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„Armes“ Frankfurt
Wenn das reiche Frankfurt junge Menschen nicht mitmachen lässt
Kinder- und Jugendarbeit in Frankfurt steht vor dem Kollaps. Was Kinderarmut und Teilhabe mit der Gefährdung unserer Demokratie zu tun haben, wurde im Haus am Dom diskutiert. Eine Einordnung.
Elke Voitl, Frankfurts grüne Dezernentin für Soziales, Jugend, Familie und Seniorinnen, hatte keinen leichten Stand am Mittwochabend im Haus am Dom. „‘Armes‘ Frankfurt spart sich seine Zukunft“ hatte die Linke Fraktion das Podium überschrieben, das die Finanzierung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit diskutieren sollte. Und das klingt spezieller, als es eigentlich ist.
Denn tatsächlich ist die Förderung von Kindern und Jugendlichen ein gesamtgesellschaftliches Thema, entsprechend sprach Voitl auch von einer „Gefährdung des sozialen Friedens“, wenn Armut gesellschaftliche Teilhabe verhindere. Nicht dazuzugehören, sei für junge Menschen besonders schlimm – und schaffe eine „gefährliche Atmosphäre“. Dem wollte von den Anwesenden, hauptsächlich Vertreterinnen kleiner und großer Träger, auch niemand widersprechen. Beim Thema Finanzierung jedoch war teils Schluss mit dem Konsens.
Armut in Frankfurt: Offene Kinder- und Jugendarbeit in finanzieller Notlage
Neben Voitl saßen noch Miriam Walter, Vorsitzende der AG §78 Kinder und Jugendarbeit, und Yağmur Mengilli von der Goethe Universität auf dem Podium. Moderiert wurde von Ayse Dalhoff, der kinder- und jugendpolitischen Sprecherin der Linken. Miriam Walter erinnerte zunächst daran, dass Kinder- und Jugendarbeit bereits seit 2015 in Frankfurt chronisch unterfinanziert sei. Sie sprach von einer allgemein bekannten „Notlage“, auf die die Politik nicht adäquat reagiere.
Yağmur Mengilli, Elke Voitl, Miriam Walter, Ayse Dalhoff (v.l.n.r.). Red
Dabei handelt es sich hier um Prävention und ergo eine „Kosten-Nutzen-Rechnung“, wie Walter betonte. Schließlich nehme aktiv an der Gesellschaft teil, wem in jungen Jahren die Zukunft nicht durch Chancenlosigkeit verbaut wird. Hier greifen Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen, doch was deren Arbeit in den letzten Jahren erschwert, ist die zunehmende Armut in einer der reichsten Städte Deutschlands. Kinder und Jugendliche bekämen in den Einrichtungen teils die einzige Mahlzeit am Tag, entsprechend werde eben auch die „Grundversorgung sichergestellt“.
Offene Kinder- und Jugendarbeit in Frankfurt stellt Grundversorgung sicher
Yağmur Mengilli sieht diese Entwicklung kritisch. Jugendarbeit spiele aktuell den „Feuerlöscher“, kanalisiere gesellschaftliche Entwicklungen, obwohl die Aufgaben eigentlich anders gelagert seien. Schließlich ginge es im Kern darum, das die Jungen keine Orte im öffentlichen Raum hätten. Politische Bildung bleibe auf der Strecke. Doch was tun, wenn der Magen knurrt? Auf den Programmpunkt Jugendliche Sichtbarkeit verweisen?
Kernproblem bleibt die mangelhafte Finanzierung durch die Stadt, mit deren Hilfe den verschiedenen Aufgaben anders begegnet werden könnte, als mit der derzeitigen Mangelverwaltung. Doch Elke Voitl, ganz Politikerin, verkündete zunächst einmal, welche Erfolge aktuell erzielt worden seien. Sie sprach davon, dass das Armutsthema „zentral“ werde, dass noch in diesem Jahr 2,5 Millionen Euro an die Kinder- und Jugendarbeit direkt ausbezahlt würden und dass dieser Posten zur „Pflichtleistung“ werden müsse. Sprich: Eine „Pflichtleistung“ muss im Haushalt berücksichtigt werden, die Verteilung von Geldern folgt dann nicht mehr einem Wunschkonzert des Magistrats. Voitl konnte diesbezüglich jedoch „keine Versprechungen“ machen.
