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Christian Y. Schmidt im Interview
"Die ungebrochene Beliebtheit Joschka Fischers ist für mich ein Rätsel"
Joschka Fischer ist wieder im Gespräch. Aber nicht so, wie er es schätzt. Es wird über seine Straßenkämpfer-Vergangenheit debattiert. Warum dieses Thema immer wieder hochkocht, weiß Autor Christian Y. Schmidt.
Journal Frankfurt: Der stern kam am Donnerstag mit einer Geschichte über Joschka Fischer, die uns gar nicht so neu vorkam. Der ehemalige Außenminister soll mal ein Straßenkämpfer mit militaristischem Hang gewesen sein - hatten wir das nicht alles schon mal im Jahr 2001 als das gleiche Magazin Fotos vom Steineschmeißer Joschka druckte? Oder 1998 als Ihr Buch "Wir sind die Wahnsinnigen" erschien?
Christian Y. Schmidt: Vieles stand tatsächlich schon so in „Wir sind die Wahnsinnigen.“ Nur hat Joschka Fischer ja immer bestritten, dass meine Darstellung der Versammlung zutrifft, die am Vorabend der Meinhof-Demo vom 10. Mai 1976 im Stadtteilzentrum in der Sophienstrasse stattgefunden hat. Beziehungsweise hat er behauptet, er könne sich an die damalige Versammlung „beim besten Willen“ nicht mehr erinnern. Damit ist er durchgekommen. Das lag sicher auch daran, dass sich nur ein einziger Teilnehmer an der Versammlung – nämlich der Alt-Linke Udo Riechmann – dazu durchringen konnte, mir eine eidesstattliche Versicherung zu geben, in der er erklärte, Joschka Fischer habe sich damals auf ebendieser Versammlung „zum Wortführer der allgemeinen Stimmung“ gemacht, am nächsten Tag auf der Demo Molotowcocktails zu werfen.
Im aktuellen stern hat Riechmann diese Aussage zwar etwas relativiert. Er sagt jetzt, Fischer habe zumindest nicht mäßigend eingegriffen, als man den Einsatz von Brandflaschen forderte. Dafür präsentiert der stern aber mit dem Zeit-Reporter Michael Schwelien einen zweiten Zeugen, der an dem Abend dabei war und der die Darstellung aus „Wir sind die Wahnsinnigen“ nicht nur bestätigt, sondern sogar noch verschärft. Damit bekommt die ganze Sache eine neue Qualität. Vielleicht ringen sich ja jetzt noch mehr Versammlungsteilnehmer dazu durch, mal zu erzählen, wie es wirklich war.
Journal Frankfurt: Von Joschka Fischer ist zu den neuerlichen Vorwürfen bislang nichts zu hören. Kommt da noch was?
Christian Y. Schmidt:Ich habe keine Ahnung. Ich bin ja nicht Joschka Fischer. Zum Glück. Wie ich allerdings höre, hat er am Freitag eine deutsch-französische Veranstaltung in Straßburg, bei der er fest eingeplant war, kurzfristig abgesagt. Vielleicht nutzt er ja die Zeit, um über eine Erklärung nachzudenken.
Journal Frankfurt: Kann man die Taten der Spontiszene nicht einfach als Jugendsünde abtun?
Christian Y. Schmidt: Das ist eine Frage, die sicher jeder anders beantworten wird, je nachdem, was für eine eigene Vergangenheit er hat. Ich habe selbst eine linksradikale Vergangenheit und denke, dass ich immer noch ein Linker bin. Deshalb habe ich mich beim Schreiben von „Wir sind die Wahnsinnigen“ auch gefragt, ob ich wirklich die Geschichte vom Vorabend der Meinhof-Demo mit ins Buch aufnehmen soll. Hätte ich in Frankfurt gelebt, wäre ich nicht vielleicht auch bei den Spontis gelandet? Und wäre ich nicht womöglich an diesem Abend auf der Seite Joschka Fischers gewesen? Kann ich mich da wirklich hinsetzen, und Fischer so belasten?
