrittsgelder für Kulturorte wie Theater sind eine Hürde.
Und das betrifft auch die Freiwilligendienste?
Ja, es betrifft auch die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst im Bildungs- und Orientierungsjahr zu machen. Denn auch hier braucht es letztlich ein finanzielles Polster, um sich ein Jahr lang für ein sehr geringes Taschengeld zu engagieren, dafür vielleicht sogar in eine andere Stadt oder Region umzuziehen.
Dabei ist das Recht auf Zugang zu sowie Teilhabe und Teilnahme an Kultur und Bildung in verschiedenen Gesetzen festgeschrieben, z.B. im Artikel 27 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in der UN-Kinderrechtskonvention, im Grundgesetz – hier in den Artikeln 2 und 5 oder im SGB VIII.
Was genau plant nun die Ampel?
Die Ampel-Regierung will die Unterstützung der Freiwilligendienste um 114 Millionen Euro kürzen. Die negativen Auswirkungen sind enorm, nicht nur für uns, sondern für alle Freiwilligendienste-Träger deutschlandweit. Mit den Kürzungsplänen der Ampel werden zum nächsten Jahr, spätestens ab Herbst 2024, bis zu 30 Prozent aller Freiwilligenplätze in Deutschland wegfallen. Das ist praktisch ein Kahlschlag. Es ist ein völlig falsches Signal der Ampel, den 60. Geburtstag des Gesetzes zur Einführung eines Jugendfreiwilligendienstes im kommenden Jahr mit solch radikalen Einsparmaßnahmen zu begehen.
Was heißt das konkret?
Es werden Strukturen und Expertise bei den Trägern und Einsatzstellen wegbrechen, die über Jahrzehnte mit viel Einsatz aufgebaut wurden. Für die LKB Hessen bedeutet das z.B. konkret, dass von den 155 Plätzen, die wir im aktuellen Jahrgang betreuen, ab September nächsten Jahres nur noch knapp 100 Plätze übrigbleiben. Bundesweit trägerübergreifend handelt es sich um fast 40 000 Plätze, die gestrichen werden und die dann nicht mehr zur Verfügung stehen für junge Menschen, um sich zwischen Schule, Ausbildung und Berufsorientierung für das Gemeinwohl einzusetzen.
Sicherlich haben Sie doch auch zusätzlich wie überall steigende Kosten …
Richtig, die Mittelkürzungen stehen den drastisch steigende Programmkosten drastisch gegenüber, zum Beispiel für Seminarhäuser oder qualifiziertes Personal – d.h. selbst eine Beibehaltung der Förderung auf aktuellem Niveau bedeutet für uns als Träger auch aufgrund der Inflation weitere große Haushaltslöcher, die durch die Kürzungen massiv verschärft werden.
Was sind die Konsequenzen?
Als Konsequenz werden wir wie andere Träger auch u.a. Angebote einstellen müssen. Gerade Maßnahmen und Projekte, die im Sinne einer Teilhabegerechtigkeit mehr Menschen mit Benachteiligungen einen Freiwilligendienst ermöglichen oder generell auf die Freiwilligendienste aufmerksam machen sollen, wären stark gefährdet.
Was denken Sie, warum wird gerade in diesem Bereich gekürzt?
Das fragen wir, die wir uns für ein gutes Aufwachsen, Bildungs- und Chancengerechtigkeit in Deutschland einsetzen, uns natürlich auch – wie die über 100 000 weiteren Menschen, die im September eine Petition gegen die Kürzungen unterschrieben haben, die es bis in den Petitionsausschuss geschafft hat. Nach wie vor ist die Nachfrage nach Freiwilligendiensten groß, wir als LKB haben sehr viel mehr Bewerber*innen als Einsatzstellen. Und: Im Koalitionsvertrag steht der nachfragegerechte Ausbau der Freiwilligendienste als explizites Ziel.
Das passt aber nicht zusammen …
Wenn es um Kinder und Jugendliche geht, wird leider viel zu schnell der Rotstift angesetzt. Junge Menschen werden einfach nicht gehört und die Lobby für andere Gruppen ist offenbar wirkmächtiger. Im Grunde machen wir als Träger der kulturellen Jugendarbeit Minderheitenpolitik – in einer überalternden Bevölkerung gerät die junge Generation oft aus dem Blickfeld, wie auch und gerade die Pandemiejahre gezeigt haben.
Noch immer leiden Kinder und Jugendliche verstärkt unter psychischen Belastungen und Orientierungslosigkeit – gerade auch, weil ihnen viele Erfahrungen des Jugendalters fehlen, die für vorhergehende Generationen selbstverständlich waren. Durch die geplanten Kürzungen werden Jugendlichen und jungen Erwachsenen Zukunftsaussichten und Möglichkeiten genommen, in Ausbildungsberufe übernommen zu werden oder Wartezeiten für ein Studium zu überbrücken. Das hat letztlich auch für die Gesellschaft und uns alle erhebliche negative Folgen.
Wird nicht überall ein Fachkräftemangel beklagt?
Die Bundesregierung verpasst durch die Kürzungen in den Freiwilligendiensten in allen Bereichen, Jugendliche schon jetzt für Arbeitsfelder zu begeistern und dadurch im besten Fall qualifiziertes Fachpersonal und engagierte Bürger*innen für die Zukunft zu gewinnen. Dabei wäre es unerlässlich, jetzt und heute Bildung und Teilhabemöglichkeiten zu fördern – als eine der wichtigsten Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Susanne Hilf ist Literaturwissenschaftlerin, seit 2011 Geschäftsführerin der LKB Hessen e.V. und seit 2022 stellvertretende Vorsitzende im Fachausschuss Engagement und Ehrenamt der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung.
31. Oktober 2023, 11.52 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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