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Demokratie gestalten
„Unzufriedenheit der Jugend mit der Politik wird größer"
Der Dauerkrisenmodus lässt wenig Raum für Hoffnung bei den Jugendlichen in Frankfurt, weiß der Stadtschulsprecher Laurenz Aller. Trotzdem und gerade deshalb besteht ein größerer Drang und Wille, Dinge zu verändern. Sein Gastbeitrag.
In einem Interview wurde ich einmal gefragt, wie es der Jugend in Frankfurt aktuell geht. Eine schwierige Frage. Betrachtet man die vergangenen drei Jahre und was sie mit sich gebracht haben, fällt es mir schwer, darauf eine pauschale Antwort zu geben: Seit Anfang letzten Jahres ist seit Jahrzehnten wieder Krieg in Europa. Die russische Armee hat über Nacht die Ukraine überfallen, tagtäglich sterben Menschen. Als Folge dieses Angriffskrieges stiegen Gaspreise, Haushalte waren sich unsicher, ob und wie sie ihre Häuser im Winter warmhalten sollten. Dazu kam die hohe Inflation, welche zudem die Lebensmittelpreise stark anhob. Gerade sozial schwache Menschen wurden dadurch noch mehr belastet und sind es immer noch. Zugleich bemerken wir immer mehr die Auswirkungen des Klimawandels auf unser aller Leben.
Der Sommer 2023 war in Europa der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen, zudem werden Starkregen, Unwetter und Dürre immer häufiger. Gerade Städte wie Frankfurt stehen vor der Herausforderung, Möglichkeiten zu finden, die Stadt klimasicher zu machen. Zuletzt spüren wir immer noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie: Auch wenn wir die akute Phase mittlerweile überwunden haben, so hat sie in vielen Bereichen aufgedeckt, was Jahre lang unentdeckt, vielmehr unbeachtet blieb. So beispielsweise die schlechte infrastrukturelle Ausstattung an Schulen.
Krieg, Klimawandel, Corona-Pandemie – so geht es der Jugend in Frankfurt
Praktisch vom einen auf den anderen Tag wechselten ganze Schulgemeinden auf eine digitale Arbeitsweise. Für manche war dies nicht schwer, da die nötige Technik und Unterstützung im Elternhaus zur Verfügung stand. Doch für andere stellte diese Zeit große Schwierigkeiten dar. Große Familien waren teils auf kleinstem Raum tagtäglich zusammen, die nötige Technik für den Digitalunterricht stand oft nicht in ausreichender Menge zur Verfügung. Die Unterstützung durch die Stadt kam in Frankfurt oft zu spät. Für viele Jugendliche war deshalb die Corona-Zeit besonders schwer.
Das zeigen auch Studien: Kinder und Jugendliche leiden öfters an Depressionen, Essstörungen und haben mit mehr Lernproblemen zu kämpfen. Bis heute. Oft sind dabei Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien mehr betroffen, da gerade für sie die Pandemie-Zeit schwer war. Es braucht gerade deshalb mehr Unterstützungen an Schulen für Jugendliche. Angefangen mit einem gut ausgebauten und konstanten Angebot der Jugendhilfe an der Schule. Die Stadt Frankfurt bietet dies zwar bereits an, jedoch nicht an den Gymnasien. Und auch das Land tut zu wenig in der Unterstützung von psychisch belasteten Schülerinnen und Schülern. Das Angebot an Schulpsychologen ist in Hessen mehr als mangelhaft. Auf eine Stelle als Schulpsychologe kommen Ende 2022 über 6 000 Schülerinnen und Schüler. Auch hier braucht es einen starken Ausbau dieses Angebots.
Stadt Frankfurt lässt Jugendliche im Kampf gegen Depressionen allein
Betrachtet man nun die Ausgangslage der Jugendlichen, so sieht diese ganz schön trüb aus. Dieser „Dauerkrisenmodus“ lässt wenig Raum für Hoffnung. Und das merkt man auch. Die Unzufriedenheit der Jugend mit der Politik und Gesellschaft wird spürbar größer. Trotzdem oder vielleicht gerade auch deshalb besteht bei Jugendlichen ein größerer Drang und Wille, zu verändern. Nicht nur Fridays For Future, sondern auch die von Schülerinnen und Schülern organisierte Demonstration gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zeigen das deutlich.
