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Obdachlose in Frankfurt
Letzter Ausweg Hauptwache
In Frankfurt ist Wohnraum knapp, immer mehr Menschen leben auf der Straße – selbst im Winter. Und auch viele Flüchtlinge suchen eine Bleibe. Experten fordern mehr Sozialwohnungen.
Das Wichtigste über das Leben in Frankfurt wusste Yusuf bereits, bevor er in die Mainmetropole kam: „Man kann hier viel machen, studieren, arbeiten und ausgehen.“ Was man außerdem unbedingt über boomende deutsche Großstädte wissen sollte, lernte der 23-Jährige erst nach seiner Ankunft: „In Frankfurt findet man nur sehr schwer eine Wohnung.“
Yusuf ist aus dem syrischen Aleppo vor dem Krieg geflohen, monatelang war er unterwegs bis er vor zwei Jahren in Frankfurt ankam. Zunächst wurde er von den Behörden nach Thüringen geschickt – doch der junge Mann hatte andere Pläne: „Frankfurt ist eine tolle Stadt, hier will ich mein Anglistikstudium beenden und dann eine Ausbildung machen.“ Als sein Asylgesuch angenommen wurde, machte er sich auf den Weg. Mehr als ein Jahr ist seit seiner Ankunft am Main vergangen, eine eigene Wohnung hat Yusuf bisher nicht gefunden.
Nicht erst seit hunderttausende Flüchtlinge in die Bundesrepublik kommen, ist hierzulande der Wohnungsmarkt extrem angespannt – besonders in attraktiven Ballungsräumen wie Frankfurt, wo es immer weniger bezahlbare Wohnungen gibt. Vor allem Geringverdiener finden hier schon seit Jahren kaum eine geeignete Wohnung. Die Folge: Die Zahl der Wohnungslosen ist in Deutschland seit 2008 um fast 50 Prozent gestiegen.
Im letzten Jahr verfügten 335 000 Menschen in Deutschland über keinen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum, 40 000 von ihnen schliefen als Obdachlose auf der Straße. Ein Trend, der auch im reichen Frankfurt zunehmend sichtbar wird.
Es ist Donnerstagabend, kurz nach zehn Uhr. Es regnet in Strömen, die wenigen Passanten, die noch unterwegs sind, wollen schnell nach Hause. Doch immer mehr Menschen haben diese Möglichkeit nicht. In der B-Ebene der Hauptwache liegen auf den grauen Fliesen rund 40 Menschen, versteckt unter blauen, grünen und schwarzen Schlafsäcken. Mittendrin steht Hansjörg. Der 48-Jährige holt ein frisches Taschentuch aus seiner Jacke und säubert damit den Boden von Zigarettenstummeln und kleinen Plastikschnipseln. Die in grellem Neonlicht erleuchtete S-Bahn-Station soll für diese Nacht sein Schlafzimmer werden.
Der Mann mit der grauen Mütze und dem stoppeligen Bart ist einiges gewöhnt. Vor zwei Jahren, so erzählt er, kam er nach Frankfurt. Seine Wohnung und damit den Anschluss an ein geregeltes Leben hatte der gebürtige Westberliner da schon längst verloren. In den Sommermonaten schläft Hansjörg in den Frankfurter Grünanlagen. Doch in der kalten Jahreszeit ist das lebensgefährlich, Anfang Februar ist ein Obdachloser direkt vor dem Hauptbahnhof erfroren. Um das zu verhindern, öffnet die Stadt seit vielen Jahren im Winter die Hauptwache. Es ist das absolute Minimum an Kälteschutz. Eigentlich sind Kommunen in Deutschland dazu verpflichtet, Obdachlose in Notunterkünften unterzubringen. Doch weil der Bedarf immer weiter steigt, gerät das einst gut ausgebaute Hilfesystem an seine Grenzen. „Die Situation der Wohnungslosen in Frankfurt wird immer dramatischer“, berichtet Renate Lutz. Die 63-Jährige leitet die „Weser 5“, eine diakonische Unterkunft für wohnungslose Männer im Bahnhofsviertel. Seit Anfang September habe sie wegen Überfüllung über 400 Absagen an Obdachlose verteilen müssen, die einen Notschlafplatz suchten. „Im Winter werden deshalb bis zu 160 Menschen in der Hauptwache schlafen müssen.“ Die meisten davon sind Armutsmigranten aus Osteuropa. Für sie ist die B-Ebene der letzte Ausweg, denn während für Asylbewerber zumindest eine gesetzliche Unterbringungspflicht gilt, ist das bei EU-Zuwanderern anders: Die Stadt gewährt ihnen meist keinen längeren Aufenthalt in den Notunterkünften – eine durchaus umstrittene Praxis.