Eigentlich wollte ich ja auch mit dem Buch etwas ganz anderes, nämlich zeigen, wie der immer schon machthungrige Fischer und seine Frankfurter Spontigenossen zunächst die Frankfurter und dann die hessischen Grünen übernommen haben, sie ihrer Inhalte entkleideten, und Fischer selbst schliesslich der Obergrüne schlechthin werden konnte. In diesem Prozess ist die Meinhof-Demo ein wichtiges Puzzle-Stück. Das konnte ich eigentlich nicht weglassen. Ausschlaggebend dafür, dass ich mich dann entschieden habe, diese Geschichte aufzunehmen, war Fischers Haltung zum Jugoslawienkrieg. Dass Fischer dem zustimmen würde, wenn er nur ein Amt in der rot-grünen Bundesregierung bekommen würde, war mir schon beim Schreiben des Buches 1997/98 klar. Und da habe ich die Parallelen zu Fischers Entscheidung von 1976 gesehen, und gedacht: Es hilft alles nichts. Das muss mit rein.
Und dann ist die Demogeschichte auch noch aus einem anderen Grund wichtig: Fischer ist ja mit einigen anderen ein paar Tage nach der Demo festgenommen worden und hat mindestens einen Tag im Polizeigewahrsam verbracht. Was dort passiert ist, dazu hat sich Fischer nur ein einziges Mal geäußert, und zwar 1997 in einem Aufsatz in der Zeitschrift Autonomie. Dort schrieb er: „Damals hatte uns die REPRESSION am Wickel, und es hätte nicht viel bedurft, damit wir daran endgültig kaputtgegangen wären (mit Einzelheiten kann ich hier leider nicht dienen)“. Es scheint sich hier also etwas ganz Entscheidendes in Fischers Leben ereignet zu haben. Aber mit den Einzelheiten dient er uns bis heute nicht. Um es kurz zu machen: Es geht hier nicht um „Jugendsünden“, auch nicht um Bestrafung. Sondern um Aufklärung der historischen Wahrheit. Außerdem war Fischer zum Zeitpunkt der Meinhof-Demo 28 Jahre alt. Das ist ja nun auch nicht mehr so wahnsinnig jung.
Journal Frankfurt: Der frühere Terrorist Hans Joachim Klein wird mit dem Satz zitiert: „Wenn Sie in der Putzgruppe waren, haben Sie irgendwann auch Molotowcocktails geworfen.“ Glauben Sie, nach Ihren Gesprächen mit Zeitzeugen, dass es so war?
Christian Y. Schmidt: Was ich glaube, spielt keine Rolle. Die Putzgruppe, zu der Joschka Fischer genauso wie Hans Joachim Klein gehörte, verstand sich selbst als „milizartige Selbstorganisation“, die klandestin operierte. Dieser Begriff und dieses Vorgehen implizieren eine gewisse Planung. Ob dazu gehörte, dass jeder auch Molotowcocktails werfen musste, weiss ich nicht.
Journal Frankfurt: Die Geschichte mit Fischer und seinen Freunden treibt Sie seit Jahren um. Wie sind Sie einst auf dieses Thema gestoßen?
Christian Y. Schmidt: Nein, die Geschichte treibt mich nicht seit Jahren um. Ich lebe ja seit mehr als zehn Jahren zum Teil in Ostasien. Über dieses Leben habe ich inzwischen vier Bücher geschrieben. Fischer und seine Freunde spielen darin keine Rolle. Dass ich mich aber damals mit diesen Leuten beschäftigt habe, lag daran, dass ich Anfang 1989 als Redakteur zur Titanic nach Frankfurt kam. Damals wusste ich nicht viel von Fischer und seinem Clan. Ich stellte aber sehr bald fest, dass sie nahezu überall in Frankfurt präsent waren, besonders in den Frankfurter Medien. Dort verbreiteten sie Aufsätze, Artikel und Thesen, die mich in ihrer Unsinnigkeit nicht unbeeindruckt ließen. Da habe ich mir gesagt: Die kucke ich mir mal näher an.