Armut gefährdet unsere Demokratie
Allerdings gelte es fortan, im Miteinander „gemeinsam Strategien“ zu entwickeln, womit sich Voitl jenseits ihrer Rolle als Dezernentin mit dem sozial arbeitenden Publikum gemein machte. Dies blieb nicht ohne Widerspruch. An wen solle man denn adressieren, da sich scheints alles inhaltlich im Konsens befinde, war ein Einwurf, der Voitl an ihre Verantwortung als Dezernentin erinnerte. Sie könne sich keinen „schlanken Fuß machen“, hieß es an anderer Stelle. Schließlich sei sie mit in der Verantwortung, wenn „Milliarden“ verteilt würden.
An dieser Stelle sei an die Milliarde erinnert, die Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) im Wahlkampf für Bildung versprochen hat. „Es gibt nichts wichtigeres als die Zukunft unserer Kinder“, heißt es diesbezüglich auf seiner Webseite. Voitl ihrerseits betonte gebetsmühlenartig das eigene Engagement. Nein, einen schlanken Fuß mache sie sich nicht. Mehr habe sie aber nicht erreichen können, und das sei ein erster Schritt.
Dezernentin Elke Voitl (Grüne) spricht von einem „ersten Schritt“
Von dem „ersten Schritt“ können die Einrichtungen jedoch nicht die Gehälter zahlen, zumal die Wortwahl der Dezernentin kritisiert wurde. Die hatte Wert darauf gelegt, dass man ohne Kürzungen ausgekommen sei, und stattdessen von „kalter Progression“ gesprochen. De facto handele es sich um Kürzungen, wenn Mieterhöhungen, Inflation etc. bei der Finanzzuweisung nicht berücksichtigt würden, war der an der Realität orientierte Einwand. Gerade kleinere Träger sehen sich entsprechend vor dem Aus.
Dass städtebauliche Verdichtung den jungen Menschen zusätzlich Platz im öffentlichen Raum nehme, wurde am Rande gestreift, markiert jedoch ein Problem, dass politisch keine Beachtung erfährt. Wo sollen sie etwa im Gallus hin, wenn reduzierte öffentliche Fläche explizit nicht für sie als Aufenthaltsort gedacht ist? Voitl schlug – darf man sagen „naiv“? – jugendliche Mitsprache bei der Städteplanung vor, und Mengilli konnte die Problematik gar nicht erfassen.
Kinder- und Jugendarbeit in Frankfurt steht kurz vor dem Kollaps
Was vom Abend bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Kinder- und Jugendarbeit in Frankfurt kurz vor dem Kollaps steht und die Politik sich langsam an die Problematik herantastet. Elke Voitl sollte man aus ihrer Verantwortung nicht entlassen und regelmäßig daran erinnern, welche Wichtigkeit diese Einrichtung für die jungen Individuen als auch für die Gesellschaft haben. An dieser Stelle sei Miriam Walter zitiert, die von der „Gefährdung unserer Demokratie“ sprach, wenn junge Menschen keinen Bezug mehr zu unserer Gesellschaft hätten – weil man sie im reichen Frankfurt nicht mitmachen lässt.
Denn tatsächlich ist die Förderung von Kindern und Jugendlichen ein gesamtgesellschaftliches Thema, entsprechend sprach Voitl auch von einer „Gefährdung des sozialen Friedens“, wenn Armut gesellschaftliche Teilhabe verhindere. Nicht dazuzugehören, sei für junge Menschen besonders schlimm – und schaffe eine „gefährliche Atmosphäre“. Dem wollte von den Anwesenden, hauptsächlich Vertreterinnen kleiner und großer Träger, auch niemand widersprechen. Beim Thema Finanzierung jedoch war teils Schluss mit dem Konsens.
Armut in Frankfurt: Offene Kinder- und Jugendarbeit in finanzieller Notlage
Neben Voitl saßen noch Miriam Walter, Vorsitzende der AG §78 Kinder und Jugendarbeit, und Yağmur Mengilli von der Goethe Universität auf dem Podium. Moderiert wurde von Ayse Dalhoff, der kinder- und jugendpolitischen Sprecherin der Linken. Miriam Walter erinnerte zunächst daran, dass Kinder- und Jugendarbeit bereits seit 2015 in Frankfurt chronisch unterfinanziert sei. Sie sprach von einer allgemein bekannten „Notlage“, auf die die Politik nicht adäquat reagiere.
Yağmur Mengilli, Elke Voitl, Miriam Walter, Ayse Dalhoff (v.l.n.r.). Red
Dabei handelt es sich hier um Prävention und ergo eine „Kosten-Nutzen-Rechnung“, wie Walter betonte. Schließlich nehme aktiv an der Gesellschaft teil, wem in jungen Jahren die Zukunft nicht durch Chancenlosigkeit verbaut wird. Hier greifen Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen, doch was deren Arbeit in den letzten Jahren erschwert, ist die zunehmende Armut in einer der reichsten Städte Deutschlands. Kinder und Jugendliche bekämen in den Einrichtungen teils die einzige Mahlzeit am Tag, entsprechend werde eben auch die „Grundversorgung sichergestellt“.