Und auch hier wohnt jedem Anfang ein Zauber inne. Der Wille zum Verändern ist stark und zu Beginn auch sehr beständig. Doch nicht zu selten stoßen auch die Jugendlichen auf Hürden. Denn oft fehlt ihnen der Platz zum Gestalten, ein Raum für freies Denken, zum Ausprobieren und für Selbstverwirklichung. Dieser Platz muss oft wegen gesellschaftlichem oder strukturellem Druck erkämpft werden. Dabei wird doch immer wieder beklagt, die Jugend sei unpolitisch und interessiere sich nicht dafür.
Der Wille zur Veränderung ist da, aber die Demokratie fehlt
Wie sollen Jugendliche Demokratie erfahren, wenn sie diese nicht selbst leben können? Wer jetzt sagt, dass es genügend Angebote für Jugendliche gibt, in denen sie selber gestalten können, dem muss ich gleichzeitig zu- und widersprechen: Ja, es gibt Angebote für Jugendliche. Ob diese jetzt in genügender Anzahl zur Verfügung stehen, lasse ich jetzt der Einfachheit halber außen vor. Jedoch sind viele Angebote nicht attraktiv für Jugendliche. Es fehlt auch hier an Raum zum Gestalten. Jugendlichen wird maximal der Raum zum Gestalten gegeben, indem sie nicht mit dem der Erwachsenen kollidieren. Es wird kein Platz gemacht. Jedes Stück Platz mehr müssen Jugendliche sich erarbeiten, teils sogar erkämpfen.
Aber wieso? Sollte die Gesellschaft den Jugendlichen nicht aktiv diesen Raum geben zum Wohle der Gesellschaft. Funktioniert nicht eine Stadt besser, in der alle die Möglichkeit haben zu Gestalten, einen Raum für Teilhabe haben? Ich meine, ja. Und dazu braucht es die strukturellen Gegebenheiten, damit Jugendliche sich politisch engagieren können. Strukturen, die wirkliche Partizipation von Jugendlichen ermöglichen und fördern. Beispielsweise ein Jugendparlament. Mit ähnlichen Rechten wie ein Stadtparlament. So können Jugendliche politisch aktiv werden, gemeinsam an einem Strang ziehen und Demokratie tatsächlich erfahren und fördern. Hierbei ist es trotzdem wichtig, dass der Zugang dazu so niedrigschwellig wie möglich gestaltet wird, damit alle Jugendlichen die Möglichkeit zur Partizipation haben.
Der Wunsch für die Zukunft: ein Jugendparlament in Frankfurt
Doch allein ein Jugendparlament wird nicht reichen. Denn wie auch bei den Erwachsenen wird es Jugendliche geben, die sich von diesem Angebot nicht angesprochen fühlen. „Schulterzucker“. Das ist selbstverständlich kein Problem, denn politische Strukturen sind eben nichts für manche. Jedoch bedeutet dies nicht, dass diese keine Meinung haben. Und das ist oft der Trugschluss. Auch ihre Meinung muss gehört und beachtet werden. Deshalb muss man hier einen anderen Ansatz verfolgen. Man muss auf sie zugehen und aktiv befragen. Und das muss dort geschehen, wo Jugendliche sich aufhalten, sei es der Skatepark, die Shisha-Bar oder wahrscheinlich am wichtigsten: die Schule.
Das ist ganz schön viel verlangt, dem bin ich mir durchaus bewusst. Doch ich glaube, es ist das, was gerade noch fehlt und was unsere Demokratie, besonders jetzt, braucht. Ich wünsche mir sehr, dass in den kommenden Jahren ein Jugendparlament in Frankfurt entsteht und sich gut etabliert. Und dafür braucht es Engagement, Willen und vor allem Durchhaltevermögen. Unsere Demokratie braucht die gesamte Gesellschaft, um auch in Zukunft zu funktionieren. Holen wir deshalb die Jugendlichen ab und integrieren sie in den demokratischen Diskurs.