Journal Frankfurt: Sie stellten in Ihrem Buch unter anderem die These auf, dass Fischer, Cohn-Bendit, Koenigs oder der heutige Welt-Herausgaber Thomas Schmid nur Darsteller von Revolutionären waren, in Wirklichkeit aber klare Karriereziele verfolgten. Kam der Marsch durch die Institutionen nicht vielmehr erst später? Oder anders gefragt: Dürfen sich Menschen in ihren Ansichten, auch in ihrer Radikalität nicht ändern?
Christian Y. Schmidt: Nun, das sage ich in meinem Buch so nicht. Diese Leute werden von sich schon geglaubt haben, sie seien Revolutionäre. Und damit waren sie es eine gewisse Zeit lang auch. Und natürlich hat sich Fischer nicht 1976 gesagt: Ich will Außenminister werden. Das kam tatsächlich erst später. Was ihn aber immer schon interessiert hat, war Macht. Das zieht sich als Konstante durch sein Leben: Der Wunsch Macht über Menschen zu haben. Dabei war es egal, über wen - ob es das Spontifußvolk war, oder später die Mitglieder in der grünen Partei, oder noch später seine Untergebenen im Außenministerium, oder wer sonst auch immer. Diesen Machtwunsch haben viele, damit steht Fischer nicht allein. Aber mir waren solche Leute immer unsympathisch. Schon auf dem Schulhof.
Und natürlich dürfen Menschen ihre Ansichten ändern. Wer sollte ihnen das auch verbieten? Außerdem verändert sich die Welt ja auch jeden Tag. Manchmal aber ändert sich eben auch etwas nicht. Wenn sich dann die Ansicht zu diesen Dingen ändert, frage ich gerne: Warum? Das tue ich auch in meinem Buch. Im Grunde aber werfe ich Joschka Fischer gar nicht vor, dass er sich geändert hat. Sondern – siehe oben – dass er der Gleiche geblieben ist. Das als Vorwurf zu formulieren, ist vielleicht tatsächlich etwas naiv. Aber ich kann eben auch nicht aus meiner Haut.
Journal Frankfurt: Im stern wird auch der damals schwerverletzte Polizist mit den Worten zitiert, er könne nicht verstehen, dass Fischer einmal der beliebteste Politiker des Landes gewesen sei. Können Sie es verstehen?
Darüber habe ich immer mal wieder nachgedacht. Im Vorwort der Neuausgabe von „Wir sind die Wahnsinnigen“ - die in dieser Woche erscheint – habe ich versucht, mir das so zu erklären: „Diese ungebrochene Beliebtheit speziell Fischers ist für mich auch deshalb ein großes Rätsel, weil ich – das gebe ich gerne zu - angesichts der langsam nun doch anschwellenden kritischen Fischerbetrachtungen etwas anderes erwartet hatte. Vielleicht liegt es an der extremen Hohlheit dieses Manns, die es jedem erlaubt, sich selbst in ihn hineinzuprojizieren? Oder sollte der Grund sein, dass Fischer nahezu perfekt die Person zu verkörpern scheint, die heutzutage fast jeder sein will: Ein unglaublich individueller Rebell, der jedoch zugleich gesellschaftlich bewundert wird, und obendrein noch ganz nebenbei sehr viel Geld verdient. Das ist tatsächlich eine Frage, die zu untersuchen vielleicht reizvoll wäre, aber sicher nicht für mich.“
>> Christian Y. Schmidt
... war bis 1996 Redakteur des Satiremagazins Titanic. Seither arbeitet er als freier Autor. Außerdem ist er Senior Consultant der Zentralen Intelligenz Agentur, sowie Redakteur und Gesellschafter des Weblogs Riesenmaschine. Er lebt in Peking.