Offene Kinder- und Jugendarbeit in Frankfurt stellt Grundversorgung sicher
Yağmur Mengilli sieht diese Entwicklung kritisch. Jugendarbeit spiele aktuell den „Feuerlöscher“, kanalisiere gesellschaftliche Entwicklungen, obwohl die Aufgaben eigentlich anders gelagert seien. Schließlich ginge es im Kern darum, das die Jungen keine Orte im öffentlichen Raum hätten. Politische Bildung bleibe auf der Strecke. Doch was tun, wenn der Magen knurrt? Auf den Programmpunkt Jugendliche Sichtbarkeit verweisen?
Kernproblem bleibt die mangelhafte Finanzierung durch die Stadt, mit deren Hilfe den verschiedenen Aufgaben anders begegnet werden könnte, als mit der derzeitigen Mangelverwaltung. Doch Elke Voitl, ganz Politikerin, verkündete zunächst einmal, welche Erfolge aktuell erzielt worden seien. Sie sprach davon, dass das Armutsthema „zentral“ werde, dass noch in diesem Jahr 2,5 Millionen Euro an die Kinder- und Jugendarbeit direkt ausbezahlt würden und dass dieser Posten zur „Pflichtleistung“ werden müsse. Sprich: Eine „Pflichtleistung“ muss im Haushalt berücksichtigt werden, die Verteilung von Geldern folgt dann nicht mehr einem Wunschkonzert des Magistrats. Voitl konnte diesbezüglich jedoch „keine Versprechungen“ machen.
Armut gefährdet unsere Demokratie
Allerdings gelte es fortan, im Miteinander „gemeinsam Strategien“ zu entwickeln, womit sich Voitl jenseits ihrer Rolle als Dezernentin mit dem sozial arbeitenden Publikum gemein machte. Dies blieb nicht ohne Widerspruch. An wen solle man denn adressieren, da sich scheints alles inhaltlich im Konsens befinde, war ein Einwurf, der Voitl an ihre Verantwortung als Dezernentin erinnerte. Sie könne sich keinen „schlanken Fuß machen“, hieß es an anderer Stelle. Schließlich sei sie mit in der Verantwortung, wenn „Milliarden“ verteilt würden.
An dieser Stelle sei an die Milliarde erinnert, die Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) im Wahlkampf für Bildung versprochen hat. „Es gibt nichts wichtigeres als die Zukunft unserer Kinder“, heißt es diesbezüglich auf seiner Webseite. Voitl ihrerseits betonte gebetsmühlenartig das eigene Engagement. Nein, einen schlanken Fuß mache sie sich nicht. Mehr habe sie aber nicht erreichen können, und das sei ein erster Schritt.
Von dem „ersten Schritt“ können die Einrichtungen jedoch nicht die Gehälter zahlen, zumal die Wortwahl der Dezernentin kritisiert wurde. Die hatte Wert darauf gelegt, dass man ohne Kürzungen ausgekommen sei, und stattdessen von „kalter Progression“ gesprochen. De facto handele es sich um Kürzungen, wenn Mieterhöhungen, Inflation etc. bei der Finanzzuweisung nicht berücksichtigt würden, war der an der Realität orientierte Einwand. Gerade kleinere Träger sehen sich entsprechend vor dem Aus.
Dass städtebauliche Verdichtung den jungen Menschen zusätzlich Platz im öffentlichen Raum nehme, wurde am Rande gestreift, markiert jedoch ein Problem, dass politisch keine Beachtung erfährt. Wo sollen sie etwa im Gallus hin, wenn reduzierte öffentliche Fläche explizit nicht für sie als Aufenthaltsort gedacht ist? Voitl schlug – darf man sagen „naiv“? – jugendliche Mitsprache bei der Städteplanung vor, und Mengilli konnte die Problematik gar nicht erfassen.
Was vom Abend bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Kinder- und Jugendarbeit in Frankfurt kurz vor dem Kollaps steht und die Politik sich langsam an die Problematik herantastet. Elke Voitl sollte man aus ihrer Verantwortung nicht entlassen und regelmäßig daran erinnern, welche Wichtigkeit diese Einrichtung für die jungen Individuen als auch für die Gesellschaft haben. An dieser Stelle sei Miriam Walter zitiert, die von der „Gefährdung unserer Demokratie“ sprach, wenn junge Menschen keinen Bezug mehr zu unserer Gesellschaft hätten – weil man sie im reichen Frankfurt nicht mitmachen lässt.
29. Juni 2023, 15.08 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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