„Die Kommunen versuchen, diese Menschen durch Sanktionen zum Weiterziehen zu nötigen“, so Renate Lutz. Das gelte auchfür obdachlos gewordene Flüchtlinge, die in anderen EU-Ländern ein Aufenthaltsrecht haben, aber nach Deutschland kommen, wo sie durch das soziale Netz fallen. „Wir müssen aber alle Menschen mit dem Notwendigsten versorgen, egal wo sie herkommen“, sagt Lutz und fordert eine „sofortige Erweiterung der Kapazität von Notschlafplätzen“. Außerdem müssten „dringend wieder mehr Sozialwohnungen“ gebaut werden. „An diesen Versäumnissen sind nicht die Zuwanderer schuld“, stellt Lutz klar. Dennoch werde sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt durch die große Zahl an Flüchtlingen weiter verschärfen, schließlich haben Asylsuchende nach ihrer Anerkennung Anspruch auf eine eigene Bleibe.
Doch vielen könnte es dann wie Yusuf ergehen. Nach seiner Ankunft in Frankfurt verbrachte er mehrere Tage auf der Straße. Doch er hatte Glück, Glück im Unglück. Yusuf bekam einen Notschlafplatz in der Weser 5, und wenige Tage später wurde einZimmer im Howard-Philipps-Haus frei, einem schicken Wohnheim für 20 wohnungslose Männer, von denen die meisten in Einzelzimmern leben. Yusuf sitzt an einem kleinen Tisch, daneben hängt eine Deutschlandfahne. „Ich mag dieses Land“, sagt er. „Aber ich wünsche mir so sehr eine eigene Wohnung.“
Wohnen in Frankfurt
Die Bevölkerung Frankfurts wächst pro Monat um 1300 Menschen. Doch nicht alle finden eine Bleibe; laut dem aktuellen Wohnungsmarktbericht fehlen etwa 25 000 Wohnungen. Zudem sind die Nettomieten in den letzten zehn Jahren laut Mietspiegel um ein Viertel gestiegen, während der Bestand an Sozialwohnungen um etwa 15 Prozent zurückgegangen ist. Aufgrund dieser Entwicklungen sowie einer zunehmenden Verarmung und der verstärkten Zuwanderung ist die Zahl der Wohnungslosen in Frankfurt seit 2008 um 25 Prozent auf nun 2200 gestiegen. Dazu kommen rund 4000 Geflüchtete, die derzeit untergebracht werden. Laut dem Sozialdezernat leben etwa 150 Obdachlose auf der Straße, Sozialverbände halten diese Zahl aber für zu niedrig angesetzt. Hilfe erhalten Betroffene beim Sozialamt, Tel. 069 21230233. Am besten melden sie sich bereits vor dem drohenden Wohnungsverlust. Eine Übersicht über die Angebote der Wohnungslosenhilfe findet sich unter www.berber-info.de
>> Straßenblick – frühere Obdachlose erzählen ihre Geschichte
Eine besondere Stadtführung mit Thomas Adam von der Organisation Straßenblick, jeweils sonntags, 11 Uhr, 15 Euro
Infos und Tickets: www.frankfurter-stadtevents.de/obdachlos
Yusuf ist aus dem syrischen Aleppo vor dem Krieg geflohen, monatelang war er unterwegs bis er vor zwei Jahren in Frankfurt ankam. Zunächst wurde er von den Behörden nach Thüringen geschickt – doch der junge Mann hatte andere Pläne: „Frankfurt ist eine tolle Stadt, hier will ich mein Anglistikstudium beenden und dann eine Ausbildung machen.“ Als sein Asylgesuch angenommen wurde, machte er sich auf den Weg. Mehr als ein Jahr ist seit seiner Ankunft am Main vergangen, eine eigene Wohnung hat Yusuf bisher nicht gefunden.