Info
Laurenz Aller, 18 Jahre alt, ist seit November 2022 Stadtschulsprecher von Frankfurt. Er besucht derzeit die 12. Klasse der Schule am Ried in Bergen-Enkheim mit den Leistungsfächern Musik und Biologie. Seit 2021 in der Schüler*innenvertretung aktiv und seit 2022 Mitglied der Planungsgruppe für das Frankfurter Jugendparlament. Nach dem Abitur 2024 möchte er Jura studieren und sich weiter politisch in der Stadt Frankfurt engagieren.
Der Sommer 2023 war in Europa der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen, zudem werden Starkregen, Unwetter und Dürre immer häufiger. Gerade Städte wie Frankfurt stehen vor der Herausforderung, Möglichkeiten zu finden, die Stadt klimasicher zu machen. Zuletzt spüren wir immer noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie: Auch wenn wir die akute Phase mittlerweile überwunden haben, so hat sie in vielen Bereichen aufgedeckt, was Jahre lang unentdeckt, vielmehr unbeachtet blieb. So beispielsweise die schlechte infrastrukturelle Ausstattung an Schulen.
Praktisch vom einen auf den anderen Tag wechselten ganze Schulgemeinden auf eine digitale Arbeitsweise. Für manche war dies nicht schwer, da die nötige Technik und Unterstützung im Elternhaus zur Verfügung stand. Doch für andere stellte diese Zeit große Schwierigkeiten dar. Große Familien waren teils auf kleinstem Raum tagtäglich zusammen, die nötige Technik für den Digitalunterricht stand oft nicht in ausreichender Menge zur Verfügung. Die Unterstützung durch die Stadt kam in Frankfurt oft zu spät. Für viele Jugendliche war deshalb die Corona-Zeit besonders schwer.
Das zeigen auch Studien: Kinder und Jugendliche leiden öfters an Depressionen, Essstörungen und haben mit mehr Lernproblemen zu kämpfen. Bis heute. Oft sind dabei Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien mehr betroffen, da gerade für sie die Pandemie-Zeit schwer war. Es braucht gerade deshalb mehr Unterstützungen an Schulen für Jugendliche. Angefangen mit einem gut ausgebauten und konstanten Angebot der Jugendhilfe an der Schule. Die Stadt Frankfurt bietet dies zwar bereits an, jedoch nicht an den Gymnasien. Und auch das Land tut zu wenig in der Unterstützung von psychisch belasteten Schülerinnen und Schülern. Das Angebot an Schulpsychologen ist in Hessen mehr als mangelhaft. Auf eine Stelle als Schulpsychologe kommen Ende 2022 über 6 000 Schülerinnen und Schüler. Auch hier braucht es einen starken Ausbau dieses Angebots.
Betrachtet man nun die Ausgangslage der Jugendlichen, so sieht diese ganz schön trüb aus. Dieser „Dauerkrisenmodus“ lässt wenig Raum für Hoffnung. Und das merkt man auch. Die Unzufriedenheit der Jugend mit der Politik und Gesellschaft wird spürbar größer. Trotzdem oder vielleicht gerade auch deshalb besteht bei Jugendlichen ein größerer Drang und Wille, zu verändern. Nicht nur Fridays For Future, sondern auch die von Schülerinnen und Schülern organisierte Demonstration gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zeigen das deutlich.
Und auch hier wohnt jedem Anfang ein Zauber inne. Der Wille zum Verändern ist stark und zu Beginn auch sehr beständig. Doch nicht zu selten stoßen auch die Jugendlichen auf Hürden. Denn oft fehlt ihnen der Platz zum Gestalten, ein Raum für freies Denken, zum Ausprobieren und für Selbstverwirklichung. Dieser Platz muss oft wegen gesellschaftlichem oder strukturellem Druck erkämpft werden. Dabei wird doch immer wieder beklagt, die Jugend sei unpolitisch und interessiere sich nicht dafür.
