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Demokratie gestalten
„Was Demokratie voraussetzt: Beweglichkeit und keine Angst vor Veränderung“
Am 18. Mai 1848 trat in der Paulskirche erstmals die Deutsche Nationalversammlung zusammen. In ihrem Gastbeitrag schreibt Paula Macedo Weiß über die Voraussetzungen für eine gelingende demokratische Bewegung.
Als wir vor einem Jahr die Reihe „Demokratie gestalten“ ins Leben riefen, wünschten wir uns, dass sie zu einem Ort der Auseinandersetzung würde, in der sich die Diversität unserer Stadt widerspiegelt. Wir schätzen uns glücklich, dass es in der Stadt so viele Initiativen, Menschen und Bewegungen gibt, die Demokratie mit uns gestalten. Die Beiträge waren bunt und vielvielfältig wie unsere Stadtgesellschaft.
In der konditionierten Hektik des modernen Lebens gewöhnen wir uns im Alltag an unsere Umgebung und werden oft blind für das Andere. Vor zusätzlichen Reizen schützen wir uns, indem wir Alternativen blockieren oder ablehnen und uns generell nicht auf außergewöhnliche (Ab-)Wege führen lassen. Doch Unbekanntes begünstigt Wissen.
Unbekanntes begünstigt Wissen
In einem Umfeld, in dem alles normal ist, besteht die Gefahr, dass wir uns selbst nicht in Frage stellen und nie vorankommen. Von Zeit zu Zeit ist es notwendig, bestimmte Archetypen zu löschen, sich von der bisherigen kollektiven Erfahrung zu distanzieren und dadurch Räume für neue Annäherungen und Bedeutungen zu öffnen.
Es geht darum, mit Verhaltensmustern, Denk- und Wissenssystemen zu brechen und die Sphäre des Vorhersehbaren und die Komfortzone zu verlassen, sich neuen Verbindungen und Überlegungen zu öffnen durch eine Aufweichung der Methoden, freie Assoziation und die Überschreitung von Wahrnehmungsgrenzen. Es ist die Einladung zur Erprobung der Sinne in einer herbeigeführten Synästhesie, in der Erzählungen sich jenseits vorgegebener Muster suggestiv verbinden und in der Umgehung vorgefertigter Vorstellungen in uns Gefühle erzeugen und Vorstellungskräfte freisetzen.
Demokratie setzt Beweglichkeit voraus
© Haus der Geschichte, künstlerische Bearbeitung: Wolfram Ziltz
So zum Beispiel auf dem Bild über diesem Absatz Bild: Die Fotobearbeitung stellt für mich automatisch und unwillkürlich eine Verbindung mit den verschiedenen Ebenen der Architektur und der Geschichte der Paulskirche her – und longa manus mit der deutschen Demokratie, was parallele Wahrnehmungen auslöst, als stünden die Sinne im Dialog miteinander. Sie löst unterschiedliche Empfindungen aus, die sich ergänzen und gegenseitig dabei unterstützen, das Nichtwahrnehmbare zu erspüren und zu erkennen. Das Bild ist ein Beispiel für schöpferische Vorstellungskraft, welche die Grenzen von Wort und Bild auflöst und in der Zeit verharrt.
Die Kunst, diese flüchtigen Momente zu bannen und gerinnen zu lassen, regt uns dazu an, unsere Art zu sehen, zu denken und sogar zu fühlen zu dekonstruieren. Und das ist es, was Demokratie voraussetzt: Beweglichkeit und keine Angst vor Veränderung. Wie der Mensch ist auch die Gesellschaft nicht statisch und unempfindlich gegenüber Veränderungen.
Neue Paradigmen brachen Zeit
Die Frankfurter Nationalversammlung oder Paulskirchenversammlung führte zu einem solchen Wandel der Einstellungen und Werte, in meinen Worten: zu einer Revolution. Wenn wir das Wort Revolution hören, denken wir sofort an blutige Schlachten, aber es gibt auch tiefgreifende strukturelle Revolutionen, die von sozialen Sektoren aufgrund von Verhandlungen und Kompromissen artikuliert werden.
Solche Umwälzungen geschehen nicht über Nacht. Die Transformationsprozesse, die zu den modernen demokratischen Gesellschaften geführt haben, brauchten Jahrzehnte, um sich zu konsolidieren, bis die neuen Paradigmen allgemein akzeptiert waren.
Ungewissheit als Praxis der Freiheit
Eine der zentralen Fragen einer modernen Demokratie ist, wie sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen dazu anregen lassen, trotz aller Unterschiede in Kontakt zu bleiben und zusammenzuhalten. Aus Anlass des 175. Jubiläums der Nationalversammlung sollten wir uns zu neuen Formaten der demokratischen Praxis anregen lassen und zur Offenheit gegenüber neuen partizipativen Erfahrungen.
Das ist womöglich die große Chance unserer Gesellschaft: die Ungewissheit als Praxis der Freiheit zu akzeptieren und zu begreifen. Unsere Unzulänglichkeiten zu akzeptieren und zu akzeptieren, dass wir auf der Suche sind, aufeinander angewiesen und es verschiedene Arten zu leben gibt – eine Welt, in der viele Welten zusammengehen.