Sein Buch "Wir sind die Wahnsinnigen - Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang" erscheint 15 Jahre nach der Erstveröffentlichung als erweiterte Neuausgabe am 10. April 2013 im Verbrecher Verlag.
Christian Y. Schmidt: Vieles stand tatsächlich schon so in „Wir sind die Wahnsinnigen.“ Nur hat Joschka Fischer ja immer bestritten, dass meine Darstellung der Versammlung zutrifft, die am Vorabend der Meinhof-Demo vom 10. Mai 1976 im Stadtteilzentrum in der Sophienstrasse stattgefunden hat. Beziehungsweise hat er behauptet, er könne sich an die damalige Versammlung „beim besten Willen“ nicht mehr erinnern. Damit ist er durchgekommen. Das lag sicher auch daran, dass sich nur ein einziger Teilnehmer an der Versammlung – nämlich der Alt-Linke Udo Riechmann – dazu durchringen konnte, mir eine eidesstattliche Versicherung zu geben, in der er erklärte, Joschka Fischer habe sich damals auf ebendieser Versammlung „zum Wortführer der allgemeinen Stimmung“ gemacht, am nächsten Tag auf der Demo Molotowcocktails zu werfen.
Im aktuellen stern hat Riechmann diese Aussage zwar etwas relativiert. Er sagt jetzt, Fischer habe zumindest nicht mäßigend eingegriffen, als man den Einsatz von Brandflaschen forderte. Dafür präsentiert der stern aber mit dem Zeit-Reporter Michael Schwelien einen zweiten Zeugen, der an dem Abend dabei war und der die Darstellung aus „Wir sind die Wahnsinnigen“ nicht nur bestätigt, sondern sogar noch verschärft. Damit bekommt die ganze Sache eine neue Qualität. Vielleicht ringen sich ja jetzt noch mehr Versammlungsteilnehmer dazu durch, mal zu erzählen, wie es wirklich war.
Journal Frankfurt: Von Joschka Fischer ist zu den neuerlichen Vorwürfen bislang nichts zu hören. Kommt da noch was?
Christian Y. Schmidt:Ich habe keine Ahnung. Ich bin ja nicht Joschka Fischer. Zum Glück. Wie ich allerdings höre, hat er am Freitag eine deutsch-französische Veranstaltung in Straßburg, bei der er fest eingeplant war, kurzfristig abgesagt. Vielleicht nutzt er ja die Zeit, um über eine Erklärung nachzudenken.
Journal Frankfurt: Kann man die Taten der Spontiszene nicht einfach als Jugendsünde abtun?
Christian Y. Schmidt: Das ist eine Frage, die sicher jeder anders beantworten wird, je nachdem, was für eine eigene Vergangenheit er hat. Ich habe selbst eine linksradikale Vergangenheit und denke, dass ich immer noch ein Linker bin. Deshalb habe ich mich beim Schreiben von „Wir sind die Wahnsinnigen“ auch gefragt, ob ich wirklich die Geschichte vom Vorabend der Meinhof-Demo mit ins Buch aufnehmen soll. Hätte ich in Frankfurt gelebt, wäre ich nicht vielleicht auch bei den Spontis gelandet? Und wäre ich nicht womöglich an diesem Abend auf der Seite Joschka Fischers gewesen? Kann ich mich da wirklich hinsetzen, und Fischer so belasten?