Nicht erst seit hunderttausende Flüchtlinge in die Bundesrepublik kommen, ist hierzulande der Wohnungsmarkt extrem angespannt – besonders in attraktiven Ballungsräumen wie Frankfurt, wo es immer weniger bezahlbare Wohnungen gibt. Vor allem Geringverdiener finden hier schon seit Jahren kaum eine geeignete Wohnung. Die Folge: Die Zahl der Wohnungslosen ist in Deutschland seit 2008 um fast 50 Prozent gestiegen.
Im letzten Jahr verfügten 335 000 Menschen in Deutschland über keinen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum, 40 000 von ihnen schliefen als Obdachlose auf der Straße. Ein Trend, der auch im reichen Frankfurt zunehmend sichtbar wird.
Es ist Donnerstagabend, kurz nach zehn Uhr. Es regnet in Strömen, die wenigen Passanten, die noch unterwegs sind, wollen schnell nach Hause. Doch immer mehr Menschen haben diese Möglichkeit nicht. In der B-Ebene der Hauptwache liegen auf den grauen Fliesen rund 40 Menschen, versteckt unter blauen, grünen und schwarzen Schlafsäcken. Mittendrin steht Hansjörg. Der 48-Jährige holt ein frisches Taschentuch aus seiner Jacke und säubert damit den Boden von Zigarettenstummeln und kleinen Plastikschnipseln. Die in grellem Neonlicht erleuchtete S-Bahn-Station soll für diese Nacht sein Schlafzimmer werden.
Der Mann mit der grauen Mütze und dem stoppeligen Bart ist einiges gewöhnt. Vor zwei Jahren, so erzählt er, kam er nach Frankfurt. Seine Wohnung und damit den Anschluss an ein geregeltes Leben hatte der gebürtige Westberliner da schon längst verloren. In den Sommermonaten schläft Hansjörg in den Frankfurter Grünanlagen. Doch in der kalten Jahreszeit ist das lebensgefährlich, Anfang Februar ist ein Obdachloser direkt vor dem Hauptbahnhof erfroren. Um das zu verhindern, öffnet die Stadt seit vielen Jahren im Winter die Hauptwache. Es ist das absolute Minimum an Kälteschutz. Eigentlich sind Kommunen in Deutschland dazu verpflichtet, Obdachlose in Notunterkünften unterzubringen. Doch weil der Bedarf immer weiter steigt, gerät das einst gut ausgebaute Hilfesystem an seine Grenzen. „Die Situation der Wohnungslosen in Frankfurt wird immer dramatischer“, berichtet Renate Lutz. Die 63-Jährige leitet die „Weser 5“, eine diakonische Unterkunft für wohnungslose Männer im Bahnhofsviertel. Seit Anfang September habe sie wegen Überfüllung über 400 Absagen an Obdachlose verteilen müssen, die einen Notschlafplatz suchten. „Im Winter werden deshalb bis zu 160 Menschen in der Hauptwache schlafen müssen.“ Die meisten davon sind Armutsmigranten aus Osteuropa. Für sie ist die B-Ebene der letzte Ausweg, denn während für Asylbewerber zumindest eine gesetzliche Unterbringungspflicht gilt, ist das bei EU-Zuwanderern anders: Die Stadt gewährt ihnen meist keinen längeren Aufenthalt in den Notunterkünften – eine durchaus umstrittene Praxis.