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Zur Person:Paula Macedo Weiß, geboren 1969 in Londrina, Brasilien, ist Kulturproduzentin, Autorin und Juristin. Sie ist Mitbegründerin des Netzwerks Paulskirche.
>> Dieser Text erschien zuerst in der Mai-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT (5/23).
In der konditionierten Hektik des modernen Lebens gewöhnen wir uns im Alltag an unsere Umgebung und werden oft blind für das Andere. Vor zusätzlichen Reizen schützen wir uns, indem wir Alternativen blockieren oder ablehnen und uns generell nicht auf außergewöhnliche (Ab-)Wege führen lassen. Doch Unbekanntes begünstigt Wissen.
In einem Umfeld, in dem alles normal ist, besteht die Gefahr, dass wir uns selbst nicht in Frage stellen und nie vorankommen. Von Zeit zu Zeit ist es notwendig, bestimmte Archetypen zu löschen, sich von der bisherigen kollektiven Erfahrung zu distanzieren und dadurch Räume für neue Annäherungen und Bedeutungen zu öffnen.
Es geht darum, mit Verhaltensmustern, Denk- und Wissenssystemen zu brechen und die Sphäre des Vorhersehbaren und die Komfortzone zu verlassen, sich neuen Verbindungen und Überlegungen zu öffnen durch eine Aufweichung der Methoden, freie Assoziation und die Überschreitung von Wahrnehmungsgrenzen. Es ist die Einladung zur Erprobung der Sinne in einer herbeigeführten Synästhesie, in der Erzählungen sich jenseits vorgegebener Muster suggestiv verbinden und in der Umgehung vorgefertigter Vorstellungen in uns Gefühle erzeugen und Vorstellungskräfte freisetzen.
© Haus der Geschichte, künstlerische Bearbeitung: Wolfram Ziltz
So zum Beispiel auf dem Bild über diesem Absatz Bild: Die Fotobearbeitung stellt für mich automatisch und unwillkürlich eine Verbindung mit den verschiedenen Ebenen der Architektur und der Geschichte der Paulskirche her – und longa manus mit der deutschen Demokratie, was parallele Wahrnehmungen auslöst, als stünden die Sinne im Dialog miteinander. Sie löst unterschiedliche Empfindungen aus, die sich ergänzen und gegenseitig dabei unterstützen, das Nichtwahrnehmbare zu erspüren und zu erkennen. Das Bild ist ein Beispiel für schöpferische Vorstellungskraft, welche die Grenzen von Wort und Bild auflöst und in der Zeit verharrt.
Die Kunst, diese flüchtigen Momente zu bannen und gerinnen zu lassen, regt uns dazu an, unsere Art zu sehen, zu denken und sogar zu fühlen zu dekonstruieren. Und das ist es, was Demokratie voraussetzt: Beweglichkeit und keine Angst vor Veränderung. Wie der Mensch ist auch die Gesellschaft nicht statisch und unempfindlich gegenüber Veränderungen.
Die Frankfurter Nationalversammlung oder Paulskirchenversammlung führte zu einem solchen Wandel der Einstellungen und Werte, in meinen Worten: zu einer Revolution. Wenn wir das Wort Revolution hören, denken wir sofort an blutige Schlachten, aber es gibt auch tiefgreifende strukturelle Revolutionen, die von sozialen Sektoren aufgrund von Verhandlungen und Kompromissen artikuliert werden.
Solche Umwälzungen geschehen nicht über Nacht. Die Transformationsprozesse, die zu den modernen demokratischen Gesellschaften geführt haben, brauchten Jahrzehnte, um sich zu konsolidieren, bis die neuen Paradigmen allgemein akzeptiert waren.
Eine der zentralen Fragen einer modernen Demokratie ist, wie sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen dazu anregen lassen, trotz aller Unterschiede in Kontakt zu bleiben und zusammenzuhalten. Aus Anlass des 175. Jubiläums der Nationalversammlung sollten wir uns zu neuen Formaten der demokratischen Praxis anregen lassen und zur Offenheit gegenüber neuen partizipativen Erfahrungen.
Das ist womöglich die große Chance unserer Gesellschaft: die Ungewissheit als Praxis der Freiheit zu akzeptieren und zu begreifen. Unsere Unzulänglichkeiten zu akzeptieren und zu akzeptieren, dass wir auf der Suche sind, aufeinander angewiesen und es verschiedene Arten zu leben gibt – eine Welt, in der viele Welten zusammengehen.
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Zur Person:Paula Macedo Weiß, geboren 1969 in Londrina, Brasilien, ist Kulturproduzentin, Autorin und Juristin. Sie ist Mitbegründerin des Netzwerks Paulskirche.
>> Dieser Text erschien zuerst in der Mai-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT (5/23).
22. Mai 2023, 15.00 Uhr
Paula Macedo Weiß
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22. Dezember 2024
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