Eigentlich wollte ich ja auch mit dem Buch etwas ganz anderes, nämlich zeigen, wie der immer schon machthungrige Fischer und seine Frankfurter Spontigenossen zunächst die Frankfurter und dann die hessischen Grünen übernommen haben, sie ihrer Inhalte entkleideten, und Fischer selbst schliesslich der Obergrüne schlechthin werden konnte. In diesem Prozess ist die Meinhof-Demo ein wichtiges Puzzle-Stück. Das konnte ich eigentlich nicht weglassen. Ausschlaggebend dafür, dass ich mich dann entschieden habe, diese Geschichte aufzunehmen, war Fischers Haltung zum Jugoslawienkrieg. Dass Fischer dem zustimmen würde, wenn er nur ein Amt in der rot-grünen Bundesregierung bekommen würde, war mir schon beim Schreiben des Buches 1997/98 klar. Und da habe ich die Parallelen zu Fischers Entscheidung von 1976 gesehen, und gedacht: Es hilft alles nichts. Das muss mit rein.
Und dann ist die Demogeschichte auch noch aus einem anderen Grund wichtig: Fischer ist ja mit einigen anderen ein paar Tage nach der Demo festgenommen worden und hat mindestens einen Tag im Polizeigewahrsam verbracht. Was dort passiert ist, dazu hat sich Fischer nur ein einziges Mal geäußert, und zwar 1997 in einem Aufsatz in der Zeitschrift Autonomie. Dort schrieb er: „Damals hatte uns die REPRESSION am Wickel, und es hätte nicht viel bedurft, damit wir daran endgültig kaputtgegangen wären (mit Einzelheiten kann ich hier leider nicht dienen)“. Es scheint sich hier also etwas ganz Entscheidendes in Fischers Leben ereignet zu haben. Aber mit den Einzelheiten dient er uns bis heute nicht. Um es kurz zu machen: Es geht hier nicht um „Jugendsünden“, auch nicht um Bestrafung. Sondern um Aufklärung der historischen Wahrheit. Außerdem war Fischer zum Zeitpunkt der Meinhof-Demo 28 Jahre alt. Das ist ja nun auch nicht mehr so wahnsinnig jung.
Journal Frankfurt: Der frühere Terrorist Hans Joachim Klein wird mit dem Satz zitiert: „Wenn Sie in der Putzgruppe waren, haben Sie irgendwann auch Molotowcocktails geworfen.“ Glauben Sie, nach Ihren Gesprächen mit Zeitzeugen, dass es so war?
Christian Y. Schmidt: Was ich glaube, spielt keine Rolle. Die Putzgruppe, zu der Joschka Fischer genauso wie Hans Joachim Klein gehörte, verstand sich selbst als „milizartige Selbstorganisation“, die klandestin operierte. Dieser Begriff und dieses Vorgehen implizieren eine gewisse Planung. Ob dazu gehörte, dass jeder auch Molotowcocktails werfen musste, weiss ich nicht.
Journal Frankfurt: Die Geschichte mit Fischer und seinen Freunden treibt Sie seit Jahren um. Wie sind Sie einst auf dieses Thema gestoßen?
Christian Y. Schmidt: Nein, die Geschichte treibt mich nicht seit Jahren um. Ich lebe ja seit mehr als zehn Jahren zum Teil in Ostasien. Über dieses Leben habe ich inzwischen vier Bücher geschrieben. Fischer und seine Freunde spielen darin keine Rolle. Dass ich mich aber damals mit diesen Leuten beschäftigt habe, lag daran, dass ich Anfang 1989 als Redakteur zur Titanic nach Frankfurt kam. Damals wusste ich nicht viel von Fischer und seinem Clan. Ich stellte aber sehr bald fest, dass sie nahezu überall in Frankfurt präsent waren, besonders in den Frankfurter Medien. Dort verbreiteten sie Aufsätze, Artikel und Thesen, die mich in ihrer Unsinnigkeit nicht unbeeindruckt ließen. Da habe ich mir gesagt: Die kucke ich mir mal näher an.