Wie sollen Jugendliche Demokratie erfahren, wenn sie diese nicht selbst leben können? Wer jetzt sagt, dass es genügend Angebote für Jugendliche gibt, in denen sie selber gestalten können, dem muss ich gleichzeitig zu- und widersprechen: Ja, es gibt Angebote für Jugendliche. Ob diese jetzt in genügender Anzahl zur Verfügung stehen, lasse ich jetzt der Einfachheit halber außen vor. Jedoch sind viele Angebote nicht attraktiv für Jugendliche. Es fehlt auch hier an Raum zum Gestalten. Jugendlichen wird maximal der Raum zum Gestalten gegeben, indem sie nicht mit dem der Erwachsenen kollidieren. Es wird kein Platz gemacht. Jedes Stück Platz mehr müssen Jugendliche sich erarbeiten, teils sogar erkämpfen.
Aber wieso? Sollte die Gesellschaft den Jugendlichen nicht aktiv diesen Raum geben zum Wohle der Gesellschaft. Funktioniert nicht eine Stadt besser, in der alle die Möglichkeit haben zu Gestalten, einen Raum für Teilhabe haben? Ich meine, ja. Und dazu braucht es die strukturellen Gegebenheiten, damit Jugendliche sich politisch engagieren können. Strukturen, die wirkliche Partizipation von Jugendlichen ermöglichen und fördern. Beispielsweise ein Jugendparlament. Mit ähnlichen Rechten wie ein Stadtparlament. So können Jugendliche politisch aktiv werden, gemeinsam an einem Strang ziehen und Demokratie tatsächlich erfahren und fördern. Hierbei ist es trotzdem wichtig, dass der Zugang dazu so niedrigschwellig wie möglich gestaltet wird, damit alle Jugendlichen die Möglichkeit zur Partizipation haben.
Doch allein ein Jugendparlament wird nicht reichen. Denn wie auch bei den Erwachsenen wird es Jugendliche geben, die sich von diesem Angebot nicht angesprochen fühlen. „Schulterzucker“. Das ist selbstverständlich kein Problem, denn politische Strukturen sind eben nichts für manche. Jedoch bedeutet dies nicht, dass diese keine Meinung haben. Und das ist oft der Trugschluss. Auch ihre Meinung muss gehört und beachtet werden. Deshalb muss man hier einen anderen Ansatz verfolgen. Man muss auf sie zugehen und aktiv befragen. Und das muss dort geschehen, wo Jugendliche sich aufhalten, sei es der Skatepark, die Shisha-Bar oder wahrscheinlich am wichtigsten: die Schule.
Das ist ganz schön viel verlangt, dem bin ich mir durchaus bewusst. Doch ich glaube, es ist das, was gerade noch fehlt und was unsere Demokratie, besonders jetzt, braucht. Ich wünsche mir sehr, dass in den kommenden Jahren ein Jugendparlament in Frankfurt entsteht und sich gut etabliert. Und dafür braucht es Engagement, Willen und vor allem Durchhaltevermögen. Unsere Demokratie braucht die gesamte Gesellschaft, um auch in Zukunft zu funktionieren. Holen wir deshalb die Jugendlichen ab und integrieren sie in den demokratischen Diskurs.
Laurenz Aller, 18 Jahre alt, ist seit November 2022 Stadtschulsprecher von Frankfurt. Er besucht derzeit die 12. Klasse der Schule am Ried in Bergen-Enkheim mit den Leistungsfächern Musik und Biologie. Seit 2021 in der Schüler*innenvertretung aktiv und seit 2022 Mitglied der Planungsgruppe für das Frankfurter Jugendparlament. Nach dem Abitur 2024 möchte er Jura studieren und sich weiter politisch in der Stadt Frankfurt engagieren.
27. Oktober 2023, 11.30 Uhr
Laurenz Aller
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23. Dezember 2024
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