„Die Kommunen versuchen, diese Menschen durch Sanktionen zum Weiterziehen zu nötigen“, so Renate Lutz. Das gelte auchfür obdachlos gewordene Flüchtlinge, die in anderen EU-Ländern ein Aufenthaltsrecht haben, aber nach Deutschland kommen, wo sie durch das soziale Netz fallen. „Wir müssen aber alle Menschen mit dem Notwendigsten versorgen, egal wo sie herkommen“, sagt Lutz und fordert eine „sofortige Erweiterung der Kapazität von Notschlafplätzen“. Außerdem müssten „dringend wieder mehr Sozialwohnungen“ gebaut werden. „An diesen Versäumnissen sind nicht die Zuwanderer schuld“, stellt Lutz klar. Dennoch werde sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt durch die große Zahl an Flüchtlingen weiter verschärfen, schließlich haben Asylsuchende nach ihrer Anerkennung Anspruch auf eine eigene Bleibe.
Doch vielen könnte es dann wie Yusuf ergehen. Nach seiner Ankunft in Frankfurt verbrachte er mehrere Tage auf der Straße. Doch er hatte Glück, Glück im Unglück. Yusuf bekam einen Notschlafplatz in der Weser 5, und wenige Tage später wurde einZimmer im Howard-Philipps-Haus frei, einem schicken Wohnheim für 20 wohnungslose Männer, von denen die meisten in Einzelzimmern leben. Yusuf sitzt an einem kleinen Tisch, daneben hängt eine Deutschlandfahne. „Ich mag dieses Land“, sagt er. „Aber ich wünsche mir so sehr eine eigene Wohnung.“
Wohnen in Frankfurt
Die Bevölkerung Frankfurts wächst pro Monat um 1300 Menschen. Doch nicht alle finden eine Bleibe; laut dem aktuellen Wohnungsmarktbericht fehlen etwa 25 000 Wohnungen. Zudem sind die Nettomieten in den letzten zehn Jahren laut Mietspiegel um ein Viertel gestiegen, während der Bestand an Sozialwohnungen um etwa 15 Prozent zurückgegangen ist. Aufgrund dieser Entwicklungen sowie einer zunehmenden Verarmung und der verstärkten Zuwanderung ist die Zahl der Wohnungslosen in Frankfurt seit 2008 um 25 Prozent auf nun 2200 gestiegen. Dazu kommen rund 4000 Geflüchtete, die derzeit untergebracht werden. Laut dem Sozialdezernat leben etwa 150 Obdachlose auf der Straße, Sozialverbände halten diese Zahl aber für zu niedrig angesetzt. Hilfe erhalten Betroffene beim Sozialamt, Tel. 069 21230233. Am besten melden sie sich bereits vor dem drohenden Wohnungsverlust. Eine Übersicht über die Angebote der Wohnungslosenhilfe findet sich unter www.berber-info.de
>> Straßenblick – frühere Obdachlose erzählen ihre Geschichte
Eine besondere Stadtführung mit Thomas Adam von der Organisation Straßenblick, jeweils sonntags, 11 Uhr, 15 Euro
Infos und Tickets: www.frankfurter-stadtevents.de/obdachlos
14. Dezember 2015, 11.59 Uhr
Timo Reuter
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Nach der Besetzung der Kunstbibliothek zeichnet sich eine Lösung ab: Stadt, Land und Universität verhandeln mit dem UFO-Kollektiv über eine kulturelle Zwischennutzung. Erste Gespräche verliefen konstruktiv.
Text: Till Taubmann / Foto: © Bernd Kammerer
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23. November 2024
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