Journal Frankfurt: Sie stellten in Ihrem Buch unter anderem die These auf, dass Fischer, Cohn-Bendit, Koenigs oder der heutige Welt-Herausgaber Thomas Schmid nur Darsteller von Revolutionären waren, in Wirklichkeit aber klare Karriereziele verfolgten. Kam der Marsch durch die Institutionen nicht vielmehr erst später? Oder anders gefragt: Dürfen sich Menschen in ihren Ansichten, auch in ihrer Radikalität nicht ändern?
Christian Y. Schmidt: Nun, das sage ich in meinem Buch so nicht. Diese Leute werden von sich schon geglaubt haben, sie seien Revolutionäre. Und damit waren sie es eine gewisse Zeit lang auch. Und natürlich hat sich Fischer nicht 1976 gesagt: Ich will Außenminister werden. Das kam tatsächlich erst später. Was ihn aber immer schon interessiert hat, war Macht. Das zieht sich als Konstante durch sein Leben: Der Wunsch Macht über Menschen zu haben. Dabei war es egal, über wen - ob es das Spontifußvolk war, oder später die Mitglieder in der grünen Partei, oder noch später seine Untergebenen im Außenministerium, oder wer sonst auch immer. Diesen Machtwunsch haben viele, damit steht Fischer nicht allein. Aber mir waren solche Leute immer unsympathisch. Schon auf dem Schulhof.
Und natürlich dürfen Menschen ihre Ansichten ändern. Wer sollte ihnen das auch verbieten? Außerdem verändert sich die Welt ja auch jeden Tag. Manchmal aber ändert sich eben auch etwas nicht. Wenn sich dann die Ansicht zu diesen Dingen ändert, frage ich gerne: Warum? Das tue ich auch in meinem Buch. Im Grunde aber werfe ich Joschka Fischer gar nicht vor, dass er sich geändert hat. Sondern – siehe oben – dass er der Gleiche geblieben ist. Das als Vorwurf zu formulieren, ist vielleicht tatsächlich etwas naiv. Aber ich kann eben auch nicht aus meiner Haut.
Journal Frankfurt: Im stern wird auch der damals schwerverletzte Polizist mit den Worten zitiert, er könne nicht verstehen, dass Fischer einmal der beliebteste Politiker des Landes gewesen sei. Können Sie es verstehen?
Darüber habe ich immer mal wieder nachgedacht. Im Vorwort der Neuausgabe von „Wir sind die Wahnsinnigen“ - die in dieser Woche erscheint – habe ich versucht, mir das so zu erklären: „Diese ungebrochene Beliebtheit speziell Fischers ist für mich auch deshalb ein großes Rätsel, weil ich – das gebe ich gerne zu - angesichts der langsam nun doch anschwellenden kritischen Fischerbetrachtungen etwas anderes erwartet hatte. Vielleicht liegt es an der extremen Hohlheit dieses Manns, die es jedem erlaubt, sich selbst in ihn hineinzuprojizieren? Oder sollte der Grund sein, dass Fischer nahezu perfekt die Person zu verkörpern scheint, die heutzutage fast jeder sein will: Ein unglaublich individueller Rebell, der jedoch zugleich gesellschaftlich bewundert wird, und obendrein noch ganz nebenbei sehr viel Geld verdient. Das ist tatsächlich eine Frage, die zu untersuchen vielleicht reizvoll wäre, aber sicher nicht für mich.“
>> Christian Y. Schmidt
... war bis 1996 Redakteur des Satiremagazins Titanic. Seither arbeitet er als freier Autor. Außerdem ist er Senior Consultant der Zentralen Intelligenz Agentur, sowie Redakteur und Gesellschafter des Weblogs Riesenmaschine. Er lebt in Peking.
Sein Buch "Wir sind die Wahnsinnigen - Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang" erscheint 15 Jahre nach der Erstveröffentlichung als erweiterte Neuausgabe am 10. April 2013 im Verbrecher Verlag.
8. April 2013, 10.59 Uhr
Die Fragen stellte Nils Bremer
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5. November 2024
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